Entscheidungsstichwort (Thema)
Mittelbare Diskriminierung in der Altersversorgung
Leitsatz (redaktionell)
1. Das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag gilt auch für betriebliche Versorgungsleistungen.
2. Der Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von der Versorgung kann Frauen mittelbar diskriminieren, wenn die unterschiedliche Behandlung der Voll- und Teilzeitbeschäftigten nicht einem unabweisbaren Bedürfnis des Unternehmens dient (Bestätigung der Rechtsprechung des Senats; zuletzt Urteil vom 14. März 1989 - 3 AZR 490/87 = BB 1989, 2115).
3. Eine mittelbare Diskriminierung kann auch gegeben sein, wenn nur Teilzeitbeschäftigte mit weniger als 30 Wochenstunden ausgeschlossen werden. Es bleibt offen, ob für den Ausschluß von geringfügig Beschäftigten eine Ausnahme gilt.
Normenkette
GG Art. 20; BGB §§ 139, 134, 242; EWGVtr Art. 119; BetrAVG § 1; GG Art. 3 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 22.09.1987; Aktenzeichen 8 (16) Sa 1035/87) |
ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 19.05.1987; Aktenzeichen 1 (3) Ca 822/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der teilzeitbeschäftigten Klägerin eine Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung zusteht.
Die am 28. Oktober 1939 geborene Klägerin trat am 1. November 1973 als Verkäuferin in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Deren Betrieb ging am 1. Januar 1981 auf die Beklagte über. Die Beklagte beschäftigt etwa 38 Arbeitnehmer; die Klägerin ist Betriebsratsvorsitzende.
Die betriebliche Altersversorgung richtet sich nach der Versorgungsordnung der Rechtsvorgängerin vom 23. Dezember 1970 in der Ergänzung vom 30. Mai 1975. Die VO sieht Altersrenten, Invaliden- und Witwenrenten vor. Nach Nr. I. 1. werden Frauen in das Versorgungswerk der Beklagten "aufgenommen", wenn sie das 30. Lebensjahr (bei Männern das 20.) vollendet und zwei Jahre anrechenbarer Dienstzeit abgeleistet haben. Teilzeitbeschäftigte, die "regelmäßig weniger" als 30 Wochenstunden tätig sind, werden nicht aufgenommen. Ein Anspruch auf Versorgungsleistungen entsteht nur, wenn die Wartezeit von zehn Jahren "anrechenbarer Dienstzeit" abgeleistet ist. Anrechenbar ist die Dienstzeit, die der Versorgungsberechtigte vor Vollendung seines 65. Lebensjahres ohne Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses abgeleistet hat. Zur Teilzeitbeschäftigung heißt es in Nr. IV. 3.:
"Teilzeitbeschäftigung mit regelmäßig weniger
als 30 Wochenstunden wird zur Hälfte anrechen-
bare Dienstzeit, wenn sich Vollzeitbeschäfti-
gung unmittelbar anschließt; im übrigen ist
Teilzeitbeschäftigung keine anrechenbare
Dienstzeit."
In Nr. XIII. III. heißt es:
"Bei Rückgang zur Teilzeitbeschäftigung mit re-
gelmäßig weniger als 30 Wochenstunden erlischt
die Anwartschaft, wenn bis dahin die Wartezeit
von zehn Jahren anrechenbarer Dienstzeit nicht
abgeleistet ist."
Das Ruhegeld beträgt 6 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes für zehn rentenfähige Dienstjahre zuzüglich 0,6 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes für jedes weitere rentenfähige Dienstjahr bis zum Höchstbetrag von 15 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes für 25 und mehr rentenfähige Dienstjahre. Rentenfähiger Arbeitsverdienst ist "der Bruttoarbeitsverdienst je Beschäftigungsmonat im Durchschnitt des letzten Kalenderjahres vor dem Feststellungszeitpunkt für die betriebliche Rente ..".
