Entscheidungsstichwort (Thema)
Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde: Keine Rechtswegerschöpfung durch vorläufiges Rechtsschutzverfahren
Leitsatz (redaktionell)
1. Soweit sich Verfassungsbeschwerden gegen eine Entscheidung des Finanzamts richten, sind sie unzulässig, weil die Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht erschöpft haben.
2. Dem Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs als Voraussetzung für das Verfassungsbeschwerdeverfahren ist im vorläufigen Rechtsschutzverfahren dann nicht genügt, wenn das Hauptsacheverfahren ausreichende Möglichkeiten bietet, der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abzuhelfen, und dieser Weg dem Beschwerdeführer zumutbar ist (hier: Verfassungswidrigkeit des Grund- und Kinderfreibetrages für das Streitjahr 1987).
Normenkette
BVerfGG § 90 Abs. 2 S. 1; EStG 1986 § 32a Abs. 1 Nr. 1; FGO § 69 Abs. 3
Verfahrensgang
Gründe
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen die Entscheidung des Finanzamts vom 9. August 1989 richten, sind sie unzulässig, weil die Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht erschöpft haben (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
2. Soweit die Beschwerdeführer die Verfassungsmäßigkeit der im Streitjahr 1987 geltenden Bestimmungen der § 32a Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 6 EStG 1986 angreifen, steht einer Prüfung in der Sache der Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser erfordert, daß ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus auch sonstige prozessuale Möglichkeiten ergreifen muß, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzungen zu erwirken. Daraus folgt, daß die Erschöpfung des Rechtswegs im vorläufigen Rechtsschutzverfahren dann nicht genügt, wenn das Hauptsacheverfahren ausreichende Möglichkeiten bietet, der geltend gemachten Grundrechtsverletzung abzuhelfen, und dieser Weg dem Beschwerdeführer zumutbar ist. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen, wenn die Entscheidung weiterer tatsächlicher und einfachrechtlicher Aufklärung bedarf und wenn dem Beschwerdeführer durch die Verweisung auf den Rechtsweg in der Hauptsache kein schwerer und unabwendbarer Nachteil entsteht (vgl. BVerfGE 77, 381 ≪401 f.≫; 78, 290 ≪301 f.≫).
Nach diesen Grundsätzen sind die Beschwerdeführer auf die Erschöpfung des Rechtsweges in der Hauptsache zu verweisen, denn ihre Verfassungsbeschwerde stützt sich insoweit auf behauptete Grundrechtsverletzungen, die sich auf die Hauptsache beziehen. Sie rügen die Verfassungswidrigkeit des Grund- und Kinderfreibetrages für das Streitjahr 1987. Der Bundesfinanzhof hat zwar in seiner mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung unter Bezugnahme auf ein Urteil vom 8. Juni 1990 ausgeführt, daß der nach § 32a Abs. 1 Nr. 1 EStG 1986 bei der Veranlagung des Jahres 1987 den Beschwerdeführern in doppelter Höhe gewährte Grundfreibetrag den verfassungsrechtlichen Anforderungen genüge. Jedoch hat der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung zuvor betont, daß er die Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages lediglich nach einer summarischen Prüfung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides bejahe. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, daß die Klärung dieser Rechtsfrage im Hauptsacheverfahren noch vertiefter tatsächlicher und rechtlicher Erwägungen bedarf, die in dem lediglich summarischen Verfahren wie dem Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO bislang noch nicht angestellt worden sind.
Soweit der Beschwerdeführer die Verfassungswidrigkeit des Kinderfreibetrages für das Jahr 1987 rügen, hat der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit ausdrücklich offengelassen. Zur Klärung dieser Rechtsfrage bedarf es ebenfalls noch weiterer tatsächlicher und rechtlicher Erwägungen.
3. Ein schwerer, unabwendbarer und im Hauptsacheverfahren nicht mehr zureichend ausräumbarer Nachteil für die Beschwerdeführer, der eine sofortige Entscheidung unabweisbar erscheinen lassen könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen