Leitsatz (amtlich)
Wer Haftungsschuldner kraft Tatbestandsverwirklichung ist, trägt grundsätzlich das Risiko, daß die Steuerforderung bei dem Steuerschuldner nicht beigetrieben werden kann (Eingrenzung zum Urteil vom 28. Februar 1973 II R 57/71, BFHE 109, 164, BStBl II 1973, 573).
Normenkette
KVStG 1959 § 2 Abs. 1, § 10 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Neben etwa 50 weiteren Kommanditisten übernahm der Kläger und Revisionskläger (Kläger) im Jahre 1969 einen Kommanditanteil von 100 000 DM an der X-GmbH & Co. KG (KG). Persönlich haftende Gesellschafterin war die (inzwischen in Liquidation befindliche) X-GmbH (GmbH), deren Stammkapital 20 000 DM betrug. Die Einzahlung auf die vom Kläger übernommene Einlage erfolgte im Jahre 1969. Sie wurde weder vom Kläger noch von der GmbH angezeigt, vielmehr dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) erst durch eine im Frühjahr 1971 durchgeführte Verkehrsteuerprüfung bekannt. Das FA setzte mit Bescheid vom 25. Mai 1971 gegen die GmbH Gesellschaftsteuer für den Erwerb der Kommanditanteile fest, soweit die Einlagen geleistet waren. Die GmbH beantragte Stundung der Steuer im Hinblick auf angebliche Ansprüche auf Umsatzsteuererstattung und Investitionszulage. Das insoweit zuständige FA hielt das Bestehen derartiger Ansprüche zunächst für nicht ausgeschlossen, erklärte aber schließlich mit Schreiben vom 3. Dezember 1971, daß zur Zeit verrechnungsfähige Guthaben nicht beständen. Der Stundungsantrag wurde vom beklagten FA erst mit Verfügung vom 25. Januar 1973 abschlägig beschieden. Da Vollstrekkungsmaßnahmen gegen die GmbH erfolglos blieben, nahm das FA die Kommanditisten gemäß § 10 des Kapitalverkehrsteuergesetzes 1959 (KVStG 1959) als Haftende in Anspruch, darunter auch den Kläger auf Gesellschaftsteuer in Höhe von 2 500 DM, und zwar mit Bescheid vom 11. Februar 1974.
Die nach erfolgloser Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens erhobene Klage, mit der der Kläger die Aufhebung des Haftungsbescheids begehrt und geltend macht, der Haftungsanspruch sei verwirkt gewesen, hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 KVStG 1959 haftet der Kläger für die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 KVStG 1959 entstandene Gesellschaftsteuer. Die Haftung hat ihren Grund darin, daß der Gesellschafter den Steuertatbestand verwirklicht hat. Der Anknüpfungspunkt für die Haftung ist damit der nämliche, der dazu geführt hat, daß das Grunderwerbsteuergesetz in § 15 Nr. 1 die an dem der Steuer unterliegenden Vorgang als Vertragsteile Beteiligten als Steuerschuldner bezeichnet.
Zutreffend hat das FG die Verwirkung des Haftungsanspruches verneint. Verwirkung bedeutet, daß ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist u n d besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Rechtsausübung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Der Tatbestand der Verwirkung enthält somit ein zeitliches Moment, nämlich die länger andauernde Untätigkeit des Anspruchsberechtigten, und ein Umstandsmoment, nämlich ein bestimmtes Verhalten des Berechtigten und einen hierdurch ausgelösten Vertrauenstatbestand (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. September 1978 IV R 89/74, BFHE 126, 130, BStBl II 1979, 121).
Da die zeitlichen Grenzen für die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis regelmäßig durch die Verjährung gesetzt werden, die vorrangig den Zeitraum bemißt, während dessen der aus den Steuergesetzen Verpflichtete mit seiner Inanspruchnahme rechnen muß, ist das Zeitmoment allgemein von geringerer Bedeutung. Die vom Gesetz gezogene zeitliche Grenze (Verjährungsfrist) kann nicht generell durch den Einwand des Schuldners vorverlegt werden, das FA hätte den Anspruch früher geltend machen können (BFH-Urteil vom 16. September 1965 V 91/63 U, BFHE 83, 441, BStBl III 1965, 657).
Ausschlaggebend ist ein zu dem Zeitmoment hinzutretendes bestimmtes Verhalten des Anspruchsberechtigten, das geeignet ist, im Verpflichteten das Vertrauen darauf zu wecken, daß das Recht nicht mehr ausgeübt werde. Dieses Verhalten muß grundsätzlich unmittelbar demjenigen gegenüber in Erscheinung getreten sein, der daraus den Vertrauenstatbestand herleiten will. Da das FA vor Erlaß des Haftungsbescheids nicht mit dem Kläger in Verbindung getreten ist, scheidet positives Verhalten, das einen Vertrauenstatbestand hätte auslösen können, aus. Der Vertrauenstatbestand kann aber auch durch Unterlassung gebotenen Tuns ausgelöst werden. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die säumige Inanspruchnahme des Schuldners für sich allein die Vertrauensfolge nicht nach sich zieht. Denn wer allein wegen Tatbestandsverwirklichung für die daraus folgende Steuer haftet, trägt grundsätzlich das Risiko, daß die Steuerforderung bei dem Steuerschuldner nicht beigetrieben werden kann. Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 28. Februar 1973 II R 57/71 (BFHE 109, 164 [167], BStBl II 1973, 573) ausgesprochen hat, bei Vermögensverfall des Schuldners könne Treu und Glauben der Inanspruchnahme des Haftenden schon dann entgegenstehen, wenn das FA die rechtzeitige Inanspruchnahme des Steuerschuldners verabsäumt habe, hält er daran nicht mehr fest. Eine Ausnahme könnte nur dann bestehen, wenn die fehlgeschlagene Beitreibung der Steuerforderung auf einer vorsätzlichen oder sonstigen besonders groben Pflichtverletzung des zuständigen Beamten des FA beruht. Bei der Eingrenzung der Umstände, die zur Verwirkung führen, ist zu beachten, daß im Falle der Haftung allein wegen Tatbestandsverwirklichung in besonderem Maße aufgrund der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung kein Ermessen dahin besteht, aus Billigkeitsgründen von der Verfolgung des Haftungsanspruchs abzusehen.
Im vorliegenden Fall besteht kein Anhaltspunkt für eine vorsätzliche oder in sonstiger Weise grobe Pflichtverletzung des zuständigen Beamten im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Steuerforderung gegen die Steuerschuldnerin. Bei der Überprüfung in dieser Hinsicht muß berücksichtigt werden, daß das FA zwangsläufig zunächst mit dem Steuerschuldner in Verbindung treten muß und erst dann Anlaß zur Information des Haftungsschuldners über seine mögliche Inanspruchnahme besteht, wenn ernstlich mit dieser zu rechnen ist. Unter dieser Prämisse kann nicht als besonders vorwerfbares Verhalten gewürdigt werden, wenn das FA trotz Kenntnis davon, daß ein behaupteter Stundungsgrund nicht besteht, die Ablehnung des Stundungsbegehrens noch zurückstellt.
Fundstellen
Haufe-Index 73390 |
BStBl II 1980, 126 |
BFHE 1980, 201 |