Leitsatz (amtlich)
a) Mitdarlehensnehmer ist nur, wer ein eigenes Interesse an der Kreditgewährung hat und über die Auszahlung und Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden darf, Mithaftender, wer der Bank nicht als gleichberechtigter Darlehensnehmer gegenüber steht.
b) Eine krasse finanzielle Überforderung des mitverpflichteten Ehepartners oder nahen Angehörigen ist grundsätzlich erst dann zu bejahen, wenn der Betroffene voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag. Anderweitige Sicherheiten des Gläubigers sind nur zu berücksichtigen, soweit sie das Haftungsrisiko des Mitverpflichteten auf ein rechtlich vertretbares Maß beschränken.
c) In den Fällen der krassen finanziellen Überforderung besteht eine tatsächliche (widerlegliche) Vermutung, daß sich der Ehegatte oder nahe Angehörige bei der Übernahme der Mithaftung nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und daß das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen Hauptschuldner und Mithaftenden in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.
d) Der Erwerb bloßer mittelbarer Vorteile aus einem Betriebsmittelkredit des Hauptschuldners ist nicht geeignet, die tatsächliche Vermutung einer unzulässigen Willensbeeinflussung zu widerlegen.
e) Die gegen die guten Sitten verstoßende Mithaftungsabrede ist nach § 139 BGB teilweise aufrecht zu erhalten, wenn die Vertragsschließenden bei Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes an Stelle der unwirksamen Regelung eine andere auf das zulässige Maß beschränkte vereinbart hätten und sich der Vertragsinhalt in eindeutig abgrenzbarer Weise in den nichtigen Teil und den von der Nichtigkeit nicht berührten Rest aufteilen läßt (Bestätigung von BGHZ 107, 351).
Normenkette
BGB § 138 Abs. 1, §§ 139, 366 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Aktenzeichen 6 U 49/99) |
LG Stuttgart (Aktenzeichen 21 O 211/98) |
Tenor
Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 3. August 1999 werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Mitverpflichtung der Beklagten aus einem Darlehensvertrag. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 6. April 1992 schloß die klagende Sparkasse mit dem inzwischen geschiedenen Ehemann der Beklagten, dem Alleininhaber eines Montagebetriebes, einen Darlehensvertrag über 47.000 DM zu einem auf fünf Jahre festgeschriebenen Zinssatz von 9%, rückzahlbar in monatlichen Raten von 800 DM. Der Vertrag wurde von der Beklagten als Darlehensnehmerin mitunterzeichnet. Nach dem Willen der Vertragsparteien sollten mit dem Kredit die Geschäftsverbindlichkeiten des damaligen Ehemannes der Beklagten umgeschuldet und gemeinsame Restschulden der Eheleute in Höhe von 9.190,71 DM abgelöst werden. Zur Sicherung des Darlehens wurden der Klägerin eine Lebensversicherung der Beklagten und zwei Lebensversicherungen ihres geschiedenen Ehemannes übertragen.
Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses betreute die damals 26 Jahre alte Beklagte, die den Friseurberuf erlernt hat, ihre vier Kinder im Alter von einem bis acht Jahren. Ferner half sie für ein geringes Entgelt im Betrieb ihres damaligen Ehemannes aus.
Die Darlehensraten wurden bis Oktober 1996 über das Geschäftskonto des geschiedenen Ehemannes der Beklagten vertragsgemäß bezahlt. Nachdem weitere Tilgungsleistungen ausgeblieben waren, kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 24. Februar 1997 den Darlehensvertrag fristlos und verwertete daraufhin die Sicherungszwecken dienenden Lebensversicherungen. Nach deren Verwertung verblieb am 12. März 1998 eine Restschuld von 15.143,23 DM zuzüglich 3.906,39 DM Zinsrückstände. Mit der Klage nimmt die Klägerin die Beklagte, die im September 1994 eine Teilzeitbeschäftigung mit einem monatlichen Nettoverdienst von 840 DM aufgenommen hat, als Gesamtschuldnerin neben ihrem geschiedenen Ehemann auf Zahlung von 19.049,62 DM zuzüglich Zinsen in Anspruch.
Die Beklagte ist der Ansicht: Nach dem Inhalt des Darlehensvertrages sei sie keine Darlehensnehmerin geworden, sondern habe auf Verlangen der Klägerin die unbeschränkte Mithaftung übernommen. Der von ihr erklärte Schuldbeitritt sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig, jedenfalls aber im Hinblick auf die Ehescheidung im Jahre 1998 nach den allgemeinen Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage erloschen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat ihr in Höhe von 9.190,71 DM zuzüglich Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Mit den – zugelassenen – Revisionen verfolgt die Klägerin den abgewiesenen Teil ihres Klageantrags weiter, während die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen haben keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat die Mitunterzeichnung des Darlehensvertrages durch die Beklagte für einen gegen die guten Sitten verstoßenden und zum überwiegenden Teil nichtigen Schuldbeitritt gehalten. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt:
Bei dem streitgegenständlichen Darlehen handele es sich hauptsächlich um einen für den damaligen Ehemann der Beklagten bestimmten Betriebsmittelkredit. Bei wertender Betrachtung habe die Beklagte nicht die Stellung einer Kreditnehmerin, sondern einer bloßen Mitschuldnerin erlangt. Da sie mit ihren monatlichen Einnahmen aus der Mitarbeit im Betrieb ihres geschiedenen Ehemannes weder die in den Monatsraten enthaltenen Zinsen hätte aufbringen, noch innerhalb von fünf Jahren ein Viertel der Hauptschuld (ohne Zinsen) hätte tilgen können, sei sie durch den Schuldbeitritt finanziell krass überfordert worden. Auf die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehenden und die zukünftigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse ihres damaligen Ehemannes komme es im Rahmen der Wirksamkeitsprüfung nicht an. Die sicherungshalber abgetretenen Lebensversicherungen seien ausweislich der 1997 erzielten Verwertungserlöse von durchschnittlich 4.500 DM bei Abschluß des Vertrages nicht so wertvoll gewesen, daß sie das Haftungsrisiko und damit die finanzielle Leistungsunfähigkeit der Beklagten beseitigt oder entscheidend verringert hätten.
Angesichts der krassen finanziellen Überforderung sei im Zweifel davon auszugehen, daß die Beklagte sich nur aus emotionaler Verbundenheit zu ihrem damaligen Ehemann auf das wirtschaftlich sinnlose Mithaftungsbegehren eingelassen habe. Diese tatsächliche Vermutung habe die Klägerin nicht widerlegt.
Ein unmittelbares Interesse an der neuen Kreditaufnahme habe auf seiten der Beklagten nur insoweit bestanden, als ein Teil des Darlehens zur Tilgung ihrer eigenen Schulden verwandt worden sei. Dagegen sei sie an der den Hauptzweck des Darlehensvertrages bildenden Finanzierung des Gewerbebetriebes ihres geschiedenen Ehemannes allenfalls mittelbar interessiert gewesen. Das reiche nicht aus, um der unbeschränkten Mithaftungsvereinbarung den Makel der Sittenwidrigkeit zu nehmen.
Indes sei der Schuldbeitritt gemäß § 139 BGB insoweit wirksam, als mit dem Darlehen die gemeinsamen Schulden der Beklagten und ihres damaligen Ehemannes abgelöst worden seien. Da die Prozeßparteien bei Kenntnis des Nichtigkeitsgrundes entweder eine Mitverpflichtung in Höhe der ursprünglichen Haftung der Beklagten vereinbart oder diese bestehen gelassen hätten, sei eine Gesamtnichtigkeit selbst dann nicht gegeben, wenn die gesamtschuldnerische Verpflichtung zur Rückzahlung des Kredits nicht teilbar sein sollte. Der durch die beschränkte Mithaftungsabrede gesicherte Teil der Darlehensforderung zuzüglich anteiliger Zinsen sei mangels entsprechender Tilgungsbestimmung auch nicht ganz oder teilweise erloschen, sondern werde nach den Regeln des § 366 Abs. 2 BGB nachrangig getilgt.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in allen wesentlichen Punkten stand.
