Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung von Kapitaleinkünften; Steuerhinterziehung; Verzicht auf mündliche Verhandlung
Leitsatz (NV)
1. Der BFH hat das Problem der Hinzuschätzung von Einkünften aus Kapitalvermögen bei Verletzung der Mitwirkungspflicht seitens des Steuerpflichtigen geklärt; die für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) erforderlichen Feststellungen sind nach den Vorschriften der AO und der FGO zu treffen.
2. Bei nicht behebbaren Zweifeln ist die Feststellung einer Steuerhinterziehung mittels reduziertem Beweismaßes nicht zulässig; das Gericht hat nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden.
3. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten ist nur dann ein Zulassungsgrund, wenn er gleichzeitig einen Verfahrensfehler darstellt.
4. Haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung keine Einigung erzielt, sondern auch nach Erörterung der Sach- und Rechtslage noch widerstreitende Anträge gestellt, mussten die Beteiligten davon ausgehen, dass der in seiner Entscheidung freie Vollsenat nach dem Verzicht auf weitere mündliche Verhandlung nicht verpflichtet war, die Beteiligten darauf hinzuweisen, wie voraussichtlich entschieden werde.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, §§ 76, 96; AO §§ 162, 169 Abs. 2 S. 2, § 370
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 13.09.2006; Aktenzeichen 11 K 2626/02) |
Gründe
Der Senat lässt offen, ob die Beschwerde den Anforderungen an die Darlegung von Zulassungsgründen i.S. von § 115 Abs. 2 i.V.m. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO im vollen Umfange entspricht, denn jedenfalls ist die Beschwerde --soweit nicht unzulässig-- unbegründet.
1. Entgegen der Auffassung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) ist eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich (vgl. zu den diesbezüglichen Anforderungen BFH-Beschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 54, m.w.N.). Der BFH hat mit Urteil vom 7. November 2006 VIII R 81/04 (BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364, m.w.N.) das Problem der Hinzuschätzung von Einkünften aus Kapitalvermögen bei Verletzung der Mitwirkungspflicht seitens des Steuerpflichtigen geklärt und u.a. zum Ausdruck gebracht, dass die für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) erforderlichen Feststellungen nach den Vorschriften der AO und der FGO zu treffen sind. Er hat ferner deutlich gemacht, dass bei nicht behebbaren Zweifeln die Feststellung einer Steuerhinterziehung mittels reduziertem Beweismaßes nicht zulässig ist und dass das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 215, 66, BStBl II 2007, 364, m.w.N.). Das Finanzgericht (FG) hat in der angefochtenen Entscheidung keine dem widersprechende Rechtssätze aufgestellt. Insbesondere hat das FG auch keinen Rechtssatz dahin gehend aufgestellt, soweit ein Steuerpflichtiger Geld im Ausland anlege, sei pauschal vom Vorsatz zur Steuerhinterziehung auszugehen und für die Höhe einer Steuerhinterziehung seien bloße Wahrscheinlichkeitserwägungen genügend. Das FG hat sich in seiner Entscheidung umfassend mit dem von ihm zu beurteilenden und von den Beteiligten vorgetragenen Sachverhalt auseinandergesetzt und ist nach Würdigung der konkreten Gesamtumstände des Streitfalles zu der Auffassung gelangt, der Kläger habe hinsichtlich der von ihm nicht erklärten Zinsen eine Steuerhinterziehung begangen. Wenn der Kläger sich gegen diese Auffassung wendet, rügt er letztlich die an den Umständen des konkreten Einzelfalles orientierte Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG, d.h. im Ergebnis die Fehlerhaftigkeit des FG-Urteils. Die Rüge falscher materieller Rechtsanwendung führt aber grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. April 2003 VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289). Denn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Februar 2000 I B 40/99, BFH/NV 2000, 874). Gleiches gilt für den Vortrag, anstelle der von der Steuerfahndung angesetzten Steuerverkürzungsbeträge hätten nur geringere Beträge angesetzt werden dürfen.
Eine unrichtige Rechtshandlung im Einzelfall könnte allenfalls dann zur Zulassung der Revision führen, wenn dieser Fehler von erheblichem Gewicht und zudem geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen oder aber, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich ist (vgl. Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 115 FGO Rz 173, 203; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 55 und 68). Dafür bestehen jedoch keine Anhaltspunkte.
