Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung einer Kassiererin
Orientierungssatz
1. Auch für die im GTV festgelegte Vergütungsordnung gilt, dass die allgemein gefassten Tätigkeitsmerkmale regelmäßig dann erfüllt werden, wenn der Arbeitnehmer eine den jeweils hierzu formulierten Tätigkeitsbeispielen entsprechende Tätigkeit ausübt.
2. Mit dem in den Tätigkeitsbeispielen zu Beschäftigungsgruppe III GTV verwandten Begriff des Verbrauchermarktes haben die Tarifvertragsparteien die Definition dieses Begriffes in den grundlegenden Senatsentscheidungen zum damaligen GTV aus den Jahren 1984 und 1987 übernommen.
3. Das Tätigkeitsbeispiel einer Kassiererin in einem Verbrauchermarkt nach Beschäftigungsgruppe III GTV ist nur erfüllt, wenn alle Merkmale eines Verbrauchermarktes vorliegen und nicht bereits dann, wenn es sich um ein Einzelhandelsgeschäft handelt, in dem an die Kassiererinnen ähnliche Anforderungen gestellt werden wie an solche eines Verbrauchermarktes.
4. Eine Etagenkasse iSd. Tätigkeitsbeispiels zur Beschäftigungsgruppe III GTV liegt nur dann vor, wenn sie neben ihrer räumlichen Zugehörigkeit gegenüber sonstigen Kassen weitergehende oder übergeordnete Funktionen wahrnimmt.
5. Auch an einer Sammelkasse im tariflichen Sinn müssen abteilungsübergreifend gegenüber anderen vorhandenen Kassen bestimmte besondere Kassenangelegenheiten erledigt werden.
6. Zur Auslegung des Begriffs “selbständig” im Tätigkeitsmerkmal der Beschäftigungsgruppe III GTV.
Normenkette
Tarifvertrag über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialleistungen für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildenden des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 22. März 2006 (GTV) Nr. 1 Beschäftigungsgruppe II und III; Manteltarifvertrag für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer/innen des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 22. März 2006 (MTV) § 11
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 21.02.2008; Aktenzeichen 6 Sa 47/07) |
ArbG Ulm (Urteil vom 26.04.2007; Aktenzeichen 1 Ca 509/06) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 21. Februar 2008 – 6 Sa 47/07 – aufgehoben. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm vom 26. April 2007 – 1 Ca 509/06 – abgeändert und die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppierung und Vergütung der Klägerin für die Zeit von Juli bis September 2006.
Rz. 2
Die 1962 geborene Klägerin, die über keine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung verfügt, war vom 23. Februar 2003 bis zum 30. September 2006 im Einrichtungshaus der Beklagten als Kassiererin mit einer monatlichen Arbeitszeit von 120,06 Stunden beschäftigt.
Rz. 3
Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien fanden auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge für die Beschäftigten des Einzelhandels in Baden-Württemberg Anwendung.
Rz. 4
Der ab dem 1. April 2005 gültige Tarifvertrag über Gehälter, Löhne, Ausbildungsvergütungen und Sozialleistungen für die Arbeitnehmer/innen und Auszubildenden des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 22. März 2006 (GTV) enthält auszugsweise folgende Regelungen:
“1. Beschäftigungsgruppen
…
Gruppe II
Tätigkeitsmerkmale:
Einfache kaufmännische Tätigkeiten, für die die Tätigkeitsmerkmale einer höheren Beschäftigungsgruppe nicht zutreffen.
Beispiele:
Verkäufer und Verkäuferinnen, Kassierer/innen mit einfacher Tätigkeit, auch an SB-Kassen, Angestellte am Packtisch mit Kontrolltätigkeit.
…
Gruppe III
Tätigkeitsmerkmale:
Tätigkeiten, die selbständig im Rahmen allgemeiner Anweisungen ausgeübt werden.
Beispiele:
Erste Verkäufer/innen (Lagererste), Sortimentskontrollen, Kassierer/innen mit gehobener Tätigkeit, z.B. an Etagen-, Bereichs-, Regional- und Sammelkassen sowie an Verbrauchermarkt- und sonstigen SB-Kassen.
Kassenaufsichten.
Verkaufsstellenleiter/innen (außerhalb des Lebensmittelhandels), denen bis zu vier Verkaufskräfte unterstellt sind …”
Rz. 5
Der zum 1. Januar 2006 in Kraft getretene Manteltarifvertrag für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer/innen des Einzelhandels in Baden-Württemberg (MTV) vom 22. März 2006 enthält ua. folgende Bestimmungen:
Ҥ 11
Einreihung der Arbeitnehmer/innen in Beschäftigungsgruppen und Lohnstufen
1. Die Angestellten werden in Beschäftigungsgruppen … eingereiht ….
2. Für die Einreihung des/der Angestellten in eine Beschäftigungsgruppe ist ausschließlich die Art seiner/ihrer Tätigkeit entscheidend. Maßgeblich sind die jeder Gruppe vorangestellten Tätigkeitsmerkmale.
Die bei den Beschäftigungsgruppen aufgeführten Beispiele sind weder erschöpfend, noch für jeden Betrieb zutreffend.
3. … Für die Einreihung in die Gruppen II bis V ist eine abgeschlossene kaufmännische Berufsausbildung mit 2- oder 3-jähriger Ausbildungszeit erforderlich.
Dieser Ausbildung steht eine kaufmännische oder gleichwertige Berufstätigkeit von insgesamt drei Jahren nach Vollendung des 18. Lebensjahres gleich. …”
Rz. 6
Das Einrichtungshaus der Beklagten, das sich über zwei Stockwerke erstreckt, hat eine Gesamtverkaufsfläche von ca. 18.000,00 m2. Davon entfallen ca. 12.000,00 m2 auf das Möbelsortiment und ca. 6.000,00 m2 auf das Randsortiment. Das Randsortiment umfasst Haushaltswaren, Bilder, Kunstgegenstände, Heimtextilien, Bettwaren, Beleuchtungskörper, Teppiche und Fußböden sowie in geringem Umfang auch Lebensmittel. Die Lebensmittel werden in einem Restaurant sowie in einem sog. Sshop verkauft. Zur Weihnachtszeit bietet die Beklagte gelegentlich auch Genuss- und Nahrungsmittel, zB Kekse oder Glühwein, an den Ausgangskassen an. Mit dem Verkauf von Waren aus dem Randsortiment erzielt die Beklagte ca. 50 % ihres Umsatzes. Weniger als 1 % des Umsatzes entfallen auf Nahrungsmittel.
Rz. 7
Die von der Beklagten angebotenen Möbel befinden sich entweder im Selbstbedienungsbereich oder im Lager. Von dort werden sie über die Warenausgabe an den Kunden ausgehändigt. Zu diesem Zweck erhält der Kunde von dem Mitarbeiter im Verkauf einen sog. Möbelhausauftrag, in dem die bestellten Waren aufgeführt sind. Für jeden Möbelhausauftrag wird über das EDV-System der Beklagten eine Buchungsnummer vergeben. Die Beklagte bietet ferner in einer sog. “Fundgrube” Ware zu reduzierten Preisen an. Artikel, deren Preis weniger als 20,00 Euro beträgt, sind mit einem sog. “88-Aufkleber” versehen. Auf diesem ist der Preis von einem Kundenservicemitarbeiter handschriftlich vermerkt. Auf den anderen Artikeln befindet sich ein Aufkleber mit zwei Barcodes. Das Einrichtungshaus verfügt – mit Ausnahme des Restaurants und des sog. Sshops – nur über Kassen im Ausgangsbereich. Hierbei handelt es sich um vollautomatische, EDV-gestützte Kassen, die mit einer Tastatur und einem Handscanner ausgestattet sind.
Rz. 8
Die Kassierer und Kassiererinnen an den Ausgangskassen – zu denen auch die Klägerin gehörte – ermitteln die Preise für die Waren mit Hilfe des Handscanners. Legt der Kunde einen Möbelhausauftrag vor, so ist dessen Buchungsnummer in die Kasse einzutippen. Bei Waren aus der “Fundgrube” sind entweder beide Barcodes zu scannen oder – bei Artikeln unter 20,00 Euro – die Zahl “88” und der angegebene Preis einzutippen. Nach Beendigung der Warenerfassung wickeln die Kassierer den Zahlungsvorgang – bar oder mit Karte – mit dem Kunden ab. Erfolgt eine Zahlung mit Bargeld, ist dessen Summe in die Kasse einzugeben. Den Wechselgeldbetrag ermittelt die Kasse. Für Reklamationen und den Umtausch von Waren ist eine Reklamationsabteilung eingerichtet.
Rz. 9
Die Klägerin erhielt zuletzt Vergütung nach der Beschäftigungsgruppe II GTV. Mit Schreiben vom 23. Oktober 2006 machte die Klägerin bei der Beklagten erfolglos die Eingruppierung in die Beschäftigungsgruppe III und die entsprechende Vergütung für Zeit vom 1. Juli 2006 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 30. September 2006 geltend.
Rz. 10
Mit ihrer Klage verfolgt sie ihre Ansprüche auf die Differenzvergütung in rechnerisch unstreitiger Höhe weiter.
Rz. 11
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei in die Beschäftigungsgruppe III GTV einzureihen. Die Beklagte betreibe einen Verbrauchermarkt, da sie zumindest mit ihrem Randsortiment eine Vielzahl von Waren aus dem kurz- und mittelfristigen Bedarf veräußere. Im Übrigen sei sie als Kassiererin an einer “sonstigen SB-Kasse” im Sinne des Tätigkeitsmerkmals beschäftigt gewesen. Eine solche sei vom GTV gemeint, wenn sie sich wie bei der Beklagten auf eine Verkaufseinheit beziehe, in der aufgrund der enormen Größe und des hohen Publikumverkehrs einem Verbrauchermarkt entsprechende verdichtete Arbeitsvorgänge bestünden. Auch sei die Kasse als Etagenkasse im Sinne des GTV anzusehen, da dort das gesamte Sortiment der Beklagten für zwei Etagen abkassiert werde. Überdies habe sie ihre Tätigkeit selbständig im Rahmen allgemeiner Anweisungen ausgeübt.
Rz. 12
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 180,08 Euro brutto sowie 2,18 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 1. August 2006 zu bezahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 180,08 Euro brutto sowie 1,32 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 1. September 2006 zu bezahlen;
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 279,69 Euro brutto sowie 3,75 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 1. Oktober 2006 zu bezahlen.
Rz. 13
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Ihr Einrichtungshaus sei kein Verbrauchermarkt im Sinne des GTV. Das Sortiment eines Verbrauchermarkts zeichne sich durch Waren des täglichen Bedarfs aus. Auch das Randsortiment der Beklagten umfasse jedoch weit überwiegend langlebige Waren des Einrichtungsbedarfs mit einer Verwendungszeit von zwei bis drei Jahren. Zudem werde das Einrichtungshaus auch nicht als Selbstbedienungsladen geführt, da die Fachverkäufer in den Abteilungen des Möbelbereichs den Kunden im Bedarfsfall für eine Beratung zur Verfügung stünden und der Kunde einen Einkauf dort nur durch den Kontakt mit dem Verkäufer tätigen könne. Die Klägerin habe auch nicht an einer Etagenkasse gearbeitet. Sie habe weder gehobene Kassiertätigkeit noch selbständig Tätigkeiten im Rahmen allgemeiner Anweisungen ausgeübt. Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien seien hierfür zusätzliche Aufgaben, wie zB das Geldwechseln für umliegende Abteilungen, das Kassieren von Anzahlungen, die Warenrücknahme, die Anfertigung von Kundenrechnungen, die Annahme von Änderungsaufträgen oder das Erstellen von Versandpapieren erforderlich. Nach dem sog. Kassenleitfaden der Beklagten seien die Kassierer bei Artikeln aus der “Fundgrube” nicht befugt, die Preise für die Artikel der “Verkaufsgruppe 88” selbst zu vergeben.
Rz. 14
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Rz. 15
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie ist nicht verpflichtet, der Klägerin die geforderten Differenzbeträge der Vergütung zwischen der Beschäftigungsgruppe II und III GTV für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 30. September 2006 zu zahlen. Die Tätigkeit der Klägerin erfüllte nicht das Tätigkeitsmerkmal der Beschäftigungsgruppe III GTV.
Rz. 16
1. Nach dem Arbeitsvertrag der Klägerin fanden sowohl der GTV als auch der MTV auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Hierüber besteht zwischen den Parteien kein Streit.
Rz. 17
2. Nach § 11 Ziff. 2 Satz 1 und Ziff. 6 MTV richtet sich die Einreihung der Angestellten in die Beschäftigungsgruppen nach der von ihnen überwiegend ausgeübten Tätigkeit.
Rz. 18
3. Die überwiegend ausgeübte Tätigkeit der Klägerin erfüllt weder ein Tätigkeitsbeispiel noch den allgemeinen Oberbegriff des Tätigkeitsmerkmals der Beschäftigungsgruppe III GTV.
Rz. 19
a) Den in den Beschäftigungsgruppen jeweils ausdrücklich genannten Tätigkeitsbeispielen kommt dabei gegenüber den allgemeinen Oberbegriffen der Tätigkeitsmerkmale eigenständige Bedeutung zu.
Rz. 20
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind bei Vergütungsgruppen, in denen allgemein gefassten Tätigkeitsmerkmalen konkrete Beispiele beigefügt sind, die Erfordernisse der Tätigkeitsmerkmale regelmäßig dann erfüllt, wenn der Arbeitnehmer eine den Beispielen entsprechende Tätigkeit ausübt (vgl. nur BAG 25. Februar 2009 – 4 AZR 20/08 – Rn. 32, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 310; 25. Oktober 1995 – 4 AZR 495/94 – juris-Rn. 47 mwN, AP BAT §§ 22, 23 Sozialarbeiter Nr. 21). Dies hat seinen Grund darin, dass die Tarifvertragsparteien selbst im Rahmen ihrer rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten gewisse häufig vorkommende und typische Tätigkeiten einer bestimmten Vergütungsgruppe zuordnen können. Ob es sich dabei um eine den allgemeinen Merkmalen entsprechende Tätigkeit handelt, braucht in diesem Fall nicht mehr geprüft zu werden (vgl. nur BAG 10. März 1999 – 4 AZR 246/98 – juris-Rn. 42 mwN). Auf die allgemeinen Tätigkeitsmerkmale ist nur dann zurückzugreifen, wenn das Tätigkeitsbeispiel selbst unbestimmte Rechtsbegriffe enthält, die nicht aus sich heraus ausgelegt werden können oder wenn dasselbe Tätigkeitsbeispiel in mehreren Beschäftigungsgruppen auftaucht und damit als Kriterium für eine bestimmte Beschäftigungsgruppe ausscheidet (BAG 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121, 126).
