Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifauslegung. Eingruppierung. Tariflücke. Eingruppierung eines Erziehers in einer Vergütungsordnung ohne entsprechendes Tätigkeitsmerkmal
Orientierungssatz
1. Übt ein Arbeitnehmer im Geltungsbereich eines Tarifvertrages, der eine Vergütungsordnung enthält, eine Tätigkeit aus, die nicht von den in dieser Vergütungsordnung enthaltenen Tätigkeitsmerkmalen erfasst wird, handelt es sich um eine Tariflücke.
2. Die Gerichte für Arbeitssachen sind nur unter bestimmten Voraussetzungen zur Schließung einer solchen Tariflücke (etwa durch eine “sinngemäße” Anwendung der bestehenden Vergütungsordnung) berechtigt:
a) Es darf sich nicht um eine bewusste Auslassung der Tarifvertragsparteien handeln.
b) Aus dem Tarifvertrag selbst müssen sich hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Tarifvertragsparteien beabsichtigten, eine vollständige Regelung für alle im Geltungsbereich ausgeübten Tätigkeiten zu schaffen.
c) Die Tätigkeitsmerkmale der vereinbarten Vergütungsgruppen müssen eindeutige Hinweise darauf geben, wie die Tarifvertragsparteien die nicht berücksichtigte Tätigkeit bewertet hätten.
3. Die Tätigkeit eines Erziehers wird durch die Tätigkeitsmerkmale des MTV Pro Seniore, Anlage B nicht erfasst. Ein Erzieher ist auch nicht entsprechend den im MTV Pro Seniore geregelten Tätigkeitsmerkmalen eines Beschäftigungstherapeuten eingruppiert.
Normenkette
Manteltarifvertrag von 24. September 2004 zwischen der Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG sowie der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (MTV Pro Seniore) § 12, Anlage B
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 8. Mai 2007 – 19 Sa 17/07 und 19 Sa 147/07 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die tarifgerechte Vergütung des Klägers.
Der 39-jährige Kläger ist seit dem 1. Oktober 1991 staatlich anerkannter Erzieher. Er ist seit dem 1. Juli 2006 verheiratet, einem Kind unterhaltspflichtig und seit dem 1. Oktober 2004 Mitglied der Gewerkschaft ver.di.
Die Beklagte betreibt in Berlin ein Krankenheim und ein sozialtherapeutisches Wohnprojekt. Der Kläger wurde von der Rechtsvorgängerin der Beklagten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrages vom 1. März 1998 als Erzieher eingestellt. Als Arbeitsentgelt wurde eine monatliche Vergütung von 3.602,80 DM zuzüglich einer monatlichen Leistungszulage von 360,28 DM brutto gem. § 16 der Anlage zum Arbeitsvertrag vereinbart.
Der Kläger wird mit 40 Wochenstunden von der Beklagten als Erzieher beschäftigt. In dieser Funktion betreut er in dem sozialtherapeutischen Wohnprojekt zehn Personen, die an verschiedenen Formen der Schizophrenie leiden, daneben als Mitbetreuer weitere zehn Personen in einer anderen Wohngruppe der Beklagten. Die Beklagte zahlt an den Kläger zumindest seit Januar 2005 entsprechend dem bis dahin dafür unstreitig maßgebenden Arbeitsvertrag der Parteien eine Grundvergütung iHv. 1.878,93 Euro brutto sowie eine Leistungszulage gem. § 16 der Anlage zum Arbeitsvertrag iHv. 276,31 Euro brutto.
