Leitsatz (amtlich)
Erfüllt der Erbe ein wegen Formmangels der Verfügung von Todes wegen unwirksames Vermächtnis, so ist die Steuer so zu erheben, wie sie bei Gültigkeit der Verfügung zu erheben gewesen wäre. Bei einer mündlichen Verfügung genügt das ernstliche Verlangen des Erblassers, daß nach seinem Tode mit dem Nachlaß oder mit Teilen des Nachlasses in dem von ihm gewollten Sinne zu verfahren sei, auch wenn sich der Erblasser der bürgerlich-rechtlichen Unwirksamkeit seiner Verfügung bewußt war.
Normenkette
ErbStG § 2 Abs. 1 Nr. 1; StAnpG § 5 Abs. 3
Tatbestand
Der Erblasser, der in Gütertrennung lebte, ist von seiner Witwe und seinen drei Kindern zu je einem Viertel gesetzlich beerbt worden. Diese, die Kläger, behaupten ein mündliches Vorausvermächtnis an die Ehefrau; sie haben dieses erfüllt. Sie sind der Ansicht, das bürgerlichrechtlich unwirksame Vorausvermächtnis sei bei Festsetzung der Erbschaftsteuer als Nachlaßlast zu berücksichtigen. Das FA - Beklagter - hat der Besteuerung allein die gesetzliche Erbfolge zugrunde gelegt. Die gegen den Erbschaftsteuerbescheid erhobene Sprungberufung der Kläger hatte in diesem Punkte keinen Erfolg (EFG 1964, 598).
Die Revision ist zulässig. Auch die Witwe ist, obschon ihr Erwerb wegen § 16 ErbStG befreit ist, durch das angefochtene Urteil beschwert, weil dieses die von den Erben geschuldete Steuer nur in einem Betrage - also gegen alle Erben - festgesetzt hat.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision der Kläger ist begründet.
Die umstrittene Frage war im ErbStG 1925/1934 in § 11 geregelt. Dieser lautete: "Erfüllt der Erbe eine wegen Formmangels nichtige Verfügung von Todes wegen, so ist nur die Steuer zu erheben, die bei Gültigkeit der Verfügung des Erblassers zu entrichten gewesen wäre." Diese Vorschrift ist durch Art. 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung des Erbschaftsteuergesetzes vom 30. Juni 1951 (BGBl I 1951, 759) - ErbStÄndG 1951 - gestrichen worden. Ausweislich der Begründung (BStBl I 1951, 571 [573]) glaubte man auf § 11 ErbStG verzichten zu können, weil der dieser Vorschrift zugrunde liegende Rechtsgedanke in § 5 Abs. 3 StAnpG enthalten sei.
Ob diese Erwägung zutrifft, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Mit Recht hebt der Beklagte hervor, daß § 5 Abs. 3 StAnpG seinem Wortlaut nach auf zweiseitige Rechtsgeschäfte zugeschnitten ist. Ist ein Rechtsgeschäft wegen eines Formmangels oder wegen eines Mangels der Geschäftsfähigkeit oder Rechtsfähigkeit nichtig, so ist dies nämlich "für die Besteuerung insoweit und so lange ohne Bedeutung, als die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts eintreten und bestehen lassen". Ziel der Vorschrift ist also - ähnlich wie in § 1 Abs. 2 GrEStG -, den wirtschaftlich gleichen Erfolg dem formal voll wirksamen Rechtsgeschäft gleichzustellen; die Steuerpflicht soll nicht dadurch vermieden oder hintangehalten werden können, daß eine zur Wirksamkeit nach bürgerlichem Recht erforderliche Bestätigung (§ 141 BGB) oder Genehmigung des gesetzlichen Vertreters (§ 108 Abs. 1 BGB) oder Verfügungsberechtigten (§ 185 Abs. 2 Satz 1 BGB) unterlassen wird, ohne das wirtschaftliche Ergebnis des nichtigen Rechtsgeschäfts zu beseitigen (vgl. § 5 Abs. 5 Satz 1 StAnpG). Maßgebend soll also die tatsächliche wirtschaftliche Gestaltung sein, wie sie die Beteiligten gelten lassen (Begr. StAnpG, RStBl 1934, 1398 [1401]). Die Vorschrift richtet sich somit in erster Linie gegen den Steuerpflichtigen (obschon sie im Einzelfall auch zugunsten eines Steuerpflichtigen wirken kann) und kann schon darum nur schwer die ausschließlich den Steuerpflichtigen begünstigende Vorschrift des § 11 ErbStG 1925/1934 ersetzen. Dazu kommt, daß "die Beteiligten", welche "das wirtschaftliche Ergebnis des Rechtsgeschäfts eintreten und bestehen lassen" können, einem nicht gemeinschaftlichen Testament gegenüber gar nicht Beteiligte des Rechtsgeschäfts sein können.
