Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitserlaß von Währungsausgleichsbeträgen
Leitsatz (NV)
1. Ein Einfuhrvertrag i. S. des Art. 5 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 926/80 ist ein Kaufvertrag, der zum Zweck der Einfuhr abgeschlossen worden ist. Dabei ist nicht Voraussetzung, daß der Käufer vertraglich die Rechtspflicht übernimmt, die Waren in das Zollgebiet einzuführen.
2. Ob ein Einfuhrvertrag vorliegt, hat der Antragsteller nachzuweisen. Das ist noch im Verfahren vor dem FG möglich. Der Antragsteller trägt die Last einer etwaigen Unerweislichkeit.
3. Aus Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 926/80 ergibt sich nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen das Vorliegen eines fest abgeschlossenen Vertrages als nachgewiesen angesehen werden kann. Gegen einen festen Abschluß spricht die Tatsache, daß eine große Anzahl der angemeldeten Altverträge nicht oder nicht voll erfüllt worden sind.
Normenkette
EWGV 926/80 Art. 4, 5 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 2, Art. 6, 11 Abs. 4
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ließ in der Zeit . . . aus Südamerika eingeführtes Rindfleisch zum freien Verkehr abfertigen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA -) setzte für diese Einfuhren Währungsausgleichsbeträge (WAB) in Höhe von insgesamt . . . DM fest. Diese waren infolge der Aufwertung der Deutschen Mark am 4. Oktober 1981 mit Wirkung vom 8. Oktober 1981 erhöht worden.
Am . . . beantragte die Klägerin beim HZA die Befreiung von den neuen WAB nach Maßgabe der Verordnung (EWG) Nr. 926/80 (VO Nr. 926/80) der Kommission über die Befreiung von der Erhebung der WAB in bestimmten Fällen (Altkontraktregelung) vom 15. April 1980 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - L 99/15 vom 17. April 1980 und L 287/3 vom 8. Oktober 1981). Sie berief sich auf insgesamt . . . Verträge über den Kauf von Rindfleisch mit Ursprung in Südamerika. In den Verträgen . . . war der Kaufpreis in US-Dollar, in den übrigen Verträgen in Deutsche Mark bestimmt.
Mit Bescheid . . . entschied das HZA wie folgt: Es entsprach den Anträgen - soweit sie nicht bereits mangels Einfuhr oder infolge Einfuhr vor dem maßgebenden Zeitpunkt gegenstandslos waren - für den Vertrag . . . voll und für die Verträge . . . teilweise. Es lehnte die Befreiung für die Verträge . . . im übrigen und für die Verträge . . . vollständig ab. Mit Entscheidung . . . wies die Oberfinanzdirektion (OFD) die Beschwerde zurück.
Die Klage richtet sich nur noch gegen die - vollständige - Ablehnung der Anträge für die Verträge . . . Sie hatte teilweisen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob den Bescheid . . . in Gestalt der Beschwerdeentscheidung auf, soweit darin die Anträge auf Befreiung in bezug auf die Verträge . . . vollständig, und hinsichtlich des Vertrages . . . Teileinfuhren abgelehnt worden waren. Das FG verpflichtete das HZA, die Klägerin für die Verträge . . . vollständig, und für den Vertrag . . . hinsichtlich der genannten Teileinfuhren von der Erhebung der neuen WAB zu befreien. Im übrigen wies das FG die Klage ab.
Entscheidungsgründe
Die Revision - des HZA - ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit die Klage nicht abgewiesen worden ist, und zur Zurückverweisung an das FG.
1. Die Klägerin hat einen Rechtsanspruch auf Befreiung von der Erhebung neuer WAB, wenn die Voraussetzungen der Art. 5 ff. VO Nr. 926/80 erfüllt sind. Das FG hat dies bejaht, soweit es der Klage stattgegeben hat. Es hat dabei jedoch den Begriff des Einfuhrvertrages i. S. des Art. 5 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 926/80 verkannt.
