Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Zusammenfassung von in verschiedenen Gebäudeteilen belegenen Wohnungen zu einer wirtschaftlichen Einheit
Leitsatz (NV)
Sondereigentum an zwei Wohnungen, das mit einem Miteigentumsanteil verbunden ist, bildet grundsätzlich eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des Bewertungsrechts, wenn die Wohnungen im selben Haus unmittelbar übereinander oder nebeneinander liegen und baulich so miteinander verbunden sind, daß sie sich als ein Raumkörper darstellen. Die Zusammenfassung zu einer wirtschaftlichen Einheit (Zweifamilienhaus) ist jedoch ausgeschlossen, wenn keine derartige Verbindung besteht, weil sich die Wohnungen in voneinander getrennten Bauteilen mit eigenen Hauseingängen und Treppenhäusern befinden.
Normenkette
BewG §§ 2, 68, 70, 75, 93
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger - ein Ehepaar - erwarben mit Kaufvertrag vom . . . in einem über Eck aneinandergebauten Gebäudekomplex einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück A-Straße von 702/10 000 verbunden mit dem Sondereigentum an der im dritten Obergeschoß rechts belegenen Wohnung (Aufteilungsplan Nr. . . .) sowie einen Miteigentumsanteil an dem Grundstück B-Straße . . . von 229/10 000 verbunden mit dem Sondereigentum an der im dritten Obergeschoß links belegenen Wohnung (Aufteilungsplan Nr. . . .). Der Veräußerer hatte zuvor die Teilungserklärung dahingehend abgeändert, daß die beiden Wohnungen ,,zum gemeinsamen Erwerb auf einem einzigen Grundbuchblatt einzutragen sind". Dementsprechend wurden die Miteigentumsanteile von 702/10 000 und 229/10 000, verbunden mit dem Sondereigentum an beiden Wohnungen, zusammen auf einem Grundbuchblatt eingetragen. Beide Wohnungen sind durch Wände voneinander getrennt, verfügen über eine eigene Strom- und Wasserversorgung und sind über gesonderte Hauseingänge erreichbar.
Das Finanzamt (FA) hat jede Wohnung als selbständige wirtschaftliche Einheit angesehen und mit Nachfeststellungsbescheiden vom 23. September 1981 zum 1. Januar 19. . als Einfamilienhäuser bewertet.
Mit ihrer Klage haben die Kläger die Aufhebung der beiden Einheitswertfeststellungen begehrt, da nur eine wirtschaftliche Einheit vorliege, die als Zweifamilienhaus zu bewerten sei.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben.
Mit der vom FG zugelassenen Revision beantragt das FA, die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen. Das FA rügt die Verletzung der §§ 2, 68, 70, 75 und 93 des Bewertungsgesetzes (BewG). Es ist der Auffassung, daß trotz der zivilrechtlich möglichen Zusammenfassung der Miteigentumsanteile mit dem Sondereigentum an beiden Wohnungen auf einem Grundbuchblatt bewertungsrechtlich zwei wirtschaftliche Einheiten gegeben seien. Da die beiden Wohnungen bautechnisch nicht durch einen gemeinsamen Hausflur oder durch ein gemeinsames Treppenhaus verbunden seien, sondern nur über getrennte Hauseingänge erreicht werden könnten, handle es sich nach der Verkehrsanschauung um zwei selbständig zu bewertende Wohnungen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Abweisung der Klage. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, daß die in verschiedenen Gebäudeteilen liegenden Wohnungen eine wirtschaftliche Einheit sind.
Das Wohnungseigentum (vgl. § 68 Abs. 1 Nr. 3 BewG) bildet nach § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG eine wirtschaftliche Einheit und gilt damit als ein Grundstück i. S. des BewG (§ 70 Abs. 1 BewG). Sinn und Zweck der Fiktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG besteht zum einen darin, den Besonderheiten der Rechtsfigur des Wohnungseigentums bewertungsrechtlich Rechnung zu tragen, indem das Wohnungseigentum aus der Einheit des bebauten Grundstücks herausgenommen und diesem gegenüber verselbständigt wird. Zum anderen wird klargestellt, daß das Sondereigentum an der Wohnung (vgl. § 5 Abs. 1 des Wohnungseigentumsgesetzes - WEG -) und der Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum (§ 1 Abs. 5, § 5 Abs. 2, 3 WEG) nicht getrennt, sondern als Einheit zu bewerten sind (vgl. Senatsurteile vom 1. April 1987 II R 79/86, BFHE 150, 274, BStBl II 1987, 840, und II R 251/84, BFHE 150, 277, BStBl II 1987, 838, m. w. N.).