Am 24. September 2004 unterzeichneten die Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG (Pro Seniore AG) und die Gewerkschaft ver.di verschiedene Tarifverträge, nämlich den Manteltarifvertrag (MTV) mit den Anlagen A und B, den Tarifvertrag über eine Zuwendung und den Vergütungstarifvertrag Nr. 1. Der betriebliche Geltungsbereich der Tarifverträge wurde – in teilweise voneinander abweichenden Formulierungen – auf die in der Anlage A zum MTV auf die im Einzelnen aufgeführten 21 zum Konzern der Pro Seniore AG gehörenden Seniorenbetriebsgesellschaften mit insgesamt ebenfalls aufgeführten 96 “Residenzen” (Einrichtungen) erstreckt. Die Beklagte ist in der Anlage A zum Manteltarifvertrag vom 24. September 2004 angeführt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, er sei seit dem 1. Januar 2005 in der VergGr. Vb der Anlage B – Beschäftigungstherapeuten – zum MTV eingruppiert. Zwar sehe der MTV für die von ihm ausgeübte Tätigkeit als Erzieher kein ausdrückliches Tätigkeitsmerkmal vor. Dabei handele es sich jedoch um eine unbewusste Tariflücke, die nach Maßgabe des mutmaßlichen Willens der Tarifvertragsparteien dadurch zu schließen sei, dass die Eingruppierungsregelungen für Beschäftigungstherapeuten zur Anwendung kämen. Es sei das erklärte Ziel der Tarifvertragsparteien gewesen, mit dem Abschluss des MTV eine Regelung für alle Mitarbeiter des Konzerns zu finden. Die Tätigkeit eines staatlich anerkannten Erziehers sei der eines staatlich anerkannten Beschäftigungstherapeuten vergleichbar. Beide Berufe unterschieden sich weder von der Ausbildung noch von den inhaltlichen Anforderungen her grundlegend. Auch das Vergütungssystem des BAT, welches als Vorbild für die Regelungen der Anlage B des MTV gedient habe, sehe Vergütungsgruppen für Erzieher vor. Innerhalb der Eingruppierungsregelungen für Beschäftigungstherapeuten verrichte er überwiegend schwierige Aufgaben iSd. VergGr. VIb Fallgr. 1. Die Arbeit mit schwerwiegend psychisch kranken Menschen entspreche dem in diesem Tätigkeitsmerkmal angeführten Beispiel der Tätigkeit “in der Psychiatrie”. Die für den Bewährungsaufstieg vorgesehene dreijährige Bewährungszeit der VergGr. Vb Fallgr. 2 sei nicht erst ab Inkrafttreten der Tarifverträge zum 1. Januar 2005, sondern ab Beginn des Arbeitsverhältnisses anzurechnen.
Der Kläger begehrt zuletzt die Zahlung der in rechnerischer Höhe unstreitigen Differenz zwischen der tariflichen Vergütung nach VergGr. Vb und der von der Beklagten gezahlten Grundvergütung für die Zeit von Dezember 2005 bis einschließlich Januar 2007. Die von der Beklagten gleichfalls gewährte Leistungszulage gem. § 16 der Anlage zum Arbeitsvertrag sei nicht in Anrechnung zu bringen, da es sich dabei um eine variable Vergütungsgröße handele, die selbstständig neben der Grundvergütung stehe, und im MTV keine vergleichbares leistungsabhängiges Vergütungskonzept vorgesehen sei.
Der Kläger hat zuletzt – soweit für die Revision noch von Bedeutung – in der Sache beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 7.448,85 Euro brutto nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 438,91 Euro seit dem 6. Januar, 7. Februar und 7. März 2006, aus jeweils 499,83 Euro seit dem 7. April, 8. Mai, 8. Juni und 7. Juli 2006 sowie aus jeweils 590,40 Euro seit dem 7. August, 7. September, 8. Oktober, 7. November, 7. Dezember 2006, 7. Januar und 7. Februar 2007;
2. festzustellen, dass der Kläger seit dem 1. Januar 2005 nach VergGr. Vb der Anlage B – Beschäftigungstherapeuten – zum Manteltarifvertrag (MTV) zwischen der Pro Seniore Consulting und Conception für Senioreneinrichtungen AG und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft vom 24. September 2004 zu vergüten ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat sich zuletzt nur noch darauf berufen, dass die tarifliche Vergütungsordnung auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht anwendbar sei, weil eine eigenständige Vergütungsgruppe für Erzieher dort nicht vorgesehen sei. Es liege keine unbewusste Tariflücke vor. Die Tarifparteien hätten eigenständige Eingruppierungsdefinitionen und ein neues Lohngefüge geschaffen und sich nicht nur an das Vergütungssystem des BAT angelehnt. Zudem seien die Berufe nicht vergleichbar. Während die Ausbildung eines Erziehers auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen gerichtet sei, ziele die Ausbildung eines Beschäftigungs- bzw. Ergotherapeuten auf ein breiteres Feld mit unterschiedlichen Patientengruppen. Ferner erfülle der Kläger nicht überwiegend schwierige Aufgaben im tariflichen Sinn. Er sei nicht “in der Psychiatrie” tätig. Bei dem sozialtherapeutischen Wohnprojekt handele es sich nicht um eine psychiatrische Einrichtung. Zielsetzung des Heims als “Wiedereingliederungseinrichtung” sei es vielmehr, das Rehabilitationspotenzial der Bewohner auszuloten. Die Tätigkeit des Klägers beschränke sich in der Gesamtschau im Wesentlichen auf die Hilfe bei dem Wiedererlernen alltagspraktischer Fähigkeiten. Zum größten Teil führe er eher einfache Aufgaben wie Spaziergänge oder Gesellschaftsspiele aus.