Die Klägerin arbeitete ursprünglich mehr als 30 Stunden in der Woche. Bei Klageerhebung am 29. März 1984 lag die wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin unter 30 Wochenstunden; sie war aber nicht geringfügig beschäftigt. Sie verdiente 1.200,-- DM brutto.
Die Klägerin hat behauptet, ihre Arbeitszeit sei 1981 einseitig von der Beklagten auf weniger als 30 Wochenstunden reduziert worden. Die Versorgungsbestimmung, nach der für solche Teilzeitbeschäftigte die Versorgungsanwartschaft erlösche, die die Wartezeit noch nicht in einem Vollzeitarbeitsverhältnis zurückgelegt hätten, stelle eine Benachteiligung weiblicher Arbeitnehmer dar. Sie verstoße gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Sie sei daher unwirksam.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß ihr Ansprüche auf be-
triebliche Altersversorgung gemäß der Ver-
sorgungsordnung vom 23. Dezember 1970 zu-
stehen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, die Klägerin habe bereits 1978 mit ihrer Rechtsvorgängerin die Verminderung der Wochenstundenzahl vereinbart. Sie hat eine "mittelbare Diskriminierung" der Frauen in Abrede gestellt, weil nicht alle Teilzeitkräfte von der Versorgungsordnung ausgeschlossen seien. Für den Ausschluß der Teilzeitkräfte mit weniger als 30 Wochenstunden Arbeitszeit habe sie sachliche Gründe. Diese Teilzeitkräfte verursachten einen vermehrten Organisationsaufwand für die gleichen Arbeitsleistungen und höhere Personalnebenkosten; sie seien nicht in der Lage, Kunden an das Unternehmen zu binden und Führungsaufgaben zu übernehmen. Sie identifizierten sich nicht mit dem Betrieb und seien nicht bereit, zu den umsatzstarken Stoßzeiten (späten Nachmittagen, frühen Abenden und Samstagen) zu arbeiten. Im übrigen habe sie im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Ausschlusses keine steuerlichen Rückstellungen gebildet. Ihr Vertrauen sei schutzwürdig. Gesetzgebung und Rechtsprechung hätten in der Vergangenheit den Ausschluß Teilzeitbeschäftigter von Sozialleistungen gebilligt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage anstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klägerin hat eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft.
A. Die Klägerin kann ihre aufschiebend bedingten Versorgungsansprüche im Wege der Feststellungsklage verfolgen. Nach § 256 ZP0 kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens Klage erhoben werden, wenn der Kläger an alsbaldiger richterlicher Feststellung ein rechtliches Interesse hat. Nach ihrem Klageantrag will die Klägerin gerichtlich geklärt haben, daß ihr nach mehr als zehnjähriger Dienstzeit eine Versorgungsanwartschaft zusteht. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt (vgl. BAGE 53, 162 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag = NZA 1987, 445). An der Feststellung hat die Klägerin ein rechtliches Interesse, weil sie ihre fernere Versorgungsplanung danach einrichten muß. Dem Feststellungsinteresse steht nicht entgegen, daß die Streitigkeiten zwischen den Parteien nicht endgültig bereinigt werden, weil die Klägerin eine Quote ihrer Versorgungsanwartschaft nicht bestimmt hat. Da das Arbeitsverhältnis fortbesteht, war die Klägerin hierzu noch nicht in der Lage.
B. Die Versorgungsordnung der Beklagten ist nichtig, soweit Arbeitnehmerinnen von der Versorgung wegen ihrer Teilzeitbeschäftigung ausgeschlossen werden.
I. Nach der Versorgungsordnung, in deren Rechte und Pflichten die Beklagte im Wege der Betriebsnachfolge eingetreten ist (§ 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB), haben Mitarbeiter Anspruch auf betriebliche Altersversorgung, wenn sie nach Vollendung des Mindestdienstalters eine Wartezeit von zehn Jahren zurücklegen und ein Versorgungsfall eintritt. Vor Eintritt eines Versorgungsfalles besteht eine Versorgungsanwartschaft.