Nach Auffassung des FG ist Einfuhrvertrag in diesem Sinn ,,der Kaufvertrag, dessen unmittelbare oder mittelbare Folge die Einfuhr der gekauften Ware in das Zollgebiet ist". Folgerichtig hat das FG sich dann jeweils mit der Feststellung begnügt, daß die Verträge Grundlage der Einfuhren waren. Nach Auffassung des FG entscheidet sich also die Frage, ob ein Altvertrag ein Einfuhrvertrag ist, erst, wenn die Einfuhr als Folge des Vertrages feststeht; der Vertrag erhält damit nachträglich und rückwirkend die Qualität eines Einfuhrvertrages.
Die Auffassung des FG wird schon durch die buchstabengetreue Auslegung des Wortes ,,Einfuhrvertrag" widerlegt. Ein Einfuhrvertrag muß ein Vertrag sein, dem als solchem (d. h. beim Abschluß) eine bestimmte Qualität zukommt, die unabhängig von künftigen Ereignissen ist. Diese Qualität kann nur in der besonderen Zweckbestimmung des Vertrages liegen. Ein Einfuhrvertrag i. S. des Art. 5 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 926/80 ist also ein Kaufvertrag, der zum Zweck der Einfuhr abgeschlossen worden ist. Dabei ist - insoweit ist der Vorentscheidung zu folgen - nicht etwa Voraussetzung, daß der Käufer vertraglich die Rechtspflicht übernimmt, die Waren in das Zollgebiet der Gemeinschaft einzuführen. Das kann schon deswegen nicht zutreffen, weil der Verkäufer in der Regel kein Interesse daran haben kann, dem Käufer eine solche Pflicht aufzuerlegen. Es genügt vielmehr, daß im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses feststeht, daß die gekauften Waren in das Zollgebiet verbracht werden sollen.
Eine solche Wortauslegung entspricht dem allgemeinen Sprachgebrauch, von dem die VO Nr. 926/80 offenbar ausgeht. Ein Indiz dafür ist der deutsche allgemeine Sprachgebrauch, wie er in der Regelung des § 23 Abs. 1 AWV - Verordnung zur Durchführung des Außenwirtschaftsgesetzes, Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung (VSF) A 0151 - zum Ausdruck kommt. Danach ist ein ,,Einfuhrvertrag" ein ,,Vertrag . . . über den Erwerb von Waren zum Zweck der Einfuhr". Ein weiterer Beleg für diesen Sprachgebrauch ist die Auslegung, die die Worte ,,Verkauf zur Ausfuhr" i. S. des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1224/80 (VO Nr. 1224/80) des Rates vom 28. Mai 1980 über den Zollwert der Waren (AblEG L 134/1) durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) erfahren haben. Diese Worte setzen nach dem Urteil des EuGH vom 6. Juni 1990 Rs. C-11/89 (amtlich noch nicht veröffentlicht, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1990, 462) voraus, ,,daß im Zeitpunkt des Verkaufs feststeht, daß die Waren aus einem Drittland in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden" (Absatz 11 der Gründe). Auf die genannte Wortbedeutung weist auch, worauf das HZA zu Recht aufmerksam gemacht hat, die französische Fassung des Ausdrucks ,,Einfuhrvertrag" in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a VO Nr. 926/80 hin: ,,un contrat comportant une importation". Es muß also ein Vertrag sein, der die Einfuhr einschließt oder beinhaltet oder zum Zweck hat; es genügt nicht, daß er letztlich zu einer Einfuhr führt.
Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung der VO Nr. 926/80. Nach deren viertem Erwägungsgrund muß ,,Grundkriterium für eine solche Befreiung . . . sein, jedem Nachteil vorzubeugen, der zwangsläufig durch die Einführung neuer WAB . . . entstehen würde, die sich auf Einfuhr . . . geschäfte auswirkt, welche aufgrund von vor der betreffenden Währungsmaßnahme abgeschlossenen Verträgen getätigt werden". Nur bei einem Kaufvertrag zum Zwecke der Einfuhr kann der durch die Einführung neuer WAB entstehende Nachteil zwangsläufig entstehen. Schließt z. B. ein im Inland ansässiges Unternehmen einen Kaufvertrag mit einem brasilianischen Verkäufer über die Lieferung von Rindfleisch zu dem Zweck, diese Ware aufgrund eines Weiterverkaufsvertrages im Transithandel in die USA zu liefern, ändert es aber nachträglich diesen Zweck unter Bestimmung der Ware für die Gemeinschaft, so belasten die dafür ggf. zu erhebenden neuen WAB dieses Unternehmen nicht zwangsläufig, da das Unternehmen ihre Erhebung letztlich durch die Änderung der Zweckbestimmung verursacht hat. Gegen die Annahme, daß die Kommission durch die Regelung der VO Nr. 926/80 auch in einem solchen Falle Befreiung von den neuen WAB hätte gewähren wollen, spricht schon der Umstand, daß ein solches Entgegenkommen geradezu ein Anreiz hätte sein können, ursprünglich gar nicht für die Gemeinschaft bestimmte Ware mit Rücksicht auf die zu erwartende Befreiung auf den Binnenmarkt umzuleiten. Es muß daher davon ausgegangen werden, daß die Kommission das Wort ,,Einfuhrvertrag" mit Bedacht im oben genannten Sinn gewählt hat.
Zu Unrecht beruft sich das FG für seine andere Auffassung auf das Senatsurteil - vom 1. März 1988 VII R 67/85 - in BFH/NV 1989, 60, ZfZ 1988, 274. Diesem Urteil liegt ein anderer Sachverhalt und ein anderes Recht zugrunde. Die dortige Klägerin hatte sich die betreffenden Waren von dem niederländischen Verkäufer in den Niederlanden zur Einlagerung in ein Zollager liefern lassen und dann selbst von dort in die Bundesrepublik eingeführt. Für den Senat ergab sich nur die Frage, ob das ein Einfuhrgeschäft aufgrund eines Altkontrakts i. S. des Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 1608/74 - Verordnung (EWG) Nr. 1608/74 der Kommission vom 26. Juni 1974 über Sonderbestimmungen für die WAB (ABlEG 170, 38) - war, obwohl die Einfuhr nicht unmittelbare Folge der Erfüllungshandlung des niederländischen Verkäufers war. Der Senat hat dies mit dem Hinweis bejaht, daß das Wort ,,Einfuhrgeschäft" in Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 1608/74 ,,Einfuhr" bedeute, wie die englische und französische Fassung bewiesen, und nicht voraussetze, daß der Verkäufer seine Lieferungsverpflichtung im Zollgebiet erfülle. Die Frage, ob der dort gegebene Kaufvertrag ein Einfuhrvertrag im oben genannten Sinn war - was nach dem Sachverhalt kaum zweifelhaft sein konnte -, stellte sich dem Senat nicht, weil Art. 2 Abs. 1 VO Nr. 1608/74 die Befreiung von den neuen WAB nur von der Existenz vor der Währungsmaßnahme festabgeschlossener ,,Verträge" abhängig machte. Insoweit enthält die VO Nr. 926/80 als Nachfolgeverordnung eine offensichtliche Rechtsänderung. Aus den Erwägungsgründen dieser Verordnung ergibt sich nichts anderes. Dort heißt es vielmehr ausdrücklich, man habe ,,mehr ins Detail gehende Bestimmungen" (zweiter Erwägungsgrund) und ,,gewisse pauschale Grenzen" festlegen wollen, ,,um Mißbräuche zu verhindern" (sechster Erwägungsgrund).
Es gibt gewisse Anzeichen dafür, daß das FG trotz seiner unrichtigen Definition des Begriffes ,,Einfuhrvertrag" diesen im gleichen Sinne wie der Senat verstanden wissen wollte. Ein solches Anzeichen könnte in . . . der Gründe gesehen werden. Dort heißt es, ,,daraus, daß die Klägerin mit Sitz im Zollgebiet ein Importgeschäft betreibt und die Ware bereits vor der Währungsmaßnahme nach Hamburg verbracht worden war", ergebe sich, daß die Einfuhr . . . Folge des Vertrages . . . gewesen sei. Dieses Anzeichen ist aber nicht deutlich genug, um auszuschließen, daß die Beweiswürdigung des FG von einer unrichtigen Auffassung zum genannten Begriff beeinflußt worden ist. Die Vorentscheidung muß daher aufgehoben werden.