Das Arbeitsgericht hat der Klage – soweit für die Revision noch von Interesse – stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten die Klage insoweit abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Sachanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das arbeitsgerichtliche Urteil insoweit zu Recht abgeändert und die Klage abgewiesen. Der Kläger ist weder in der von ihm begehrten VergGr. Vb noch in der hilfsweise angeführten VergGr. Vc eingruppiert und hat deshalb auch keinen Anspruch auf die Zahlung der entsprechenden Vergütung. Die Tätigkeit des Klägers unterfällt nicht der Vergütungsordnung – Beschäftigungstherapeuten – der Anlage B zum MTV.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung hinsichtlich der in die Revision gelangten Streitpunkte – kurz zusammengefasst – damit begründet, dass der Kläger keinen Anspruch auf Vergütung nach VergGr. Vb der Anlage B zum MTV hat, weil die von ihm ausgeübte Tätigkeit sich in keinem Tätigkeitsmerkmal der betr. Vergütungsordnung finde. Es liege auch keine unbewusste Tariflücke vor, die es dem Gericht ausnahmsweise erlauben würde, sie durch die Anwendung einer entsprechenden sachnahen Regelung, hier: der Vergütungsordnung für Beschäftigungstherapeuten, zu füllen.
II. Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers ist unbegründet. Die Begründung des Landesarbeitsgerichts für die Abweisung der – auch im Antrag zu 2) als Eingruppierungsfeststellungsklage gem. § 256 ZPO zulässigen – Klage lässt keine entscheidungserheblichen Rechtsfehler erkennen.
1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der MTV kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung. Die Beklagte ist als tarifvertragsschließende Partei beim Abschluss des Tarifvertrages von der Konzernmuttergesellschaft wirksam vertreten worden (vgl. dazu Senat 17. Oktober 2007 – 4 AZR 1005/06 – AP TVG § 1 Nr. 40 = EzA TVG § 1 Nr. 48). Der Kläger ist Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft ver.di.
2. Die sich aus der Geltung des Tarifvertrages für das Arbeitsverhältnis der Parteien für die Ermittlung der Eingruppierung des Klägers ergebenden Vorschriften lauten:
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Eingruppierung
1. Die Eingruppierung der Arbeitnehmer richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsordnung (Anlage B). Der Arbeitnehmer erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe, in die er eingruppiert ist.
2. Der Arbeitnehmer ist in die Vergütungsgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht.
Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.
…”
Die in § 12 Ziff. 1 Satz 1 MTV in Bezug genommene Anlage B lautet auszugsweise wie folgt:
“Anlage B zum Manteltarifvertrag vom 24.09.2004
… Beschäftigungstherapeuten
…
Vergütungsgruppe Vb
1. …
2. Beschäftigungstherapeuten mit staatlicher Anerkennung in einer Tätigkeit der Vergütungsgruppe Vc Fallgruppe 1 nach dreijähriger Bewährung in dieser Tätigkeit.
