Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, wann sog. Basisgesellschaften im niedrig besteuerten Ausland den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs nicht erfüllen.
Normenkette
StAnpG § 6; DBA CHE 1931/1959
Tatbestand
Streitig ist, ob Erträge mehrerer GmbH mit Sitz in der Schweiz dem unbeschränkt steuerpflichtigen Nießbraucher der Anteile an diesen Gesellschaften unmittelbar als Einkünfte aus Kapitalvermögen zuzurechnen sind.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), die ihren Wohnsitz im Inland hat, war neben ihrer Tochter und ihren Enkeln an der S-GmbH beteiligt. 1963 veräußerten die Gesellschafter ihre Anteile für ... Mio. DM an die P-KG. In demselben Jahr schenkte die Klägerin aus dem Verkaufserlös den beiden Enkeln ... Mio. DM und behielt sich dabei das Nießbrauchsrecht an dem übertragenen Vermögen vor. Ebenso verhielt sich ihre Tochter, die ihren Kindern aus dem Verkaufserlös ... Mio. DM zukommen ließ. Von dem nach den Schenkungen vorhandenen Vermögen der Enkel der Klägerin übertrug der Generalbevollmächtigte der Familie insgesamt ... Mio. DM im Wege der Forderungsabtretung auf acht in der Schweiz neu gegründete Kapitalgesellschaften, darunter die A-GmbH, die B-GmbH, die C-GmbH und die R-AG. Nach den Statuten waren Zwecke der B-GmbH und der C-GmbH der Erwerb, die Verwaltung und die Veräußerung von Beteiligungen an Handels- und Industrieunternehmen des In- und Auslandes einschließlich der Übernahme von Kontrollfunktionen bei den Unternehmen, ferner die Vornahme von Finanzierungsgeschäften jeder Art.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) erfaßte bei der vorläufigen Einkommensteuerveranlagung 1964 der Klägerin außer den von dieser erklärten inländischen Einkünften auch die Reingewinne der B-GmbH und der C-GmbH. In der nachfolgenden Einspruchsentscheidung hielt das FA an seiner Auffassung fest, daß die Zurechnung der ausländischen Einkünfte nach § 6 StAnpG erfolgen müsse. Zuzurechnen seien nicht nur die Reingewinne, sondern die Einnahmen der schweizerischen Gesellschaften in Höhe von 189 221 DM, vermindert um Werbungskosten von 53 320 DM und den in dem Gewinn der R-AG enthaltenen Beteiligungsertrag der A-GmbH von 8 924 DM.
Die Klage blieb erfolglos. Das FG führte im wesentlichen aus:
Die Erträge der schweizerischen B-GmbH und C-GmbH seien der Klägerin über die inländischen Gesellschafter als Nießbraucherin an deren Gesellschaftsanteilen zuzurechnen. Zwar seien die Gründungen der schweizerischen Gesellschaften und deren Kapitalausstattungen durch Forderungsabtretungen keine Scheingeschäfte i. S. von § 5 StAnpG. Auch unterlägen diese Gesellschaften nicht der inländischen Besteuerung, da ihre Geschäftsleitungen nicht im Inland gelegen hätten. Die Zurechnung der Erträge müsse jedoch nach § 6 StAnpG vorgenommen werden. Für die Frage nach der Erfüllung des Mißbrauchstatbestands komme es nicht darauf an, ob für die Gründungen der Gesellschaften überhaupt oder hinsichtlich eines Ausschnitts ihrer Betätigung wirtschaftliche Gründe vorlägen. Es sei vielmehr jede einzelne Transaktion, in die die Gesellschaften eingeschaltet wurden, darauf zu untersuchen, ob sie mißbräuchlich sei. Der Mißbrauchstatbestand knüpfe daran an, daß der Transaktion wirtschaftliche oder sonstige Gründe fehlten. Deshalb komme es im Streitfall nicht darauf an, ob die schweizerischen Gesellschaften überhaupt oder in welchem Umfange ihre Holdingfunktion verwirklicht hätten. Dies sei nur insoweit bedeutsam, als ein Zusammenhang zwischen der Übertragung bedeutender Vermögensteile und der Verwirklichung dieser Zielsetzung bereits 1964 bestanden habe. Daß jedoch ein wirtschaftlicher Hintergrund für die kapitalmäßigen Ausstattungen der B-GmbH und der C-GmbH nicht bestanden habe, werde - wie im einzelnen ausgeführt wird - vor allem dadurch bestätigt, daß wegen einer langfristigen Festlegung des Kapitals - Vergabe von Darlehen - ein Erwerb von Beteiligungen in den ersten Jahren nicht möglich und nicht beabsichtigt gewesen sei.