Die Klägerin hat die zehnjährige Wartezeit der Versorgungsordnung erfüllt. Die Klägerin gehört seit der Dienstaufnahme zu den Versorgungsberechtigten. Sie war damals 34 Jahre alt, so daß offenbleiben kann, ob diese Bestimmung, die für Männer und Frauen ein unterschiedliches Eintrittsalter vorsieht und damit die Frauen unmittelbar benachteiligt, rechtswirksam ist.
II. Die Versorgungsordnung der Beklagten ist nichtig, soweit sie eine Teilzeitbeschäftigung weiblicher Mitarbeiter von weniger als 30 Wochenstunden nicht als Wartezeit erfüllend ansieht oder solche teilzeitbeschäftigten Frauen von der Versorgung ausschließt, die im Anschluß an die Teilzeitbeschäftigung nicht die volle wöchentliche Arbeitszeit erbringen.
1. Versorgungsregelungen, die Arbeitnehmer nur wegen ihres Geschlechtes von der Versorgung ausnehmen, sind nichtig.
a) Nach Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag müssen die Mitgliedsstaaten den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und gewährleisten. Das ist nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedsstaaten. Die betroffenen Arbeitnehmer haben einen Anspruch darauf, daß ihre Arbeitgeber das Lohngleichheitsgebot befolgen (Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 8. April 1976 - RS 43/75 - Defrenne II - EuGHE 1976, 1. Teil, S. 455 = NJW 1976, 2068 ff., vom 31. März 1981 - RS 96/80 - AP Nr. 2 zu Art. 119 EWG-Vertrag (Jenkins) und vom 13. Mai 1986 - RS 170/84 - AP Nr. 10, aa0; dazu Steindorff, RdA 1988, 129, 131). Nach deutschem Recht sind kollektivrechtliche oder einzelvertragliche Regelungen, die gegen das Lohngleichheitsgebot verstoßen, nichtig (§ 134 BGB).
b) Das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag gilt auch für betriebliche Versorgungsleistungen. Diese werden zwar nicht im Austausch gegen zeitlich beschränkte Arbeitsleistungen erworben, sondern werden im Verlaufe eines Arbeitslebens erdient und sind erst nach Eintritt eines Versorgungsfalles fällig. Sie gehören aber zur Vergütung im Sinne von Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 - RS 170/84 - AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; BAGE 46, 71 = AP Nr. 3 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1 der Gründe; 53, 161 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1 der Gründe). An diese ist der Senat gebunden, so daß die Angriffe der Revision fehlgehen.
2. Das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag gilt nicht nur für Vergütungsregelungen, die unmittelbar nach dem Geschlecht differenzieren. Auch eine mittelbare Diskriminierung ist verboten.
a) Der Senat hat den Europäischen Gerichtshof um die Vorabentscheidung gebeten, wann eine mittelbare Diskriminierung von Frauen angenommen werden kann (BAGE 46, 71 = AP Nr. 3 zu Art. 119 EWG-Vertrag). Der Europäische Gerichtshof hat die Voraussetzungen einer mittelbaren Diskriminierung näher konkretisiert. Eine mittelbare Diskriminierung ist dann gegeben, wenn eine Regelung oder Maßnahme zwar unterschiedslos auf Männer oder Frauen anzuwenden ist, diese aber für die Personen eines Geschlechtes wesentlich nachteiligere Wirkungen entfaltet als bei Personen des anderen Geschlechtes und diese nachteiligen Wirkungen auf dem Geschlecht oder der Geschlechtsrolle beruhen (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 - RS 170/84 - AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; dazu dann BAGE 53, 161 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; vgl. auch Hanau/Preis, ZfA 1988, 177, 186 ff.).
b) Diese Voraussetzungen hat das Landesarbeitsgericht festgestellt. Von dem Ausschluß aus der betrieblichen Altersversorgung sind wesentlich mehr Frauen als Männer nachteilig betroffen. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß bei der Beklagten der Anteil der Frauen an der Teilzeitbeschäftigung bei 95 % liegt. Dies entspreche den Zahlen des Einzelhandels, von denen die Beklagte Abweichungen nicht behauptet habe. Hiergegen sind Verfahrensrügen nicht erhoben, so daß der Senat daran gebunden ist (§ 561 Abs. 2 ZP0).