Andererseits ist einzuräumen, daß eine ambivalente Auslegung des § 5 Abs. 3 StAnpG in den Grenzen möglichen Wortsinns liegt, und daß zugunsten der Steuerpflichtigen unter Beteiligten im Sinne des § 5 Abs. 3 StAnpG auch solche verstanden werden könnten, welche durch Begünstigung oder Belastung an den Wirkungen des nichtigen Geschäfts irgendwie beteiligt sind. Jedenfalls ist eine den wahren Willen des Gesetzgebers zugunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigende Auslegung nicht nach den gleichen Grundsätzen gebunden, wie es kraft des Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und um der Rechtssicherheit willen für eine Auslegung zu Lasten des Steuerpflichtigen zu fordern ist (vgl. Urteile II 110/62 vom 28. November 1967, BFH 91, 132, BStBl II 1968, 216; II 33/63 vom 30. Januar 1968, BFH 91, 511 [513 f.]). Denn der Bürger, der vom Staate in Anspruch genommen werden soll, kann erwarten, daß dieser sich in dem verkündeten Wortlaut (vgl. Art. 2 Satz 2 der Verfassung des Deutschen Reiches 1871, Art. 70 der Weimarer Verfassung 1919, Art. 82 Abs. 2 Satz 1 GG) seiner Gesetzgebung klar und verständlich ausdrückt; er wird nur nach Maßgabe des Gesetzes verpflichtet (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG) und ist nicht genötigt, aus ihm ohnehin kaum zugänglichen Materialien einen im Gesetz selbst nicht ausgedrückten Willen des Gesetzgebers zu erforschen. Soweit dagegen der Gesetzgeber den Bürger begünstigen will, laufen dessen Interessen und die Interessen des Staates konform. Daher genügt insoweit - auch im Sinne der Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG -, daß der Befreiungswille des - allerdings auch hier objektiv zu verstehenden (vgl. BVerfGE 1, 299 [312]; 10, 234 [244]; 11, 126 [130 f.]) - Gesetzgebers sich nachweisbar aus dem Sinnzusammenhang des Gesetzes ergibt (vgl. Urteil II R 96/66 vom 21. Dezember 1966, BFH 88, 250 [252], BStBl III 1967, 345), während allenfalls durch ein buchstäbliches Verständnis des Wortlauts gedeckte, dem Sinnzusammenhang und damit dem wahren Wortsinn des Gesetzes widersprechende Motive außer Betracht bleiben müssen (vgl. Urteil II R 37/66 vom 28. November 1967, BFH 91, 191 [193 f., 195 f., 197 ff., 201], BStBl II 1968, 223).
