Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Beiladung wegen widerstreitender Steuerfestsetzung bei Anfechtung eines Haftungsbescheids
Leitsatz (NV)
Tatbestandsmäßige Voraussetzung für eine Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 4 AO 1977 ist, daß aufgrund irriger Beurteilung eines bestehenden Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird. Diese Voraussetzung ist dann nicht erfüllt, wenn Anfechtungsgegenstand ein Haftungsbescheid i. S. von § 191 AO 1977 ist. Die Aufhebung oder Änderung eines Haftungsbescheids rechtfertigt daher keine Änderung eines Steuerbescheids nach § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977. Damit entfällt zugleich die Notwendigkeit einer Beiladung der von dem Steuerbescheid (möglicherweise) Betroffenen zu dem Klageverfahren gegen den Haftungsbescheid.
Normenkette
AO 1977 § 174 Abs. 4-5, § 191
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der A-GmbH (GmbH). Die GmbH war gesetzliche Vertreterin der B-KG (KG). Durch notariell beurkundeten Vertrag vom ... 1979 erwarb die KG Grundstücke zum Kaufpreis von ... DM.
Mit förmlichem Antrag vom ... 1979 begehrte die KG Grunderwerbsteuerbefreiung für diesen Erwerbsvorgang und erklärte, den erworbenen Grundbesitz steuerbegünstigt bebauen zu wollen. Antragsgemäß stellte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA --) den Erwerbsvorgang vorläufig nach § 1 Nr. 1 des damals geltenden Nordrhein-Westfälischen Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau (GrEStWoBauG) von der Grunderwerbsteuer frei.
Auf Anfrage des FA teilte die KG am 16. Januar 1985 dem FA mit, daß sie den Grundbesitz bereits am ... 1980 an eine Bauherrengemeinschaft weiterveräußert habe und deswegen ein Antrag auf Erteilung eines Anerkennungsbescheids nach dem GrEStGWoBauG nicht erforderlich sei. Am 11. Februar 1985 erhob das FA die Grunderwerbsteuer für den ursprünglichen Erwerbsvorgang nach und setzte Grunderwerbsteuer einschließlich Zuschlag fest. Der Bescheid war gerichtet an die GmbH. Das FA stellte dann fest, daß über das Vermögen der KG durch Beschluß des Amtsgerichts vom ... 1985 das Konkursverfahren eröffnet worden war. Am 22. April 1986 übersandte das FA dem Konkursverwalter der KG eine "Grunderwerbsteuerberechnung" für die auf den Erwerbsvorgang nachträglich entfallende Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM. Zahlungen auf diese Grunderwerbsteuerschuld wurden nicht geleistet.
Durch Haftungsbescheid vom 13. Juli 1987 nahm das beklagte FA u. a. den Kläger wegen der rückständigen Grunderwerbsteuer in Anspruch. Die Haftung wurde auf § 191 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 34 Abs. 1 und §§ 69, 71 und 153 Abs. 2 AO 1977 gestützt und mit Verletzung der Anzeigepflicht begründet.
Mit der dagegen gerichteten Klage wurde geltend gemacht, daß die Heranziehung des Klägers als Haftungsschuldner rechtswidrig sei. Ihm könne keine grob fahrlässige Pflichtverletzung i. S. des § 69 AO 1977 vorgeworfen werden.
Es fehle auch an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem ihm vorgeworfenen Pflichtenverstoß und der ausgebliebenen Tilgung der Grunderwerbsteuer. Im übrigen habe das FA weder im Haftungsbescheid noch in der Einspruchsentscheidung seine Ermessensentscheidung über die Heranziehung des Klägers als Haftenden begründet.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) behauptete der Kläger ergänzend, daß die KG als Steuerschuldnerin an der steuerbegünstigten Errichtung von Wohnraum auf dem Grundbesitz in einem Unternehmensverbund beteiligt gewesen und ihr daher die Erstellung von steuerbegünstigtem Wohnraum zugerechnet werden müsse.
Dem ist das beklagte FA u. a. mit der Behauptung entgegengetreten, das Bauherrenwagnis habe bei den jeweiligen Grundstücksserwerbern gelegen, denen auch die Bescheinigung gemäß § 2 Abs. 2 GrEStWoBauG erteilt worden sei.
Über die Behauptung des Klägers hat das FG Beweis erhoben.
Danach erklärte das FA in der mündlichen Verhandlung u. a., daß hilfsweise für den Fall, daß das FG die bestehenden Bescheinigungen nach § 2 Abs. 2 GrEStWoBauG für nicht bindend halte und dennoch die Befreiung der KG für zutreffend erachte, die Mitglieder der Bauherrengemeinschaft beigeladen werden sollten.
Das FG hat der Klage stattgegeben und den Haftungsbescheid und die ihn bestätigende Einspruchsentscheidung aufgehoben. Der Kläger könne schon deshalb nicht zur Haftung herangezogen werden, weil es an dem nach § 69 Satz 1 AO 1977 vorgesehenen Erfordernis der "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO)" fehle. Nach Anwendung der von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelten Grundsätze unter Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls könne es nicht zweifelhaft sein, daß die Grundstücksver äußerung durch die KG an die Bauherrengemeinschaft in ein Vertragsgeflecht miteinbezogen gewesen sei, das auf einen einheit lichen Vertragsgegenstand, nämlich auf ein bebautes Grundstück mit bezugsfertigen Eigentumswohnungen und Gewerbeeinheiten gerichtet gewesen sei. Dies habe zur Folge, daß der KG als Mitglied des Firmenverbunds nicht nur die Beschaffung des Grundstücks, sondern auch dessen Bebauung zugerechnet werden müsse. Der Kläger habe im übrigen den nach § 2 GrEStWoBauG vorgesehenen Nachweis der Voraussetzungen für die Steuervergünstigung erbracht. Nach alldem habe das FG keine Veranlassung gesehen, die "Bauherren" gemäß § 60 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beizuladen, auch wenn ihnen das FA (fälschlich) die Errichtung der Eigentumswohnungen zugerechnet haben sollte. Die Revision hat das FG zugelassen.