Das Landesarbeitsgericht hat aber auch dem Umstand Rechnung getragen, daß die Beklagte nicht alle teilzeitbeschäftigten Frauen von der Versorgung ausgeschlossen hat, sondern nur die mit einer Arbeitszeit von weniger als 30 Wochenstunden. Es hat insoweit festgestellt, daß auch in dieser Gruppe die weiblichen Mitarbeiter überwiegen.
3. Für die mittelbare Diskriminierung der weiblichen Beschäftigten der Beklagten bestanden keine objektiv rechtfertigenden Gründe.
a) Objektiv rechtfertigende Gründe sind nicht schon sachliche Gründe, die zum Ausschluß des Willkürverbotes bei dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder nach § 2 Abs. 1 BeschFG ausreichen (so aber Palandt/Putzo, BGB, 47. Aufl. 1988, § 611 a Anm. 2 b, bb; Eich, NJW 1980, 2329, 2331). Das aus Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 119 EWG-Vertrag folgende Gleichberechtigungsgebot stellt strengere Anforderungen an die Zulässigkeit einer Differenzierung. Dies folgt aus der Wertigkeit der Gleichberechtigung für das Zusammenleben. Ein die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter rechtfertigender Grund ist nur dann gegeben, wenn die unterschiedliche Behandlung einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dient, für die Erreichung der unternehmerischen Ziele geeignet und nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist (BAGE 38, 232, 242 f. = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu III 2 a der Gründe; 53, 161, 170 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 3 b der Gründe; dazu Hanau/Preis, ZfA 1988, 177, 190 ff.; Schaub, NZA 1984, 73, 75; Wank, RdA 1985, 1, 20).
b) Die Beklagte hat zur Rechtfertigung ihrer Regelung keine objektiv rechtfertigenden Gründe vorgetragen, zu denen der Senat nicht bereits Stellung genommen hat.
Die Beklagte hat zwar behauptet, Teilzeitbeschäftigte verursachten erhöhte Personalnebenkosten. Ihr Vorbringen läßt ausreichende Schlußfolgerungen auf unterschiedliche Kostenbelastungen jedoch nicht zu. Es fehlt an Darlegungen, ob und in welchem Umfang diese Kosten durch die bessere Ausnutzung der Personalkapazität ausgeglichen werden. Kostenfaktoren können nicht isoliert betrachtet werden.
Auch die Behauptung der Beklagten, Teilzeitbeschäftigte könnten keine Führungsaufgaben übernehmen und vermöchten keine Kunden zu binden, überzeugt nicht. Warum in einem Einzelhandelsunternehmen mit wechselndem Personalbedarf Teilzeitbeschäftigte für ihren Bereich keine Führungsaufgaben übernehmen können, ist nicht einsichtig. Noch weniger einsichtig ist, Arbeitnehmer von der Altersversorgung auszuschließen, weil sie nach Ansicht der Beklagten nicht für Führungsaufgaben geeignet sind. In welchem Umfang schließlich Teilzeitbeschäftigte Kunden an ein Unternehmen binden, hängt wesentlich von der Arbeitszeitgestaltung ab, auf die die Beklagte maßgeblichen Einfluß hat.
