Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksame Bekanntgabe eines Steuerbescheids durch das Lagefinanzamt bei einer dem Betriebsfinanzamt bekannten Empfangsvollmacht; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Leitsatz (NV)
1. Erläßt das Lagefinanzamt einen Steuerbescheid, so ist die dem Betriebsfinanzamt bekannte Vollmacht ohne Belang. Das Lagefinanzamt muß sich die Kenntnis des Betriebsfinanzamts nicht zurechnen lassen.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfordert, daß die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet wurde.
Normenkette
AO 1977 §§ 110, 122 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erwarb durch notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 6. Juni 1979 Grundstücke zu einem Gesamtkaufpreis in Höhe von ... DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) setzte wegen dieses Erwerbsvorgangs mit Bescheid vom 20. Juli 1979, der an die Klägerin gerichtet war, Grunderwerbsteuer in Höhe von ... DM fest. Auf den Einspruch der Klägerin, mit dem diese geltend gemacht hatte, die Veräußerin sei zu 100 v.H. (Einlage ... DM) an ihrem Vermögen beteiligt, wurde der Vorgang gemäß § 15 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG - Berlin 1969 (= § 5 Abs. 2 GrEStG 1940/1983) mit Bescheid vom 31. August 1979 von der Grunderwerbsteuer freigestellt.
Eine vom FA Z aufgrund einer - dem Bevollmächtigten der Klägerin durch das Prüfungsfinanzamt übersandten - Prüfungsanordnung des beklagten FA vom 6. Dezember 1983 durchgeführte Außenprüfung führte u.a. zu der Erkenntnis, daß die Gesellschafter der Klägerin am 1. Oktober 1979 mit Wirkung vom gleichen Tage den Beitritt der X-Treuhandgesellschaft mbH beschlossen hatten. Deren Kommanditeinlage betrug ... DM; sie war jedoch berechtigt, als Treuhänderin mit Dritten gleichlautende Treuhandverträge abzuschließen und ihre Gesellschaftseinlage auf ... DM zu erhöhen. Die Annahme der Beitrittserklärungen der Zeichner erfolgte zwischen dem 4. und dem 31. Dezember 1979.
Daraufhin setzte das FA mit Änderungsbescheid vom 29. April 1986 - adressiert an die Klägerin - die Grunderwerbsteuer auf ... DM fest.
Gegen diesen Bescheid wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 22. August 1986. Sie vertrat die Auffassung, der Bescheid sei wegen Verletzung von § 122 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht wirksam bekanntgegeben worden. Empfangsbevollmächtigte sei die Treuhand- und Steuerberatungs-GmbH (T) gewesen, was seitens des FA Z in der Vergangenheit auch stets, z.B. bei der Übersendung von Gewinnfeststellungsbescheiden, der Prüfungsanordnung und des Prüfungsberichts, beachtet worden sei. Hilfsweise legte die Klägerin Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO 1977. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trug sie vor, die Einspruchsfrist sei nur deshalb versäumt worden, weil der Steuerbescheid nicht an ihren Empfangsbevollmächtigten, sondern an sie selbst gesandt worden sei. Zwischen ihr, der T und einer weiteren Steuerberatungsgesellschaft Y sei vereinbart gewesen, daß die T gegen einen aufgrund des Betriebsprüfungsberichts ergehenden Steuerbescheid Einspruch einzulegen, die Y ihn jedoch zu begründen habe. Der Steuerbescheid vom 29. April 1986 sei aber von ihrer Verwaltungsgesellschaft (V) direkt an die Y weitergeleitet worden, weil sie gemeint habe, die Y werde, da ihr (der V) - wie sonst üblich - keine Kopie des Einspruchsschreibens durch die T vorgelegen habe, neben der Rechtsbehelfsbegründung auch den Einspruch einlegen. Die Y ihrerseits sei davon ausgegangen, die Einspruchseinlegung werde von der T durchgeführt. Da letztere jedoch auch keine Zweitausfertigung des Bescheids erhalten habe, sei sie nicht über die Grunderwerbsteuerfestsetzung informiert gewesen.
