Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstleistungen. Steuerlicher Anknüpfungspunkt. Begriff der festen Niederlassung. Vermietung einer Immobilie in einem Mitgliedstaat. Immobilieneigentümerin mit Gesellschaftssitz auf der Insel Jersey
Normenkette
EGRL 112/2006 Art. 43-45, 47
Beteiligte
Verfahrensgang
Bundesfinanzgericht (Österreich) (Beschluss vom 20.12.2019; ABl. EU 2020, Nr. C 87/10) |
Tenor
Eine in einem Mitgliedstaat vermietete Immobilie stellt keine feste Niederlassung im Sinne des Art. 43 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sowie der Art. 44 und 45 der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 geänderten Fassung dar, wenn der Eigentümer der Immobilie nicht über eigenes Personal für die Leistungsbewirkung im Zusammenhang mit der Vermietung verfügt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzgericht (Österreich) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Dezember 2019, in dem Verfahren
Titanium Ltd
gegen
Finanzamt Österreich, zuvor Finanzamt Wien,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter) und C. Lycourgos,
Generalanwalt: G. Hogan,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, F. Koppensteiner und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Mantl und R. Lyal als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) und der Richtlinie 2006/112 in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 (ABl. 2008, L 44, S. 11) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Titanium Ltd mit Sitz auf Jersey und dem Finanzamt Österreich, zuvor Finanzamt Wien (Österreich) (im Folgenden: Finanzamt), wegen der Erhebung von Umsatzsteuer auf Einkünfte aus der Vermietung einer in Österreich belegenen Immobilie für die Steuerjahre 2009 und 2010.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2006/112
Rz. 3
Titel V („Ort des steuerbaren Umsatzes”) der Richtlinie 2006/112 enthielt u. a. ein Kapitel 3 („Ort der Dienstleistung”), das die Art. 43 bis 59 dieser Richtlinie umfasste.
Rz. 4
Art. 43 der Richtlinie lautete:
„Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistungserbringer den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnsitz oder sein gewöhnlicher Aufenthaltsort.”
Rz. 5
Art. 45 der Richtlinie 2006/112 bestimmte:
„Als Ort einer Dienstleistung im Zusammenhang mit einem Grundstück, einschließlich der Dienstleistungen von Grundstücksmaklern und -sachverständigen, sowie einer Dienstleistung zur Vorbereitung oder Koordinierung von Bauleistungen, wie z. B. Dienstleistungen von Architekten und Bauaufsichtsbüros, gilt der Ort, an dem das Grundstück gelegen ist.”
Rz. 6
Art. 193 dieser Richtlinie sah vor:
„Die Mehrwertsteuer schuldet der Steuerpflichtige, der Gegenstände steuerpflichtig liefert oder eine Dienstleistung steuerpflichtig erbringt, außer in den Fällen, in denen die Steuer gemäß den Artikeln 194 bis 199 sowie 202 von einer anderen Person geschuldet wird.”
Rz. 7
Art. 194 der Richtlinie lautete:
„(1) Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. die steuerpflichtige Dienstleistung von einem Steuerpflichtigen bewirkt, der nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird, können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die Person, für die die Lieferung bzw. Dienstleistung bestimmt ist, die Steuer schuldet.
(2) Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen für die Anwendung des Absatzes 1 fest.”
Rz. 8
Art. 196 der Richtlinie 2006/112 bestimmte:
„Die Mehrwertsteuer schuldet der steuerpflichtige Dienstleistungsempfänger im Sinne des Artikels 56 oder der in dem Mitgliedstaat, in dem die Steuer geschuldet wird, für Mehrwertsteuerzwecke erfasste Dienstleistungsempfänger im Sinne der Artikel 44, 47, 50, 53, 54 und 55, wenn die Dienstleistung von einem nicht in diesem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird.”
Richtlinie 2006/112 in ihrer geänderten Fassung
Rz. 9
Die Richtlinie 2008/8 änderte die Richtlinie 2006/112, insbesondere ihre Bestimmungen in Titel V Kapitel 3 sowie ihren Art. 196, mit Wirkung vom 1. Januar 2010.
Rz. 10
Art. 44 de...