Entscheidungsstichwort (Thema)
Reduziertes Beweismaß wegen Mitwirkungspflichtverletzung auch bei Änderung bestandskräftiger Bescheide. Volles Beweismaß bei Annahme einer Steuerverkürzung oder Steuerhinterziehung. Grenzgängereigenschaft nach Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz. Einkommensteuer 1983–1986
Leitsatz (redaktionell)
1. Die durch die Verletzung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen im steuerlichen Verfahren gem. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 bewirkte Reduktion des Beweismaßes wird nicht durch die Bestandskraft eines endgültigen Bescheids aufgehoben, so dass eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheids nur erlaubt wäre, wenn seine Unrichtigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststünde.
2. Eine die Festsetzungsverjährung hemmende Steuerhinterziehung oder Steuerverkürzung ist dem Steuerpflichtigen unabhängig von seiner Mitwirkung mit dem vollen Beweismaß nachzuweisen.
3. Hier: Änderung bestandskräftiger Einkommensteuerbescheide wegen der Annahme der Grenzgängereigenschaft eines zwischen Deutschland und der Schweiz pendelnden Arbeitnehmers nach § Art. 15 Abs. 4 DBA-Schweiz, obwohl nicht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit auszuschließen war, dass der Pendler an mehr als 45 Tagen außerhalb der Grenzzone tätig war und dadurch seine Grenzgängereigenschaft verloren hat.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1; AO 1977 § 162 Abs. 2 S. 1, § 90 Abs. 2, § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 169 Abs. 2 S. 2, §§ 92-93, 97, 200; DBA CHE Art. 15 Abs. 4
Tenor
I. Der Einkommensteuerbescheid 1983 vom 11. März 1992 in der Fassung der Einspruchsentscheidung 1983 vom 18. August 1995 wird aufgehoben, so dass der Einkommensteuerbescheid 1983 vom 15. April 1986 wieder in Kraft tritt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 82 % und der Beklagte zu 18 %.
Tatbestand
Der Kläger war in den vier Streitjahren als Angestellter bei der … AG in B. beschäftigt und wohnte in W..
Die Steuererklärung für 1983 ging am 19. Dezember 1984 beim Beklagten ein, die Steuererklärung für das Jahr 1984 am 25. Juli 1986 und die Steuererklärungen für die Jahre 1985 und 1986 zu einem noch späteren Zeitpunkt.
In den Steuererklärungen gab der Kläger an, jeweils im Kalenderjahr an mehr als 45 Tagen sich beruflich außerhalb der Grenzzone aufgehalten zu haben, weshalb das Besteuerungsrecht für seine Lohneinkünfte der Schweiz zustehe. Er legte hierzu eine jeweils von einem Herrn L. unterzeichnete Bescheinigung der … AG vor, wonach er während der Streitjahre zwischen 60 (1986) und 62 (1984) Tage außerhalb der Grenzzone – überwiegend in Deutschland – tätig gewesen sei.
Der Beklagte ist diesen Angaben zunächst gefolgt. Er hielt das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland nur insoweit für gegeben, als der Arbeitslohn des Klägers auf Inlandsdienstreisen entfiel. Die Einkommensteuerbescheide 1983, 1984 und 1985 vom 15. April 1986 (1983), 29. September 1986 (1984), 27. Juli 1987 (1985) sind bestandskräftig. Der Einkommensteuerbescheid 1986 vom 26. Januar 1989 war unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) gestellt worden und wurde ebenfalls bestandskräftig.
Anlässlich einer Prüfung bei der deutschen Niederlassung der … AG in K. gelangte der Prüfer zu dem Ergebnis, dass der Kläger ausweislich der bei der Niederlassung Deutschland der … AG aufgefundenen Reisekostenabrechnungen in den Jahren 1983, 1984 und 1985 nur zwischen sechs und neun Tagen außerhalb der Grenzzone in Deutschland gearbeitet haben könne. Der Steuerfahndungsbeamte wurde am 21. Dezember 1989 mit der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Kläger beauftragt. Am 23. August 1990 wurde dem Kläger die Einleitung eines Strafverfahrens zu diesem Komplex für die Jahre 1983 bis 1985 bekannt gegeben.
Der Beklagte unterwarf mit den Bescheiden für 1983 vom 11. März 1992, für 1984 vom 15. Januar 1992, für 1985 vom 15. Januar 1992 und für 1986 vom 15. Januar 1992 sämtliche von der … bezogenen Einkünfte des Klägers der deutschen Einkommensteuer.
Hiergegen erhob der Kläger Einspruch. Er gab gegenüber dem Beklagten an, dass er für die Reisetage keine Nachweise besäße. Da überwiegend keine Aufwendungen für seine Reisen entstanden seien, seien auch keine Reisekostenabrechnungen gegenüber der … erforderlich gewesen. Er habe die der … gehörende übertragbare Verbund- oder Netzkarte der Deutschen Bundesbahn genutzt oder sei bei Kollegen mitgefahren. Verpflegungsaufwendungen seien selten entstanden, da er eingeladen worden sei. Die Bestätigungen der Firma … die Herr L. unterschrieben habe, beruhten auf seinen eigenen Angaben, die er seinem Terminkalender entnommen habe. Dieser Terminkalender sei aber nicht mehr vorhanden.
Der Einspruch blieb erfolglos. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.
Der Kläger trägt vor, dass er unstreitig auch nach dem Ergebnis der vom Beklagten vorgenommenen Ermittlungen in den Streitjahren 1983 bis 1985 außerhalb der Grenzzone gearbeitet habe und zwar 1983 an 13 Tagen, 1984 an neun Tagen u...