Vergütungsgruppe VC
1. Beschäftigungstherapeuten mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit nach sechsmonatiger Berufsausübung nach erlangter staatlicher Anerkennung, die überwiegend schwierige Aufgaben im Sinne der Vergütungsgruppe VIb Fallgruppe 1 erfüllen.
2. …
Vergütungsgruppe VIb
1. Beschäftigungstherapeuten mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit, die in nicht unerheblichem Umfange schwierige Aufgaben erfüllen. (Schwierige Aufgaben sind z.B. Beschäftigungstherapie bei Querschnittlähmungen, in Kinderlähmungsfällen, mit spastisch Gelähmten, in Fällen von Dysmelien, in der Psychiatrie oder Geriatrie.)
2. Beschäftigungstherapeuten mit staatlicher Anerkennung und entsprechender Tätigkeit nach sechsmonatiger Berufsausübung nach erlangter staatlicher Anerkennung.”
3. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Vergütung nach VergGr. Vb noch den hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf Vergütung nach VergGr. Vc. Die ihm übertragene Tätigkeit erfüllt nicht die Voraussetzungen der hierfür herangezogenen tariflichen Tätigkeitsmerkmale.
a) Der auf Feststellung und Zahlung der tarifgerechten Vergütung gerichteten Klage kann nur stattgegeben werden, wenn die in der gesamten Arbeitszeit des Klägers angefallenen Arbeitsvorgänge im tariflich geforderten Umfang die Anforderungen eines oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale der von ihm in Anspruch genommenen Vergütungsgruppe erfüllen (§ 12 Nr. 2 MTV).
b) Auf die vom Arbeitsgericht aufgestellte Annahme, die Tätigkeit des Klägers stelle einen einzigen einheitlichen Arbeitsvorgang dar, kommt es in der Revision nicht an, weil der Kläger bei keinem denkbaren Zuschnitt seiner Arbeitsvorgänge ein Tätigkeitsmerkmal der VergGr. Vb oder Vc der Anlage B zum MTV erfüllt. Denn der Kläger ist nicht nach den Tätigkeitsmerkmalen für Beschäftigungstherapeuten der Anlage B zum MTV eingruppiert.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit der Vorinstanz und beiden Parteien angenommen, dass der Kläger eine Tätigkeit als Erzieher ausübt, für eine solche Tätigkeit kein Tätigkeitsmerkmal in der Vergütungsordnung der Anlage B zum MTV enthalten sei und insofern von einer Lücke gesprochen werden könne. Anders als die Vorinstanz ist das Berufungsgericht sodann davon ausgegangen, dass diese Lücke durch die Arbeitsgerichte nicht im Wege einer ergänzenden Auslegung oder Analogie geschlossen werden könne, weil es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür gebe, dass von den Tarifvertragsparteien diese Lücke nicht beabsichtigt gewesen sei. Die vom Arbeitsgericht angenommene Anlehnung an den BAT, aus der dieses die – potenzielle – Anwendung der dort in Anl. 1a Teil II Abschnitt G geregelten Tätigkeitsmerkmale für Erzieher durch die Tarifvertragsparteien schlussfolgert, sei nicht festzustellen.
bb) Dem folgt der Senat im Ergebnis und im Wesentlichen in der Begründung.
(1) Mit den Vorinstanzen und den Parteien ist davon auszugehen, dass der ausdrücklich als Erzieher eingestellte Kläger auch Erziehertätigkeiten ausübt. Die entsprechende Feststellung des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger unbeanstandet gelassen. Im Gegenteil beruft er sich in seiner Revisionsbegründung ausdrücklich darauf, dass er Erziehertätigkeiten ausübt, die denen eines Beschäftigungstherapeuten tariflich vergleichbar zu bewerten sind. Gleichfalls in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen und den Parteien ist davon auszugehen, dass die Tätigkeit eines Erziehers von keinem der in der Anlage B zum MTV genannten Tätigkeitsmerkmale unmittelbar erfasst ist.