Schließlich kann die Beklagte die unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen nicht mit der Begründung rechtfertigen, Teilzeitbeschäftigte identifizierten sich nicht mit dem Unternehmen und wollten in Verkaufsspitzenzeiten oder zu ungünstigen Verkaufszeiten nicht arbeiten. Die Arbeitszeitgestaltung in einem Unternehmen hängt von den vertraglichen Vereinbarungen ab. Darüber hinaus hat der Betriebsrat ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht bei der Festlegung der Arbeitszeit für Teilzeitbeschäftigte (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG).
c) Kein rechtfertigender Grund, weibliche Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung auszuschließen, ist die Annahme, daß deren Versorgung im allgemeinen anderweitig sichergestellt ist. Richtig ist, daß in einer Reihe von Sozialversicherungsgesetzen die Versicherungspflicht für geringfügig Teilzeitbeschäftigte aufgehoben worden ist. Der Senat braucht aber nicht abschließend zu entscheiden, ob und bei welcher Grenze auch Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung ausgenommen werden dürfen. Diese Grenze liegt jedenfalls nicht bei 30 Wochenstunden Arbeitszeit, die bis vor wenigen Jahren noch einer Dreiviertel-Beschäftigung entsprach. In der Entscheidung vom 29. August 1989 (3 AZR 370/88, zur Veröffentlichung vorgesehen) hat der Senat den Ausschluß von Halbtagsbeschäftigten für unzulässig gehalten.
III. Die Nichtigkeit der Bestimmungen der Versorgungsordnung, durch die Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen werden, hat zur Folge, daß die Klägerin die für die Altersversorgung notwendigen Beschäftigungszeiten nachweisen kann und damit Anspruch auf Ruhegeld hat.
1. Die Ruhegeldrichtlinien verstoßen gegen Art. 119 EWG-Vertrag, soweit sie Teilzeitbeschäftigte von der Altersversorgung ausschließen. Insoweit sind sie nach § 134 BGB nichtig; dagegen bleiben sie im übrigen aufrechterhalten. Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre ist § 139 BGB, wonach die Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäftes in aller Regel zu seiner völligen Nichtigkeit führt, dann nicht anwendbar, wenn es sich um Arbeitnehmerschutzvorschriften handelt (vgl. BAGE 31, 67, 75 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung, zu III 3 der Gründe; BAG Urteil vom 4. Oktober 1978 - 5 AZR 886/77 - AP Nr. 11 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie, zu 4 der Gründe; BAGE 53, 161, 174 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 202). Ist der Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten aber rechtsunwirksam, so entsteht eine Regelungslücke. Diese kann verfassungskonform nur in der Weise geschlossen werden, daß die Arbeitnehmer in das Versorgungssystem einbezogen werden, die zu Unrecht ausgeschlossen waren. Ist die Ausnahme von einer Grundregel unwirksam, so gilt die Grundregel.
2. Die Beklagte kann sich nicht auf einen verfassungsrechtlich geschützten Vertrauenstatbestand berufen, der es rechtfertigen könnte, Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung auszunehmen.
a) Das Grundrecht der Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 GG) gilt seit dem 23. Mai 1949. Aus dem Gleichberechtigungsgrundsatz und dem Benachteiligungsverbot hat das Bundesarbeitsgericht bereits am 15. Januar 1955, also lange vor der hier umstrittenen Versorgungsordnung, den Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbeit abgeleitet (BAGE 1, 258 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG, mit zustimmender Anmerkung von Beitzke). Bei dieser Rechtsprechung ist es auch in der Folgezeit verblieben (BAG Urteil vom 2. März 1955 - 1 AZR 246/54 - AP Nr. 6 zu Art. 3 GG; BAGE 1, 348 = AP Nr. 7 zu Art. 3 GG; 4, 240 = AP Nr. 16, aa0; 4, 125 = AP Nr. 17, aa0; 4, 133 = AP Nr. 18, aa0). Der Grundsatz der Lohngleichheit ist im Jahre 1957 in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit einer die Bürger bindenden Wirkung aufgenommen worden (Art. 119 EWG- Vertrag). Auch in dieser Zeit hat die Rechtsprechung bereits angenommen, daß die betriebliche Altersversorgung Versorgungs- und Entgeltcharakter habe. So ist zunächst vom Soziallohn gesprochen worden (RAG ARS 40, 151; Hueck, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. I, S. 280, zu § 40 III 5 c) und später der Versorgungs- und Entgeltcharakter betont worden (vgl. vor allem BAG Urteil vom 3. April 1970 - 3 AZR 230/69 - AP Nr. 141 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Urteil vom 12. Februar 1971 - 3 AZR 83/70 - AP Nr. 3 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unterstützungskassen, zu 2 b der Gründe; BAGE 24, 177, 183 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu A II 2 a der Gründe).
