Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Ausforschungsbeweis im finanzgerichtlichen Verfahren; greifbare Rechtswidrigkeit nur bei objektiver Willkür; verfahrensrechtliche Bedeutung der Ablehnung einer Erörterung nach § 364a AO 1977 durch das Finanzamt
Leitsatz (NV)
1. Beweisermittlungs- oder ‐ausforschungsanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, brauchen regelmäßig dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahe zu legen.
2. Ein Fehler von erheblichem Gewicht, der zur Zulassung der Revision führen könnte, liegt nur dann vor ,wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint, oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar erscheint.
3. Die Frage, unter welchen Umständen das FG verpflichtet ist, eine Einspruchsentscheidung ohne Entscheidung in der Sache aufzuheben, weil das FA einen Antrag des Klägers auf Erörterung nach § 364a AO 1977 abgelehnt hat, lässt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beantworten.
Normenkette
AO 1977 § 364a; FGO § 100 Abs. 3, § 115 Abs. 2, § 116 Abs. 3
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 05.12.2003; Aktenzeichen 11 K 6318/00 G, F) |
Gründe
Die Beschwerde ist --sofern nicht schon unzulässig-- jedenfalls nicht begründet. Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) vorgetragenen Gründe rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
1. Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)
Es war nicht verfahrensfehlerhaft, wenn das Finanzgericht (FG) die Herren A, B, C und D nicht zu der Behauptung der Klägerin, die Finanzierung des Geschäfts vom 28. Dezember 1994 sei aus ihrer Sicht zum 31. Dezember 1994 bereits hinreichend gesichert gewesen, als Zeugen vernommen hat. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des FG hatte Herr D anlässlich seiner Vernehmung in einem Strafverfahren bekundet, er habe sich erst nach Ankauf der Anlage im Jahre 1995 um eine Finanzierung bemüht und mit diesen Bemühungen auch erst im Laufe des Jahres 1995 Erfolg gehabt. Die Richtigkeit dieser Bekundung hat die Klägerin nicht in Zweifel gezogen. In Anbetracht dessen sprach nichts für die Wahrscheinlichkeit der unter Beweis gestellten Behauptung. Einem Beteiligten ist es indessen nicht erlaubt, unter formalem Beweisantritt Behauptungen aufzustellen, deren Wahrheitsgehalt nicht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben können (Bundesverwaltungsgericht --BVerwG--, Beschluss vom 5. Oktober 1990 4 B 249/89, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungs-Report --NVwZ-RR-- 1991, 118 unter 7.2 der Gründe). Die Mitwirkungspflicht fordert von den Beteiligten, Beweisanträge nur zu bestimmten, substantiierten Tatsachenbehauptungen zu stellen. Beweisermittlungs- oder -ausforschungsanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, brauchen regelmäßig dem Gericht eine Beweisaufnahme nicht nahe zu legen (BVerwG, Beschluss in NVwZ-RR 1991, 118 unter 7.2 der Gründe; FG Münster, Urteil vom 16. November 1999 8 K 4124/94 E, VSt, juris; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 81 FGO Rz. 37). Demzufolge hätte die Klägerin darlegen müssen, aus welchen Gründen die Zeugen bereits Ende 1994 von einer gesicherten Finanzierung ausgehen konnten, obwohl der Zeuge D sich nach eigenem Bekunden erst ab 1995 hierum bemüht hatte. Hierzu hat die Klägerin auch im Beschwerdeverfahren innerhalb der Begründungsfrist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO nichts vorgetragen. Der mit einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachte Verfahrensmangel unzureichender Sachaufklärung wird jedoch nur dann i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend bezeichnet, wenn gleichzeitig angegeben wird, welches Ergebnis die unterlassene Beweisaufnahme mutmaßlich gehabt hätte und inwiefern dieses Ergebnis zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 120 Rz. 69, m.w.N.).
Hieran vermag auch das mit Schriftsatz vom 29. August 2005 übersandte Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 5. Juli 2005 in einem Verfahren der Beteiligten wegen Umsatzsteuer 1995 mit den Aussagen der Zeugen D und A nichts zu ändern. Das gilt auch dann, wenn man davon ausgehen wollte, dass der Inhalt der Aussage des Zeugen A auf S. 8 des Protokolls ausgereicht hätte, um den seinerzeit im vorinstanzlichen Verfahren gestellten Beweisantrag zu substantiieren. Es kommt ausschließlich darauf an, wie sich der Beweisantrag aus der Sicht der Vorinstanz darstellte. Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass ihr eine Substantiierung ihres damaligen Beweisantrags mangels Kenntnis der Zeugenaussagen vom 5. Juli 2005 nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr gehört es zu ihren Obliegenheiten, zur Vermeidung unzulässiger Beweisausforschungsanträge sich Klarheit darüber zu verschaffen, was die Zeugen aussagen werden. Hinzu kommt, dass der Zeuge A zu ihren Gesellschaftern gehörte.
