Entscheidungsstichwort (Thema)
Entsprechende Anwendung von §126 Abs. 4 FGO im Verfahren über eine NZB wegen eines Verfahrensmangels
Leitsatz (NV)
1. Eine Beschwerde, mit der die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmängeln begehrt wird, kann keinen Erfolg haben, wenn sich die Entscheidung nach der Rechtsauffassung der Revisionsinstanz als in der Sache richtig erweist. Dies gilt auch für den Fall, in dem das Revisionsgericht eine durch Prozeßurteil ausgesprochene Klageabweisung aus sachlichen Gründen bestätigen kann und der zugrundeliegende Sachverhalt eindeutig und nicht weiter aufklärungsbedürftig ist.
2. Liegt ein Verfahrensverstoß gegen das Recht auf Gehör vor, ist §126 Abs. 4 FGO entsprechend anzuwenden, wenn der Verfahrensfehler nur einzelne tatsächliche Feststellungen betrifft, auf die es in revisionsrechtlicher Hinsicht nicht ankommt.
Normenkette
FGO § 126 Abs. 4; AO 1977 § 234 Abs. 2, § 237 Abs. 4
Gründe
Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wegen Nichtzulassung der Revision ist im Ergebnis unbegründet.
1. Soweit die Kläger geltend machen, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, ist die Beschwerde unzulässig, da sie nicht den gesetzlichen Anforderungen (§115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) entspricht.
Einer Rechtssache ist grundsätzliche Bedeutung beizumessen, wenn die für die Beurteilung des Streitfalles maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Gesamtheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., §115 Rz. 7, m. w. N.). Die grundsätzliche Bedeutung muß dargelegt werden. Dafür reicht die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung, nicht aus. Der Beschwerdeführer muß vielmehr konkret darauf eingehen, inwieweit die Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist und ggf. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist. Dazu gehört auch, daß der Beschwerdeführer bereits vorhandene Rechtsprechung zu der von ihm für klärungsbedürftig gehaltenen Rechtsfrage berücksichtigt und vorträgt, weshalb seiner Ansicht nach diese Rechtsprechung bisher keine Klärung gebracht hat (vgl. Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsord nung, 17. Aufl., §115 FGO Anm. 7 a, m. w. N.).
Diesen Anforderungen werden die Ausführungen in der Beschwerdeschrift der Kläger nicht gerecht.
Die Kläger erachten die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob Aussetzungszinsen zu einer Steuerfestsetzung, die auf einem für alle erkennbar fehlerhaften Urteil beruht, festgesetzt werden dürfen oder ob die Finanzbehörde in einem solchen Fall aus Gründen der Billigkeit auf die Festsetzung verzichten bzw. festgesetzte Aussetzungszinsen erlassen müsse.
Die Kläger nehmen nicht dazu Stellung, ob die bislang zu diesen Fragen vorliegende Rechtsprechung und Literatur umstritten oder zumindest für die aufgeworfene Rechtsfrage keine Klärung gebracht habe und aus welchen Gründen die in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) gebildeten Grundsätze einer erneuten Überprüfung bedürften.
Gemäß §237 Abs. 4 i. V. m. §234 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) kann auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen ganz oder zum Teil verzichtet werden, wenn deren Erhebung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Voraussetzungen, unter denen auf die Festsetzung der Zinsen verzichtet werden kann, decken sich mit den Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen nach den §§163 und 227 AO 1977 (vgl. BFH-Urteil vom 21. Juli 1993 X R 104/91, BFH/NV 1994, 597, m. w. N.). Für eine derartige Billigkeitsmaßnahme der Finanzbehörden, die von den Finanzgerichten (FG) nur auf Ermessensfehlgebrauch hin überprüft werden kann (vgl. §102 FGO), besteht nach ständiger Rechtsprechung selbst bei eindeutig und offensichtlich fehlerhafter bestandskräftiger Steuerfestsetzung nur dann ein Grund zum Erlaß, wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren (vgl. BFH in BFH/NV 1994, 597, m. w. N.).
Die Kläger haben es unterlassen, sich in ihrer Beschwerdebegründung insbesondere -- was naheliegend gewesen wäre -- mit dieser Rechtsprechung auseinanderzusetzen.
2. Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision kann auch nicht mit Erfolg auf das Vorliegen eines Verfahrensfehlers (§115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) gestützt werden.
Die Beschwerde rügt sinngemäß, daß das FG die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen und nicht in der Sache selbst entschieden habe. Das FG habe entgegen dem klaren Inhalt der Akten verkannt, daß die Kläger den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet und eine Rechtsverletzung geltend gemacht hätten. Das FG habe zudem das Recht auf Gehör verletzt, da es unter Verletzung seiner Hinweispflichten nicht auf die seiner Ansicht nach mögliche Unzulässigkeit der Klage aufmerksam gemacht habe und die Kläger daher nicht weiter zur Rechtsverletzung Stellung hätten nehmen können.
Die Verfahrensrüge der Kläger ist zumindest insoweit berechtigt, als das FG mit seinem Prozeßurteil (Abweisung der Klage als unzulässig) eine Überraschungsentscheidung (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., §96 Rz. 32) getroffen hat, mit der die Kläger -- auch unter Berücksichtigung, daß der Kläger selbst Angehöriger der rechts- und steuerberatenden Berufe ist -- nach dem Verlauf des Verfahrens nicht rechnen konnten. So enthält auch das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19. September 1995 keinen entsprechenden Hinweis, sondern besagt vielmehr, daß die Streitsache mit den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erörtert worden ist.
Hierbei kann dahinstehen, ob auch mit der Rüge, daß zu Unrecht ein Prozeßurteil anstelle eines Sachurteils ergangen sei, ein Verfahrensmangel i. S. von §115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zulässig geltend gemacht wird, wenn das FG sein Prozeßurteil auf die mangelhafte Darlegung einer Rechtsbeeinträchtigung stützt (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 6. Juli 1988 II B 183/87, BFHE 153, 509, BStBl II 1988, 897, und vom 26. Februar 1970 IV B 93/69, BFHE 99, 6, BStBl II 1970, 545; anderer Ansicht BFH-Beschluß vom 24. Mai 1988 IV B 125/87, BFH/NV 1989, 175).
Die Beschwerde ist jedoch trotz der Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör im Ergebnis unbegründet, da eine zukünftige Revision keinen Erfolg haben könnte.
a) Im Rahmen der Prüfung, ob die Revision wegen des Vorliegens von Verfahrensverstößen zugelassen werden soll, sind nach Auffassung des Senats (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. Juni 1992 III B 72/91, BFH/NV 1992, 722, und vom 18. März 1994 III B 458/90, BFH/NV 1994, 882) in entsprechender Anwendung des §126 Abs. 4 FGO die Erfolgsaussichten einer künftigen Revision zu berücksichtigen, um im Interesse der Prozeßökonomie zu verhindern, daß eine Revision zugelassen wird, von der ohnehin feststeht, daß sie im Ergebnis keinen Erfolg haben kann (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., §115 Rz. 35). Die Prüfung, ob sich das FG- Urteil trotz eines evtl. Verfahrensmangels "aus anderen Gründen" gemäß §126 Abs. 4 FGO als richtig erweist, ist nach der Rechtsauffassung des Revisionsgerichts vorzunehmen (BFH in BFH/NV 1992, 722).
Dementsprechend kann eine Beschwerde, mit der die Zulassung der Revision auf Verfahrensmängel gestützt wird, keinen Erfolg haben, wenn sich die Entscheidung nach der Rechtsauffassung der Revisionsinstanz als in der Sache richtig erweist. Dies gilt auch für den Fall, in dem das Revisions gericht eine durch Prozeßurteil ausgesprochene Klageabweisung aus sachlichen Gründen bestätigen kann, weil die Klage aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben kann und der zugrundeliegende Sachverhalt eindeutig und nicht weiter aufklärungsbedürftig ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., §126 Rz. 7).
b) Im Streitfall könnte unabhängig von den von den Klägern geltend gemachten Verfahrensmängeln eine zukünftige Revision deshalb keinen Erfolg haben, weil sich die Entscheidung des FG -- trotz der von ihm vertretenen Ansicht, die Klage sei unzulässig -- aufgrund des vom FG festgestellten Sachverhalts im Ergebnis als zutreffend erweist.