Gemäß § 138 Abs. 1 BGB verstößt eine Schuldmitübernahme bei nicht ganz geringfügigen Bankkrediten auch ohne Hinzutreten den finanzschwachen Ehepartner bzw. nahen Angehörigen besonders belastender Umstände oder Verhältnisse im allgemeinen gegen die guten Sitten und ist daher nichtig, wenn die Verpflichtung nicht aufgrund einer freien Entscheidung übernommen wurde, sondern die Bank die emotionale Bindung des Ehepartners oder des nahen Angehörigen an den Darlehensnehmer ausgenutzt hat. Davon ist hier im Hinblick auf die krasse finanzielle Überforderung der Beklagten auszugehen. Allerdings steht einer Aufrechterhaltung des Schuldbeitritts in Höhe der abgelösten gemeinsamen Verbindlichkeiten der geschiedenen Eheleute nach der Wertung des § 139 BGB kein Hinderungsgrund entgegen. Nach § 366 Abs. 2 BGB ist auch eine Tilgung des durch die beschränkte Mithaftungsvereinbarung gesicherten Teils der Darlehensforderung sowie der darauf entfallenden Zinsen nicht erfolgt.
A. Revision der Klägerin
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
1. Ihrer Ansicht, die Beklagte sei nach den getroffenen Vereinbarungen nicht nur zur Sicherung des Rückzahlungsanspruches in die Haftung einbezogen worden, sondern zusammen mit ihrem damaligen Ehemann in jeder Beziehung gleichberechtigte Mitdarlehensnehmerin, kann nicht gefolgt werden.
Von solchen echten Mitdarlehensnehmern, bei denen eine Sittenwidrigkeit des Darlehensvertrages auch bei krasser finanzieller Überforderung grundsätzlich nicht in Betracht kommt, kann in aller Regel nur bei Personen ausgegangen werden, die ein eigenes Interesse an der Kreditgewährung haben, sich als Gesamtschuldner verpflichten und im wesentlichen gleichberechtigt über die Verwendung der Darlehensvaluta mitentscheiden (Nobbe, Bankrecht – Aktuelle höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung Rdn. 1328). So liegen die Dinge, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hier jedoch nicht.
Zwar sollten die neuen Kreditmittel nach dem Willen der Vertragsparteien nicht nur zur Umschuldung der Geschäftsverbindlichkeiten des damaligen Ehemannes der Beklagten, sondern auch zur Ablösung der gemeinsamen Restschulden aus einem Allzweckdarlehen und einem Girovertrag verwandt werden. Dies bedeutet aber nicht, daß der Klägerin von Anfang an zwei gleichberechtigte Darlehensnehmer gegenüberstanden. Denn abgesehen davon, daß der ganz überwiegende Teil des Kredits für die Finanzierung des Gewerbebetriebes benötigt wurde, deutet nichts darauf hin, daß es ohne die von der Klägerin mit dem damaligen Ehemann der Beklagten vereinbarte Umschuldungsmaßnahme überhaupt zum Abschluß des Darlehensvertrages gekommen wäre. Daß die formelle Mitantragstellung der Beklagten Sicherungszwecken dienen und keine echte Gläubigerstellung begründen sollte, ist im übrigen von der Klägerin in den Vorinstanzen nicht substantiiert bestritten worden.
2. Die Mithaftungsübernahme überforderte die Beklagte finanziell in krasser Weise.
a) Wie der erkennende Senat bereits in seinem Vorlagebeschluß an den Großen Senat vom 29. Juni 1999 (XI ZR 10/98, WM 1999, 1556, 1559) näher dargelegt hat, ist eine krasse finanzielle Überforderung des mitverpflichteten Ehepartners oder nahen Angehörigen bei nicht ganz geringfügigen Bankschulden grundsätzlich dann zu bejahen, wenn er voraussichtlich nicht einmal in der Lage ist, die laufenden Zinsen mit seinen eigenen finanziellen Mitteln auf Dauer aufzubringen. In einem solchen Falle spricht ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine widerlegliche tatsächliche Vermutung dafür, daß sich der Ehegatte oder nahe Angehörige bei der Übernahme der Mithaftung nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und das Kreditinstitut die emotionale Beziehung zwischen dem Hauptschuldner und dem Mithaftenden in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (vgl. BGHZ 136, 346, 351; BGH, Urteile vom 11. Dezember 1997 – IX ZR 274/96, WM 1997, 235, 236, insoweit in BGHZ 137, 292 ff., nicht abgedruckt; vom 6. Oktober 1998 – XI ZR 244/98, WM 1998, 2366, 2367; vom 8. Oktober 1998 – IX ZR 257/97, WM 1998, 2327, 2328 und vom 27. Januar 2000 – IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 411).
