Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Kinderfreibeträge für Kinder in der Berufsausbildung, die das 18., aber nicht das 25. Lebensjahr vollendet haben (ß 32 Abs. 2 Ziff. 2 a zu aa EStG 1958/59), werden auch geschiedenen Ehegatten auf Antrag gewährt.
Haben die geschiedenen Ehegatten die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung ihrer Kinder gemeinsam getragen, ohne daß einer von ihnen sie zum wesentlichen Teil allein getragen hat, so steht ihnen auf Antrag der Kinderfreibetrag je zur Hälfte zu.
Normenkette
EStG § 32/2/2/a/aa; EStG § 32/3/1/b, § 32 Abs. 2 Ziff. 4
Tatbestand
Die Bgin. ist geschieden. Streitig ist, ob ihr für das Jahr 1959 ein Kinderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 2 Ziff. 2 a zu aa EStG 1958/59 für ihre zwei Kinder zusteht. Das Finanzamt hat das abgelehnt, weil die Bgin. ihre Kinder nicht wesentlich auf ihre Kosten unterhalten und für einen Beruf habe ausbilden lassen. Sie habe monatlich etwa 600 DM für den Unterhalt und die Ausbildung der beiden Kinder aufgewendet. Dazu habe jedoch der geschiedene Ehemann, der Vater der beiden Kinder, einen Unterhaltsbeitrag von 250 DM monatlich geleistet, so daß die Bfin. selbst nur etwa 60 v. H. der Kosten getragen habe. Sie würde die Kosten aber nur "im wesentlichen" getragen haben, wenn sie etwa 75 v. H. selbst getragen hätte (siehe Urteil des Senats VI 220/62 U vom 12. Dezember 1962, BStBl 1963 III S. 136, Slg. Bd. 76 S. 369).
Die Sprungberufung hatte zum Teil Erfolg. Das Finanzgericht, dessen Entscheidung in den "Entscheidungen der Finanzgerichte" 1963 S. 357 veröffentlicht ist, führte aus, Vater und Mutter hätten hier gemeinsam für ihre Kinder gesorgt. Die Bgin. sei nicht mindestens zu 2/3 für den Unterhalt ihrer Kinder aufgekommen. Wenn man nur den Wortlaut des Gesetzes zugrunde lege, stehe ihr allerdings kein Kinderfreibetrag zu. Ein solches Ergebnis widerspreche indessen Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), in dem Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates gestellt worden seien. Das Gesetz wolle Steuerpflichtige, die Unterhalt und Ausbildung für Kinder zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr trügen, steuerlich begünstigen. Art. 6 Abs. 1 GG lasse nicht zu, geschiedene Eheleute insoweit anders zu behandeln als zusammen lebende. Bei verfassungskonformer Auslegung stehe der Bgin. ein Kinderfreibetrag nach § 32 Abs. 2 Ziff. 2 a zu aa EStG 1958/59 zu. Da die beiden Eltern im Streitjahr gemeinsam für ihre Kinder gesorgt hätten, sei ihnen der Kinderfreibetrag zur Hälfte zu gewähren. Darüber hinaus stehe der Bgin. der Sonderfreibetrag gemäß § 32 Abs. 3 Ziff. 1 b EStG zu, weil bei ihr zwei halbe Kinderfreibeträge, im Ergebnis also ein voller Kinderfreibetrag, abgezogen werden.
Mit der Rb. rügt der Vorsteher des Finanzamts unrichtige Anwendung von § 32 Abs. 2 Ziff. 2 a zu aa EStG 1958/59. Er meint, es komme nur darauf an, ob die Bgin. den wesentlichen Teil der Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung ihrer Kinder getragen habe. Daran fehle es nach den Feststellungen des Finanzgerichts aber.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts hat keinen Erfolg.
