Entscheidungsstichwort (Thema)
Eigenheimzulage für Zweitwohnung auf Gran Canaria?
Leitsatz (NV)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 2 EigZulG insoweit gegen Art. 39 und Art. 43 EG verstößt, als er Eigenheimzulage an den unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen i.S.v. § 1 Abs. 1 EStG für dessen in einem anderen Mitgliedstaat belegene Wohnung ausschließt (Ergänzung zum EuGH-Urteil vom 17. Januar 2008 Rs. C-152/05, BStBl II 2008, 326).
Normenkette
EG Art. 39, 43; EigZulG § 2; EStG § 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) sind Eheleute mit Wohnsitz im Inland. Sie erwarben im Jahr 2001 eine Wohnung auf Gran Canaria, die sie selbst nutzen und für die sie am 1. Juli 2008 Eigenheimzulage (ab 2001) beantragten. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) gewährte Eigenheimzulage für die Jahre 2003 bis 2008 in Höhe von (jährlich) 2.556,46 € und lehnte den Antrag bezüglich der Jahre 2001 und 2002 wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung ab. Hiergegen wandten sich die Antragsteller mit ihrem Einspruch vom 6. Oktober 2008. Während des Einspruchsverfahrens überprüfte das FA die Sach- und Rechtslage und kam zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Eigenheimzulage insgesamt für die Jahre 2001 bis 2008 nicht bestehe. Mit nach § 11 Abs. 5 des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG) geändertem Bescheid vom 11. Dezember 2008 setzte das FA die Eigenheimzulage ab 2008 auf 0 € herab.
Gegen diesen Bescheid legten die Antragsteller Einspruch ein, der jedoch ebenso wie der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des angefochtenen Bescheides erfolglos blieb. Am 25. Februar 2009 stellten sie (nach Erhebung der Klage) einen Antrag auf gerichtliche AdV gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil ihnen nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 17. Januar 2008 Rs. C-152/05 (BStBl II 2008, 326) für ihre Wohnung in Spanien Eigenheimzulage zustehe.
Das Finanzgericht (FG) lehnte den Antrag ab. Zwar lägen die Voraussetzungen des § 4 Satz 1 EigZulG vor und bei dem Objekt handele es sich nicht um eine Ferienwohnung. Indes bestünden keine rechtlichen Zweifel, dass die Wohnung nicht die Voraussetzungen des § 2 EigZulG erfülle, weil sie in Spanien liege. Das Urteil des EuGH in BStBl II 2008, 326 spreche nicht dagegen. Das FG stimme dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) zu, das im Schreiben vom 13. März 2008 (BStBl I 2008, 539) die Anwendbarkeit dieses Urteils auf Anspruchsberechtigte reduziere, die nach § 1 Abs. 2 und Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unbeschränkt steuerpflichtig seien. Die Antragsteller seien in Deutschland jedoch nach § 1 Abs. 1 EStG unbeschränkt steuerpflichtig und seien weder in ihrer Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 39 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG) noch in ihrer Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EG) verletzt. Sie übten ihre Erwerbstätigkeit in Deutschland aus und hätten die Wohnung auf Gran Canaria nicht angeschafft, um ihren Wohnsitz dorthin zu verlegen. Deshalb sei das FA berechtigt gewesen, die zu Unrecht gewährte Eigenheimzulage ab dem Jahr 2008 durch Änderung des Eigenheimzulagenbescheides nach § 11 Abs. 5 EigZulG zu korrigieren.
Hiergegen richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde. Dem Urteil des EuGH in BStBl II 2008, 326 könne eine Beschränkung auf Steuerpflichtige, die lediglich nach § 1 Abs. 2 oder Abs. 3 EStG steuerpflichtig seien, nicht entnommen werden.
Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Niedersächsischen FG aufzuheben und die Vollziehung des angefochtenen Bescheides in Höhe von 2.556,64 € auszusetzen.
Das FA beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die vom BMF und vom FG vertretene, auf unbeschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 2 und Abs. 3 EStG reduzierte Anwendbarkeit des EuGH-Urteils in BStBl II 2008, 326 ergebe sich aus dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Streitfall und aus den Schlussanträgen des Generalanwalts.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet.
1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Rechtsschutz im Wege der AdV kann auch bei ernstlichen europarechtlichen Bedenken gegen eine einem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegende Rechtsnorm gewährt werden (vgl. dazu den Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. März 2001 III B 80/00, BFH/NV 2001, 1294, unter B. I. 3., m.w.N.).
2. Ob § 2 EigZulG insoweit gegen Art. 39 und Art. 43 EG verstößt, als er Eigenheimzulage an den unbeschränkt Einkommensteuerpflichtigen i.S. von § 1 Abs. 1 EStG für dessen in einem anderen Mitgliedstaat belegene Wohnung ausschließt, ist jedenfalls deshalb rechtlich zweifelhaft, weil diese Frage in der Rechtsprechung der Finanzgerichte ausgehend vom EuGH-Urteil in BStBl II 2008, 326 unterschiedlich beantwortet wird und der BFH dazu noch nicht entschieden hat.
Art. 39 Abs. 1 EG gewährleistet innerhalb der Gemeinschaft die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Art. 43 EG die Niederlassungsfreiheit. Nach dem genannten EuGH-Urteil liegt ein Verstoß gegen diese Vorschriften vor, wenn § 2 EigZulG keine Eigenheimzulage an unbeschränkt Einkommensteuerpflichtige für ihre in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Wohnungen gewährt.