Auf dieser Betrachtungsweise beruht – anders als die Revision der Klägerin meint – auch die angefochtene Entscheidung. Zwar hat das Berufungsgericht in Anlehnung an die frühere, spätestens seit der Entscheidung vom 27. Januar 2000 (IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 411) überholte Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs ausgeführt, daß die Beklagte mit ihren monatlichen Einnahmen aus der Mitarbeit im Betrieb ihres damaligen Ehemannes voraussichtlich nicht ein Viertel der Hauptsumme (ohne Zinsen) innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren hätte aufbringen können. Nach den an gleicher Stelle getroffenen rechtsfehlerfreien Feststellungen hätte der Lohn aber auch nicht zur ordnungsmäßigen Bedienung der laufenden Zinsen ausgereicht. Da die Beklagte bei Abgabe der Mithaftungserklärung ihre vier, damals ein, zwei, sechs und acht Jahre alten Kinder betreute, war entgegen der Ansicht der Revision jedenfalls innerhalb der acht- bis neunjährigen Laufzeit des Darlehens nicht mit einer ganz- oder halbtägigen Ausübung des erlernten Friseurberufs zu rechnen und konnte angesichts der bestehenden Unterhaltspflichten erst recht kein pfändbares Einkommen aus einer solchen Tätigkeit erwartet werden. Für eine Vereinbarung der Parteien, daß die Mithaftungsabrede nur im Falle einer wesentlichen Verbesserung der Einkommens- oder Vermögensverhältnisse der Beklagten gelten sollte, ist nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich.
b) Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten ist das Leistungsvermögen ihres Ehemannes nicht zu berücksichtigen, sondern nur ihr eigenes pfändbares Einkommen und Vermögen. Die Bürgschaft oder Mithaftung wird in aller Regel gerade für den Fall der Insolvenz des Hauptschuldners oder anderer Leistungshindernisse vereinbart. Auf diese Situation ist deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (siehe Vorlagebeschluß vom 29. Juni 1999 – XI ZR 10/98, aaO S. 1559 m.w.Nachw.) im Rahmen der Prüfung der finanziellen Möglichkeiten des mitverpflichteten Ehepartners oder nahen Angehörigen abzustellen. Diese Auffassung wird auch vom IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs geteilt. Seinen früheren gegenteiligen Standpunkt hat er inzwischen ausdrücklich aufgegeben (BGH, Urteil vom 27. Januar 2000 – IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 412).
3. Das von der Beklagten übernommene Haftungsrisiko wurde durch die der Klägerin zur Sicherheit übertragenen Lebensversicherungen der Beklagten und ihres Ehemannes nicht entscheidend herabgemindert.
a) Bei der Beurteilung der finanziellen Überforderung sind nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anderweitige Sicherheiten des Kreditgebers grundsätzlich nur dann zu berücksichtigen, wenn sie das Haftungsrisiko des Mitverpflichteten oder Bürgen in rechtlich gesicherter Weise auf ein vertretbares Maß beschränken (vgl. BGHZ 136, 347, 352 f.; Urteile vom 8. Oktober 1998 – IX ZR 257/97, WM 1998, 2327, 2328 und 27. Januar 2000 – IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 412; siehe ferner Vorlagebeschluß des erkennenden Senats vom 29. Juni 1999 – XI ZR 10/98, aaO S. 1560). Gemessen an diesen strengen Grundsätzen hat das Berufungsgericht den abgetretenen Lebensversicherungen zu Recht keine wesentliche Bedeutung beigemessen.
Dabei kann offenbleiben, welcher Zeitraum für die zukünftige Wertentwicklung von Lebensversicherungen oder anderen Sicherheiten vernünftigerweise prognostizierbar ist und unter welchen Voraussetzungen bloße Erwerbsaussichten des Mitverpflichteten zu berücksichtigen sind. Denn da zwischen der Mithaftungsvereinbarung und der Verwertung der Lebensversicherungen ein Zeitraum von mehr als fünf Jahren liegt und mit dem Gesamterlös dennoch nicht einmal ein Drittel der ursprünglichen Darlehensschuld getilgt werden konnte, war nicht von Beginn an gewährleistet, daß die Beklagte im Sicherungsfalle nur noch in einem sie nicht mehr unzumutbar belastenden Umfang haften würde. Entgegen der Auffassung der Revision ist auf die Sicherheiten auch nicht im Rahmen einer „Gesamtwürdigung” der damaligen Einkommens- und Vermögensverhältnisse der geschiedenen Eheleute Rücksicht zu nehmen, weil es aus den bereits dargelegten Gründen allein auf die Finanzkraft der Beklagten ankommt.