2. Greifbare Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung
Die Klägerin hat keine Gründe vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass die Entscheidung des FG greifbar rechtswidrig ist. Das FG hat das Vorbringen der Klägerin weitgehend als zutreffend unterstellt. Soweit es dies nicht getan und gleichwohl angebotene Beweise nicht erhoben hat, ist hierin kein Verfahrensfehler zu sehen (s.o. unter 1.). Die Entscheidung des FG beruhte somit auf seiner Wertung der für den Bundesfinanzhof (BFH) als Beschwerdegericht bindenden Feststellungen. Sollte die Klägerin sinngemäß vortragen wollen, das FG habe gegen anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie gegen die Gesetze der Logik verstoßen oder diese missachtet, so gehören solche Mängel zu den materiellen Rechtsfehlern, die eine Zulassung der Revision nicht eröffnen, es sei denn, der Fehler ist von erheblichem Gewicht und geeignet, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 16. Juli 2002 V B 152/01, BFH/NV 2002, 1600, und vom 20. Januar 2003 III B 63/02, BFH/NV 2003, 644). Das Vorliegen eines solchen Fehlers hat der Senat angenommen, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (Senatsbeschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25). Das ist nicht bei jedem Verstoß gegen die Denkgesetze der Fall (BFH-Beschluss vom 9. März 2004 X B 68/03, BFH/NV 2004, 1112).
Sieht man von den nicht durchgreifenden Verfahrensrügen ab, so hat die Klägerin keine Umstände vorgetragen, aus denen sich schließen ließe, dem FG sei ein Fehler von erheblichem Gewicht im vorstehend beschriebenen Sinn unterlaufen.
3. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)
Auch insoweit vermag das Vorbringen der Klägerin der Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen.
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nur dann in zulässiger Weise dargetan, wenn eine bestimmte Rechtsfrage bezeichnet wird. Der Beschwerdeführer muss darüber hinaus vortragen, dass die Rechtsfrage klärungsbedürftig und im konkreten Fall voraussichtlich auch klärbar ist. Hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit den Rechtsausführungen des FG, mit der Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinander setzen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Oktober 2003 III B 114/02, BFH/NV 2004, 223, und vom 26. August 2004 II B 136/03, juris).
Im Streitfall misst die Klägerin offenbar der Frage grundsätzliche Bedeutung zu, ob das FG, wenn das Finanzamt (FA) einen Antrag auf Erörterung des Sach- und Rechtsstands im Einspruchsverfahren (§ 364a der Abgabenordnung --AO 1977--) zu Unrecht abgelehnt hat, darauf beschränkt ist, den angefochtenen Verwaltungsakt sowie die dazu ergangene Rechtsbehelfsentscheidung nach § 100 Abs. 3 FGO ohne Entscheidung in der Sache aufzuheben oder ob auch eine isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung nach § 100 Abs. 1 FGO in Betracht kommt. Das Verfahren nach § 100 Abs. 3 FGO wird von der im Schrifttum herrschenden Meinung befürwortet (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 364a AO Tz. 6; von Wedelstädt in Beermann/Gosch, Steuerliches Verfahrensrecht, § 364a AO Rz. 25; Dumke in Schwarz, Abgabenordnung, § 364a Rz. 29; Pahlke in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, § 364a Rz. 24). Hierauf hat sich auch das FG bezogen. Für eine isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung hat sich Szymczak (in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 5. Aufl., § 364a Rz. 12) ausgesprochen.
Die Klägerin hat jedoch nicht in zulässiger Weise dargelegt, dass die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage im Streitfall klärungsfähig ist. Nach der überwiegenden Auffassung im Schrifttum kommt eine Aufhebung der Einspruchsentscheidung --gleichgültig ob sie auf § 100 Abs. 1 oder auf § 100 Abs. 3 FGO beruht-- nur dann in Betracht, wenn der Kläger vorträgt, inwiefern er durch die Ablehnung der Erörterung im Einspruchsverfahren beschwert worden ist (§ 40 Abs. 2 FGO). Deshalb muss er darlegen, was er erörtert hätte. Es muss nach dem Vortrag möglich sein, dass das Einspruchsverfahren aufgrund der Erörterung nach § 364a AO 1977 anders als vorliegend abgeschlossen worden wäre (vgl. Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 364a AO Rz. 27; von Wedelstädt in Beermann/ Gosch, a.a.O., § 364a AO Rz. 25). Zugleich muss der Kläger auch darlegen, dass er ein berechtigtes Interesse daran hat, dass die Sache noch einmal an das FA zurückgeht (Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 364a Rz. 6). Hiervon ist auch das FG ausgegangen, wenn es darauf hinweist, dass eine "Zurückverweisung" an das hier beklagte FA deswegen nicht sachdienlich erscheine, weil die Klägerin nicht einmal ansatzweise dargelegt habe, dass sie bei Durchführung der beantragten Erörterung Neues vorgetragen hätte und inwiefern dieses Vorbringen möglicherweise zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.
Mit diesen Erwägungen hat sich die Klägerin nicht in ausreichendem Maße auseinander gesetzt. Sie hat lediglich sinngemäß darauf hingewiesen, dass die mündliche Erörterung dazu dienen solle, die wechselseitigen Argumente nicht nur in schriftlicher Form auszutauschen. Diese Argumentation lässt außer Acht, dass nach der Gesetzesbegründung von einer Erörterung abgesehen werden kann, "wenn diese offensichtlich nur der Verschleppung dient" (BTDrucks 12/7427, 37). Ob ein Antrag auf Erörterung nur der Verschleppung dient, kann aber nur dann beurteilt werden, wenn dargelegt wird, warum die Erörterung sinnvoll ist (vgl. auch Rößler, Deutsche Steuer-Zeitung 1995, 270, 271). Die Intention des Gesetzgebers ist auch im Gesetzestext ausreichend deutlich zum Ausdruck gekommen, indem die Vorschrift nicht wie § 90 Abs. 1 FGO als Muss-, sondern als Sollvorschrift ausgestaltet ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1439779 |
BFH/NV 2005, 2166 |