Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Auslegung einer dem FA vorgelegten (Empfangs-)Vollmacht
Leitsatz (NV)
Die dem FA vorgelegte, mit der St.-Nr. für die laufend veranlagten Steuern versehene Vollmachtsurkunde, nach der steuerpflichtige Eheleute einen Steuerberater bevollmächtigt haben, sie "in allen Steuerangelegenheiten" zu vertreten und "Steuerbescheide und alle sonstigen Verwaltungsakte" ausschließlich dem Bevollmächtigten bekanntzugeben waren, erstreckt sich im Zweifel nicht auf einen später entstehenden, die Ehefrau betreffenden Grunderwerbsteuer-Fall (Abgrenzung vom BFH-Urteil in BFH/NV 1987, 482).
Normenkette
AO 1977 §§ 80, 122, 124 Abs. 1, § 355 Abs. 1
Tatbestand
Mit Schreiben vom 19. Mai 1988 teilte der jetzige Prozeßbevollmächtigte der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt -- FA --) unter dem Betreff der seinerzeitigen Steuernummer der Klägerin und ihres Ehemannes mit, daß er das Steuerberatungsmandat für die Klägerin und ihren Ehemann übernommen habe. Er bat zugleich unter Hinweis auf § 80 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO 1977) darum, den seine Mandanten betreffenden Schriftwechsel ausschließlich mit ihm zu führen. Die diesem Schreiben beigefügte, von der Klägerin und ihrem Ehemann unterzeichnete und mit deren Steuernummer versehene Vollmacht erstreckt sich auf die Vertretung durch den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin "in allen Steuerangelegenheiten"; Steuerbescheide und alle sonstigen Verwaltungsakte waren ausschließlich dem Bevollmächtigten bekanntzugeben.
Die Klägerin erwarb mit notariellem Grundstückskaufvertrag vom 16. Juli 1990 ein bebautes Grundstück.
Das FA setzte für diesen Erwerbsvorgang mit an die Klägerin adressierten Bescheid vom 13. August 1990 gegen diese eine Grund erwerbsteuer fest.
Die Klägerin leitete den Grunderwerbsteuerbescheid an ihren jetzigen Prozeßbevollmächtigten weiter, der ihn am 24. September 1990 erhielt. Mit Schreiben vom 5. Oktober 1990 beantragte der Prozeßbevollmächtigte, den Grunderwerbsteuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern. Er führte u. a. aus, der Grunderwerbsteuer bescheid vom 13. August 1990 sei noch nicht bestandskräftig geworden, weil mit Rücksicht auf die ihm erteilte Bekanntgabevollmacht nicht wirksam bekanntgegeben worden sei.
Das FA sah den Änderungsantrag als Einspruch an, den es wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als unzulässig verwarf.
Mit der Klage begehrte die Klägerin, die Grunderwerbsteuer unter Änderung des Bescheides vom 13. August 1990 auf 0 DM festzusetzen. Sie trug vor, daß sich die Bekanntgabevollmacht auf alle Steuerangelegenheiten und nicht -- wie vom FA angenommen -- lediglich auf die Einkommensteuer erstreckt habe. Die Angabe der Steuernummer in der Vollmachtsurkunde und in dem Schreiben ihres Prozeßbevollmächtigten vom 19. Mai 1988 stehe dem nicht entgegen, weil diese Angabe nur zur Erleichterung der Weiterleitung der erteilten Vollmacht innerhalb des FA erfolgt sei.
Das Finanzgericht (FG) ließ dahinstehen, ob der Einspruch der Klägerin zu spät erhoben worden sei, und wies die Klage aus materiell- rechtlichen Gründen als unbegründet ab.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das FG die Klage abgewiesen.
1. Zutreffend hat das FA den Einspruch der Klägerin gegen den angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheid wegen Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als unzulässig verworfen. Entgegen der Ansicht der Klägerin wurde ihr der angefochtene Bescheid bereits in dem Zeitpunkt wirksam bekannt gegeben, in dem er ihr persönlich zuging. Der -- an die Klägerin persönlich adressierte -- Bescheid wurde am 13. August 1990 mit einfachem Brief zur Post gegeben. Er galt daher gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post -- d. h. am 16. August 1990 -- als bekanntgegeben. Die Einspruchsfrist von einem Monat begann folglich am 17. August 1990 zu laufen (§ 108 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 187 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) und endete, da der 16. September 1990 ein Sonntag war, mit Ablauf des 17. September 1990 (§ 355 Abs. 1 AO 1977, § 108 Abs. 1 AO 1977 i. V. m. § 188 Abs. 2 BGB; § 108 Abs. 3 AO 1977). Der von dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin eingelegte Einspruch ging erst am 5. Oktober 1990 und mithin verspätet beim FA ein.