Das FA verwarf den Einspruch unter Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig.
Die Klage, mit der die Klägerin beantragt hat, festzustellen, daß der Grunderwerbsteuerbescheid vom 29. April 1986 unwirksam ist, hilfsweise die Einspruchsentscheidung aufzuheben, hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter und rügt die Verletzung der §§ 80, 122 Abs. 1, 125 Abs. 1 und 110 Abs. 1 Satz 1 AO 1977.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Sie war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Zu Recht hat das FG angenommen, daß der Grunderwerbsteuerbescheid (bereits) durch die Bekanntgabe an die Klägerin wirksam geworden ist.
Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Die Bekanntgabe kann auch gegenüber einem Bevollmächtigten vorgenommen werden (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO 1977). Eine Verpflichtung dazu besteht jedoch in der Regel nicht, wenn weder eine schriftliche Vollmacht des Bevollmächtigten zur Entgegennahme von Steuerbesheiden vorgelegen noch der Steuerpflichtige auf andere Weise zu erkennen gegeben hat, daß er eine Bekanntgabe an den Berater wünscht (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. Juli 1980 I R 148/79, BFHE 131, 270, BStBl II 1981, 3, und vom 13. März 1991 I R 39/90, BFH/NV 1992, 146).
Nach den mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des FG war dem FA die Bevollmächtigung der T weder positiv bekannt noch lagen Umstände vor, aus denen für das FA eine Bevollmächtigung der T erkennbar war.
Ohne Belang ist die dem Betriebsfinanzamt bekannte Vollmacht. Das Lagefinanzamt muß sich dessen Kenntnis nicht zurechnen lassen (vgl. BFH-Beschluß vom 22. Dezember 1988 X B 13/88, BFH/NV 1989, 685). Denn jedes FA handelt unabhängig von den anderen FÄ im Rahmen der ihm vom Gesetz zugewiesenen (örtlichen und sachlichen) Zuständigkeit. Innerhalb des ihm zugewiesenen Aufgabenkreises wird es gegenüber dem Steuerpflichtigen tätig. Ihm gegenüber muß sich auch der Steuerpflichtige erklären, ob er eine Bekanntgabe an den Berater wünscht. Eine Erkundigungspflicht über eine etwaige Bevollmächtigung besteht für das FA nicht. Dasjenige FA, dem die Bevollmächtigung bekannt ist, muß seinerseits auch nicht ein anderes FA (z.B. das Lagefinanzamt) hiervon unterrichten.
Die Erwägungen des BFH-Urteils vom 8. Dezember 1988 IV R 24/87 (BFHE 155, 472, BStBl II 1989, 346) kommen danach nicht in Betracht.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war, wie das FG ebenfalls zu Recht entschieden hat, nicht zu gewähren. Nach § 110 AO 1977 ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, d.h., wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat (Senatsbeschluß vom 28. Mai 1986 II R 68/64, BFH/NV 1987, 306). Das Verschulden eines Vertreters ist gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 dem Vertretenen zuzurechnen. Im vorliegenden Fall haben die von der Klägerin damit betrauten Personen nicht alles getan, um sicherzustellen, daß rechtzeitig Einspruch eingelegt worden ist. Es ist auch nicht ersichtlich und von der Revision auch nicht vorgetragen, daß diese Personen nicht schuldhaft gehandelt hätten oder daß die Klägerin sich ihr Handeln nicht zurechnen lassen müsse. Die von der Klägerin vorgetragenen organisatorischen Gründe entschuldigen sie nicht. Denn die Tatsache, daß ihr der Steuerbescheid bekanntgegeben worden ist, hätte bei Beachtung der zumutbaren Sorgfalt zumindest zu einer Nachfrage bei den beiden Bevollmächtigten über das weitere Vorgehen führen müssen. Das gilt selbst dann, wenn die Klägerin hätte annehmen können, daß der T ein Abdruck des Steuerbescheids zugestellt worden ist.
Fundstellen
Haufe-Index 419381 |
BFH/NV 1994, 440 |