Der Fortbestand des in § 11 ErbStG 1925/1934 ausgedrückten Rechtsgedankens hat in Art. 1 Nr. 4 ErbStÄndG 1951 und § 5 Abs. 3 StAnpG einen, wenn auch schwachen, so doch für einen Rückgriff auf die Gesetzgebungsmotive (vgl. BVerfGE 1, 299 [312]; 11, 126 [131]) im entlastenden Sinne hinreichenden Anhalt gefunden. Die ersatzlose Aufhebung des § 11 ErbStG 1925/1934 hätte die Wirkung, daß künftig auch dann die bürgerliche Rechtslage für die Besteuerung maßgebend sein solle, wenn ein unzweifelhaft vom Erblasser herrührendes Testament vorliegt, das zwar unwirksam ist, weil es nicht ganz eigenhändig geschrieben oder versehentlich oder infolge Eintritt des Todes während der Errichtung des Testaments nicht unterschrieben ist (§ 21 Abs. 1 des Testamentsgesetzes; jetzt § 2247 Abs. 1 BGB), aber von den gesetzlichen Erben erfüllt wird, und daß womöglich gar der Erfüllungsakt als Schenkung (§ 3 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 ErbStG) wiederum der Steuer unterläge. Das wäre derart grob unbillig, daß es nicht ohne weiteres als Wille des Gesetzgebers unterstellt werden kann. Somit ist es, wenn der Wortlaut des Gesetzes scheinbar auf ein solches Ergebnis hindeutet, ausnahmsweise zulässig und geboten, auf die Motive des Gesetzgebers zurückzugreifen. Da diese den genau gegenteiligen Willen ergeben und der buchstäbliche Wortlaut (§ 133 BGB) im Sinnzusammenhang eines den Steuerpflichtigen im wesentlichen begünstigenden Änderungsgesetzes keineswegs zu einer materiell eindeutigen Aussage führt, auch eine Ambivalenz des § 5 Abs. 3 StAnpG durch dessen Wortlaut nicht schlechthin ausgeschlossen und begrifflich abgrenzbar (vgl. Urteil II 112/65 vom 19. November 1968, BFH 94, 156 [158], BStBl II 1969, 92) ist, muß diese Vorschrift in dem von dem Gesetzgeber des ErbStÄndG 1951 gewollten, dem Steuerpflichtigen günstigen Sinne ausgelegt werden.
Davon ist das FG stillschweigend ausgegangen. Es hat aber die Vergünstigung deshalb versagt, weil keine Willenserklärung im Sinn des bürgerlichen Rechts und damit auch kein Rechtsgeschäft im Sinn des § 5 Abs. 3 StAnpG vorliege; denn der Erblasser sei sich der Unwirksamkeit seiner mündlichen Erklärung bewußt gewesen. Zum Begriff des Rechtsgeschäfts folgt es im Ergebnis der in den RGZ 68, 322 [324 ff.] dargelegten, im bürgerlichen Recht herrschenden Auslegung. Seine Bemerkung, eine Willenserklärung müsse auf eine Änderung der "derzeitigen" Rechtslage gerichtet sein, würde allerdings das Testament nicht erfassen, war aber wohl nicht in diesem Sinne gemeint.
Mit dem FG kann angenommen werden, daß zum bürgerlich-rechtlichen Begriff eines Rechtsgeschäfts nicht nur eine Willenserklärung gehört, sondern daß diese - und zwar die Erklärung, nicht (wie RGZ 68, 322 [324] annimmt) der Wille (arg. § 116 Satz 1 BGB) - überdies darauf gerichtet sein muß, einen rechtlichen Erfolg herbeizuführen. Ob daraus für das bürgerliche Recht zwingend folgt, daß ein Rechtsgeschäft überhaupt nicht vorliegen könne, wenn sich die Beteiligten der Nichtigkeit ihrer Willenserklärung bewußt sind (so RGZ 68, 322 [325]), kann dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls kann ein solcher Begriff eines Rechtsgeschäfts nicht für § 5 Abs. 3 StAnpG gelten. Da nach dieser Vorschrift die tatsächliche wirtschaftliche Gestaltung der Dinge maßgebend sein soll (vgl. Begr. RStBl 1934, 1398 [1401]), wäre sie weitgehend wirkungslos, wenn bereits der Nachweis, daß den Beteiligten die Unwirksamkeit ihres Rechtsgeschäfts bekannt war, das Eingreifen dieser Vorschrift und damit die Besteuerung ausschließen würde (vgl. auch § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 2 StAnpG). Läßt demnach das Bewußtsein der Beteiligten von der Unwirksamkeit ihrer Willenserklärung die Anwendbarkeit des § 5 Abs. 3 StAnpG zu Lasten eines Steuerpflichtigen unberührt, so kann es dem Begriff eines Rechtsgeschäfts im Sinne des § 5 Abs. 3 StAnpG auch dann nicht schädlich sein, wenn diese Vorschrift zugunsten eines Steuerpflichtigen wirkt.