Die Frage ist, ob diese Entscheidung alle unbeschränkt Steuerpflichtigen betrifft (also auch solche nach § 1 Abs. 1 EStG) oder nur solche i.S. des § 1 Abs. 2 und Abs. 3 EStG.
a) Nach der Auffassung der Finanzverwaltung (BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 539), welche die Vorinstanz teilt, sind nur solche Anspruchsberechtigten für ihre in einem anderen Mitgliedstaat liegenden Wohnungen begünstigt, die --von einem weiteren, hier nicht einschlägigen Fall abgesehen-- unbeschränkt einkommensteuerpflichtig i.S. des § 1 Abs. 2 und 3 EStG sind. Für diese Auslegung spricht, dass der dem EuGH-Urteil in BStBl II 2008, 326 zugrunde liegende Fall keinen unbeschränkt Steuerpflichtigen nach § 1 Abs. 1 EStG betrifft. Vielmehr handelt es sich um Fallgruppen, die der Generalanwalt Bot in der auch vom EuGH explizit in Bezug genommenen Rz 64 seiner Schlussanträge (vgl. dazu Slg. 2008 Teil I, S. I-39) wie folgt umschreibt: "Obwohl sie in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, wird Personen mit Wohnsitz im Ausland, die zu einer deutschen juristischen Person des öffentlichen Rechts in einem Dienstverhältnis stehen, Grenzpendlern und Beamten oder Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften mit deutscher Staatsangehörigkeit und ausländischem Wohnsitz die Zulage nicht gewährt, da nach dem Eigenheimzulagengesetz das begünstigte Objekt in Deutschland gelegen sein muss". Zwar enthält das EuGH-Urteil in BStBl II 2008, 326 in seinen Rechtsausführungen keine derartige Einschränkung. Doch könnte es naheliegen, deren Anwendungsbereich auf die in der Rz 64 genannten Fallkonstellationen einzuschränken. Auch das Urteil des EuGH vom 10. September 2009 Rs. C-269/07 (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2009, 1954), mit dem der Inlandsbezug des sog. "Wohn-Riester" (§ 92a EStG) für europarechtswidrig erklärt wurde, betrifft Grenzarbeitnehmer, die ihren Wohnsitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats und nicht in Deutschland haben (so EuGH-Urteil in DStR 2009, 1954, Rz 82).
b) Liegt damit eine Anwendbarkeit der vom EuGH-Urteil in BStBl II 2008, 326 entwickelten Grundsätze auf "Gebietsfremde" (zum Begriff vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Bot, a.a.O., Rz 63, und EuGH-Urteil in DStR 2009, 1954, Rz 79) nicht fern, so fragt es sich, ob auch "gebietsfremd" in diesem Sinne ist, wer in einem anderen Mitgliedstaat jedenfalls seinen zweiten Wohnsitz hat.
Das FG Baden-Württemberg hält in seinem Urteil vom 23. April 2009 3 K 3441/08 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2009, 1279; Revision eingelegt - Az. des BFH: IX R 20/09) die Begrenzung auf im Inland belegene Objekte von unbeschränkt Steuerpflichtigen i.S. des § 1 Abs. 1 EStG ebenso für gemeinschaftswidrig. Denn auch in Bezug auf den "Zweitwohnsitz" werde das Recht auf Freizügigkeit beschränkt, da es nicht nur das Recht auf Wegzug umfasse, sondern das Recht eines jeden Bürgers der Europäischen Union, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Das FG folgt insoweit der Auffassung der Kommission, die in einem --im FG-Urteil in EFG 2009, 1279 wiedergegebenen-- Schreiben vom 19. August 2008 mitgeteilt hat, dass nach ihrer Lesart des EuGH-Urteils in BStBl II 2008, 326 Eigenheimzulage auch für eine Zweitwohnung in einem anderen Mitgliedstaat gewährt werden müsse, wenn für die inländische Zweitwohnung ebenfalls eine Eigenheimzulage gewährt worden wäre. Gemessen daran hat das FG Baden-Württemberg § 2 EigZulG wegen des Anwendungsvorrangs des europäischen Rechts normerhaltend gemeinschaftskonform durch Eliminierung des Tatbestandsmerkmals "im Inland belegen" ausgelegt (vgl. dazu auch das BFH-Urteil vom 22. Juli 2008 VIII R 101/02, BFHE 222, 453).
c) Die Frage, ob die durch § 2 EigZulG angeordnete Begrenzung auf im Inland belegene Objekte auch in Bezug auf unbeschränkt Steuerpflichtige nach § 1 Abs. 1 EStG eine Beschränkung der in Art. 39 und 43 EG verbürgten Freizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit darstellt, ist mithin rechtlich zweifelhaft und führt zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochten Bescheides ab 2008 über Eigenheimzulage.
Der Senat kann durcherkennen und die AdV des angefochtenen Bescheides gewähren. Bis auf den Inlandsbezug in § 2 EigZulG liegen nach den Feststellungen des FG und dem übereinstimmenden Vortrag beider Beteiligter die Voraussetzungen für den Anspruch auf Eigenheimzulage vor.
Fundstellen
Haufe-Index 2261847 |
BFH/NV 2010, 179 |