Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Beschwerdefrist; nachträglich ergangene abweichende BFH-Entscheidung; übergangene Beweisanträge
Leitsatz (NV)
- Es reicht nicht, innerhalb der Beschwerdefrist des § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO nur die Rechtsfrage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung zu benennen; vielmehr muss innerhalb der Frist auch die grundsätzliche Bedeutung dargelegt werden.
- Wird geltend gemacht, dass die Vorentscheidung von einem erst nach Ablauf der Beschwerdefrist ergangenen Urteil des BFH abweicht, ist der Fristablauf nur dann unschädlich, wenn das spätere BFH-Urteil eine Rechtsfrage betrifft, wegen der innerhalb der Frist eine zulässige Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO eingelegt worden war.
- Zu einer ordnungsgemäßen Rüge, das FG habe Beweisanträge übergangen, gehört die Darlegung, dass die Nichterhebung der Beweise vor dem FG rechtzeitig gerügt worden sei oder aufgrund des Verhaltens des FG nicht mehr vor diesem habe gerügt werden können.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2-3
Tatbestand
I. Aufgrund notariell beurkundeten Kaufvertrages vom 4. Juli 1989 erwarben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) von der A KG zu gleichen Teilen ein damals unbebautes Grundstück zum Gesamtkaufpreis von 120 000 DM. Gemäß § 3 des Vertrages sollten die Planung und Statik für ein Einfamilienhaus mit verkauft sein.
Zuvor hatten die Kläger am 23. Juni 1989 einem mit der Veräußerin verbundenen Unternehmen, nämlich der X GmbH (GmbH), den Auftrag zur Errichtung eines schlüsselfertigen Gebäudes auf diesem Grundstück zu einem Festpreis erteilt. Der Preis belief sich auf endgültig 245 653,86 DM.
Dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) wurde zunächst nur der Grundstückskaufvertrag angezeigt. Aufgrund dieser Anzeige fragte er bei den Klägern nach, ob sie mit dem Veräußerer noch weitere Verträge über die Errichtung eines Wohnhauses abgeschlossen hätten. Die Kläger verneinten die Frage. Daraufhin setzte das FA durch getrennte Bescheide vom 10. August 1989 gegen die Kläger Grunderwerbsteuer von jeweils 1 200 DM ―berechnet nach der Hälfte des Grundstückskaufpreises― fest.
Als das FA 1993 auch von dem Vertrag mit der GmbH erfuhr, gelangte es zu der Auffassung, einheitlicher Gegenstand des Erwerbsvorgangs sei das Grundstück mit Gebäude gewesen, und erließ am 3. Juni 1993 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Grunderwerbsteuerbescheide, durch die es die Steuer jeweils auf 3 656 DM heraufsetzte. Dabei war jeweils die Hälfte der Vergütung für das Gebäude in die Bemessungsgrundlage einbezogen.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die Voraussetzungen einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 lägen vor. Der Vertrag über die Gebäudeerrichtung stelle eine nachträglich bekannt gewordene Tatsache dar. Sie ergebe, dass die Kläger bei Abschluss des Grundstückskaufvertrages hinsichtlich der Bebauung bereits gebunden gewesen seien. Verkäufer und Bauunternehmer hätten sich untereinander abgestimmt, dass das Grundstück nur mit Gebäude erlangt werden konnte. Die nachträglich bekannt gewordene Tatsache sei auch rechtserheblich. Es sei anzunehmen, dass sich das FA an die damaligen Erlasse des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 15. Dezember 1982 und 23. August 1983 ―jeweils S 4500 A -8/80 (Grunderwerbsteuer-Kartei der Oberfinanzdirektionen ―OFD― Karlsruhe, Freiburg und Stuttgart zu § 1 des Grunderwerbsteuergesetzes ―GrEStG― Karte 2 Nr. 1 b und 3)― gehalten hätte. Das FA sei nach Treu und Glauben nicht an der Änderung gehindert gewesen. Es habe seine Ermittlungspflichten auch unter Berücksichtigung der Regelung in § 3 des Grundstückskaufvertrages nicht verletzt. Demgegenüber seien die Kläger ihren Anzeigepflichten nicht vollständig nachgekommen.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision machen die Kläger grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Divergenz und Verfahrensmängel geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Soweit die Kläger geltend machen, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, hat die Beschwerde hinsichtlich der in der Beschwerdeschrift vom 18. Januar 1999 aufgeworfenen Rechtsfragen bereits deshalb keinen Erfolg, weil innerhalb der Frist des § 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) lediglich die Rechtsfragen benannt, die Kläger aber nicht auf die grundsätzliche Bedeutung dieser Fragen eingegangen sind. Dies ist erstmals ―und in unzureichender Weise― nach Ablauf der Frist geschehen. Gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO muss jedoch in der Beschwerdeschrift, und damit innerhalb der Frist des Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift, schlüssig dargelegt werden, dass die herausgestellten Rechtsfragen das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Rechtsentwicklung und Handhabung des Rechts berühren (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 31. August 1994 II B 68/94, BFH/NV 1995, 240). Diesem Erfordernis wäre im Übrigen mit der Aussage, der Streitfall lasse sich anhand der Rechtsprechung nicht eindeutig entscheiden, selbst dann nicht genügt, wenn sie bereits in der Beschwerdeschrift enthalten gewesen wäre.
