Leitsatz
1. Werden im Rahmen der Prüfung der behinderungsbedingten Unfähigkeit zum Selbstunterhalt die behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht im Einzelnen nachgewiesen, sondern wird der Behinderten-Pauschbetrag gemäß § 33b Abs. 1 bis 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) angesetzt, können daneben nicht zusätzlich Aufwendungen angesetzt werden, die entweder bereits durch den Pauschbetrag für den Grundbedarf oder den Behinderten-Pauschbetrag abgegolten werden.
2. Unter bestimmten Voraussetzungen können behinderungsbedingte Fahrtaufwendungen neben dem Behinderten-Pauschbetrag geltend gemacht werden, soweit sie nachgewiesen oder glaubhaft gemacht worden und angemessen sind.
3. Die durch das Gesetz zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen vom 09.12.2020 eingefügte Pauschalierungsregelung des § 33 Abs. 2a EStG ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 2021 anzuwenden.
4. Aus A 19.4 Abs. 5 Satz 7 und dem Vorwort der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz vom 17.09.2021 kann nicht abgeleitet werden, dass die Verwaltung sich selbst binden wollte, die Pauschalierungsregelung des § 33 Abs. 2a EStG bereits für die Veranlagungszeiträume 2017 bis 2020 als Schätzungsregelung anzuwenden.
Normenkette
§ 63 Abs. 1 Satz 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, § 33 Abs. 2 Satz 1, Abs. 2a, § 33b Abs. 1 bis 3 EStG, § 162 Abs. 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin ist die Mutter einer volljährigen Tochter, für die ein Grad der Behinderung von 80 festgestellt wurde. Die Tochter erhielt eine Erwerbsminderungsrente. Die seit mehreren Jahren bestehende Kindergeldbewilligung hob die Familienkasse für die Monate Juli bis November 2018 auf, da sie davon ausging, dass sich die Tochter mit ihrer Rente selbst unterhalten könne. Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin weitere behinderungsbedingte Aufwendungen der Tochter (u. a. für Fahrten) geltend. Die Familienkasse kam zu keinem anderen Ergebnis, da sie teilweise den Nachweis der Fahrten als nicht geführt ansah und teilweise von keinen behinderungsbedingten Fahrten ausging. Das FG (FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 17.6.2022, 3 K 152/20, Haufe-Index XXXXXX) erkannte die von der Klägerin nunmehr geltend gemachte Fahrtkostenpauschale i. H. v. 75 EUR pro Monat an und gab der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies die Sache an das FG im Hinblick auf die Notwendigkeit weiterer Feststellungen zu den Fahrtkosten zurück. Das FG habe zu Unrecht aus dem Vorwort des DA-KG 2021 abgeleitet, dass sich die Verwaltung habe binden wollen, die Fahrtkostenpauschale schon vor dem VZ 2021 anzuwenden.
Hinweis
1. Für volljährige behinderte Kinder kann ein lebenslanger Kindergeldanspruch bestehen, wenn die Behinderung vor dem 25. Lebensjahr (oder nach der früheren Altersgrenze: vor dem 27. Lebensjahr) eingetreten ist. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich auch im Erwachsenenalter des Kindes weiterhin eine Unterhaltspflicht der Eltern ergeben kann, wenn die Kinder aufgrund ihrer Behinderung nicht imstande sind, einen existenzsichernden Beruf auszuüben. Die Unterhaltslast der Eltern soll in einem solchen Fall durch das Kindergeld oder die kindbedingten Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG steuerliche Berücksichtigung finden.
2. Die behinderungsbedingte Unfähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG tatbestandliche Voraussetzung der steuerlichen Berücksichtigung des Kindes. Sie wird anhand eines Vergleichs des Bedarfs des Kindes (Grundbedarf und behinderungsbedingter Mehrbedarf) mit den dem Kind zur Verfügung stehenden Mitteln (Einkünfte und Bezüge) geprüft.
3. Der behinderungsbedingte Mehrbedarf kann entweder im Einzelnen nachgewiesen werden oder es kann stattdessen der Behindertenpauschbetrag angesetzt werden, der je nach Schwere der Behinderung gemäß § 33b Abs. 1 bis 3 EStG in unterschiedlicher Höhe gewährt wird. Die Beträge wurden mit Wirkung ab dem VZ 2021 deutlich erhöht.
4. Der Behindertenpauschbetrag wird nach § 33b Abs. 1 EStG wegen der Aufwendungen für die Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, für die Pflege sowie für einen erhöhten Wäschebedarf gewährt. Alle darunterfallenden Aufwendungen sind mit dem Pauschbetrag abgegolten. Mitunter kann sich aber ein davon nicht erfasster behinderungsbedingter Sonderbedarf ergeben, z. B. für Operationskosten sowie Heilbehandlungen, Kuren, Arznei- und Arztkosten. Für geh- und stehbehinderte, blinde oder hilflose Personen können zudem auch Fahrtaufwendungen einen solchen Sonderbedarf darstellen.
5. Solche Fahrtkosten mussten bis zum VZ 2020 nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden und durften je nach Art der Behinderung die Grenze der Angemessenheit nicht überschreiten. Ab dem VZ 2021 will der Gesetzgeber durch Einfügung des § 33 Abs. 2a EStG den teils aufwändigen Einzelnachweis vermeiden und hat deshalb auch für solche Fahrtkosten eine Pauschalregelung eingeführt.
6. Das BZSt gibt für die Fami...