Mit der Revision wird Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt und dazu vorgebracht:
Das FG habe gegen § 119 Nr. 3 FGO verstoßen, weil es den Inhalt eines Schreibens des A an das FA verwertet habe, das der Klägerin weder in der mündlichen Verhandlung noch abschriftlich bekanntgegeben worden sei. § 93 FGO sei verletzt, weil das FG seine Entscheidung auf Rechtsgründe - Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten durch Vermögensausstattung - gestützt habe, ohne dies vorher zu erörtern. Gegen die §§ 76 Abs. 1, 96 Abs. 1 FGO sei verstoßen worden, weil die Annahme des FG, in den ersten Jahren nach Gründungen der Gesellschaften sei der Erwerb von Beteiligungen weder beabsichtigt noch möglich gewesen, mit dem Akteninhalt ebensowenig wie mit dem Sachvortrag der Klägerin zu belegen sei.
Die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 1 StAnpG sei vom FG zu Unrecht bejaht worden. Eine unangemessene bürgerlich-rechtliche Gestaltung könne nicht angenommen werden, wenn die von Anfang an bestehende Absicht zum Erwerb von Beteiligungen nicht sich schon 1964, sondern erst ab 1966 habe verwirklichen lassen, zuvor jedoch ernsthaft betrieben worden sei. Eine tatsächliche Steuerersparnis reiche für die Absicht einer Steuerumgehung nicht aus.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Streitsache an das FG.
1. Die Vorentscheidung ist allerdings - entgegen der Meinung der Klägerin - nicht schon wegen eines absoluten Revisionsgrundes aufzuheben.
Die Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs wegen Nichtbekanntgabe des Inhalts eines im finanzgerichtlichen Verfahren verwerteten Schreibens des A greift nicht durch. Das Gebot rechtlichen Gehörs, wie es ausdrücklich in § 96 Abs. 2 FGO bestimmt ist, bedeutet, daß ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen die Beteiligten sich vorher äußern konnten (vgl. z. B. Urteil des BFH vom 16. November 1971 VIII R 4/69, BFHE 110, 102, BStBl II 1973, 825). Das Recht auf Gehör ist nicht verletzt, wenn eine tatsächliche Feststellung anhand des Inhalts einer Urkunde getroffen wird, die sich in den dem FG vorgelegten Akten befindet und die von den Beteiligten hätte eingesehen werden können. Das ist hier anzunehmen. Das erwähnte Schreiben ist in einer in den Betriebsprüfungsakten befindlichen Kontrollmitteilung wiedergegeben. Die Klägerin hatte Anspruch auf Akteneinsicht. Sie hat nicht vorgetragen, daß ihr die Möglichkeit der Akteneinsicht und damit eine Kenntnisnahme vom Inhalt des Schreibens vom 29. April 1969 verwehrt war.
Soweit die Klägerin ihre Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs auf eine für sie überraschende Rechtsauffassung des FG stützt, ist dies ebenfalls unbeachtlich. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt nicht, daß das Gericht den Beteiligten die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte zuvor anzudeuten habe (vgl. BFH-Urteil vom 25. Februar 1976 I R 77/74, BFHE 118, 361, BStBl II 1976, 431).
2. Die Vorentscheidung kann indessen keinen Bestand haben, wenn sie aus den in ihr dargelegten Gründen zur Annahme einer Steuerumgehung gelangt ist.
a) Eine Steuerumgehung und damit ein Rechtsmißbrauch i. S. von § 6 Abs. 1 StAnpG liegt vor, wenn eine Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, und wenn hierdurch ein steuerlicher Erfolg angestrebt wird, der bei sinnvoller, Zweck und Ziel der Rechtsordnung berücksichtigender Auslegung vom Gesetz mißbilligt wird (vgl. BFH-Urteil vom 2. März 1966 II 113/61, BFHE 86, 396, BStBl III 1966, 509). Basisgesellschaften im niedrig besteuerten Ausland erfüllen den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs vor allem dann, wenn für ihre Errichtung wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet wird (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 1975 I R 135/70, BFHE 115, 107, BStBl II 1975, 553). Dabei ist die Frage, ob Basisgesellschaften in der Schweiz wegen Rechtsmißbrauchs nicht anzuerkennen sind, auch unter der Geltung des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der direkten Steuern und der Erbschaftsteuer vom 15. Juli 1931 i. d. F. des Zusatzprotokolls vom 20. März 1959 - DBA-Schweiz a. F. - (BGBl II 1959, 1253, BStBl I 1959, 1006) nach deutschem Steuerrecht zu entscheiden (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 1976 I R 234/73, BFHE 118, 553, BStBl II 1976, 513).
