Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Das Finanzamt kann bei unklarer Abfassung der Niederschrift über die Schlußbesprechung einer Betriebsprüfung an eine sachlich unrichtige Beurteilung gebunden sein, wenn der Steuerpflichtige aus der Niederschrift Folgerungen vermögensrechtlicher Art gezogen hat, die nach dem Inhalt der Niederschrift möglich waren.
Normenkette
StAnpG § 1
Tatbestand
Der Bf. hat seinen Wohnsitz in A. (Schweiz). Er ist Gesellschafter-Geschäftsführer von zwei Gesellschaften mit beschränkter Haftung in B. (Deutschland), außerdem aktiver Gesellschafter einer Gesellschaft in C. (Schweiz) und Gesellschafter einer GmbH in D. (österreich), Der Bf. hat im Jahre 1955 von den beiden Unternehmen in B. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von 60.000 DM bezogen, die nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen wurden. Im Anschluß an eine Betriebsprüfung bei den beiden Gesellschaften wurden auch die Höhe und die Angemessenheit der Geschäftsführerbezüge erörtert. Eine darüber gefertigte Niederschrift vom 1. Februar 1956 schloß mit den Worten: "Soweit das Gehalt nach den bestehenden Devisenbestimmungen transferiert wird, ist es in der Schweiz zu versteuern." Im Anschluß an eine Lohnsteuerprüfung der Gesellschaft im Oktober 1959 zog das Finanzamt den Bf. jedoch durch Haftungsbescheid zur Lohnsteuer heran, da es nunmehr der Auffassung war, der Bf. sei mit seinen Geschäftsführerbezügen in der Bundesrepublik lohnsteuerpflichtig, da er nicht Grenzgänger im Sinne des Art. 4 Abs. 2 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern und der Erbschaftsteuern vom 15. Juli 1931 (DBAS) sei. Der Einspruch und die Berufung des Bf. hiergegen hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht teilte die Auffassung des Finanzamts, der Bf. sei kein Grenzgänger im Sinne des Art. 4 Abs. 2 DBAS, der bestimmt, daß Grenzgänger mit ihren Arbeitseinkünften nur im Land ihres Wohnsitzes der Einkommensteuer bzw. Lohnsteuer unterliegen. Nach einem im Jahre 1936 durchgeführten Verständigungsverfahren seien Grenzgänger die in Grenznähe wohnenden Personen, die in dem Nachbarstaat in der Nähe der Grenze arbeiteten und die sich morgens von ihrer Wohnung über die Grenze zu ihrer Arbeitsstätte begäben und am gleichen Tag wieder zu ihrem Wohnsitz zurückkehrten. Grenznah in diesem Sinn sei eine Entfernung von 30 km von der Grenze. Die Voraussetzung der Grenznähe sei im Streitfall zwar sowohl hinsichtlich des Wohnortes als auch des Arbeitsortes des Bf. erfüllt. Der Bf. gehe aber nicht, wie es für einen Grenzgänger typisch sei, nach einem überschaubaren Zeitplan an den üblichen Arbeitstagen regelmäßig morgens und abends über die Grenze. Er bestimme seine Arbeitszeit und damit seine Anwesenheit am Arbeitsort weitgehend selbst. Seine geschäftlichen Interessen brächten es mit sich, daß er nicht nur in B., sondern auch in C. und in D. tätig sei. Nach den unbestrittenen Feststellungen verbringe er mitunter einige Tage ohne Unterbrechung in B. Die am 1. Februar 1956 getroffene Regelung stehe der Lohnsteuernachforderung nach § 223 AO nicht entgegen; denn man habe sie ohne nähere Prüfung der Verhältnisse erst nach Ablauf des Jahres 1955 getroffen. Das Steuerrecht kenne grundsätzlich keine Vergleiche über die Besteuerung oder über das Erlöschen eines Steueranspruchs. Unklare Vereinbarungen über einen bereits verwirklichten Steuertatbestand müßten einer später gewonnenen besseren Erkenntnis weichen.
Der Bf. wiederholt mit der Rb. seine Auffassung, er sei Grenzgänger im Sinne des Art. 4 Abs. 2 DBAS. Das vom Finanzgericht angeführte Verständigungsverfahren sei nicht dahin auszulegen, daß Personen, die nicht täglich zweimal über die Grenze gingen, keine Grenzgänger im Sinne des Art. 4 Abs. 2 DBAS sein könnten. Eine Lohnsteuernachforderung komme auch wegen der Vereinbarung vom 1. Februar 1956 nicht in Betracht. Anläßlich der Betriebsprüfung im Jahre 1955 sei die Frage des Geschäftsführergehalts eingehend erörtert worden. In der Niederschrift vom 1. Februar 1956 sei festgestellt worden, daß die Bezüge in der Schweiz zu versteuern seien. Diese Niederschrift sei vom Vorsteher des Finanzamts und dem Leiter der Betriebsprüfungsstelle unterschrieben worden. Dabei habe es sich nicht um einen Vergleich über Steueransprüche gehandelt, sondern um die eindeutige Feststellung über die steuerliche Behandlung eines klaren Tatbestandes. Eine änderung dieser Verfügung sei nur unter den Voraussetzungen des § 96 AO möglich, die jedoch nicht vorlägen.