Ob ein Einfuhrvertrag vorliegt, hat die Klägerin nach Art. 4 VO Nr. 926/80 nachzuweisen. Sie kann dies auch noch vor dem FG tun und dazu Ergänzendes vortragen (vgl. Art. 11 Abs. 4 VO Nr. 926/80). Die Last einer etwaigen Unerweislichkeit hat sie zu tragen. Die Anforderungen an diese Nachweispflicht sollten aber deswegen nicht zu hoch angesetzt werden, da es im wesentlichen um den Nachweis eines Negativums geht, nämlich des Umstandes, daß die fraglichen Altverträge nicht zum Zwecke des Transithandels abgeschlossen worden sind. Hat die Klägerin freilich in größerem Umfang Transithandel (auch aufgrund von Altverträgen z. B. mit Lieferortvereinbarungen wie Hamburg, die für sich als ein Indiz für das Vorliegen eines Einfuhrvertrages geeignet sind) betrieben, so erfüllen Indizien, die - wie z. B. bestimmte Lieferungsklauseln, der Sitz des Unternehmens der Klägerin im Zollgebiet und die tatsächliche Lieferung der Waren im Zollgebiet aufgrund des Altvertrages - an sich für das Vorliegen eines Einfuhrvertrages sprechen könnten, für sich allein noch nicht die Anforderungen, die an einen Nachweis i. S. von Art. 4 VO Nr. 926/80 zu stellen sind.
2. Da aus den genannten Gründen die Vorentscheidung aufzuheben ist, soweit sie nicht rechtskräftig geworden ist, bedarf es keines Eingehens auf die Rügen des HZA hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen des FG. Das HZA wird im zweiten Rechtsgang Gelegenheit haben, sie ggf. vor dem FG erneut geltend zu machen.
3. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, da es an ausreichenden Feststellungen des FG dazu fehlt, ob die fraglichen Altverträge zum Zwecke der Einfuhr abgeschlossen worden sind. Die Sache ist daher an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
4. Im zweiten Rechtsgang wird das FG folgendes zu beachten haben:
a) Als Indiz dafür, daß die fraglichen Altkontrakte nicht fest abgeschlossen worden sind, sondern nur eine Art von Options- oder Vorratsverträgen waren, könnte die Tatsache angesehen werden, daß eine große Anzahl der Altverträge, die Gegenstand des Antrags der Klägerin waren, nicht oder nicht voll erfüllt worden sind. Bei der Beurteilung dieses Indizes wird sich das FG nicht auf Art. 5 Abs. 2 VO Nr. 926/80 stützen können. Diese Vorschrift besagt nichts darüber, unter welchen Voraussetzungen das Vorliegen eines fest abgeschlossenen Vertrages als nachgewiesen angesehen werden kann, sondern allenfalls, daß die nur teilweise Abwicklung eines Altvertrages noch kein zwingendes Indiz für den Mangel eines festen Abschlusses ist.
b) Der Senat teilt die Auffassung des FG, daß der Mangel der Schriftform der Annahme eines festen Vertragsabschlusses nicht entgegensteht.
c) Zur Frage, ob die Voraussetzungen der Art. 8 und 9 VO Nr. 926/80 erfüllt sind, weist der Senat auf die Begründung seines Urteils in BFH/NV 1989, 60, ZfZ 1988, 274 unter Buchst. c bb hin, die die entsprechende Vorschrift des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a VO Nr. 1608/74 betraf.
5. Der Senat hält die richtige Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts für offensichtlich; er ist daher nicht nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH verpflichtet (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982, 3415; Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 VII R 107/81, BFHE 145, 266).
Fundstellen
Haufe-Index 417306 |
BFH/NV 1991, 635 |