b) Die Beklagte kann auch nicht geltend machen, die grundrechtswidrige Benachteiligung von Frauen sei seinerzeit, als die Versorgungsordnung erlassen wurde, noch nicht erkannt worden. Auch der Gesetzgeber sei erst aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 (BGBl I, 748 = BVerfGE 39, 169) zur Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung gezwungen worden. Dabei übersieht die Beklagte, daß Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung bei dem eigenen Erwerb eines Versicherungsanspruchs nicht benachteiligt waren. Benachteiligt wurden sie nur im Rahmen der Hinterbliebenenversorgung. In den Versorgungsordnungen der Beklagten geht es dagegen ausschließlich um die Benachteiligung der Frauen bei Erwerb eines eigenen Anspruchs auf Altersversorgung.
c) Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf ein Urteil des Senats vom 1. Juni 1978 (- 3 AZR 79/77 -, das nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war, jedoch in BB 1979, 1403 = BetrAV 1979, 200, 222 veröffentlicht wurde). In dieser Entscheidung haben die Parteien ausschließlich um die Unverfallbarkeit gestritten. Feststellungen über die Zusammensetzung der Belegschaft und die Auswirkungen der Ruhegeldberechnung auf die Angehörigen der verschiedenen Geschlechter waren nicht getroffen. Es bestand daher kein Anlaß, die unmittelbare oder mittelbare diskriminierende Wirkung der Regelung zu untersuchen. Ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand der Beklagten wäre aber selbst dann nicht erwachsen, wenn der Senat inzwischen seine Rechtsprechung hätte ändern müssen (BVerfGE 59, 128, 165 f.).
d) Auch mit der Richtlinie des Rates der EG vom 24. Juli 1986 - 86/378 EWG - zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl der EG 1986, L 225, S. 40 ff.) läßt sich nicht begründen, daß die Beklagte erst nach einer Übergangszeit ihr Versorgungswerk an den Grundsatz der Lohngleichheit anpassen muß. Nach Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag ist die Richtlinie für jeden Mitgliedsstaat, an den sie gerichtet ist, verbindlich. Sie überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Nach innerstaatlichem Recht wird dem Grundsatz der Lohngleichheit im Rahmen betrieblicher Versorgungssysteme bereits durch die eingeschränkte Anwendung des § 139 BGB und der Gewährung ausgleichender Ansprüche Rechnung getragen. Dies ist nach der über 40jährigen Geschichte der Rechtsprechung zur Lohngleichheit vorgegeben.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Seyd Lichtenstein
Fundstellen
Haufe-Index 438688 |
BB 1990, 1202 |
BB 1990, 1202-1204 (LT1-3) |
DB 1990, 1620-1621 (LT1-3) |
Stbg 1990, 456-456 (T) |
BetrAV 1990, 201-203 (LT1-3) |
EWiR 1990, 993-994 (ST) |
JR 1990, 528 |
NZA 1990, 778-780 (LT1-3) |
RdA 1990, 253 |
SAE 1992, 253-257 (LT1-3) |
ZAP, EN-Nr 595/90 (S) |
ZTR 1990, 347-348 (LT1-3) |
AP § 1 BetrAVG Gleichberechtigung (LT1-3), Nr 7 |
AR-Blattei, Betriebliche Altersversorgung Entsch 236 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 460 Nr 236 (LT1-3) |
EzA § 1 BetrAVG Gleichberechtigung, Nr 6 (LT1-3) |
Heither, ES-BetrAVG Nr 4320/3 (LT1-3) |
VersR 1990, 1033-1035 (LT) |