Leitsatz (amtlich)
Sagt eine GmbH ihrem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer eine Pension ab Vollendung des 65. Lebensjahres zu, so ist die Rückstellung hierfür im Regelfall auch dann nach den Grundsätzen des BFH-Urteils vom 15. Dezember 1965 I 193/62 S (BFHE 84, 557, BStBl III 1966, 202) unter Zugrundelegung eines Pensionierungsalters von 75 Jahren zu bemessen, wenn bei Veranlagungen für Zeiträume vor der Pensionierung bereits feststeht, daß der Gesellschafter-Geschäftsführer tatsächlich mit Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand getreten ist. Die GmbH darf aber im Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand der Rückstellung einmalig einmalig einen Betrag zuführen, der die rechtzeitige Pensionierung berücksichtigt.
Normenkette
KStG § 6 Abs. 1; EStG § 6a
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt einen Zeitungsverlag. Der Gesellschafter-Geschäftsführer S. hielt bis zum 31. Dezember 1961 eine Beteiligung von 50,49 v. H. Er übertrug ab 1. Januar 1962 2,24 v. H. der Anteile auf seinen Sohn.
Die Klägerin hatte S. im Jahre 1947 eine Pension in Höhe von 65 v. H. seiner Bezüge bei Erreichung des 65. Lebensjahres nebst einer Witwenpension zugesagt. Die Zusage wurde im Jahre 1956 dahin erweitert, daß S. 80 v. H. seiner letzten Bezüge als Pension erhalten sollte. Die Klägerin bildete entsprechende Pensionsrückstellungen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) hatte bei den Körperschaftsteuerveranlagungen 1958 und 1959 zunächst nur die Rückstellung für die Witwenpension anerkannt, dann jedoch in einem Rechtsmittelverfahren die gesamte Rückstellung gebilligt, nachdem S. am 1. Februar 1964 nach Erreichung des 65. Lebensjahres tatsächlich in Pension gegangen und die Geschäftsführung auf den Sohn übergegangen war.
Das FA hielt indessen nach einer Betriebsprüfung die Gesamtbezüge des S. einschließlich des Wertes der Pensionszusage in den Jahren 1962 und 1963 für unangemessen und ermäßigte die Pensionsrückstellungen zum 31. Dezember 1962 und zum 31. Dezember 1963. Es nahm weiterhin an, daß die im Jahre 1964 gezahlten Pensionsbeträge in Höhe von 23,97 v. H. verdeckte Gewinnausschüttungen seien; den Prozentsatz von 23,97 errechnete es aus dem Verhältnis der zum 31. Dezember 1962 und 31. Dezember 1963 aufgelösten Rückstellungsbeträge zu der Rückstellung lt. Handelsbilanz zum 31. Dezember 1963.
Die Klägerin begehrte, im Rahmen der Angemessenheitsprüfung die Nettoprämien nicht nach einem Pensionierungsalter von 65 Jahren, sondern nach einem Pensionierungsalter von 75 Jahren zu bemessen (Urteil des BFH vom 15. Dezember 1965 I 193/62 S, BFHE 84, 557, BStBl III 1966, 202). Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG hat ausgeführt: Das FA sei zu Recht davon ausgegangen, daß der Versorgungsfall mit Vollendung des 65. Lebensjahres eintrete. Die Klägerin habe hierfür im Rechtsmittelverfahren wegen Körperschaftsteuer 1958 und 1959 gekämpft. Es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn sie nun bei der Angemessenheitsprüfung eine auf das 75. Lebensjahr bezogene Nettoprämie ansetzen wolle.
Die Klägerin macht mit der Revision geltend: Sie habe nicht gegen Treu und Glauben verstoßen, da sie das FA niemals getäuscht habe. Durch das BFH-Urteil I 193/62 S sei eine neue Rechtslage geschaffen worden. Die Bezüge ihres Gesellschafter-Geschäftsführer S. seien auch bei Zugrundelegung eines Pensionierungsalters von 65 Jahren nicht unangemessen gewesen. Hilfsweise seien die Pensionsrückstellungen zum 31. Dezember 1962 und zum 31. Dezember 1963 nur bezogen auf ein Pensionierungsalter von 75 Jahren anzusetzen - also noch unterhalb der Betriebsprüferansätze -, dann jedoch zum 31. Dezember 1964 nach dem Eintritt des S. in den Ruhestand wieder auf die Höhe des Handelsbilanzansatzes aufzustocken.
Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Auflösung der Pensionsrückstellung S. in Höhe von 141 315 DM für 1962 und 152 258 DM für 1963 und die Behandlung eines Betrages von 22 603 DM als verdeckte Gewinnausschüttung im Jahre 1964 rückgängig zu machen, hilfsweise, die Pensionsrückstellung wie folgt anzusetzen: 31. Dezember 1962 = 477 268 DM, 31. Dezember 1963 = 492 051 DM, 31. Dezember 1964 = 1 201 995 DM.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz.
I.
Körperschaftsteuerveranlagungen 1962 und 1963
Nach § 6a Abs. 1 Satz 1 EStG - in der seit 1960 geltenden Fassung - darf eine Rückstellung für eine Pensionsanwartschaft nur gebildet werden, wenn die Pensionsanwartschaft auf einer vertraglichen Pensionsverpflichtung beruht oder sich aus einer Betriebsvereinbarung, einem Tarifvertrag oder einer Besoldungsordnung ergibt. Die Pensionszusage an S. beruhte auf vertraglichen Abmachungen. Es war indes nicht zulässig, die Rückstellungen zum 31. Dezember 1962 und zum 31. Dezember 1963 gemäß § 6a Abs. 2 Satz 1 EStG so zu bemessen, daß der vertraglich vorgesehene Eintritt des Versorgungsfalles (Vollendung des 65. Lebensjahres) zugrunde gelegt wurde.
S. war bis zu seiner Pensionierung beherrschender Gesellschafter-Geschäftsführer. Er hielt zwar ab 1. Januar 1962 nur noch eine Beteiligung von 48,25 v. H., war aber nach den Feststellungen des FG unter Befreiung vom Verbot des § 181 BGB bevollmächtigt, auch die Rechte aus der seinem Sohn zustehenden Beteiligung von 2,24 v. H. auszuüben, und konnte sonach in der Gesellschafterversammlung nicht überstimmt werden. Für den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH ist § 6a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EStG nur mit der Einschränkung anwendbar, daß im Regelfall davon auszugehen ist, er werde erst mit Vollendung des 75. Lebensjahres in den Ruhestand treten (BFH-Urteile I 193/62 S; vom 25. September 1968 I 195/65, BFHE 93, 385, BStBl II 1968, 810; vom 15. Dezember 1971 I R 76/68, BFHE 104, 530, BStBl II 1972, 436; ebenso für das Bewertungsrecht BFH-Urteil vom 4. Februar 1972 III R 98/71, BFHE 105, 148, BStBl II 1972, 515). Ein Ausnahmefall ist nicht erkennbar. Der Umstand, daß S. entgegen der Lebenserfahrung doch mit Vollendung des 65. Lebensjahres in den Ruhestand trat, bleibt ohne Einfluß auf die vorangehenden Bilanzierungen (BFH-Urteil I 195/65). Das gälte auch dann, wenn - was nicht festgestellt ist - die Bilanzen zum 31. Dezember 1962 und zum 31. Dezember 1963 erst nach der Pensionierung aufgestellt worden sein sollten. Der Eintritt in den Ruhestand war keine wertaufhellende, sondern eine den Wert der Pensionsrückstellung beeinflussende Tatsache, die ihren Ursprung nicht schon im abgelaufenen Geschäftsjahr hatte (dazu BFH-Urteil vom 4. April 1973 I R 130/71, BFHE 109, 55, BStBl II 1973, 485).
Hieraus folgt, daß die Klägerin mit ihrem Hauptantrag, der auf Beibehaltung der Rückstellungen lt. Handelsbilanz gerichtet ist, nicht durchdringen kann. Die Rückstellungen zum 31. Dezember 1962 und zum 31. Dezember 1963 sind vielmehr entsprechend dem Hilfsantrag zu ermäßigen. Das FG wird noch festzustellen haben, ob die von der Klägerin angegebenen versicherungsmathematischen Werte zutreffend sind. Unerheblich ist, daß die Betriebsprüferansätze unterschritten werden; die Erhöhung der Körperschaftsteuer 1962 und 1963 entspricht dem Hilfsantrag der Klägerin und wird, wie noch darzulegen ist, durch eine entsprechende Ermäßigung der Körperschaftsteuer 1964 ausgeglichen.