(2) Erfüllt die Tätigkeit eines Arbeitnehmers im Geltungsbereich eines Tarifvertrages keines der in der tariflichen Vergütungsordnung geregelten Tätigkeitsmerkmale, handelt es sich um eine Tariflücke. Eine solche Tariflücke kann nur unter bestimmten Voraussetzungen durch die Arbeitsgerichte geschlossen werden.
(a) Es darf sich zum einen nicht um eine bewusste Auslassung der Tarifvertragsparteien handeln. Denn die Gerichte sind nicht befugt, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen zu “schaffen” oder eine schlechte Verhandlungsführung einer Tarifvertragspartei dadurch zu prämieren, dass ihr Vertragshilfe geleistet wird (so Wiedemann/Wank TVG 7. Aufl. § 1 Rn. 1038). Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie (Kempen/Zachert/Zachert TVG 4. Aufl. Grundlagen Rn. 402 mwN; zum Übergang von unbewusster zu bewusster Tariflücke vgl. Senat 26. August 1987 – 4 AZR 146/87 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 138).
(b) Aber auch nicht jede unbewusste Tariflücke darf durch die Gerichte geschlossen werden. Dafür ist es vielmehr erforderlich, dass sich aus dem Tarifvertrag selbst hinreichende Anhaltspunkte zum einen dafür ergeben, dass die Tarifvertragsparteien beabsichtigt hatten, eine vollständige Regelung für alle im Geltungsbereich des Tarifvertrages ausgeübten Tätigkeiten zu schaffen. Zum anderen müssen die Tätigkeitsmerkmale der vereinbarten Vergütungsordnung in ihrer Bewertung eindeutige Hinweise darauf ergeben, wie die Tarifvertragsparteien die nicht berücksichtigte Tätigkeit bewertet hätten (BAG 5. Oktober 1999 – 3 AZR 230/98 – BAGE 92, 310, 317; Senat 18. Mai 1988 – 4 AZR 775/87 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 145; vgl. ferner Kempen/Zachert/Zachert Rn. 402 ff. und Löwisch/Rieble TVG 2. Aufl. § 1 Rn. 594 ff., jeweils mwN).
(3) Im Streitfall spricht bereits viel dagegen, dass es sich um eine unbewusste Tariflücke handelt. Jedenfalls ist es den Gerichten für Arbeitssachen untersagt, diese Tariflücke zu schließen.
(a) Es kann dahinstehen, ob es sich wirklich um eine unbewusste Tariflücke handelt. Dafür mag zwar zunächst allgemein sprechen, dass das Schaffen einer neuen Vergütungsordnung für die Unternehmen eines Konzerns, die bisher sehr unterschiedliche Regelungen ablösen und bundesweit vereinheitlichen soll, jedenfalls keine Tätigkeiten unberücksichtigt lassen will, die zum Kernbereich der Konzerntochtergesellschaften gehören (so Senat 9. April 2008 – 4 AZR 117/07 –, für den MTV). Um eine solche Tätigkeit handelt es sich aber bei derjenigen eines Erziehers nicht. Denn außer der sozialtherapeutischen Wohngruppe in der Klinik der Beklagten gibt es keine Einrichtung im Geltungsbereich des MTV, die eine solche Dienstleistung eines Erziehers anbietet. Auch in der Liste der Einrichtungen in Anlage A zum MTV, für die der MTV gelten soll, ist das “Sozialtherapeutische Wohnprojekt” der Beklagten ausdrücklich genannt, aber als einzige der 96 dort aufgeführten mit diesem Begriff bezeichnet worden. Gegen die Annahme einer unbewussten Tariflücke spricht ferner, dass die Tarifvertragsparteien mit den Kinderkrankenschwestern und den Krankenschwestern, die nicht die Tätigkeit von Altenpflegerinnen ausüben, in der neuen Vergütungsordnung des MTV weitere Tätigkeiten bewusst ungeregelt gelassen haben, obwohl sie in Einrichtungen der Konzerntochterunternehmen ausgeübt werden. In den Vorbemerkungen zum Abschnitt – Pflegepersonal – der Anlage B zum MTV haben die Tarifvertragsparteien in den Nummern 2 und 3 geregelt, dass Krankenschwestern bzw. Kinderkrankenschwestern, “die die