Beteiligte
Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. Juli 1996 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger wendet sich dagegen, daß der Beklagte die Bewilligung von Kindergeld (Kg) rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1994 aufgehoben und das für diesen Zeitraum überzahlte Kg zurückgefordert hat.
Der Kläger ist Beamter des beklagten Landes Niedersachsen. Er ist durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 20. Dezember 1984 (16 F 352/84) geschieden; durch das Urteil wurde außerdem der geschiedenen Ehefrau das Sorgerecht für die am 31. August 1976 geborene gemeinsame Tochter (D) übertragen, während durch Unterhaltsvergleich vom selben Tage der Kläger als Bezugsberechtigter des Kg bestimmt wurde. Die letzte Bewilligung des Kg erfolgte für den Zeitraum bis zum 31. Juli 1996 in Höhe von zuletzt 70 DM monatlich.
Im Dezember 1993 erhielt der Kläger von dem Beklagten ein Informationsblatt über die Änderung des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) zum 1. Januar 1994 sowie die Zahlung des Kg unter Vorbehalt ab diesem Zeitpunkt. Mit Wirkung vom 1. Mai 1994 stellte der Beklagte die Zahlung von Kg an den Kläger „vorläufig” ein (Bescheid vom 7. April 1994). Später hob er die Bewilligung von Kg für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1994 auf, forderte das überzahlte Kg in Höhe von 280 DM zurück und rechnete den Rückforderungsbetrag mit laufenden Beamtenbezügen des Klägers auf (Bescheid vom 6. Oktober 1994 idF des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 1995). Wegen Volljährigkeit von D und damit Wegfall des Sorgerechts der Mutter erhielt der Kläger das Kg erneut ab 1. September 1994.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteile vom 24. November 1995 bzw 30. Juli 1996). Das LSG hat ausgeführt, nach der Neufassung des BKGG sei eine Berechtigtenbestimmung nur noch bei verheirateten zusammenlebenden Elternteilen möglich; die Regelung im Vergleich sei damit hinfällig geworden. Durch das Informationsblatt habe der Kläger auch gewußt oder wissen müssen, daß sein Anspruch ab 1. Januar 1994 wegfallen würde; mangels atypischen Falles sei bei der Entscheidung über die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung keine Ermessensausübung des Beklagten notwendig gewesen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 3 BKGG und des § 157 Bürgerliches Gesetzbuch. Ein innerfamiliärer Ausgleich der Unterhaltsleistungen bei zusammenlebenden Elternteilen, wegen dem der Senat eine andere Revision (14/10 RKg 39/95) zurückgewiesen habe, komme im vorliegenden Falle wegen seiner Scheidung nicht in Betracht. Eine Abänderung seiner Unterhaltsverpflichtung sei rückwirkend nicht mehr möglich. Der familiengerichtlich genehmigte Vergleich über die Bezugsberechtigung sei vorrangig.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 30. Juli 1996 und das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 24. November 1995 sowie den Bescheid vom 6. Oktober 1994 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Februar 1995 aufzuheben.
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie gibt keine Veranlassung, den Rechtsstreit auszusetzen und gemäß Art 100 Abs 1 Grundgesetz (GG) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob § 3 Abs 3 BKGG in der ab 1. Januar 1994 gültigen Fassung durch Art 5 Nr 3b des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) vom 21. Dezember 1993 (BGBl S 2353 - BKGG 1994) mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar ist, oder zumindest den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des BVerfG in einer anderen vom Senat vorgelegten Sache (vgl Beschluß vom 28. Mai 1997, 14/10 RKg 22/95 = SGb 1997, 417 = SozSich 1998, 79) auszusetzen.
1. Nach § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG 1994 stand dem Kläger ab 1. Januar 1994 kein Kg mehr zu, weil er und die von ihm geschiedene Mutter von D von diesem Zeitpunkt an nicht mehr zum Kreis derjenigen Eltern zählten, die durch übereinstimmende Willenserklärung die Bezugsberechtigung beim Kg bestimmen konnten. Nach § 3 Abs 3 Satz 2 2. Halbsatz BKGG 1994 war das Kg vielmehr jetzt demjenigen Elternteil zu gewähren, dem die Personensorge für D zustand, hier also der Mutter. Die Regelung bezieht sich nicht nur auf die Fallgestaltung des vorangehenden Satzes 1, daß zusammenlebende Ehegatten eine Berechtigtenbestimmung nicht getroffen haben, sondern auch auf die Fälle, in denen eine Berechtigtenbestimmung der Eltern nicht mehr zulässig ist. Der Beklagte war daher berechtigt, den Leistungsbescheid gegenüber dem nicht mehr bezugsberechtigten Elternteil (dem Kläger) aufzuheben und das Kg dem anderen Teil (der Mutter von D) auszuzahlen; das gilt auch für diejenigen Fälle, in denen die Eltern – wie hier – die Berechtigtenbestimmung schon vor dem Inkrafttreten der Neuregelung getroffen hatten (vgl im einzelnen hierzu den Beschluß des Senats vom 28. Mai 1997, 14/10 RKg 22/95).
