Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung nur bei Entscheidungserheblichkeit; Änderung der Rechtsprechung kein rückwirkendes Ereignis; Billigkeitsentscheidung ergeht in besonderem Verfahren
Leitsatz (NV)
- Die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt u.a. voraus, dass die aufgeworfene Rechtfrage im Streitfall entscheidungserheblich ist.
- Eine Änderung der Rechtsprechung, die zu einer anderen rechtlichen Beurteilung eines bestehenden Sachverhalts führt, ist kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.
- Die Entscheidung über eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen ist Gegenstand eines besonderen Verwaltungsverfahrens.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; AO 1977 §§ 163, 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 26.05.2003; Aktenzeichen 15 K 1018/02 Kg) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen der in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) angeführten Gründe für die Zulassung der Revision in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt.
1. Der Kläger hat keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aufgeworfen.
a) Die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob die Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung als Grundlagenbescheid i.S. der §§ 171 Abs. 10, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) anzusehen ist, ist im Streitfall schon deshalb nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsbedürftig, weil das FG nicht festgestellt hat, dass dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung erteilt worden ist.
b) Es ist auch nicht mehr klärungsbedürftig, sondern lässt sich anhand der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entscheiden, dass der Erlass des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. April 2000 B 14 KG 3/99 R (BSGE 86, 115), wonach das deutsch-jugoslawische Abkommen über soziale Sicherheit im Verhältnis zu den Nachfolgestaaten Jugoslawiens fortgilt, kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 gewesen ist.
Es ist in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, dass ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 in der Weise in die Vergangenheit wirken muss, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, C. II. 1. b der Gründe). Die Änderung der rechtlichen Beurteilung eines bestehenden Sachverhalts kann nicht zu einer Berichtigung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 führen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 26. Oktober 1988 II R 55/86, BFHE 154, 493, BStBl II 1989, 75, unter II. 1.; vom 21. März 1996 XI R 36/95, BFHE 179, 563, BStBl II 1996, 399, unter II. 2. der Gründe). Durch die geänderte Rechtsprechung des BSG in BSGE 86, 115 hat sich nicht der zu beurteilende Sachverhalt, sondern lediglich die rechtliche Beurteilung geändert, ob der Kläger als bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger dem Regelungsbereich des deutsch-jugoslawischen Abkommens unterliegt und daraus einen Anspruch auf Kindergeld ableiten kann.
2. Mit seinem sinngemäßen Vorbringen, der Beklagte und Beschwerdegegner (Beklagter) und das Finanzgericht (FG) hätten seinen mit Schreiben vom 17. September 2001 gestellten Änderungsantrag zu Unrecht nicht als Antrag auf Erlass einer Billigkeitsentscheidung angesehen, hat der Kläger ebenfalls keinen Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargetan. Auch nach der Neufassung der Zulassungsgründe in § 115 Abs. 2 FGO durch das Zweite Gesetz zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757, BStBl I 2000, 1567) soll nicht jede Vorentscheidung schon mit der Begründung revisibel sein, das FG habe falsch entschieden (vgl. BFH-Beschluss vom 15. März 2002 V B 33/01, BFH/NV 2002, 1040). Deshalb eröffnen allgemeine Angriffe gegen die Richtigkeit der Vorentscheidung die Zulassung der Revision weiterhin nicht.
3. Soweit der Kläger geltend macht, es sei nicht ersichtlich, dass sich der BFH bisher mit der Frage beschäftigt habe, ob die Familienkasse auf Antrag des Anspruchsstellers diesem im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung etwa entsprechend § 163 AO 1977 Kindergeld über den bislang gewährten Zeitraum hinaus zusprechen könne, hat er keine im vorliegenden Verfahren entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufgeworfen. Denn die Entscheidung über eine abweichende Festsetzung aus Billigkeitsgründen ist Gegenstand eines besonderen Verwaltungsverfahrens (vgl. BFH-Urteil vom 18. November 1998 X R 110/95, BFHE 187, 488, BStBl II 1999, 225, unter II. 3. der Gründe, m.w.N.). Dieses besondere Verwaltungsverfahren ist im Streitfall dem finanzgerichtlichen Verfahren nicht vorangegangen und die Zulässigkeit einer Billigkeitsentscheidung ist nicht Gegenstand des angefochtenen Urteils.
4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
Fundstellen