Der Ansicht der Klägerin, wonach die Einspruchsfrist frühestens in dem Zeitpunkt zu laufen begonnen habe, in dem sie den ihr persönlich übermittelten Bescheid ihrem jetzigen Prozeßbevollmächtigten zugeleitet habe (24. September 1990), und mithin der Einspruch rechtzeitig erfolgt sei, wäre allerdings dann zu folgen, wenn sich die am 19. Mai 1988 von ihrem Prozeßbevollmächtigten dem FA vorgelegte Vollmacht, die ausdrücklich auch die Berechtigung zur Entgegennahme von Steuerbescheiden umfaßte, auch auf das hier streitige Grunderwerbsteuerverfahren erstreckt hätte (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 1. August 1975 III R 58/74, BFHE 116, 467, BStBl II 1975, 894, und vom 2. Oktober 1986 VII R 58/83, BFH/NV 1987, 482). Das ist indessen zu verneinen.
Die hier zu beurteilende (Empfangs-)Vollmacht stellt eine verfahrensrechtliche Willenserklärung dar, deren Inhalt durch Auslegung unter Beachtung des "Empfängerhorizonts" zu ermitteln ist. Diese Aus legung ergibt, daß die Vollmacht nach dem für das FA erkennbaren Willen der Vollmachtgeber (Klägerin und ihres Ehemannes) auf die laufend veranlagten Steuern beschränkt war. Diese Begrenzung folgt daraus, daß sowohl in der Vollmacht selbst als auch in dem Begleitschreiben des jetzigen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin, dem die Vollmacht beigefügt war, die Steuernummer vermerkt ist, unter denen die Vollmachtgeber zu ihren laufenden Steuern veranlagt wurden (vgl. auch Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 80 Anm. 2; Kühn/Kutter/Hofmann, Abga benordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 80 AO 1977 Anm. 3; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl. § 80 AO 1977 Rdnr. 42; vgl. demgegenüber aber Tipke/Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 80 AO 1977 Rdnr. 5 b). In dem erwähnten Begleitschreiben des Prozeßbevollmächtigten sind im Betreff zunächst die Steuernummer und sodann die Namen der Eheleute angeführt. Im Text heißt es: "ich habe das o. a. Steuerberatungsmandat übernommen".
Unter diesen Umständen konnte und durfte das FA die Vollmacht nur dahingehend verstehen, daß sie sich allein auf die unter dieser Steuernummer erfaßten Steuerarten bezog. Sofern die Klägerin und ihr Ehemann etwas anderes gewollt hätten, hätten sie dies durch die Angabe evtl. bestehender weiterer Steuernummern und/oder weiterer Steuerarten oder z. B. durch den Zusatz in der Vollmachtsurkunde deutlich machen können und müssen, daß diese nicht nur für die unter der angegebenen Steuernummer erfaßten Steuern, sondern auch für andere oder sämtliche (auch nicht laufende und künftig entstehende) Steuern gelten solle. Das haben sie nicht getan.
Ein anderes Ergebnis kann auch nicht aus der in der Vollmachtsurkunde enthaltenen formularmäßigen Passage entnommen werden, daß der Bevollmächtigte berechtigt sei "mich/uns in allen Steuerangelegenheiten ... zu vertreten". Im Zusammenhang mit der im "Kopf" der Vollmacht bezeichneten Steuernummer der Eheleute konnte dieser formularmäßige Satz nur so aufgefaßt werden, daß es sich um "alle Steuer angelegenheiten" handeln solle, die mit den unter der angegebenen Steuernummer erfaßten Steuern zusammenhängen.
Mit dieser Entscheidung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu dem BFH- Urteil in BFH/NV 1987, 482, weil die dort gegebenen besonderen Umstände im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommen. Der erkennende Senat kann deshalb offenlassen, ob er sich dieser Entscheidung anschließen könnte.
Fundstellen