b) Die Klägerin muß die danach gegebene finanzielle Leistungsunfähigkeit der Beklagten als bekannt gegen sich gelten lassen. Nach banküblichen Gepflogenheiten überprüfen Kreditinstitute die geforderten Sicherheiten vor der Hereinnahme mit kaufmännischer Sorgfalt auf ihre Werthaltigkeit. Sieht eine Bank – wie hier – davon ab, befragt sie also insbesondere den Betroffenen nicht nach seinen derzeitigen und zukünftigen finanziellen Möglichkeiten, so ist im Zweifel davon auszugehen, daß sie die die krasse finanzielle Überforderung begründenden objektiven Tatsachen und Verhältnisse schon bei Vertragsabschluß kannte oder sich ihnen bewußt verschlossen hat (vgl. BGH, Urteile vom 2. November 1995 – IX ZR 222/94, WM 1996, 53, 54; 8. Oktober 1998 – IX ZR 257/97, WM 1998, 2327, 2329 m.w.Nachw. und 27. Januar 2000 – IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 412).
4. Die angesichts der krassen finanziellen Überforderung der Beklagten bestehende tatsächliche Vermutung, daß sie sich bei der Übernahme der Mithaftung nicht von einer realistischen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos, sondern von ihrer emotionalen Bindung an ihren damaligen Ehemann hat leiten lassen und die Klägerin dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat, hat die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin nicht ausgeräumt.
a) Nach Ansicht des erkennenden Senats ist ein auf einen freien Willensentschluß hindeutendes oder ein Handeln allein aus emotionaler Verbundenheit voll ausgleichendes Eigeninteresse des finanziell krass überforderten Ehepartners an der Darlehensgewährung allerdings grundsätzlich zu bejahen, wenn er zusammen mit dem Ehepartner ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung hat oder ihm aus der Verwendung der Darlehensvaluta unmittelbare und ins Gewicht fallende geldwerte Vorteile erwachsen sind. Bei wirtschaftlicher Betrachtung besteht dann kein wesentlicher Unterschied zu den Fällen, in denen die Eheleute den Kredit als gleichberechtigte Vertragspartner aufgenommen und verwandt haben. In solchen Fällen muß sich der nur aus Sicherungsgründen in die Haftung einbezogene Mitverpflichtete daher bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 1 BGB wie ein echter Mitdarlehensnehmer behandeln lassen (siehe Vorlagebeschluß vom 29. Juni 1999 – XI ZR 10/98, aaO S. 1560, 1561 m.w.Nachw.).
b) Damit ist jedoch der Erwerb bloßer mittelbarer geldwerter Vorteile aus einem von dem Hauptschuldner aufgenommenen Betriebsmittelkredit grundsätzlich nicht zu vergleichen (Vorlagebeschluß vom 29. Juni 1999 – XI ZR 10/98, aaO S. 1561 m.w.Nachw.). Der gegenteilige Standpunkt führt zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung der Ehepartner selbständiger Unternehmer ohne Rücksicht auf ihre eigene finanzielle Leistungsfähigkeit und Berufsausbildung. Insbesondere ist die Unterhaltsbedürftigkeit des einen Partners für sich genommen kein triftiger Grund, um ihm gegen seinen ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen das unternehmerische Risiko des andern aufzubürden, zumal sich häufig nicht einmal ein innerer Zusammenhang zwischen den Unterhaltsleistungen und der Darlehensgewährung zuverlässig feststellen läßt. Auch diese differenzierende Betrachtungsweise wird inzwischen vom IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs jedenfalls bei krasser finanzieller Überforderung des Bürgen geteilt (Urteil vom 27. Januar 2000 – IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 412, 413). Von hier entscheidungsrelevanten Meinungsunterschieden in der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Erwerb bloßer mittelbarer Vorteile des Bürgen oder Mitverpflichteten aus der Darlehensaufnahme einen angemessenen Interessenausgleich darstellt, kann daher entgegen der Auffassung der Revision keine Rede mehr sein.