Die Fiktion des § 93 Abs. 1 Satz 1 BewG schließt jedoch die allgemeinen Abgrenzungsregeln für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit als Bewertungsgegenstand nicht aus. Nach § 2 Abs. 1 BewG ist die Entscheidung darüber, was als wirtschaftliche Einheit zu gelten hat, nach den Anschauungen des Verkehrs zu treffen. Dabei sind die örtliche Gewohnheit, die tatsächliche Übung, die Zweckbestimmung und die wirtschaftliche Zusammengehörigkeit der einzelnen Wirtschaftsgüter zu berücksichtigen. Maßgebend sind demnach neben objektiven Merkmalen auch subjektive, die allerdings dann außer Betracht bleiben müssen, wenn sie in Widerspruch zu objektiven Merkmalen stehen (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 15. Juni 1983 III R 40/82, BFHE 139, 201, BStBl II 1983, 752, und vom 23. Januar 1985 II R 35/82, BFHE 143, 152, BStBl II 1985, 336).
Wie der Senat in seinem Urteil in BFHE 150, 277, BStBl II 1987, 838 dargelegt hat, sind diese Maßstäbe grundsätzlich auch für die Bestimmung des Bewertungsgegenstandes bei den nach dem WEG möglichen Rechtsfiguren anwendbar. Dabei können allerdings objektive Merkmale tatsächlicher Art mit solchen Merkmalen, die ihre Wurzel in der Rechtskonstruktion haben, in Widerspruch stehen. So hat die Rechtsprechung bei Wohngrundstücken einerseits die Annahme einer wirtschaftlichen Einheit davon abhängig gemacht, daß sie für sich allein veräußert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 25. Februar 1983 III R 81/82, BFHE 138, 468, BStBl II 1983, 552, m. w. N.), andererseits es aber abgelehnt, auf die bei allen abgeschlossenen Wohnungen abstrakt bestehende Möglichkeit abzustellen, Wohnungseigentum zu schaffen (vgl. BFH-Urteil vom 2. Oktober 1970 III R 163/66, BFHE 100, 213, 216, BStBl II 1970, 822).
Daran ist für die Bestimmung der wirtschaftlichen Einheit bei Wohnungseigentum und Teileigentum grundsätzlich festzuhalten. Das bedeutet, daß das Sondereigentum an zwei Wohnungen, das mit einem Miteigentumsanteil verbunden ist, grundsätzlich eine wirtschaftliche Einheit im Sinne des Bewertungsrechts bildet. Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn der tatsächliche Befund der Verkehrsanschauung entgegensteht. Dies ist möglich, wenn - wie im Streitfall - mit einem Miteigentumsanteil das Sondereigentum an mehreren Wohnungen verbunden ist, die zusammen keine geschlossene Einheit bilden. In diesem Fall muß die nach dem WEG gegebene rechtliche Möglichkeit, daß der Eigentümer sein Wohnungseigentum in eine der Zahl der abgeschlossenen Wohnungen entsprechende Zahl selbständiger Wohnungseigentumsrechte unterteilen kann, an den besonderen bewertungsrechtlichen Vorschriften gemessen werden (§ 68 Abs. 1 Nr. 3, § 70 Abs. 1, § 93 Abs. 1 i. V. m. § 2 BewG). Liegen die Wohnungen in demselben Haus unmittelbar übereinander oder nebeneinander und sind sie nach den tatsächlichen Gegebenheiten baulich (bautechnisch) so miteinander verbunden, daß sie sich - gedanklich aus dem Gesamtbauwerk herausgelöst - als ein Raumkörper darstellen, so können sie zu einer einzigen wirtschaftlichen Einheit zusammengefaßt werden. Besteht keine derartige Verbindung, weil sich die Wohnungen - wie im Streitfall - in voneinander durch Wände getrennten Bauteilen mit eigenen Hauseingängen und Treppenhäusern befinden, muß die lediglich rechtstechnische Zusammenfassung zu einem mit einem Miteigentumsanteil am Grundstück verbundenen Sondereigentum gegenüber dem tatsächlichen Befund zurücktreten. Denn der nach § 2 Abs. 1 BewG gebotene Maßstab für die Abgrenzung der wirtschaftlichen Einheit verbietet es, die baulich getrennten Teile eines Gebäudekomplexes als nur ein Grundstück i. S. des BewG anzusehen. Im Streitfall bildet daher jede der beiden Raumeinheiten eine wirtschaftliche Einheit, die jeweils als Einfamilienhaus zu bewerten ist. Die Einheitswertfeststellungen des FA begegnen auch der Höhe nach keinen Bedenken. Denn das FA hat hierbei die von den Klägern vorgelegten Flächenberechnungen zugrunde gelegt.
Fundstellen
Haufe-Index 417138 |
BFH/NV 1991, 799 |