Für die vom Betriebsprüfer angestellte Angemessenheitsprüfung ist kein Raum. Diese Prüfung setzt voraus, daß die Pensionsrückstellungen unter Zugrundelegung eines Pensionierungsalters von 65 Jahren gebildet werden dürfen. Dies ist nicht zulässig. Die Grundsätze von Treu und Glauben berechtigen das FA nicht, ungesetzliche Wertansätze zu fordern. Werden aber in der Angemessenheitsprüfung des Betriebsprüfers lediglich die Jahresnettoprämien (dazu BFH-Urteil vom 11. September 1968 I 89/63, BFHE 93, 382, BStBl II 1968, 809) nach den zulässigen, auf ein Pensionierungsalter von 75 Jahren bezogenen Zuführungen eingesetzt, ergeben sich - wie auch das FA einräumt - keine unangemessen hohe Gesamtbezüge 1962 und 1963.
II.
Körperschaftsteuerveranlagung 1964
Die Grundsätze des BFH-Urteils I 193/62 S gelten, wie die Klägerin zu Recht geltend macht, nur für die Zeit vor dem Eintritt in den Ruhestand. Geht der beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer dann doch wie hier mit Vollendung des 65. Lebensjahres - oder zwar später, aber noch vor Vollendung des 75. Lebensjahres - in den Ruhestand, so erweist sich die vertragliche Abmachung in diesem Zeitpunkt als gänzlich oder teilweise ernsthaft. Der Senat hat bereits in dem Urteil vom 5. Mai 1959 I 11/58 S (BFHE 69, 286, BStBl III 1959, 369) ausgeführt, welche Folgerungen sich aus der nachträglichen Bestätigung einer ursprünglich als nicht ernsthaft anzusehenden Pensionszusage ergeben: Die GmbH darf nach ihrer Wahl die laufenden Pensionszahlungen in voller Höhe als Betriebsausgaben absetzen oder die bisher unterlassenen Zuführungen zur Rückstellung gewinnmindernd nachholen (mit der Folge geringerer Betriebsausgaben in der Zukunft).
Die Einmalzuführung im Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand bemißt sich nach dem Unterschied zwischen dem versicherungsmathematischen Barwert der künftigen Pensionsleistungen und dem letzten Buchwert der Rückstellung bzw. einem höheren fiktiven Rückstellungsbetrag, errechnet nach einem Pensionierungsalter von 75 Jahren. Nur in diesem Ausmaß steht § 6a Abs. 2 Satz 2 EStG einer Nachholung entgegen, der in dem Wirtschaftsjahr, in dem der Versorgungsfall eintritt, eine Gewinnminderung nur bis zu dem Betrag gestattet, der sich als Unterschied zwischen dem versicherungsmathematischen Barwert der künftigen Pensionsleistungen und einer nach den Grundsätzen des § 6a Abs. 2 Satz 1 EStG für den letzten Bilanzstichtag berechneten Rückstellung ergibt. Kann im Falle einer Pensionszusage an einen beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer nicht auf ein Pensionierungsalter von unter 75 Jahren abgestellt werden, ist die so bemessene Rückstellung die nach den Grundsätzen des § 6a Abs. 2 Satz 1 EStG berechnete Rückstellung.
Die Klägerin begehrt den Ansatz einer Einmalzuführung für den Zeitpunkt des Ruhestandes (1. Februar 1964). Es bedarf keiner versicherungsmathematischen Berechnung dieser Zuführung. Da die in der Handelsbilanz zum 31. Dezember 1964 ausgewiesene Pensionsrückstellung bereits auf den Ruhestand abstellt und nach den vorstehenden Ausführungen auch steuerrechtlich maßgebend ist, wird sich das FG damit begnügen können, die Differenz zwischen diesem Wert und dem noch zu ermittelnden Rückstellungswert zum 31. Dezember 1963 als gewinnmindernde Zuführung zu behandeln.
Fundstellen
BStBl II 1974, 694 |
BFHE 1975, 25 |