Entscheidungsgründe
Die Rb. führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
In einem gemäß Art. 13 DBAS im Jahre 1936 durchgeführten Verständigungsverfahren wurde festgelegt, daß Grenzgänger nur die in dem einen Staat in der Nähe der Grenze arbeitenden Personen sind, die sich morgens über die Grenze zu ihrer Arbeitsstätte begeben und am gleichen Tag an ihren Wohnsitz zurückkehren (mitgeteilt in Meyer-Marsilius, "Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland", 1959 S. 31). Im Urteil des Bundesfinanzhofs VI 119/61 U vom 1. März 1963 (BStBl 1963 III S. 212), wurde entschieden, daß diese Erläuterung des Grenzgängerbegriffs für die Anwendung des Art. 4 Abs. 2 DBAS maßgebend ist und daß danach nur solche Arbeitnehmer als Grenzgänger im Sinn dieser Vorschrift zu behandeln sind, die sich an jedem Arbeitstag über die Grenze zu ihrem Arbeitsort in den anderen Staat begeben und die abends wieder über die Grenze nach Hause zurückkehren. Der Bf. erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Da er demnach kein Grenzgänger im Sinne des Art. 4 Abs. 2 DBAS ist, findet die in dieser Bestimmung getroffene Sonderregelung auf ihn keine Anwendung. Er ist vielmehr nach Abs. 1 des Art. 4 DBAS mit den Einkünften aus der Geschäftsführertätigkeit bei den beiden Gesellschaften in B. in dem Land steuerpflichtig, in dem er seine Tätigkeit ausübt. Da dies in B. geschehen ist, unterliegt er mit diesen Bezügen in der Bundesrepublik der Einkommensteuer.
Wenn danach die Vorentscheidung auch hinsichtlich der Auslegung des Art. 4 Abs. 2 DBAS nicht zu beanstanden ist, so ist sie doch insofern bedenklich, als das Finanzgericht möglicherweise die im Anschluß an die Betriebsprüfung vom Finanzamt mit dem Bf. geführten Verhandlungen unrichtig gewürdigt hat. Es handelt sich dabei um die Auslegung des letzten Satzes der Niederschrift vom 1. Februar 1956, der die Annahme nahelegt, daß das Finanzamt von der Grenzgängereigenschaft des Bf. ausgegangen ist und daß es deshalb seine Zuständigkeit für die Besteuerung der Geschäftsführerbezüge des Bf. nicht als gegeben angesehen hat. Als Freistellungsbescheid für 1955 und die folgenden Jahre ist dieser Satz nach Form und Inhalt jedoch nicht anzusehen. Die in ihm enthaltene Feststellung, daß das Gehalt des Bf. in der Schweiz zu besteuern sei, soweit es nach den bestehenden Devisenbestimmungen transferiert wird, ist unklar. Sie läßt insbesondere offen, wo der Teil des Gehalts besteuert werden soll, der nicht transferiert wird. Da es nach dem DBAS nicht darauf ankommt, ob die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in der Schweiz oder in der Bundesrepublik Deutschland verbraucht werden, ist auch nicht verständlich, warum dabei auf den Transfer der Bezüge abgestellt und auch noch an die für die steuerliche Beurteilung unwesentlichen Devisenbestimmungen angeknüpft wurde. Diese Vorbehalte deuten darauf hin, daß das Finanzamt den Bf. nicht in vollem Umfang von der Einkommensteuer (Lohnsteuer) in Deutschland freistellen wollte. Andererseits hat das Finanzamt aber offenbar entgegen der bestehenden Rechtslage angenommen, die Geschäftsführerbezüge des Bf. seien in der Schweiz zu besteuern. Hierfür spricht insbesondere, daß es in der Folgezeit bis Ende 1959 nichts unternommen hat, um eine Besteuerung dieser Bezüge in der Bundesrepublik herbeizuführen. Das Finanzamt kann nach Treu und Glauben an diesen Verzicht auf eine Besteuerung gebunden sein, wenn der Bf. auf Grund der Beurteilung des Finanzamts von der gleichen Auffassung ausgegangen ist und im Vertrauen auf die in der Niederschrift getroffene Regelung hinsichtlich der in die Schweiz transferierten Geschäftsführerbezüge für diese Bezüge Einkommensteuer in der Schweiz entrichtet hat; denn dann hätte der Bf. im Vertrauen auf eine unklare Regelung des Finanzamts eine Disposition vermögensrechtlicher Art getroffen, zu der er sich nach Lage der Verhältnisse für berechtigt und unter Umständen sogar verpflichtet halten konnte.
Ob das Geschäftsführergehalt ganz oder teilweise in der Schweiz besteuert wurde, ist bisher nicht untersucht worden. Das ist aber für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits von wesentlicher Bedeutung. Es wird dabei allerdings unter Umständen auch noch darauf ankommen, ob ein Teil der Bezüge nicht transferiert wurde. Soweit ein Transfer nicht erfolgt ist, könnte sich der Bf. nicht unter Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben gegen seine Besteuerung in der Bundesrepublik wenden. Eine abschließende Stellungnahme hierzu ist jedoch nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht möglich.
Die Vorentscheidung ist daher wegen mangelnder Sachaufklärung aufzuheben. Die Sache wird zur nochmaligen Prüfung und Entscheidung unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen an das Finanzgericht zurückverwiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 410771 |
BStBl III 1963, 271 |
BFHE 1963, 743 |
BFHE 76, 743 |