Mit dem erst nach Ablauf der Beschwerdefrist veröffentlichten Urteil des Niedersächsischen FG vom 15. September 1998 VII (III) 371/92 (Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1999, 443) lässt sich die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht mehr begründen, weil der erkennende Senat das Urteil mit Entscheidung vom 27. Oktober 1999 II R 17/99 aufgehoben und die Klage abgewiesen hat.
2. Auch die geltend gemachte Abweichung der Vorentscheidung von der Rechtsprechung des BFH ist nicht schlüssig dargelegt. Soweit die Kläger geltend machen, die Vorentscheidung weiche in der Frage der Rechtserheblichkeit von den Urteilen des BFH vom 13. Mai 1998 II R 68/96 (BFH/NV 1999, 3 Anm.) sowie vom 10. März 1999 II R 99/97 (BFHE 188, 276, BStBl II 1999, 433) und in der Frage der Ermittlungspflichten von dem BFH-Urteil vom 29. April 1997 VII R 1/97 (BFHE 183, 272, BStBl II 1997, 627) ab, ist die Divergenz zu den Urteilen in BFH/NV 1999, 3 Anm. und BFHE 183, 272, BStBl II 1997, 627 innerhalb der Frist des § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht schlüssig dargelegt worden. Die Kläger haben den wiedergegebenen Rechtssätzen aus den beiden BFH-Urteilen keine tragenden Rechtssätze aus der Vorentscheidung gegenübergestellt, die auf eine Abweichung hin überprüft werden könnten, sondern lediglich fehlerhafte Rechtsanwendung geltend gemacht.
Das BFH-Urteil in BFHE 188, 276, BStBl II 1999, 433 ist erst nach Ablauf der Beschwerdefrist ergangen. Bezüglich dieses Urteils konnten die Kläger innerhalb der Beschwerdefrist noch keine Divergenzrüge erheben. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann jedoch die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO wegen eines erst nach Ablauf der Beschwerdefrist ergangenen Urteils des BFH, das mit der Vorentscheidung nicht vereinbar ist, zugelassen werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. Juni 1974 VI B 15/74, BFHE 112, 342, BStBl II 1974, 583, sowie vom 29. Juli 1976 V B 10/76, BFHE 119, 380, BStBl II 1976, 684). Voraussetzung ist aber, dass eine (zunächst) zulässige Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO eingelegt worden war (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Mai 1965 III B 10/65, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1966, 196, sowie Nissen in Deutsche Steuer-Zeitung/Ausgabe A 1974, 208, und Redeker/von Oertzen, Verwaltungsgerichtsordnung, 12. Aufl. 1997, § 132 Anm. 13). Daran fehlt es im Streitfall gemäß den Ausführungen zu II. 1.
3. Hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensfehler bleibt die Beschwerde ebenfalls ohne Erfolg.
a) Die Rüge mangelhafter Sachaufklärung genügt nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO. Das Übergehen eines Beweisantrages kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Beteiligte den Verfahrensmangel in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht gerügt hat, obwohl dort zu erkennen war, dass das Gericht den Beweis nicht erheben werde (vgl. BFH-Beschluss vom 31. Januar 1989 VII B 162/88, BFHE 155, 498, BStBl II 1989, 372). Demgemäß gehört zu einer ordnungsgemäßen Rüge, das FG habe Beweisanträge übergangen, u.a. die Darlegung, dass die Nichterhebung der Beweise vor dem FG rechtzeitig gerügt worden sei oder aufgrund des Verhaltens des FG nicht mehr vor diesem habe gerügt werden können. Dazu ist der Beschwerdeschrift jedoch nichts zu entnehmen.
b) Verstöße gegen Denkgesetze stellen keine Verfahrensfehler, sondern materielle Rechtsfehler dar (vgl. BFH-Beschlüsse vom 31. Mai 1994 IX B 15/94, BFH/NV 1995, 128, sowie vom 10. November 1994 IV B 23/94, BFH/NV 1995, 691).
c) Soweit die Kläger rügen, das FG habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt, ist die Beschwerde unbegründet. Das FG hat den Sachvortrag der Kläger zur Bedeutung etwaiger Verwaltungserlasse nicht übergangen, sondern sich damit ―allerdings auf der Grundlage eines anderen Rechtsverständnisses― auseinandergesetzt.
Fundstellen
Haufe-Index 425592 |
BFH/NV 2000, 1098 |