Mit der Revision macht das FA Verstöße gegen materielles Recht sowie als Verfahrensmangel geltend, daß das FG die beantragte Beiladung der "Bauherren" unterlassen habe. Die Voraussetzungen der Steuervergünstigung seien in der Person der KG nicht erfüllt worden. Jedenfalls sei der nach § 2 Abs. 2 GrEStWoBauG erforderliche Nachweis nicht erbracht worden. Folge man aber der Rechtsauffassung des FG, daß die Errichtung des Gebäudes der KG zuzurechnen gewesen sei und die Bescheinigung der Stadt deren Grunderwerbsteuerbefreiung ermöglicht habe, so sei die Grunderwerbsteuerbefreiung der Beteiligten der Bauherrengemeinschaft rückgängig zu machen. Die Möglichkeit hierzu bestehe jedoch nur, wenn diese im vorliegenden Klageverfahren beteiligt würden. Das FA habe deshalb beantragt, die "Bauherren" nach § 60 Abs. 1 FGO i. V. m. § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 beizuladen. Das FG habe dazu aus nicht näher erläuterten Gründen keine Veranlassung gesehen. Seine Entscheidung könne allein deswegen keinen Bestand haben.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuver weisen.
Der Kläger tritt der Revision des FA ent gegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
1. Die Verfahrensrüge des FA hat keinen Erfolg.
Das FG hat nicht dadurch gegen § 60 Abs. 1 FGO i. V. m. § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 verstoßen, daß es -- entgegen dem Antrag des FA -- die Mitglieder der Bauherrengemeinschaft, an die die KG das Grundstück veräußert hat, nicht zu dem Verfahren beigeladen hat.
§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO 1977 enthält einen selbständigen -- d. h. von den Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 FGO unabhängig bestehenden -- Beiladungsgrund (vgl. BFH-Beschluß vom 17. Oktober 1985 IV B 62/85, BFH/NV 1987, 479). Erforderlich für eine Beiladung ist danach, daß ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern ist und hieraus rechtliche Folgerungen bei einem Dritten zu ziehen sind (BFH-Beschluß vom 19. Mai 1981 VIII B 90/79, BFHE 133, 348, BStBl II 1981, 633), und daß das FA die Beiladung des Dritten beantragt oder veranlaßt hat.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall jedoch nicht erfüllt. Tatbestandsmäßige Voraussetzung für eine Änderungsmöglichkeit nach § 174 Abs. 4 AO 1977 ist, daß aufgrund irriger Beurteilung eines bestehenden Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird. Im Streitfall ist Anfechtungsgegenstand jedoch ein Haftungsbescheid i. S. von § 191 AO 1977. Haftungsbescheide sind mit Steuerbescheiden i. S. von § 155 AO 1977 weder identisch noch von Gesetzes wegen diesen gleichgestellt. Eine Änderung gegenüber den Mitgliedern der Bauherrengemeinschaft ergangener Steuer-(Freistellungs-) Bescheide könnte daher schon wegen Fehlens dieser tatbestandsmäßigen Voraussetzung nicht auf § 174 Abs. 4 und 5 AO 1977 gestützt werden. Damit entfällt zugleich die Notwendigkeit einer Beiladung. Die Verfahrensrüge des FG ist damit unbegründet.
2. Auch soweit das FA Verstöße gegen materielles Recht rügt, ist die Revision unbegründet. Dies folgt bereits daraus, daß es sich insoweit um nicht mehr revisibles Landesrecht handelt, dessen Anwendung durch das FG vom Senat nicht mehr überprüft werden kann. Das FG hat die Haftung des Klägers deswegen verneint, weil es an einem Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis fehle. Nach Auffassung des FG war der Erwerb der KG nach dem damals geltenden nordrhein-westfälischen Grund erwerbsteuerrecht von der Grunderwerbsteuer befreit. Vom erkennenden Senat ist nicht mehr zu überprüfen, ob diese Auslegung des damals geltenden Landesrechts durch das FG zutreffend ist. Nach Aufhebung des früheren § 160 Abs. 2 FGO durch Art. 1 Nr. 37 des Gesetzes vom 21. Dezember 1992 (BGBl I 1992, 2109, BStBl I 1993, 90) mit Wirkung ab 1. Januar 1993 ist dieses Landesrecht kein revisibles Recht mehr (vgl. Senatsentscheidung vom 26. April 1995 II R 6/94, BFHE 178, 222, BStBl II 1995, 738). Auch im Zeitpunkt der Einlegung der Revision war die Revisibilität des nordrhein-westfälischen Grunderwerbsteuerlandesrechts bereits nicht mehr gegeben (vgl. z. B. Senatsentscheidung vom 8. November 1995 II R 16/92, BFH/NV 1996, 357).
Fundstellen