Tätigkeiten von Altenpflegerinnen ausüben, als Altenpflegerinnen eingruppiert” sind. Damit haben die Tarifvertragsparteien verdeutlicht, dass sie sich zumindest bewusst waren, dass Krankenschwestern und Kinderkrankenschwestern in den Einrichtungen beschäftigt werden. Für bestimmte dieser Arbeitnehmerinnen, nämlich diejenigen, die als Altenpflegerinnen beschäftigt werden, sollte eine entsprechende Eingruppierung erfolgen. Für die anderen, die zB eine Tätigkeit entsprechend ihrer Berufsbezeichnung ausüben, wurde keine Eingruppierungsnorm geschaffen, weder in der Vorbemerkung noch in der Vergütungsordnung selbst. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, die Tarifvertragsparteien hätten damit deutlich gemacht, dass ihnen die Lückenhaftigkeit der von ihnen geschaffenen Vergütungsordnung bewusst war. Es kann daher nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien eine vollständige und ausnahmslos sämtliche Tätigkeiten umfassende Vergütungsordnung schaffen wollten, sondern es ist – unter Zugrundelegung von komplexen Tarifvertragsverhandlungen – zumindest vorstellbar, wenn nicht angesichts des tariflichen Wortlauts naheliegend, dass sie in Kauf genommen haben, eher seltene Arbeiten im Randbereich aller Tätigkeitssegmente des gesamten Konzerns nicht in die zuletzt verbindlich vereinbarten Regelungen aufzunehmen. Ferner ist anders als im BAT und dessen Vergütungsordnung (vgl. dazu die Vorbemerkung zu Anl. 1a des Allgemeinen Teils und die ausdrücklich geregelten Ausnahmen, hierzu Senat 14. August 1985 – 4 AZR 322/84 – AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 105), auf deren Vorbildfunktion für den MTV sich der Kläger beruft, der Vollständigkeitsanspruch der Erfassung aller Tätigkeiten im Wortlaut des MTV gerade nicht zum Ausdruck gekommen.
(b) Selbst bei Annahme einer unbewussten Tariflücke sind die Voraussetzungen für die Lückenfüllung durch die Arbeitsgerichte schon deshalb nicht gegeben, weil die beiden Tätigkeiten – Erzieher als ausgeübte Tätigkeit und Beschäftigungstherapeut als von der Vergütungsordnung erfasste Tätigkeit – nicht in einer Weise artverwandt und vergleichbar sind, die es erlaubt, die Tätigkeitsmerkmale für Beschäftigungstherapeuten unmittelbar auf Erzieher anzuwenden.
(aa) Dies ergibt sich zum einen aus der Betrachtung der Tätigkeiten selbst. Beschäftigungstherapeuten gehören zur Berufsgruppe der Medizinalfachberufe, die nach einer ärztlichen Diagnostik vorgehen und ihre Arbeit idR unter ärztlicher Aufsicht verrichten. Die Aufgabe von Erziehern ist dagegen umfassender; sie sollen ihre Probanden zu Eigenerfahrung und Selbstvertrauen, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung führen, zu gemeinschaftlichem dh. vor allem sozialverantwortlichem Verhalten und Handeln anhalten, ihre Entscheidungsfreudigkeit, ihre Lernbereitschaft und ihr kritisches Urteilsvermögen stärken, sie schließlich zu geistiger Beweglichkeit und schöpferischem Tun anregen (vgl. jeweils Blätter zur Berufskunde 2 – II A 23 S. 6 und 2 – IV A 20 S. 4). Diese Unterschiedlichkeit in der Aufgabenstellung, die eine gewisse Parallelität in bestimmten Situationen der Durchführung anhand der konkreten Arbeit mit dem Patienten/Probanden nicht ausschließt, zeigt sich auch besonders deutlich darin, dass die Tarifvertragsparteien des BAT die beiden Tätigkeiten in verschiedenen Abschnitten der Vergütungsordnung, nämlich dem Abschnitt D (Angestellte in medizinischen Hilfsberufen und medizinischtechnischen Berufen) und dem Abschnitt G (Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst) geregelt haben.