c) Das Berufungsgericht hat ein rechtlich vertretbares Interesse der Klägerin an der Mitverpflichtung der Beklagten zu Recht auch nicht in der abstrakten Gefahr gesehen, ihr damaliger Ehemann könne sein ganzes Vermögen oder wesentliche Teile davon auf sie übertragen. Der Gesichtspunkt, solchen Vermögensverlagerungen vorzubeugen, war nach den eigenen Angaben der Klägerin für das unbeschränkte Mithaftungsbegehren bedeutungslos, so daß er weder zum Inhalt noch zur Geschäftsgrundlage des Schuldbeitritts gemacht worden ist. Auf die strittige Frage, ob die in einer Mithaftungserklärung nicht zum Ausdruck gekommene Absicht des Kreditinstituts, Vermögensverlagerungen vorzubeugen, überhaupt eine unbeschränkte Mithaftung rechtfertigen kann, kommt es somit nicht an.
5. Die von der Klägerin verlangte Mithaftungserklärung der Beklagten verstößt danach gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB) und ist nichtig, soweit sie nicht den für die Ablösung der gemeinsamen Altschulden der Beklagten und ihres Ehemannes erforderlichen Teil des Darlehens betrifft.
B. Revision der Beklagten
Im übrigen wird der Schuldbeitritt entgegen der Ansicht der Beklagten nicht von der Nichtigkeitsfolge des § 138 Abs. 1 BGB erfaßt. Auch die Revision der Beklagten ist deshalb unbegründet.
1. Nach § 139 BGB bleibt bei Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts der von der Nichtigkeit nicht erfaßte Teil bestehen, wenn dies dem hypothetischen Parteiwillen entspricht. Eine solche Teilnichtigkeit ist zwar in erster Linie gegeben, wenn nach Entfernung (sozusagen: „Hinausstreichen”) des unwirksamen Teils ein Vertragsinhalt übrig bleibt, der für sich allein genommen einen Sinn behält. Nach der Zielsetzung der Norm ist sie aber grundsätzlich auch dann anwendbar, wenn die Vertragsschließenden an Stelle der unwirksamen Regelung, hätten sie die Nichtigkeit von Anfang an gekannt, eine andere auf das zulässige Maß beschränkte vereinbart hätten und sich der Vertragsinhalt in eindeutig abgrenzbarer Weise in den nichtigen Teil und den von der Nichtigkeit nicht berührten Rest aufteilen läßt (BGHZ 107, 351, 355 f.).
Das ist unter den hier gegebenen Umständen und Verhältnissen zu bejahen. Für die Beklagte war es nämlich schon für sich allein sinnvoll und vorteilhaft, wenn die bezüglich der alten Verbindlichkeiten begründete Primärhaftung vollständig erlischt und durch eine grundsätzlich auf den Sicherungsfall beschränkte Subsidiärhaftung ersetzt wird. Es ist daher, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, kein Grund für die Annahme ersichtlich, die Beklagte hätte als rational handelnde Vertragspartei keinen Schuldbeitritt in Höhe der abgelösten Schulden erklärt und auch keine vergleichbare Sicherungsabrede getroffen.
Die Anwendung des § 139 BGB steht – anders als die Revision der Beklagten meint – nicht in Widerspruch zum Schutzgedanken des § 138 BGB. Zwar dürfen sittenwidrige Rechtsgeschäfte für den Gläubiger nicht das Risiko verlieren, mit dem sie durch die gesetzlich angeordnete Nichtigkeitssanktion behaftet sind; das wäre aber der Fall, wenn er im allgemeinen damit rechnen könnte, schlimmstenfalls durch gerichtliche Festsetzung das zu bekommen, was gerade noch rechtlich vertretbar und damit sittengemäß ist (vgl. BGHZ 68, 204, 207; BGH, Urteil vom 13. März 1979 – KZR 23/77, NJW 1979, 1605, 1606). Sittenwidrige und vor allem wucherische Rechtsgeschäfte sind daher grundsätzlich als Einheit zu werten und dürfen auch nicht durch eine geltungserhaltende Reduktion oder Umdeutung im Sinne des § 140 BGB mit einem zulässigen Inhalt aufrechterhalten werden (BGHZ 68, 204, 207 m.w.Nachw.; vgl. auch BGH, Urteil vom 27. Januar 2000 – IX ZR 198/98, WM 2000, 410, 413).
