Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an Vorlagebegründung wegen Verfassungmäßigkeit der Vergnügungssteuer für Gewinnautomaten
Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an die Begründung einer Vorlage nach Artikel 100 Absatz 1 GG.
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach § 26 Abs. 1 BVerfGG kann das BVerfG den zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweis selbst erheben. Jedoch muß diese Vorschrift im Verfahren der Normenkontrolle auf Vorlage eines Gerichts sinnvoll und ökonomisch gehandhabt werden.
2. Die durch eigene Ermittlungen nicht nachgeprüfte Übernahme von Angaben einer Prozeßpartei wird der Pflicht des Gerichts, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen, nicht gerecht. Diese Aufklärungspflicht hat besonderes Gewicht, weil das Gericht auf den von ihm herangezogenen Sachverhalt den Vorwurf gründet, der Landesgesetzgeber habe – mindestens objektiv – das Grundgesetz nicht beachtet.
Normenkette
BVerfGG § 26 Abs. 1; GG Art. 100 Abs. 1; VergnStG RP § 21 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
VG Koblenz (Vorlegungsbeschluss vom 11.01.1956; Aktenzeichen K 224/55) |
Gründe
A.-I.
In Rheinland-Pfalz betrug bis zum 31. März 1955 die monatliche Vergnügungssteuer für die Aufstellung von Gewinnautomaten entsprechend den „Reichsratsbestimmungen” (siehe Urteil vom 10. Mai 1962 – BVerfGE 14, 76 [79]) und auf Grund vom vorlegenden Gericht nicht näher festgestellter, teilweise auf Maßnahmen der Besatzungsmacht zurückgehender Änderungen 1% des gemeinen Wertes, mindestens aber 5 DM. Das Landesgesetz über die Vergnügungssteuer vom 14. März 1955 – GVBl. Rheinland-Pfalz S. 15 –, das am 1. April 1955 in Kraft getreten ist, setzte als Steuermaßstab an die Stelle des gemeinen Wertes den „Erstanschaffungspreis” und erhöhte den monatlichen Steuersatz auf 3% (§ 21 Abs. 2 Nr. 1). Die Bestimmung lautet auszugsweise:
§ 21
Steuer nach dem Werte
(1) Die Pauschsteuer für das Halten
- eines Spiel-, Geschicklichkeits-, Schau-, Scherz- oder ähnlichen Geräts,
- …
in Gast- und Schankwirtschaften sowie an sonstigen der Öffentlichkeit zugänglichen Orten wird nach dem Erstanschaffungspreis des Geräts … berechnet.
(2) Die Steuer beträgt für jeden angefangenen Betriebsmonat (Kalendermonat):
- für die in Absatz 1 Nr. 1 bezeichneten Geräte 3 v.H. des Erstanschaffungspreises, mindestens aber 5 DM;
- …
(3) Die Gemeinde kann den Steuerbetrag abweichend von Absatz 2 mit dem Steuerpflichtigen vereinbaren.
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die gewerbsmäßig Automaten aufstellt, hat in der Zeit vom 1. April 1955 bis 31. März 1956 auch im Bereich der beklagten Amtsverwaltung mehrere Gewinnautomaten aufgestellt und ist durch den Vergnügungssteuerbescheid vom 26. Mai 1955 zur Zahlung von Vergnügungssteuer herangezogen worden; dabei sind im Steuerbescheid als Erstanschaffungspreis Beträge von 480, 540 und 580 DM zugrunde gelegt und gemäß dem Steuersatz von 3% ein monatlicher Steuerbetrag je Apparat von 14, 16 und 17 DM berechnet worden. Ihre Verwaltungsbeschwerde blieb erfolglos.
Mit der Anfechtungsklage begehrt die Klägerin die Herabsetzung des monatlichen Steuerbetrages auf den früheren Steuersatz von 1% vom gemeinen Wert, mindestens auf 5 DM; zur Begründung beruft sie sich auf die Unvereinbarkeit der bezeichneten Vorschrift des Vergnügungssteuergesetzes mit dem Grundgesetz. Das Verwaltungsgericht hat durch den Beschluß vom 11. Januar 1956 nach Art. 100 Abs. 1 GG das Verfahren ausgesetzt und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, „ob § 21 Abs. 2 Ziff. 1 des Landesgesetzes über die Vergnügungssteuer vom 14. März 1955 – GVBl. Rheinland-Pfalz S. 15 – mit dem Grundgesetz vereinbar ist”. Das Gericht hält die Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG deshalb für verletzt, weil der Landesgesetzgeber die Zulassung von Gewinnautomaten durch die bundesrechtliche Regelung „dadurch illusorisch machte, daß er eine an sich ihm zustehende Besteuerung so hoch ansetzt, daß damit die Ausübung des bundesrechtlich zugelassenen Gewerbes wirtschaftlich unmöglich gemacht wird”. Über die tatsächliche Wirkung der erhöhten Vergnügungssteuer hat das vorlegende Gericht keine Ermittlungen angestellt. Es begnügt sich mit folgender Begründung: „Das Gericht hat sich nach Prüfung der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen über die vermögensmäßige finanzielle Auswirkung des § 21 Abs. 2 Ziff. 1 des Vergnügungssteuergesetzes davon überzeugen können, daß eine solche Wirkung für das Automatenaufstellgewerbe eintritt, und zwar so, daß infolge der Bedingungen für das Herstellen, Aufstellen und Bedienen der Automaten gemäß den Richtlinien des Bundesministers für Wirtschaft ein Ausweichen durch anderweitige Kalkulation der beteiligten Unternehmungen nicht mehr möglich ist.”