Rz. 21
bb) Von diesen Grundsätzen gehen auch die Tarifvertragsparteien des MTV und GTV Einzelhandel Baden-Württemberg aus. Dies hat das Bundesarbeitsgericht für die insoweit gleichlautenden Regelungen der vorhergehenden Manteltarifverträge des Einzelhandels in Baden-Württemberg vom 1. April 1980 (dazu BAG 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121, 125 ff.), vom 7. Mai 1985 (dazu BAG 9. September 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 17) und vom 13. Januar 1994 (dazu BAG 17. April 2003 – 8 AZR 482/01 – juris-Rn. 52) bereits entschieden. Für den MTV vom 22. März 2006 gilt nichts anderes. Weder aus dem Wortlaut des Tarifvertrags noch aus dem tariflichen Zusammenhang lässt sich entnehmen, dass die Tarifvertragsparteien mit den Regelungen in § 11 Ziff. 2 Satz 2 und 3 MTV – abweichend von der langjährigen Rechtsprechung zu den Vorgängertarifverträgen – zum Ausdruck bringen wollten, dass den Tätigkeitsbeispielen des GTV keine eigenständige Bedeutung zukommen soll. Der Grundsatz, dass für die Einreihung von Arbeitnehmern in ein abstraktes Vergütungsschema die etwaigen Tätigkeitsbeispielen vorangestellten abstrakt beschriebenen Tätigkeitsmerkmale maßgebend sind, gilt für die Eingruppierung in fast allen Branchen. Dass Tarifverträge auch Beispielstätigkeiten festlegen und damit bei deren Vorliegen eine gesonderte Prüfung der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale überflüssig machen, steht hierzu nicht in Widerspruch. Soweit nach § 11 Ziff. 2 Satz 3 MTV die in den Beschäftigungsgruppen aufgeführten Beispiele weder erschöpfend noch für jeden Betrieb zutreffend sind, bedeutet dies lediglich, dass die Nichtzugehörigkeit eines Beschäftigten zu einem Tätigkeitsbeispiel nicht seine Eingruppierung in die betreffende Gruppe hindert (ausf. BAG 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121, 126 f.).
Rz. 22
b) Die Tätigkeit der Klägerin erfüllte keines der zum Tätigkeitsmerkmal der Beschäftigungsgruppe III GTV von den Tarifvertragsparteien angeführten Tätigkeitsbeispiele.
Rz. 23
aa) Sie war nicht als “Kassiererin an einer Verbrauchermarktkasse” tätig.
Rz. 24
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wollen die Tarifvertragsparteien des Einzelhandels den Begriff des Verbrauchermarkts mangels eigener Definition so anwenden, wie er üblicherweise im Handelsverkehr und Wirtschaftsleben verstanden wird und damit den Anschauungen der beteiligten Berufskreise und dem Handelsbrauch (§ 346 HGB) entspricht (vgl. ausf. BAG 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121, 129 f.; 8. Februar 1984 – 4 AZR 406/83 u. 407/83 – jeweils juris-Rn. 26 ff.; 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 18; 15. November 2001 – 8 AZR 113/01 – juris-Rn. 29 f.; 17. April 2003 – 8 AZR 482/01 – juris-Rn. 44 f.; zum branchenspezifischen Verständnis eines Tarifbegriffs vgl. nur BAG 21. August 2002 – 4 AZR 223/01 – BAGE 102, 282, 289 ff.; 18. November 2004 – 8 AZR 540/03 – juris-Rn. 22, AP TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel Nr. 88, zum Begriff des “Warenhauses”). Da sich zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Senats vom 8. Februar 1984 (– 4 AZR 158/83 – aaO; – 4 AZR 406/83 u. 407/83 –) und vom 9. Dezember 1987 (– 4 AZR 461/87 –) übereinstimmende Vorstellungen vom Begriff des Verbrauchermarktes in den einschlägigen Fachkreisen (noch) nicht feststellen ließen, hat der Senat seinerzeit zur weiteren Konkretisierung auf die überwiegende Meinung in den einschlägigen Fachkreisen, soweit sie im Fachschrifttum festzustellen war, zurückgegriffen. Danach ist unter einem Verbrauchermarkt ein Ladengeschäft des Einzelhandels zu verstehen, das eine Verkaufsfläche von mindestens 1.000,00 m2 aufweist, sowohl Nahrungs- und Genussmittel als auch andere Waren des kurz- und mittelfristigen Bedarfs (sog. “Non-Food-Bereich”) anbietet, vorwiegend als Selbstbedienungsladen geführt wird und verkehrsgünstig mit guter Parkmöglichkeit gelegen ist, zB in Stadtrandlage (vgl. nur 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121, 131; 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 18).
Rz. 25
(2) An dieser Auslegung hält der Senat fest.
Rz. 26
(a) Die Verwendung bzw. Definition des Begriffs “Verbrauchermarkt” hat in der Fachliteratur seit den 80er Jahren keine wesentliche Änderung erfahren (so auch BAG 17. April 2003 – 8 AZR 482/01 – juris-Rn. 45). Gemäß den Definitionen zu Handel und Distribution (Institut für Handelsforschung an der Universität zu Köln Katalog E 5. Ausgabe 2006 S. 60) ist ein Verbrauchermarkt “ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb, der ein breites und tiefes Sortiment an Nahrungs- und Genussmitteln und an Ge- und Verbrauchsgütern des kurz- und mittelfristigen Bedarfs überwiegend in Selbstbedienung anbietet; häufig wird entweder auf eine Dauerniedrigpreispolitik oder eine Sonderangebotspolitik abgestellt. Die Verkaufsfläche liegt nach der amtlichen Statistik bei mindestens 1.000,00 m2, nach der Abgrenzung des EuroHandelsinstituts bei 1.500,00 m2, nach Panelinstituten bei mindestens 800,00 m2. Der Standort ist in der Regel autokundenorientiert, entweder in Alleinlage oder innerhalb von Einzelhandelszentren”. Typische Merkmale für den Verbrauchermarkt sind – neben seiner Größe und seiner Lage – damit die Selbstbedienung und die Breite des Sortiments an Nahrungs- und Genussmitteln sowie sog. Non-Food-Artikeln (vgl. Vahlens Großes Wirtschaftslexikon 2. Aufl. Bd. 2 S. 793; Gabler Wirtschaftslexikon 16. Aufl. S. 3095; Brockhaus Enzyklopädie 21. Aufl. 2006 Bd. 28 Stichwort: Verbrauchermarkt; Die Zeit Das Lexikon 2005 Bd. 15 S. 364; Bühner Managementlexikon S. 341).
Rz. 27
(b) Die Tarifvertragsparteien des Einzelhandels in Baden-Württemberg haben seit den grundlegenden Entscheidungen des Senats aus den Jahren 1984 und 1987 den Begriff des “Verbrauchermarktes” weiterhin unverändert und ohne eigene abweichende Begriffsbestimmung in den nachfolgenden Gehaltstarifverträgen übernommen. Dies spricht dafür, dass auch die Tarifvertragsparteien die Auslegung des Senats für zutreffend halten (BAG 17. April 2003 – 8 AZR 482/01 – juris-Rn. 46; 15. November 2001 – 8 AZR 113/01 – juris-Rn. 31).
Rz. 28
(3) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist das Einrichtungshaus der Beklagten kein Verbrauchermarkt im Sinne des Tarifvertrages.
Rz. 29
(a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass sich ein Verbrauchermarkt insbesondere durch seine Größe und die Vielfalt des Sortiments auszeichne, während es auf die Anteile und die Qualität der auf die einzelnen Bereiche entfallenden Waren für die Eingruppierung der Kassierer nicht entscheidend ankomme.
Rz. 30
(b) Damit hat es den Begriff des Verbrauchermarktes im Sinne des Tarifvertrages verkannt. Das Tätigkeitsbeispiel enthält mit der an der Definition des Bundesarbeitsgerichts in den genannten Entscheidungen orientierten, mehrfach bestätigten Voraussetzung, es müsse sich um einen Verbrauchermarkt handeln, ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal. Es geht dabei tariflich nicht um einen Typus einer bestimmten Form von Verkaufsstätte, die verschiedene Merkmale aufweist, von denen auch ein Verbrauchermarkt geprägt sein kann, sondern um die Merkmale eines Verbrauchermarktes, die sämtlich vorliegen müssen. Mit dieser Erhebung eines durch bestimmte Merkmale gekennzeichneten Einzelhandelsgeschäftes zu einem Tatbestandsmerkmal eines Tätigkeitsbeispiels haben die Tarifvertragsparteien für dieses Tätigkeitsbeispiel gerade die Erfüllung sämtlicher Anforderungen vorausgesetzt. Es muss sich um einen Verbrauchermarkt handeln und nicht um ein Einzelhandelsgeschäft, in dem an die Kassierer ähnliche Anforderungen gestellt werden wie an solche in einem Verbrauchermarkt. Soweit es sich um tariflich gleichwertige Tätigkeit handeln soll, kann dies nur über andere Tätigkeitsbeispiele, wenn deren Voraussetzungen vollständig vorliegen, oder über den allgemeinen Oberbegriff festgestellt werden. Ansonsten müsste auch bei zweifelsfreiem Vorliegen eines Verbrauchermarktes jeweils gesondert festgestellt werden, ob auch die Anforderungen an eine Kassierertätigkeit nicht ausnahmsweise untypisch für einen Verbrauchermarkt wären. Dies ist mit der Benennung von Tätigkeitsbeispielen tariflich jedoch gerade nicht vorgesehen. Die Erfüllung des Tätigkeitsbeispiels ist für die entsprechende Eingruppierung ohne Rückgriff auf die allgemeinen Oberbegriffe ausreichend, aber auch erforderlich.
Rz. 31
Insofern stellt schon das Landesarbeitsgericht fest, dass der fragliche Betrieb der Beklagten nicht alle Voraussetzungen erfüllt, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an einen Verbrauchermarkt gestellt werden. Der Nahrungs- und Genussmittelbereich ist verschwindend gering. Auch der Großteil der sonstigen Güter ist für den mittel- und langfristigen Verbrauch bestimmt. Nach dem für die Auslegung des GTV maßgeblichen Verständnis sowohl der einschlägigen Fachkreise als auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zeichnet sich ein Verbrauchermarkt jedoch gerade dadurch aus, dass ein breites Sortiment vorhanden ist, welches sowohl Nahrungs- und Genussmittel als auch sonstige Waren aus dem sog. Non-Food-Bereich umfasst, die für eine Selbstbedienung geeignet sind und rasch umgeschlagen werden können (vgl. Vahlens Großes Wirtschaftslexikon 2. Aufl. Bd. 2 S. 793). Dies bedeutet, dass beide Warenbereiche in einem nicht unerheblichen Umfang vorhanden sein müssen (BAG 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 20). Dies ist bei der Beklagten jedoch selbst nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht der Fall. Zudem handelt es sich bei den Waren aus dem Randsortiment der Beklagten nicht um Ge- und Verbrauchsgüter des kurz- und mittelfristigen Bedarfs. Das Randsortiment umfasst Haushaltswaren, Bilder, Kunstgegenstände, Heimtextilien, Bettwaren, Beleuchtungskörper, Teppiche und Fußböden. Bei diesen Gegenständen handelt es sich jedoch um Konsumgüter, die entweder dem dauerhaften oder zumindest dem mittel- bis längerfristigen Gebrauch dienen; hiervon geht auch das Landesarbeitsgericht aus.
Rz. 32
bb) Die Klägerin war auch nicht als “Kassiererin an einer Etagenkasse” im Sinne der Beschäftigungsgruppe III GTV tätig.
Rz. 33
(1) Der Begriff der Etagenkasse hat in der Rechtsterminologie keine fest umrissene Bedeutung. Auch eine branchenspezifische Vorstellung über seinen Inhalt und ein allgemeiner Sprachgebrauch lassen sich nicht feststellen. Der Wortlaut lässt darauf schließen, dass unter einer Etagenkasse eine Kasse zu verstehen ist, die räumlich für ein Stockwerk eines mehrere Etagen umfassenden Einzelhandelbetriebes zuständig ist (BAG 8. Februar 1984 – 4 AZR 465/81 – juris-Rn. 22). Aus der Entstehungsgeschichte dieses Tätigkeitsbeispiels ergibt sich jedoch, dass der Etagenkasse neben ihrer räumlichen Zuständigkeit gegenüber den sonstigen Kassen weitergehende oder übergeordnete Funktionen zukommen müssen (BAG 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 23 unter Verweis auf die Funktion einer Etagenkasse). Der Gehalts- und Lohntarifvertrag für den Einzelhandel in Baden-Württemberg vom 29. Mai 1974 enthielt in der Beschäftigungsgruppe III als Regelbeispiel lediglich die “Kassierer an Sammelkassen und in Verbrauchermärkten”. Das übergeordnete Richtbeispiel des “Kassierers mit gehobener Tätigkeit” wurde erstmals zusammen mit den diesen Begriff konkretisierenden Tätigkeitsbeispielen “z.B. an Etagen-, Bereichs- und Regionalkassen” durch den zum 1. März 1975 in Kraft getretenen Gehalts- und Lohntarifvertrag vom 21. März 1975 in die Beschäftigungsgruppe III aufgenommen. Aus dieser Verknüpfung lässt sich ableiten, dass sich die Aufgaben einer Etagenkasse nicht auf die Durchführung der schon von der Beschäftigungsgruppe II GTV erfassten reinen Kassiervorgänge beschränken sollten, sondern dass weitergehende Elemente vorhanden sein müssen, die die Tätigkeit an einer derartigen Kasse zu einer “gehobenen” machen. Bestätigt wird diese Auslegung auch durch die Tarifsystematik. In den Tätigkeitsbeispielen der Beschäftigungsgruppe III GTV sind neben den Etagen-, Bereichs-, Regional- und Sammelkassen als davon getrennter Bereich die Verbrauchermarkt- und sonstigen SB-Kassen in der Beschäftigungsgruppe III GTV erwähnt. Damit haben die Tarifvertragsparteien den Kassen ohne besondere übergeordnete Funktion die Kassen mit derartigen Funktionen gegenübergestellt (BAG 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 24). Bezugspunkt der höheren Vergütung für die Arbeit an einer Etagenkasse ist daher deren übergeordnete Stellung in einer Art “Hierarchie der Kassen” und nicht vorwiegend die räumlich-funktionelle Zuordnung zu den Warenangeboten einer Etage.
Rz. 34
(2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe stellen die Ausgangskassen bei der Beklagten keine Etagenkassen im Sinne des GTV dar. Anhaltspunkte, dass diese Kassen gegenüber den anderen Kassen im Restaurant und im sog. Sshop weitergehende oder übergeordnete Funktionen haben, sind weder ersichtlich, noch von der Klägerin behauptet worden.
Rz. 35
cc) Die Klägerin erfüllte auch nicht das Tätigkeitsbeispiel einer “Kassiererin an einer Sammelkasse”.
Rz. 36
(1) Nach der Senatsrechtsprechung liegt eine Sammelkasse im Sinne des GTV nur vor, wenn an dieser Kasse abteilungsübergreifend gegenüber anderen vorhandenen Kassen bestimmte besondere Kassenangelegenheiten erledigt werden (BAG 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 23; ebenso 10. April 1996 – 10 AZR 758/95 – juris-Rn. 21 für den GTV Einzelhandel NRW). Entscheidend hierfür ist, dass nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang die Sammel- mit den Etagen-, Bereichs- und Regionalkassen auf eine Stufe gestellt wurden. Damit haben die Tarifvertragsparteien erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass auch die Sammelkasse übergeordnete Aufgaben oder Funktionen wahrzunehmen hat (BAG 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 23 f.).
Rz. 37
(2) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts werden an den Ausgangskassen der Beklagten keine gegenüber den anderen im Betrieb vorhandenen Kassen besonderen Kassenangelegenheiten erledigt. Für den Umtausch oder die Reklamation von Waren hat die Beklagte eine spezielle Abteilung eingerichtet. Allein der Umstand, dass an den – zahlreichen – Ausgangskassen fast der gesamte Umsatz des Einrichtungshauses abgewickelt wird, reicht für die Erfüllung der Beispielstätigkeit nicht aus.
Rz. 38
dd) Die Auffassung der Klägerin, sie erfülle jedenfalls das Tätigkeitsbeispiel einer “Kassiererin an einer sonstigen SB-Kasse” nach der Beschäftigungsgruppe III GTV, weil sich die von ihr bediente Kasse auf eine Verkaufseinheit mit Selbstbedienung beziehe, in der wegen der enormen Größe und des hohen Publikumverkehrs einem Verbrauchermarkt entsprechende, verdichtete Arbeitsvorgänge bestünden, ist unzutreffend. Der “Kassierer an SB-Kassen” ist auch als Tätigkeitsbeispiel der Beschäftigungsgruppe II GTV aufgeführt. Damit scheidet es als eigenständiges Kriterium der Beschäftigungsgruppe III GTV aus. Zur Unterscheidung der Kassierer an SB-Kassen der Beschäftigungsgruppe II GTV und der Kassierer an SB-Kassen der Beschäftigungsgruppe III GTV muss vielmehr auf die in den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen aufgeführten Begriffe der im Rahmen allgemeiner Anweisungen selbständig ausgeübten Tätigkeiten zurückgegriffen werden (BAG 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 24 f.; 8. Februar 1984 – 4 AZR 158/83 – BAGE 45, 121, 126, 128; vgl. auch 17. April 2003 – 8 AZR 482/01 – juris-Rn. 46).
Rz. 39
c) Die Klägerin erfüllt indes auch die allgemeinen Anforderungen aus dem Oberbegriff der Beschäftigungsgruppe III GTV nicht.
Rz. 40
aa) Das Landesarbeitsgericht hat nach seiner Auffassung konsequenterweise nicht geprüft, ob die Tätigkeiten der Klägerin ohne Abstellen auf die Tätigkeitsbeispiele möglicherweise das im Oberbegriff bestimmte allgemeine Tätigkeitsmerkmal der Beschäftigungsgruppe III GTV erfüllen. Gleichwohl kann der Senat in der Sache selbst entscheiden. Denn auch nach dem Vortrag der für das Vorliegen einer im Rahmen allgemeiner Anweisungen selbständig ausgeübten Tätigkeit darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin hat diese als Kassiererin bei der Beklagten nicht überwiegend (§ 11 Ziff. 6 MTV) Tätigkeiten durchgeführt, die das Erfordernis der Selbständigkeit im Tarifsinne erfüllen.
Rz. 41
bb) Die Tarifvertragsparteien haben nicht näher erläutert, was sie unter dem Begriff “selbständig” verstehen. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Tarifvertrag ist deshalb vom allgemeinen, abstrakten Begriff der Selbständigkeit auszugehen. Danach verlangt Selbständigkeit eine gewisse eigene Entscheidungsbefugnis über den zur Erbringung seiner Leistungen jeweils einzuschlagenden Weg und das zu findende Ergebnis und damit zugleich auch eine gewisse Eigenständigkeit des Aufgabenbereiches, ohne dass dadurch die fachliche Anleitung oder die Abhängigkeit von Weisungen Vorgesetzter ausgeschlossen wird (BAG 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 25 ausdrücklich zum GTV; zur “Selbständigkeit” in anderen Vergütungsordnungen entsprechend 8. November 2006 – 4 AZR 620/05 – Rn. 24, AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 304; 14. April 1999 – 4 AZR 189/98 – BAGE 91, 163, 174 f.; 19. April 1978 – 4 AZR 721/76 – BAGE 20, 229, 238 f.).
Rz. 42
cc) Bei Anwendung dieser Maßstäbe hat die Klägerin nicht überwiegend Tätigkeiten selbständig im Rahmen allgemeiner Anweisungen ausgeübt.
Rz. 43
(1) Dabei kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass der von ihr vorgetragene Sachverhalt zutrifft. Danach gehört es zu ihrem Aufgabenkreis, regelmäßig neue Kolleginnen und Kollegen in die Bedienung der Kasse und den Umgang mit den Kunden einzuweisen, was – so der unbestrittene Vortrag der Beklagten – zwischen ein und drei Stunden dauert und im Jahr 2006 bei jeder dritten Kassiererin im fraglichen Geschäft einmal geschehen ist. Ferner war sie berechtigt, Stornierungen an der Kasse selbst vorzunehmen, ohne die Kassenaufsicht heranzuziehen. Bei Produkten aus der “Fundgrube” kommt es öfter vor, dass das Preisschild fehlt. In diesem Fall ist sie berechtigt, entweder dem Kunden Glauben zu schenken, wenn er den vermeintlich ausgezeichneten Preis nennt, oder den Verkauf nicht durchzuführen. Sie hat zudem die Befugnis, den Kassenrechner herunterzufahren und neu zu starten, wenn dieser sich “aufhängt”. Außerdem kommt es vor, dass der Kunde beim Bezahlen der Möbelhausaufträge Fehler bemerkt. In diesen Fällen darf sie entscheiden, ob sie den Kunden zum Informationsbereich schickt oder selbst mit der Fachabteilung telefoniert, um den Auftrag ändern zu lassen.
Rz. 44
(2) Dies reicht nicht, um von der selbständigen Ausübung der Tätigkeiten im tariflichen Sinne auszugehen. Weder beim Vorgang der Warenerfassung noch beim eigentlichen Zahlungsvorgang ist die Klägerin befugt, eigene Entscheidungen über den Weg oder das Ergebnis der von ihr zu erbringenden Leistungen zu treffen. Diese Tätigkeit beschränkte sich lediglich auf das Einscannen der Waren, das Eintippen von Buchungsnummern oder Preisen und das Kassieren – in bar oder per Karte – beim Kunden. Auch die Berechtigung, Stornierungen ohne Kassenaufsicht vorzunehmen und die EDV-gesteuerte Kasse im Störungsfall herunterzufahren und neu zu starten, lässt keine Entscheidungsbefugnisse der Klägerin über den einzuschlagenden Weg oder das Ergebnis ihrer Arbeitsleistung erkennen. Gleiches gilt für den Vortrag der Klägerin über ihre jeweiligen Handlungsmöglichkeiten bei etwaigen, von den Kunden erst an der Kasse bemerkten Fehlern in den Möbelhausaufträgen oder fehlenden Preisschildern an Artikeln aus der “Fundgrube”. Die Klägerin verkennt, dass die für eine selbständige Tätigkeit erforderliche Entscheidungsbefugnis nicht schon dann anzunehmen ist, wenn lediglich die Wahl zwischen zwei vorgegebenen Handlungsalternativen besteht. Soweit die Klägerin darüber hinaus behauptet hat, regelmäßig neue Kollegen und Kolleginnen eingelernt zu haben, ist schon nicht ersichtlich, dass diese Aufgaben trotz ihres geringen zeitlichen Umfangs ihre überwiegende Tätigkeit iSv. § 11 Ziff. 6 MTV entsprechend prägen, so dass es auf den unbestrittenen Vortrag der Beklagten, neue, vorher im Büro eingewiesene Kassierer sähen dabei der länger beschäftigen Kassenkraft lediglich über die Schulter und bedienten anschließend kurzzeitig unter Aufsicht die Kasse selbst, nicht ankommt. Im Übrigen kann auch diesem Vortrag nicht entnommen werden, dass die Klägerin befugt gewesen wäre, eigene Entscheidungen etwa darüber zu treffen, auf welchem Weg die Einarbeitung durchgeführt werden sollte. Dass bei der Beklagten wegen der Größe des Einrichtungshauses und des hohen Publikumsverkehrs dichtere Arbeitsvorgänge als in kleinen Einzelhandelsgeschäften bestehen, mag die Umstände, unter denen die Arbeit zu erbringen ist, erschweren, hat aber mit der Selbständigkeit der Tätigkeit nichts zu tun (vgl. BAG 9. Dezember 1987 – 4 AZR 461/87 – juris-Rn. 26). Erschwerende Umstände bei der Tätigkeit werden von den Tarifvertragsparteien lediglich durch die – vorliegend nicht einschlägige – Funktionszulage für Kassierer in Schnell- und Selbstbedienungsläden des Lebensmitteleinzelhandels, nicht jedoch im Rahmen der allgemeinen Tätigkeitsmerkmale der Beschäftigungsgruppe III GTV honoriert. Diese Bewertung liegt grundsätzlich im Rahmen der tariflichen Regelungsfreiheit. Eine Überprüfung der Billigkeit und Angemessenheit tariflicher Tätigkeitsbewertungen scheidet im Hinblick auf die durch Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie aus (vgl. BAG 17. April 2003 – 8 AZR 482/01 – juris-Rn. 48).
Rz. 45
4. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen, weil sie unterlegen ist (§ 91 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Bepler, Winter, Creutzfeldt, H. Klotz, T. Hess
Fundstellen
Haufe-Index 2306110 |
DB 2010, 680 |