2. Das FG hat keinen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten begangen. Ein derartiger Verstoß ist nur dann ein Zulassungsgrund, wenn er gleichzeitig einen Verfahrensfehler darstellt. Dies setzt eine Verletzung des § 96 Abs. 1 FGO dadurch voraus, dass das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der schriftlich festgehaltenem Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht oder eine nach den Akten eindeutig festgestellte Tatsache unberücksichtigt lässt (BFH-Beschluss vom 11. Februar 1999 III B 51/98, BFH/NV 1999, 970). Hingegen stellt die unzureichende Würdigung des Vorbringens der Beteiligten grundsätzlich keinen Verfahrensfehler dar (vgl. BFH-Beschluss vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246, m.w.N.).
Soweit die Beschwerde rügt, das FG habe die Höhe der Steuerhinterziehung im Anschluss an die Feststellungen der Steuerfahndung lediglich geschätzt, statt diejenigen Beträge zugrunde zu legen, die sich aus den vom Kläger im FG-Verfahren vorgelegten Schreiben vom 28. Dezember 1999 bzw. 26. Januar 2001 ergeben und das FG habe die schriftliche Aussage des Zeugen X unzutreffend gewürdigt, so lässt dieser Vortrag außer Acht, dass die (etwaige) unzureichende Würdigung des Vorbringens der Beteiligten grundsätzlich keinen Verfahrensfehler darstellt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 246, m.w.N.). Nämliches gilt für die Rüge der unzutreffenden Würdigung von Zeugenaussagen. Eine solche Rüge wendet sich im Ergebnis gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG. Darin liegt nicht die Geltendmachung eines Verfahrensfehlers, sondern falscher materieller Rechtsanwendung, die nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, vgl. die Nachweise unter II.1. der Gründe dieses Beschlusses). Demgemäß kann auch keine Verletzung des Rechts auf Gehör gegeben sein, wenn das FG die Aussage des Zeugen X nicht den Vorstellungen des Klägers entsprechend würdigt.
3. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) aufgrund einer Überraschungsentscheidung des FG ist ebenfalls nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung des BFH ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs anzunehmen, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1991 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188; BFH-Urteil vom 17. Februar 1998 VIII R 28/95, BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505; BFH-Beschlüsse vom 1. Juli 1998 IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; vom 14. Juni 1999 I B 127/98, BFH/NV 1999, 1609; Senatsurteil vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978). Im Streitfall ist eine Überraschungsentscheidung bereits deshalb zu verneinen, weil das FG ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 27. April 2006 die Streitsache mit den Beteiligten tatsächlich und rechtlich erörtert hat und gerade der Problemkreis "Steuerhinterziehung" einschließlich der vom Kläger erhobenen Einwendungen zwischen den Beteiligten erörtert worden ist. Das gilt umso mehr, als der Klägervertreter nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung nochmals zur Sache Stellung bezogen und der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) daraufhin deutlich gemacht hat, er halte unter Hinweis auf das bisherige schriftsätzliche Vorbringen im Aussetzungsverfahren und im Klageverfahren an dem Antrag auf Klageabweisung fest. Da das FG nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht verpflichtet ist, die für seine Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten, müssen die Beteiligten alle vertretbaren Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10 a, m.w.N.). Dies gilt umso mehr, wenn ein Steuerpflichtiger --wie im Streitfall-- durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten war.
