Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde
Leitsatz (NV)
1. Falls Divergenz gerügt wird, muß der Beschwerdeführer dartun, daß die Vorinstanz ihrer Entscheidung einen (abstrakten) Rechtssatz zugrundegelegt hat, der mit dem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des Revisionsgerichts nicht übereinstimmt. In der Beschwerdebegründung müssen die einander gegenübergestellten abstrakten Rechtssätze so genau bezeichnet werden, daß eine Abweichung erkennbar wird.
2. Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung reicht die bloße Behauptung, die Streitsache habe eine solche Bedeutung, nicht aus; vielmehr muß der Beschwerdeführer konkret auf die Rechsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war seit November 1977 als alleiniger Geschäftsführer einer GmbH tätig. Die GmbH geriet im Sommer 1979 in Zahlungsschwierigkeiten; der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens wurde im November 1979 mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) nahm den Kläger mit Ändeurngshaftungsbescheid vom 13. Oktober 1982 für Lohnsteuer 5 bis 11/79, Kirchenlohnsteuer und Säumniszuschläge für die Zeit von November 1978 bis November 1979 in Höhe von insgesamt X DM in Anspruch. Unter Änderung dieses Haftungsbescheides setzte das Finanzgericht (FG) die Haftungssumme (für Lohnsteuer 5 bis 7/79) auf Y DM herab. Soweit das FG den Haftungsbescheid aufrechterhielt, begründete es seine Entscheidung wie folgt:
Der Kläger hafte persönlich nach § 69 der Abgabenordnung (AO 1977). Er habe durch die nicht rechtzeitige Abführung der einbehaltenen Steuerabzugsbeträge eine mindestens grob fahrlässige Pflichtverletzung begangen und dadurch eine Steuerverkürzung herbeigeführt. Die Nichtabführung der Lohnsteuer verletze im allgemeinen ohne weiteres die Pflicht der den Arbeitgeber vertretenden Person, dafür zu sorgen, daß die Steuer aus den von ihm verwalteten Mitteln des Arbeitgebers entrichtet werde. Die Verletzung dieser Pflicht sei regelmäßig schuldhaft. Durch Delegierung habe sich der Kläger von der ihm nach § 34 AO 1977 obliegenden Pflicht nicht entbinden können. Der Einwand des Klägers, der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit könne unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse vom Steuerrecht nicht aufrechterhalten werden, greife nicht durch; der Geschäftsführer einer GmbH habe zu wissen, daß einbehaltene Lohnsteuer fristgerecht an das FA abzuführen sei. Ein grobes Verschulden entfalle auch nicht dadurch, daß der Kläger im Oktober 1979 mit der Vollstreckungsstelle des FA ein Stillhalteabkommen getroffen haben wolle. Eine solche Abrede habe ihn von der fristgerechten Zahlung nicht entbinden können, da hierin keine Stundung zu sehen gewesen sei.
Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen die ihm am 4. Dezember 1986 zugestellte Vorentscheidung legte der Kläger mit am 2. März 1987 beim FG eingegangenem Schriftsatz Nichtzulassungsbeschwerde ein. Zur Begründung führte er aus:
Die Revision sei zuzulassen, weil die Vorentscheidung von mehreren Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) abweiche. Er verweise auf seine Revisionsbegründung vom 31. Januar 1987 und die dort zitierten Entscheidungen. Darüber hinaus habe die Frage grundsätzliche Bedeutung, inwieweit der Fahrlässigkeitsmaßstab des § 69 AO 1977 von dem in § 109 der Reichsabgabenordnung (AO) abweiche.
In der vom Kläger in bezug genommenen Revisionsbegründungsschrift heißt es u. a.: Selbst wenn man das Tatbestandsmerkmal der groben Fahrlässigkeit als gegeben annehme, fehle es an Feststellungen zur Kausalität. Das FG habe keine Feststellungen darüber getroffen, ob und aus welchen Mitteln er die rückständigen Steuern hätte zahlen können. Daß dies ihm möglich gewesen sei, ergebe sich aus der Vorentscheidung nicht, sei aber Tatbestandsmerkmal des § 69 AO 1977 (vgl. BFH-Urteil vom 17. Juli 1985 I R 205/80, BFHE 144, 329, BStBl II 1985, 702, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht - wistra - 1986, 76; BFH-Urteil vom 26. April 1984 V R 128/79, BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776, wistra 1985, 29). Es hätten unter Umständen dann die Nettolöhne oder die Lieferanten nicht bezahlt werden können mit der Folge, daß dann nach § 39 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) schon im Mai der Konkursantrag hätte gestellt werden müssen, oder es hätte die Steuerschuld wie die übrigen Verbindlichkeiten quotenmäßig bezahlt werden müssen.