Hier geht es aber nicht darum, daß der Richter für die Parteien anstelle der sittenwidrigen Vereinbarungen eine Vertragsgestaltung findet, die auf die beiderseitigen Interessen hinreichend Rücksicht nimmt und die Nichtigkeitsfolge des § 138 BGB vermeidet. Vielmehr ist der sittenwidrige Teil der unbeschränkten Mithaftungsvereinbarung aufgrund der objektiven Umstände und Verhältnisse genau bestimmt und kann infolgedessen ohne weiteres ausgesondert werden.
2. Der Revision der Beklagten kann schließlich auch nicht gefolgt werden, soweit sie den durch die beschränkte Mithaftungsvereinbarung gesicherten Teil der Darlehensforderung aufgrund der erbrachten Darlehensraten und der Verwertung der sicherungshalber abgetretenen Lebensversicherungen für erloschen erachtet.
Nach § 366 Abs. 1 BGB kann der Schuldner mehrerer Forderungen, wenn seine Leistung nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden ausreicht, selbst bestimmen, welche Schuld oder Schulden getilgt werden sollen. In Abs. 2 dieser Vorschrift ist eine ergänzende Regelung für den Fall vorgesehen, daß der Schuldner – wie hier – eine solche Bestimmung weder ausdrücklich noch stillschweigend getroffen hat. Diese Tilgungsbestimmung entspricht dem vermuteten Willen vernünftiger und redlicher Vertragsparteien. Widerspricht jedoch ausnahmsweise die gesetzlich normierte Reihenfolge der Kategorien des Abs. 2 (Fälligkeit, Sicherheit der Forderung, Lästigkeit, Alter der Schuld) ganz offensichtlich dem hypothetischen Parteiwillen, so ist allein dieser maßgebend (BGH, Urteil vom 5. Februar 1969 – VIII ZR 42/67, NJW 1969, 1846, 1847). Daraus vermag die Revision aber für sich nichts herzuleiten.
Zwar hält die Revision es für ausgeschlossen, daß die Beklagte als ursprüngliche Mitdarlehensnehmerin einer Tilgungsvereinbarung zugestimmt hätte, nach der die über einen Zeitraum von rund vier Jahren geleisteten Tilgungsraten und die bei der Verwertung der Lebensversicherungen erzielten Erlöse ausschließlich mit den Geschäftsschulden ihres damaligen Ehemannes verrechnet werden sollen. Für diese Argumentation fehlt aber bereits die notwendige Tatsachengrundlage. Zwar hat das Berufungsgericht es immerhin für möglich erachtet, daß die Prozeßparteien bei Kenntnis der Nichtigkeit eines unbeschränkten Schuldbeitritts die Haftung der Beklagten aus den alten Darlehensverträgen bestehen gelassen hätten. Eine solche Entscheidung hätte aber im Hinblick auf die finanzielle Leistungsunfähigkeit der Beklagten und die schlechte Zukunftsprognose ersichtlich keinen Sinn ergeben. Da bei objektiver Betrachtungsweise davon auszugehen ist, daß die Beklagte ihre eigene Lebensversicherung in jedem Falle zur Sicherung des neuen Kredits abgetreten hätte, gibt es auch sonst keinen Grund, der die in § 366 Abs. 2 BGB normierte nachrangige Tilgung des am besten gesicherten Teils der Darlehensforderung als grob unbillig erscheinen läßt.
III.
Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten waren deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Unterschriften
Nobbe, Dr. van Gelder, Dr. Müller, Dr. Joeres, Dr. Wassermann
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 14.11.2000 durch Herrwerth, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 519176 |
BGHZ |
BGHZ, 37 |
DB 2001, 378 |
DStR 2001, 670 |
DStZ 2001, 334 |
NJW 2001, 815 |
NWB 2001, 564 |
BGHR 2001, 132 |
BGHR |
BauR 2001, 685 |
FamRZ 2001, 1286 |
DNotI-Report 2001, 41 |
EWiR 2001, 301 |
KTS 2001, 279 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 402 |
WuB 2001, 775 |
WuB 2001, 825 |
ZAP 2001, 254 |
ZIP 2001, 189 |
DNotZ 2001, 684 |
JA 2001, 737 |
JZ 2001, 1036 |
JuS 2001, 606 |
MDR 2001, 403 |
GmbHR 2001, 247 |
ZBB 2001, 92 |
ZNotP 2001, 166 |
LL 2001, 242 |