2. Der Senat hält die Neuregelung des § 3 Abs 3 BKGG durch das 1. SKWPG zwar weiterhin für verfassungswidrig. Die Einholung einer Entscheidung durch das BVerfG gemäß Art 100 Abs 1 GG setzt aber voraus, daß es auch in der konkreten Sache auf die Gültigkeit der als verfassungswidrig angesehenen Vorschrift ankommt. Dies ist nicht schon dann der Fall, wenn lediglich nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Gesetzgeber bei Änderung der Vorschrift, soweit sie für andere Betroffene verfassungswidrig ist, auch den Kläger begünstigen würde (vgl BVerfGE 66, 100; 67, 239; BSG SozR 3-5870 § 10 Nr 6); hier kann selbst das ausgeschlossen werden, wie noch darzulegen ist. Nur dann, wenn die Bezugsberechtigung des Klägers selbst aus verfassungsrechtlichen Gründen gewährleistet sein müßte, käme eine Aussetzung des Verfahrens zur Vorlage an das BVerfG in Betracht.
Zwar war der Kläger seit dem 1. Januar 1994 nicht mehr kindergeldberechtigt, doch erhielt ab diesem Zeitpunkt die Mutter von D das Kg in unveränderter Höhe. Hierdurch minderte sich aber die Unterhaltspflicht des Klägers für D in gleicher Höhe, so daß wirtschaftlich für ihn kein Nachteil eintrat. Die Bezugsberechtigung nur eines Elternteils mit Vorrang des Sorgeberechtigten oder des Zahlers einer Unterhaltsrente hat das BVerfG jedenfalls dann als zulässig angesehen, wenn sich diese Zuordnung innerfamiliär – über die Verrechnung mit Unterhaltszahlungen – ausgleicht und nicht auf die Höhe des Kg auswirkt (BVerfGE 45, 104, 130), wie das auch hier der Fall war. Denn anders als in dem dem BVerfG vorgelegten Fall vom 28. Mai 1997 (14/10 RKg 22/95) können weder der Kläger noch seine geschiedene Ehefrau Zählkindervorteile geltend machen. Mangels wirtschaftlichen Nachteils kann auch ausgeschlossen werden, daß der Gesetzgeber nach Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift eine Nachzahlung des Kg auch in solchen Fällen anordnen würde, in denen – wie hier – dem anderen Elternteil Kg in derselben Höhe zugeflossen ist. Ein Wiederherstellen des verfassungsgemäßen Zustandes ist vielmehr nur in der Weise denkbar, daß Differenzbeträge nachgezahlt werden, die bei verfassungsgemäßer Regelung beiden Elternteilen (zusammengerechnet) zusätzlich zugestanden hätten. Von daher besteht auch zur Aussetzung zum Zwecke des Abwartens einer Entscheidung des BVerfG über den bereits vorgelegten Fall kein Anlaß.
3. Der Fall wirft auch keine Besonderheiten auf, die eine weitere Vorlage an das BVerfG oder zumindest eine Aussetzungsanordnung bis zur Entscheidung des bereits vorgelegten Falles rechtfertigen könnte. Obgleich der Kläger im Gegensatz zu einem weiteren – durch Zurückweisung der Revision entschiedenen – Fall vom 28. Mai 1997 (14/10 RKg 39/95 = SGb 1997, 418) nicht mehr mit der Mutter des Kindes und diesem selbst zusammenlebt, war durch Senkung der Unterhaltszahlung in Höhe des Kg auch hier ein vollständiger wirtschaftlicher Ausgleich möglich. Zumindest hätte der Kläger aufgrund des Informationsblattes vom Dezember 1993 den Unterhalt ab 1. Januar 1994 in Höhe des voraussichtlich ab diesem Datum wegfallenden Kg (70 DM monatlich) unter Vorbehalt zahlen und nach Zahlung des Kg an die Mutter zurückfordern können. Eine Beeinträchtigung des Mindestunterhalts ist vom LSG nicht festgestellt und vom Kläger auch nicht vorgetragen, sondern lediglich als abstrakte Möglichkeit hingestellt worden, so daß auf die Rechtserheblichkeit dieses Einwands nicht näher einzugehen ist.
