Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit einer Anforderung von Unterlagen durch die Finanzbehörden unter besonderer Berücksichtigung der DSGVO
Leitsatz (amtlich)
1. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen verpflichtet, zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit des materiellen Steuergesetzes dieses in ein normatives Umfeld einzubetten, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen gewährleistet, insbesondere auch durch die Ergänzung des Deklarationsprinzips durch das Verifikationsprinzip.
2. Aufgrund der in der DSGVO geregelten Öffnungsklauseln in Art. 6 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 und 3 und Art. 9 Abs. 2 DSGVO hat der Gesetzgeber mit § 29b AO für die Finanzbehörden den datenschutzrechtlichen Bereich der Verarbeitung personenbezogener Daten die Grundregelungen in Art. 5, Art. 6 undArt. 9 DSGVO geregelt und modifiziert.
Normenkette
AO §§ 29b, 90, 93, 97; DS-GVO Art. 4 Nrn. 1-2, 7, Art. 5, 6 Abs. 1-3, Art. 9 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Anforderung von Unterlagen.
Mit Einreichung der Einkommensteuererklärungen der Klägerin für die Jahre 2018 und 2019 legte der Prozessbevollmächtigte für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Objekte B-Stadt, B-Straße, und A-Stadt, A-Straße, u.a. Aufstellungen der gesammelten Mieteinnahmen, der Abschreibung, der Verwaltungs- und der Instandhaltungsaufwendungen sowie sonstiger Aufwendungen für das jeweilige Haus vor.
Im Rahmen der Bearbeitung der Erklärungen forderte das Finanzamt den Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 08.06.2021 und Erinnerungsschreiben vom 13.07.2021 auf, für die Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung des Objekts A-Straße in A-Stadt Kopien der aktuellen Mietverträge, Nebenkostenabrechnungen sowie Nachweise über geltend gemachte Erhaltungsaufwendungen einzureichen.
Der Prozessbevollmächtigte legte mit Schreiben vom 22.07.2021 eine Aufgliederung der Brutto- und Nettomieteinnahmen mit geschwärzten Namen der Mieter sowie der Betriebskosten auf die verschiedenen Wohnungen der A-Straße und Unterlagen über die Instandhaltungsaufwendungen vor, jedoch nicht die angeforderten Mietverträge und Nebenkostenabrechnungen. Er teilte mit, dass die Offenlegung dieser Unterlagen im Hinblick auf die Grundsätze derDatenschutzgrundverordnung - DSGVO - ohne vorherige Einwilligung der Mieter nicht möglich sei. Zudem sei eine Berechtigung zur Unterlagenanforderung nicht ersichtlich, da die Mietverträge zur Prüfung der tatsächlichen Einkünfte untauglich seien.
Das Finanzamt forderte daraufhin mit Schreiben vom 02.09.2021 und Erinnerungsschreiben vom 28.09.2021 den Prozessbevollmächtigten unter Hinweis auf die Mitwirkungspflichten der Klägerin nach den§§ 90 , 93, 97 AO nochmals zur Abgabe der Mietverträge und ggf. der Schreiben über Mietänderungen zum Zwecke der Prüfung der in der Steuererklärung gemachten Angaben auf.
Den gegen die Aufforderung zur Vorlage der Unterlagen erhobenen Einspruch wies das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 28.04.2022 als unbegründet zurück.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt:
Ein Steuerpflichtiger sei nach § 90 Abs. 1 AO zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Er komme der Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass er die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlege und die ihm bekannten Beweismittel angebe. Das Finanzamt könne nach pflichtgemäßem Ermessen bestimmen, welche Beweismittel i.S.d. § 92ff AO es für erforderlich halte. Die Mitwirkungspflicht umfasse auch die Pflicht zur Vorlage von Urkunden (§§ 97 AO, 92 Satz 2 Nr. 3 AO). Eine Mitwirkung dürfe verlangt werden, soweit sie zur Feststellung des steuererheblichen Sachverhalts notwendig, verhältnismäßig, erfüllbar und zumutbar sei.
Das Finanzamt benötige die Namen der Mieter sowie die jeweiligen Mietverträge zur Kontrolle der steuererheblichen Verhältnisse. Aus den Mietverträgen ergebe sich - ggf. in Verbindung mit weiteren Unterlagen - u.a. die Höhe der vereinbarten Mietzinsen, Mieterhöhungen, Abweichungen zu tatsächlich geleisteten Zahlungen, die Zusammensetzung des Mietzinses, die Umlagefähigkeit von Nebenkosten, der Umfang des Nutzungsrechts des Mieters mit eventuellen Vorbehalten des Vermieters oder auch schlicht die tatsächliche Durchführung der (privaten) Vermietung.
Die Unterlagenanforderung sei somit ein geeignetes Mittel zur Aufklärung der steuererheblichen Verhältnisse. Des Weiteren sei die Unterlagenanforderung auch erforderlich. Es sei kein anderes gleich wirksames Mittel ersichtlich. Insbesondere wiesen private Aufstellungen des Steuerpflichtigen keinen vergleichbaren Nachweiswert auf, da sie nur einseitig erstellt worden seien. Sie seien im Gegensatz zu Mietverträgen, die naturgemäß mindestens von einer weiteren Partei abgeschlossen werden, objektiv schlechter nachprüfbar. Auch die Namen der Mieter seien erforderlich, um Zahlungsflüsse dem jeweiligen Mietverhältnis individuell zuordnen...