Das Finanzgericht will aus dem Gesichtspunkt des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) geschiedene und verheiratete Eheleute nicht unterschiedlich behandeln. Der Senat hat indessen bereits in dem Urteil VI 168/59 U vom 29. Januar 1960 (BStBl 1960 III S. 103, Slg. Bd. 70 S. 277) darauf hingewiesen, daß das Grundrecht des Schutzes von Ehe und Familie nur für Eheleute gilt, die in ehelicher Gemeinschaft leben. Trotzdem ist dem Finanzgericht im Ergebnis zuzustimmen. Nach § 32 EStG 1958/59 ist zwischen Kinderfreibeträgen zu unterscheiden, die den Steuerpflichtigen ohne weiteres zustehen, und solchen, die ihnen nur auf Antrag gewährt werden. Nach § 32 Abs. 2 Ziff. 1 EStG 1958/59 steht den Steuerpflichtigen ohne weiteres ein Kinderfreibetrag für ihre Kinder zu, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sofern das Kind mindestens vier Monate im Kalenderjahr gelebt und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (Urteile des Bundesfinanzhofs IV 136/51 U vom 2. Mai 1951, BStBl 1951 III S. 127, Slg. Bd. 55 S. 332; VI 23/57 U vom 26. September 1958, BStBl 1958 III S. 466, Slg. Bd. 67 S. 503). Für die Gewährung dieses Kinderfreibetrags kommt es nicht darauf an, ob das Kind zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehört, ob es unbeschränkt steuerpflichtig ist und ob der Steuerpflichtige die Unterhaltskosten tatsächlich getragen hat. Es ist dann sogar möglich, daß mehrere Steuerpflichtige für dasselbe Kind gleichzeitig einen Kinderfreibetrag erhalten. So steht z. B. nach der Scheidung beiden Eheleuten der Kinderfreibetrag für ihre Kinder zu, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Nach § 32 Abs. 2 Ziff. 2 a zu aa EStG 1958/59 wird den Steuerpflichtigen auf Antrag ein Kinderfreibetrag für Kinder gewährt, die in der Berufsausbildung stehen und über 18 Jahre, aber noch nicht 25 Jahr alt sind, sofern die Steuerpflichtigen die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung zum wesentlichen Teil getragen haben. Leben die Ehegatten zusammen, so wird dieser Kinderfreibetrag im ganzen nur einmal gewährt. Werden sie zusammen veranlagt, so wird der Betrag bei der Zusammenveranlagung berücksichtigt. Werden sie gemäß § 26 a EStG 1958/59 getrennt veranlagt, so erhalten sie gemäß § 32 Abs. 2 Ziff. 4 EStG 1958/59 den Kinderfreibetrag je zur Hälfte, sofern er nicht nur einem von ihnen, z. B. für sein voreheliches Kind, allein zusteht.
Wie zu verfahren ist, wenn die Eltern getrennt leben oder geschieden sind und gemeinsam im wesentlichen die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung für ihre über 18, aber noch nicht 25 Jahre alten Kinder aufbringen, ist im Gesetz nicht geregelt. Es besteht hier eine Lücke, die die Rechtsprechung im Geist und Willen des Gesetzgebers, wie er im Gesetz sonst erkennbar hervorgetreten ist, ausfüllen muß. Der Senat ist der Auffassung, daß die vom Finanzgericht gefundene Lösung dem Willen des Gesetzgebers am besten entspricht.
Der Vorsteher des Finanzamts stellt darauf ab, welcher Ehegatte die Kosten für die Kinder "im wesentlichen" getragen hat. Wenn Eltern nach der Scheidung gemeinsam die Kosten für ihre Kinder tragen, und in etwa gleichem Masse dazu beisteuern, trage keiner von ihnen die Kosten "im wesentlichen" im Sinne von § 32 Abs. 2 Ziff. 2 a zu aa EStG 1958/59, d. h. zu etwa 75 v. H. Diese Auslegung des Gesetzes ist formal vertretbar; sie trägt aber weder dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers noch der Stellung geschiedener Eltern zu ihren Kindern ausreichend Rechnung. Geschiedene Eltern stehen ihren gemeinsamen Kindern, für die sie sorgen, nicht wie Fremde gegenüber. Die elterliche Gewalt, besonders das Recht und die Pflicht, für die Person und das Vermögen der Kinder zu sorgen, erlischt gemäß § 1671 BGB nicht durch die Ehescheidung. Im Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern wirkt also gewissermaßen die Ehe noch nach. Der Gesetzgeber will eindeutig Eltern, die die Last der Berufsausbildung tragen, einen steuerlichen Vorteil gewähren. Die Auffassung des Finanzamts, die in der großen Zahl der Fälle dazu führt, keinem der geschiedenen Ehegatten einen Kinderfreibetrag zu gewähren, trägt diesem Willen des Gesetzes nicht Rechnung.
Die Auffassung des Finanzgerichts führt dazu, daß geschiedene Ehegatten, die gemeinsam die Kosten des Unterhalts und der Berufsausbildung für ihre Kinder tragen, auch gemeinsam den Kinderfreibetrag des § 32 Abs. 2 Ziff. 2 a zu aa EStG 1958/59 erhalten. Damit wird § 32 Abs. 2 Ziff. 4 EStG analog angewendet, der vorsieht, daß nicht geschiedene, aber auf Antrag getrennt veranlagte Ehegatten den Kinderfreibetrag in der Regel je zur Hälfte erhalten. Eine solche Teilung ist auch bei geschiedenen Ehegatten in Fällen der vorliegenden Art sinnvoll.
Das Finanzgericht hat darum im Ergebnis der Bgin. zu Recht für ihre zwei Kinder je einen halben, insgesamt also einen vollen Kinderfreibetrag gewährt.
Auch gegen den Ansatz des Sonderfreibetrags gemäß § 32 Abs. 3 Ziff. 1 b EStG bestehen entgegen der Auffassung des Finanzamts keine Bedenken.
Fundstellen
Haufe-Index 411284 |
BStBl III 1964, 546 |
BFHE 1965, 197 |
BFHE 80, 197 |
StRK, EStG:32 R 42 |
NJW 1965, 128 |