Die im Sitzungsprotokoll vom 27. April 2006 zu den Kapitaleinkünften 1993 bis 1996 enthaltene Formulierung, "Es wird darauf hingewiesen, dass nur die nachgewiesenen Beträge zu den Einkünften aus Kapitalvermögen des Klägers herangezogen werden könnten, die dort bestätigt wurden, Ansatzpunkte für eine darüber hinausgehende Schätzung lägen nicht vor," ändert daran nichts. Auch wenn diese Formulierung darauf hindeutet, dass sie nicht die Einschätzung der Beteiligten, sondern des Senatsvorsitzenden des FG wiedergibt, kann darauf keine Verletzung des rechtlichen Gehörs aufgrund einer Überraschungsentscheidung gestützt werden. Denn zum einen ist diese Entscheidung teilweise im Konjunktiv gefasst und enthält keine abschließende Bewertung des Vollsenats; zum anderen haben die Beteiligten aufgrund der ausführlichen mündlichen Verhandlung ausdrücklich auf eine weitere solche verzichtet und anschließend noch einmal Stellung bezogen. Dabei hat der Kläger zwar detailliert zum Gesamtkomplex und insoweit auch zur Problematik einer etwaigen Steuerhinterziehung Stellung bezogen, das FA hat indes an seiner bisherigen Auffassung und demgemäß an seinem Antrag auf Klageabweisung festgehalten. Der Kläger musste daher damit rechnen, dass die Entscheidung des FG u.U. auch gegen ihn ausfällt. Denn nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung keine Einigung erzielt, sondern auch nach Erörterung der Sach- und Rechtslage noch widerstreitende Anträge gestellt haben, mussten die Beteiligten davon ausgehen, dass der in seiner Entscheidung freie Vollsenat nach dem Verzicht auf weitere mündliche Verhandlung nicht verpflichtet war, die Beteiligten darauf hinzuweisen, wie voraussichtlich entschieden werde; insbesondere war auch kein Hinweis erforderlich, der Senat werde im Urteil möglicherweise eine von der Formulierung des Vorsitzenden abweichende Rechtsansicht vertreten (BFH-Beschlüsse vom 22. September 2005 X B 58/05, BFH/NV 2005, 2193; vom 11. November 1997 X B 233/96, BFH/NV 1998, 605; BFH-Urteil vom 23. Mai 1996 IV R 87/93, BFHE 180, 396, BStBl II 1996, 523). Vielmehr war der Vollsenat in der Bewertung der Sach- und Rechtsfragen nach dem Verzicht der Beteiligten auf mündliche Verhandlung in seiner Entscheidung frei (BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 605, m.w.N.).
4. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung wegen divergierender Entscheidungen im Strafverfahren und im Besteuerungsverfahren und wegen einer Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153a der Strafprozessordnung (StPO). Es ist höchstrichterlich geklärt, dass die für das Vorliegen einer Steuerhinterziehung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO erforderlichen Feststellungen nicht nach den Vorschriften der StPO, sondern nach denjenigen der AO und der FGO zu treffen sind (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570, m.w.N.). Das beruht darauf, dass im FG-Verfahren keine (quasi automatische) Übernahme von Grundsätzen des Strafverfahrensrechts vorgesehen ist, sondern dass die Finanzbehörde als Steuergläubiger im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Beweislast (Feststellungslast) für die steueranspruchsbegründenden Tatsachen trägt. Wegen dieser Unterschiede sind divergierende Entscheidungen zwischen FG- und Strafverfahren nicht ausgeschlossen. Auch ist die Einstellung eines Strafverfahrens nach § 153a StPO (nach Auflagenerfüllung) kein Anhaltspunkt dafür, geschweige denn zwingt sie zu dem Schluss, dass eine Steuerhinterziehung damit auch für das finanzgerichtliche Verfahren zu verneinen ist. Die Rüge des Klägers, das FG habe im Streitfall eine Steuerstraftat aufgrund allgemeiner Erwägungen angenommen, ohne die Beweisregeln des Strafrechts einzuhalten, entbehrt damit der Grundlage; Nämliches gilt für die Rüge, das FG dürfe einen Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft nicht einfach ignorieren. Der Kläger verkennt in diesem Zusammenhang auch, dass es dem FG unbenommen ist, Feststellungen aus einem in das finanzgerichtliche Verfahren eingeführten Strafverfahren zu übernehmen, indes kein Zwang zur Übernahme dieser Feststellungen besteht. Insoweit ist auch geklärt, dass der einer Straftat Verdächtige sogar nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens im Besteuerungsverfahren weiterhin zur (wahrheitsgemäßen) Mitwirkung verpflichtet ist (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Januar 2006 VIII B 7/04, BFH/NV 2006, 914, m.w.N.).
Weshalb angesichts der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung zusätzlicher Klärungsbedarf gegeben sein soll, ist der Beschwerdeschrift nicht zu entnehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 1993571 |
BFH/NV 2008, 1099 |
StX 2008, 452 |