Demgegenüber meint der Beklagte, zumindest in den Fällen des früheren § 11 ErbStG 1925/1934 müsse auf Art und Schwere des Formfehlers abgestellt werden, da andernfalls der schwer widerlegbaren Behauptung eines mündlichen Testaments gegenüber eine Umgehung der Erbschaftsteuer nicht mehr verhindert werden könne. Das ist aber allein eine Frage sorgfältiger Sachverhaltsermittlung und kritischer Beweiswürdigung (vgl. Urteil II 25/61 vom 20. Mai 1969, BFH 96, 129 [134 f.], BStBl II 1969, 550). Auch das mündliche Testament ist in dem bereits abgesteckten Sinne eine Willenserklärung, nämlich die Erklärung eines letzten Willens. Sie muß, wie das Beispiel der Auflage (§§ 1940, 2192 ff. BGB) zeigt, nicht begriffsnotwendig auf eine unmittelbar wirksame Begünstigung zielen. Selbst wenn das nur mündliche Testament (vgl. auch § 2250 BGB) nicht als formfehlerhaftes (vgl. auch § 2249 Abs. 6 BGB), sondern schlechthin als Nicht-Testament im bürgerlich-rechtlichen Sinne anzusehen wäre, und selbst wenn diese Unterscheidung für § 11 ErbStG 1925/1934 durchgreifen sollte, könnte sie doch aus den bereits angegebenen Gründen nicht für § 5 Abs. 3 StAnpG gelten.
Demnach liegt eine "wegen Formmangels nichtige Verfügung von Todes wegen" (vgl. § 11 ErbStG 1925/1934) im Sinne des § 5 Abs. 3 StAnpG nicht nur dann vor, wenn der Erblasser bei mündlicher Erklärung seines letzten Willens glaubte, gesetzlich wirksam zu testieren. Es reicht zwar nicht aus, daß er mit seiner Erklärung nur einen Wunsch zum Ausdruck brachte, dessen Erfüllung oder Nichterfüllung er dem Ermessen des Adressaten überließ; es genügt aber das ernstliche Verlangen, daß nach seinem Tode mit dem Nachlaß oder mit Teilen des Nachlasses in dem von ihm gewollten Sinne zu verfahren sei. Kommt der Erbe oder der sonst durch das unwirksame Vermächtnis beschwerte diesem Willen nach, so ist gemäß § 5 Abs. 3 StAnpG die Steuer so zu erheben, wie sie bei Wirksamkeit des Vermächtnisses zu erheben wäre.
Da das FG eine Anordnung des Erblassers zwar unterstellt, aber nicht festgestellt hat, und zur Annahme, es liege nur ein Wunsch vor, nur deshalb gekommen ist, weil der Erblasser "offenbar" gewußt habe, daß seine mündliche Erklärung ohne bürgerlich-rechtliche Wirkung sei, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache unter Übertragung der Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens (§ 143 Abs. 2 FGO) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Auf das Urteil des BFH II 98/62 vom 27. März 1968 (BFH 91, 434, BStBl II 1968, 376) wird hingewiesen; wenn und soweit die Besteuerung aufrechtzuerhalten ist, ist die im Berufungsurteil insgesamt festgesetzte Steuer auf die einzelnen Kläger aufzuteilen (§ 100 Abs. 2 Satz 1 FGO, § 211 Abs. 1 Satz 1 AO).
Fundstellen
Haufe-Index 68853 |
BStBl II 1970, 119 |
BFHE 1970, 311 |