(bb) Noch gravierender ist, dass die Tarifvertragsparteien des BAT auch von einer deutlich unterscheidbaren Wertigkeit der Tätigkeitsbereiche ausgehen. So ist die Einstiegsvergütungsgruppe für Beschäftigungstherapeuten mit staatlicher Anerkennung nach dem BAT die VergGr. VII (hier: Fallgr. 12), die für Erzieher mit staatlicher Anerkennung dagegen die VergGr. VIb (hier: Fallgr. 5). Die Erzieher nehmen an einem Bewährungsaufstieg in die VergGr. Vc nach drei Jahren ohne weiteres teil und haben auch ohne jede Heraushebung ihrer Tätigkeit noch die Möglichkeit nach weiteren vier Jahren eine Zulage zu der Vergütung nach VergGr. Vc zu erhalten. Bei Beschäftigungstherapeuten ist ohne die Heraushebung durch besondere Anforderungen an die Tätigkeit mit der VergGr. VIb (also der Einstiegsgruppe für Erzieher) die höchste erreichbare Vergütungsgruppe bereits erzielt. In die VergGr. Vc können sie nur bei einer besonders qualifizierten Tätigkeit, nämlich nach der Ausgangsfallgruppe 6 der VergGr. VIb und darin erfolgter zweijähriger Bewährung aufsteigen.
Zwar ist diese deutlich unterschiedliche Bewertung durch die Tarifvertragsparteien des BAT und nicht durch die des MTV erfolgt. Gleichwohl ist bei aller Zurückhaltung der Annahme von Parallelen und Kontinuitäten zwischen dem MTV und dem BAT jedenfalls eine Orientierung an bestimmten Grundwertungen nicht zu verkennen. Für das Arbeitsgericht, das von der Möglichkeit der Lückenschließung ausgegangen ist, war diese Parallelität der ausschlaggebende Grund für die (analoge) Bewertung der Tätigkeit des Klägers. Die dargelegte Unterschiedlichkeit schließt es dagegen aus, nach dem MTV zwei Berufe als gleichwertig anzusehen und ohne Vorliegen eines Tätigkeitsmerkmals für einen der beiden Berufe die Tariflücke entsprechend zu schließen, wenn im vom Kläger selbst zur Lückenschließung herangezogenen BAT die beiden Berufe so unterschiedlich bewertet und geregelt worden sind. Auf die erheblichen Zweifel am Vorliegen der weiteren Voraussetzung des klägerischen Anspruchs, dass seine konkrete Tätigkeit zusätzlich auch die qualifizierenden Voraussetzungen der VergGr. VIb Fallgr. 1 erfüllen müsste, diese jedoch konkret (nur) für Beschäftigungstherapeuten geregelt sind, nicht aber für Erzieher, kommt es danach nicht mehr an.
(4) Erweist sich die in Anlage B zum MTV geregelte Vergütungsordnung als für die Tätigkeit des Klägers nicht einschlägig, weil der Tarifvertrag insoweit lückenhaft ist, gilt die vertragliche Regelung (vgl. Gamillscheg Kollektives Arbeitsrecht Bd. I § 15 XII 3). Der Kläger hat deshalb lediglich einen Anspruch auf die bisher bereits von der Beklagten gezahlte Vergütung entsprechend seinem Arbeitsvertrag nebst in Bezug genommener Anlage. Da die Vergütungsberechnung nicht nach Anlage B zum MTV erfolgt, kommt es auf die in der Revision gleichfalls streitige Ablösung der Leistungszulagenregelung in § 16 des Arbeitsvertrages durch den MTV sowie auf die Frage des Beginns einer tariflichen Bewährungszeit nicht mehr an.
III. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos bleibt, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Bott, Treber, Creutzfeldt, Hannig, Grimm
Fundstellen
Haufe-Index 2094140 |
NZA 2009, 864 |
ZTR 2009, 81 |
AP, 0 |
EzA-SD 2009, 13 |
EzA |
ArbRB 2009, 36 |
NJW-Spezial 2009, 84 |