Ein Fehlen wirtschaftlicher Gründe bei der Gründung einer Basisgesellschaft wurde verneint z. B. bei der Errichtung einer Kapitalgesellschaft als Spitze eines weltweit aufzubauenden Konzerns (vgl. BFH-Urteil I R 135/70). Nach Auffassung des Senats gehört es auch zu den beachtlichen wirtschaftlichen Gründen, wenn die Basisgesellschaft im Basisland und/oder in Drittländern Beteiligungen von einigem Gewicht erwerben soll. Fehlen wirtschaftliche Gründe, dann sind als sonst beachtliche Gründe nur solche anzuerkennen, welche die Wahl des Sitzes und der Rechtsform der Basisgesellschaft mit außersteuerlichen Gründen gerade in diesem Fall rechtfertigen: Läßt sich die Wahl nur mit der Absicht der Steuerersparnis erklären, dann fehlt es auch an sonst beachtlichen Gründen. Ob für die Errichtung von Basisgesellschaften wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen, ist nicht allein nach dem in den Statuten niedergelegten Gesellschaftszweck oder den Angaben der Gründer zu entscheiden; der Gesellschaftszweck muß tatsächlich vollzogen, die behaupteten Gründe müssen durch wirtschaftliches Handeln der Organe nach Errichtung der Gesellschaft in Erscheinung treten (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 1976 III R 92/74, BFHE 118, 277, BStBl II 1976, 401).
Für die Entfaltung einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit genügt es nicht, daß die Basisgesellschaft lediglich das Stammkapital hält (vgl. BFH-Urteil III R 92/74). Es reicht auch nicht aus, daß die Basisgesellschaft sich neben dem Halten ihres Nennkapitals darauf beschränkt, mit diesem Kapital oder mit zusätzlichen Darlehensmitteln eines Gesellschafters angeschaffte Wertpapiere zu halten, auch wenn dies mit einer gewissen Verwaltungstätigkeit verbunden ist (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juli 1976 VIII R 142/73, BFHE 120, 116, BStBl II 1977, 263); notwendig ist vielmehr eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr. Bei der Frage nach dem Entfalten einer eigenen wirtschaftlichen Betätigung der Basisgesellschaft ist jedoch nach Auffassung des Senats eine andere Beurteilung geboten, wenn derart beschränkte Tätigkeiten nur von vorübergehender Dauer sind und gleichzeitig vorbereitende, später auch zum Erfolg führende Maßnahmen zum Erwerb von Beteiligungen im Basisland und/oder in Drittländern durchgeführt werden. Läßt sich bei Berücksichtigung aller Umstände des Falles feststellen, daß die Maßnahmen in einem angemessenen zeitlichen und vernünftigen wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, dann ist auch das Merkmal der eigenen wirtschaftlichen Betätigung gegeben. Dabei wird es im Einzelfall auch von der Größenordnung der in Aussicht genommenen und ernsthaft verfolgten Beteiligungen abhängen, ob noch ein zeitlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang aller Maßnahmen zu bejahen ist.
b) Mit diesen Grundsätzen steht die Vorentscheidung nicht im Einklang, wenn in ihr zunächst offengelassen wurde, ob für die Errichtungen der schweizerischen Gesellschaften wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorlagen, sodann nur geprüft wurde, ob ein Zusammenhang zwischen der Übertragung bedeutender Vermögensteile und der Verwirklichung der gesellschaftlichen Zielsetzungen - Holdingfunktion - bereits im Streitjahr 1964 bestanden hat. Es muß im vorliegenden Falle nicht nur über die Gründe für die Errichtungen der Gesellschaften, sondern auch über deren wirtschaftliche Betätigungen befunden werden, wobei hinsichtlich des zuletzt genannten Merkmals solche Vorgänge in die Beurteilung miteinzubeziehen sind, die sich vor oder nach Ablauf des Streitjahres in einem angemessenen zeitlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Gründung ereignet haben.
3. Die Vorentscheidung war hiernach aufzuheben. Der Senat kann nicht selbst entscheiden, weil die bisherigen tatsächlichen Feststellungen des FG nicht ausreichen, insbesondere die Frage nach einer wirtschaftlichen Betätigung der Gesellschaften zu beurteilen. Bei den vom FG nachzuholenden Feststellungen wird das Vorbringen der Klägerin über Art, Umfang, Intensität und Erfolg des Suchens nach Beteiligungen zu berücksichtigen und zu beurteilen sein.
Fundstellen
Haufe-Index 72220 |
BStBl II 1977, 261 |
BFHE 1977, 448 |