Das FG hat der Nichtzulassungsbeschwerde nicht abgeholfen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist zulässig, obwohl sie nicht innerhalb der Frist des § 115 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eingelegt worden ist. Denn der Beschwerdeführer hat jedenfalls die Frist des § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO eingehalten. Nach dieser Vorschrift (in Verbindung mit § 55 Abs. 1 Satz 2 FGO) ist die Einlegung eines Rechtsmittels noch innerhalb eines Jahres nach Zustellung der Vorentscheidung möglich, wenn eine Rechtsmittelbelehrung unterblieben ist. Der Kläger hat behauptet, die ihm zugestellte Ausfertigung der Vorentscheidung habe eine Rechtsmittelbelehrung nicht enthalten. Auch die vom FG dem BFH übersandte Abschrift der Vorentscheidung enthält keine Rechtsmittelbelehrung. Die zuständige Geschäftsstelle des FG hat auf Anfrage mitgeteilt, es könne nicht mehr festgestellt werden, ob der Ausfertigung für den Kläger eine Rechtsmittelbelehrung beigeheftet gewesen sei. Unter diesem Umständen geht der Senat von der Richtigkeit der Darstellung des Klägers aus.
Die Beschwerde kann aber keinen Erfolg haben. Sie entspricht nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Danach ist in der Beschwerdeschrift (oder in einem dieser beigefügten Schriftstück) die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen oder die Entscheidung des BFH zu bezeichnen, von der die Vorentscheidung abweicht. Falls Divergenz gerügt wird, muß nach übereinstimmender Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes der Beschwerdeführer u. a. dartun, daß die Vorinstanz ihrer Entscheidung einen (abstrakten) Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit dem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des Revisionsgerichts nicht übereinstimmt; in der Beschwerdebegründung müssen die einander gegenübergestellten abstrakten Rechtssätze in der Vorentscheidung und in der Divergenzentscheidung des BFH so genau bezeichnet werden, daß eine Abweichung erkennbar wird (vgl. Klein / Ruban, Der Zugang zum Bundesfinanzhof, 1986, S. 72, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). Für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung reicht die bloße Behauptung, die Streitsache habe eine solche Bedeutung, nicht aus; vielmehr muß der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen (vgl. Klein / Ruban, a.a.O., S. 70).
Der Kläger hat zwar gerügt, daß die Vorentscheidung von zwei benannten Urteilen des BFH abweiche. Es fehlt aber jeder Hinweis darauf, worin diese Abweichung besteht. Das gleiche gilt für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. Der Kläger hat nicht kenntlich gemacht, wieso eine Entscheidung zu den unterschiedlichen Fahrlässigkeitsmaßstäben der §§ 69 AO 1977, 109 AO von grundsätzlicher Bedeutung ist. Der Senat braucht hierzu jedoch nicht abschließend Stellung zu nehmen. Denn die Beschwerde ist in jedem Falle unbegründet.
Die gerügte Divergenz liegt nicht vor. Der Kläger ist als Haftender für Lohnsteuer in Anspruch genommen worden. Die Urteile des BFH, von denen nach Auffassung des Klägers das FG abgewichen ist, beziehen sich aber auf die Haftung für Säumniszuschläge und Umsatzsteuer (BFHE 141, 443, BStBl II 1984, 776) bzw. für Ergänzungsabgabe für Körperschaftsteuer und Säumniszuschläge dafür und für Körperschaftsteuer (BFHE 144, 329, BStBl II 1985, 702). Im Zusammenhang mit dieser Steuer spielt es für die Haftungsinanspruchnahme in der Tat eine Rolle, ob Mittel zur Tilgung der Steuerschulden zur Verfügung standen. Das gilt jedoch nicht für die Lohnsteuer. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind, wenn die vorhandenen Gelder für die Abführung der Lohnsteuer nicht voll ausreichen, die Löhne entsprechend gekürzt auszubezahlen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 20. April 1982 VII R 96/79, BFHE 135, 416, 420, BStBl II 1982, 521, 523).
Die Frage, inwieweit der Fahrlässigkeitsmaßstab des hier allein anwendbaren § 69 AO 1977 von dem des § 109 AO abweicht, ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 115 Abs. 2 Satz 1 FGO. Die Frage ist nicht klärungsbedürftig. Sie läßt sich unmittelbar aus dem Gesetz entnehmen (§ 109 AO: Es genügt neben Vorsatz jede Fahrlässigkeit; § 69 AO 1977; Es muß neben Vorsatz grob fahrlässiges Verhalten gegeben sein). Überdies spielt diese Frage im vorliegenden Verfahren keine Rolle, da hier § 109 AO nicht anwendbar ist und das FG festgestellt hat, der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt.
Fundstellen
Haufe-Index 415137 |
BFH/NV 1988, 38 |