Der vor dem Familiengericht geschlossene Unterhaltsvergleich mit der Zuordnung des Kg zum Kläger ist durch die zwingende gesetzliche Regelung hinfällig geworden. Nach den Materialien zum 1. SKWPG sollten durch Verhinderung fragwürdiger Berechtigtenbestimmungen finanzielle Mittel eingespart werden: Nach der früheren Regelung konnte durch Berechtigtenbestimmung zugunsten eines unverheirateten Elternteils, der weder die Personensorge noch die überwiegende Unterhaltspflicht, wohl aber sog Zählkinder aus anderen Beziehungen hatte, eine Erhöhung des Kg-Anspruchs erzielt werden; diese Möglichkeit sollte nunmehr als ungerechtfertigter Vorteil beseitigt werden (BT-Drucks 12/5502, S 19, 20, 45; Urteil des Senats vom 28. Mai 1997, 14/10 RKg 22/95). Da der Gesetzgeber ausdrücklich alle Fälle mit fragwürdiger Berechtigtenbestimmung erfassen wollte (vgl Bericht des Haushaltsausschusses, BT-Drucks 12/5929, S 5), ist davon auszugehen, daß auch Berechtigtenbestimmungen in aufgrund der früheren Gesetzeslage geschlossenen gerichtlichen Unterhaltsvergleichen nicht verschont bleiben sollten. Die (Neu-)Regelungsbefugnis des Gesetzgebers umfaßt auch die Gestaltungsfreiheit, hinsichtlich laufender Fälle die vertragliche Verbindlichkeit von Unterhaltsvergleichen aufzuheben oder einzuschränken, soweit verfassungsrechtliche Schranken nicht verletzt werden. Der Senat hat jedoch schon früher entschieden, daß es bei kindergeldrechtlichen Änderungen auch im Hinblick auf Art 20 GG einen absoluten Vertrauensschutz nicht gibt, vielmehr eine Abwägung zwischen dem Vertrauen des einzelnen in den Fortbestand der für ihn günstigen Rechtslage einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit andererseits vorzunehmen ist (BSG SozR 3-5870 § 2 Nr 38 unter Hinweis auf BVerfGE 70, 69, 84; 67, 1, 15). Wenn der bisher Anspruchsberechtigte seinen wirtschaftlichen Nachteil jedoch, wie ausgeführt, durch Senkung seiner Unterhaltspflicht, notfalls im Wege der Abänderungsklage gemäß § 323 Zivilprozeßordnung, vollständig ausgleichen kann, geht das Interesse der Allgemeinheit an einer entschlossenen, kurzfristigen Haushaltssanierung (vgl insoweit zum 1. SKWPG: BT-Drucks 12/5502, S 1, 19) vor.
4. Die Aufhebung der Bewilligung von Kg durch Bescheid vom 6. Oktober 1994 für die Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1994 war auch trotz der Rückwirkung zulässig. Nach § 48 Abs 1 Satz 1, 2 Nr 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt des Erlasses mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wußte oder nicht wußte, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, daß der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen war. Hier war durch das 1. SKWPG zum 1. Januar 1994 eine rechtliche Änderung eingetreten. Durch das genannte Informationsblatt wußte der Kläger schon vorher von dieser Änderung oder seine Unkenntnis war grob fahrlässig. Eine Unkenntnis könnte nur darauf beruht haben, daß er das Informationsblatt nicht gelesen hat, was als grobe Verletzung seiner Sorgfaltspflichten iS von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4 SGB X zu werten wäre. Der Beklagte war damit zur rückwirkenden Aufhebung ohne Ermessensspielraum verpflichtet. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, daß ihm eine Reaktion auf diese Information nicht möglich oder zuzumuten war. Der Kläger hätte, wie ausgeführt, etwa durch Zahlung des Unterhalts ab Januar 1994 unter Abzug des voraussichtlich wegfallenden Kg oder zumindest durch Zahlung „unter Vorbehalt” in der maßgeblichen Höhe reagieren können, wenn eine einvernehmliche Regelung mit der geschiedenen Ehefrau nicht zu erreichen war. Der Kläger hat aber nicht einmal vorgetragen, daß eine entsprechende Vereinbarung von seiner geschiedenen Ehefrau abgelehnt worden ist oder mit Sicherheit abgelehnt worden wäre. Wenn der Kläger nur abgewartet hat, ob die Gesetzesänderung bei ihm auch tatsächlich durchgesetzt werden würde, hat er die Folgen dieses Zögerns zu tragen. Dies sind auch keine atypischen Umstände, die angesichts der Beamtenbesoldung des Klägers und des geringen Rückforderungsbetrags von 280 DM eine Ermessensausübung des beklagten Landes hinsichtlich der rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldbewilligung geboten hätten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 542781 |
SGb 1999, 27 |