B.
Die Vorlage ist unzulässig.
Die Frage, ob die zu prüfende Norm des Vergnügungssteuerrechts mit dem Grundgesetz vereinbar ist, kann nicht ausschließlich auf Grund von verfassungsrechtlichen Erwägungen entschieden werden; vielmehr ist es für die verfassungsrechtliche Beurteilung unerläßlich, die tatsächliche Wirkung der Steuernorm auf die Rentabilität der Apparate zu klären: Nur wenn die Höhe der Steuer die Aufstellung in aller Regel wirtschaftlich unmöglich macht, ist die Norm mit dem Grundgesetz nicht vereinbar (BVerfGE 14, 76 [104]). Offenbar ist das auch die Ansicht des vorlegenden Gerichts.
An dieser notwendigen tatsächlichen Klärung fehlt es hier. Das vorlegende Gericht bezieht sich lediglich auf die „von der Klägerin vorgelegten Unterlagen über die vermögensmäßige finanzielle Auswirkung des § 21 Abs. 2 Ziff. 1 des Vergnügungssteuergesetzes”. Damit meint es offenbar das „Gutachten der Arbeitsgemeinschaft des Deutschen Automatengewerbes e. V. zur Frage der Belastung der Aufsteller von Spielautomaten mit überhöhten Vergnügungssteuern” vom 5. Mai 1955. Dieses gibt, auch in seinen tatsächlichen Angaben, den Standpunkt eines Interessentenverbandes wieder; es ist von dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin im Ausgangsverfahren unterzeichnet. Auch bei der vom vorlegenden Gericht herangezogenen „Rentabilitätsberechnung einer namhaften Aufstellerfirma im Lande Rheinland- Pfalz für Geldspiel-Geräte” handelt es sich um Angaben eines Interessenten. Die durch eigene Ermittlungen nicht nachgeprüfte Übernahme von Angaben einer Prozeßpartei wird aber der Pflicht des Gerichts, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen, nicht gerecht. Diese Aufklärungspflicht hat hier besonderes Gewicht, weil das Gericht auf den von ihm herangezogenen Sachverhalt den Vorwurf gründet, der Landesgesetzgeber habe – mindestens objektiv – das Grundgesetz nicht beachtet.
Auf Grund eines so wenig gesicherten Tatsachenmaterials kann das Bundesverfassungsgericht die von ihm erbetene verfassungsrechtliche Entscheidung nicht treffen. Zwar könnte es nach § 26 Abs. 1 BVerfGG den zur Erforschung der Wahrheit erforderlichen Beweis selbst erheben. Jedoch muß diese Vorschrift im Verfahren der Normenkontrolle auf Vorlage eines Gerichts (Art. 100 Abs. 1 GG) sinnvoll und ökonomisch gehandhabt werden. Wenn ein Gericht, das nach seiner Stellung im Aufbau der Gerichte gerade dazu berufen ist, die für die Rechtsfindung erheblichen Tatsachen zu ermitteln, und dem die Rechtsordnung hierzu die prozessualen Mittel zur Verfügung stellt, dem Bundesverfassungsgericht einen Tatsachenkomplex zur rechtlichen Beurteilung unterbreitet, so darf es sich auch nicht unter Berufung auf seine aus freier Beweiswürdigung geschöpfte richterliche Überzeugung mit einem summarischen Hinweis begnügen; vielmehr muß es unter Abwägung des Für und Wider zu einer exakten Tatsachenfeststellung gelangen und in einer für das Bundesverfassungsgericht nachprüfbaren Weise im einzelnen die Tatsachen und Erwägungen angeben, die für seine Überzeugung maßgebend gewesen sind. Es würde zu einer Verkehrung der Aufgaben der Gerichte führen, wollte das vorlegende Gericht mit allgemeinen Ausführungen dieser seiner Aufgabe ausweichen und sie auf das Bundesverfassungsgericht abwälzen, dem in erster Linie die Klärung verfassungsrechtlicher Fragen, nicht die Ermittlung von Tatsachen aufgegeben ist.
Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 10. Mai 1962 (BVerfGE 14, 76 [104]), welche dieselbe verfassungsrechtliche Frage betrifft wie die Vorlage, die Ermittlung der benötigten Tatsachen nicht selbst vorgenommen, sondern der Tatsacheninstanz überlassen. Ebenso hat es das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 6, 247 [270]) für unzulässig gehalten, daß sich das Tatsachengericht bei der Prüfung der Erdrosselungswirkung damit begnügte, „aus unzureichenden Unterlagen gewisse Wahrscheinlichkeitsschlüsse zu ziehen”; es fordert, daß die Kasseneinnahmen bei einer größeren Zahl von Spielautomaten und die Rentabilitätsrechnungen einer größeren Zahl von Automatenaufstellern durch das Tatsachengericht nachgeprüft werden.
Die Vorlage ist danach unzulänglich begründet und deswegen unzulässig.
Fundstellen
Haufe-Index 1721376 |
BVerfGE, 135 |