Die Kläger haben gegenüber dem FA beantragt, die ihnen gegenüber bereits festgesetzten Aussetzungszinsen aus Billigkeitsgründen zu erlassen (vgl. §237 Abs. 4 i. V. m. §234 Abs. 2 und §227 AO 1977), weil die der Zinsfestsetzung zugrundeliegenden Steuern aufgrund eines früheren und -- nach Ansicht der Kläger -- wegen Zulassung der Bildung einer Rücklage nach §6 b des Einkommensteuergesetzes (EStG) offensichtlich fehlerhaften Urteils zu Unrecht festgesetzt worden seien. Die Oberfinanzdirektion hat den Antrag schließlich mit Beschwerdeentscheidung vom 12. September 1991 abgelehnt, da weder persön liche noch insbesondere sachliche Billigkeitsgründe gegeben seien. Denn bei der Festsetzung und Erhebung von Aussetzungszinsen sei -- nach dem Willen des Gesetzgebers -- grundsätzlich nicht mehr erneut zu prüfen, ob der bestandskräftig gewordene Steueranspruch materiell-rechtlich zutreffend sei. Im übrigen würden die Kläger aber verkennen, daß eine zu Unrecht gebildete Rücklage nach §6 b EStG in der Schlußbilanz des ersten berücksichtigungsfähigen Veranlagungszeitraums gewinnbringend aufzulösen sei. Ein Anspruch auf Erlaß der Aussetzungszinsen bestehe deshalb nicht.
Die im wesentlichen auf diesen Erwägungen beruhende Entscheidung der Finanzbehörde ist nicht ermessensfehlerhaft (vgl. §102 FGO). Denn aufgrund der nach den in der Entscheidung des BFH in BFH/NV 1994, 597 genannten Kriterien durfte die Finanzbehörde selbst bei Annahme einer -- was sich jedoch aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ergibt -- fehlerhaften bestandskräftigen Steuerfestsetzung den Erlaß der Aussetzungszinsen im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens (vgl. §§227, 234 Abs. 2 AO 1977) ablehnen, weil hinsichtlich der Streitjahre in der Hauptsache zumindest keine offensichtlich fehlerhafte Steuerfestsetzung vorliegt. Dabei geht es nicht darum, ob die vor den Streitjahren gebildete Rücklage offensichtlich fehlerhaft war. Jedenfalls war die Auflösung der möglicherweise fehlerhaft gebildeten Rücklage in den Streitjahren nicht offensichtlich fehlerhaft.
Das FG hätte daher bei sachgerechter Behandlung des -- von der Vorinstanz im übrigen zutreffend dargelegten -- Klagebegehrens die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abweisen müssen. Dies führt indes in entsprechender Anwendung des §126 Abs. 4 FGO nicht zur Zulassung der Revision, da diese aus sachlichen Gründen keinen Erfolg haben kann.
Allerdings ist §126 Abs. 4 FGO nach allgemeiner Meinung im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht anwendbar, wenn ein Verfahrensmangel i. S. des §119 FGO vorliegt (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., §126 Rz. 7, m. w. N.). Dies muß auch für die entsprechende Anwendung des §126 Abs. 4 FGO im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gelten (vgl. Senatsbeschluß vom 19. Mai 1995 III B 11/92, BFH/NV 1996, 409).
Bei dem auch hier vorliegenden Verfahrensverstoß der Verletzung des rechtlichen Gehörs i. S. von §119 Nr. 3 FGO hat die Rechtsprechung jedoch eine Ausnahme dann angenommen, wenn der Verfahrensfehler nur einzelne tatsächliche Feststellungen betrifft, auf die es in revisionsrecht licher Hinsicht nicht ankommt (vgl. BFH- Urteil vom 5. Dezember 1979 II R 56/76, BFHE 129, 297, BStBl II 1980, 208; Gräber/Ruban, a.a.O., §126 Rz. 7). Die Kläger konnten sich -- was offensichtlich ist -- zu den sachentscheidungserheblichen Tatsachen schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung äußern. Der Senat ist daher nicht daran gehindert, in der Sache zu entscheiden. Soweit die Kläger -- wie zutreffend gerügt -- sich zu der rechtsfehlerhaften Auffassung der Vorinstanz, wonach die Klage unzulässig sei, nicht äußern konnten, ist dies für die Entscheidung in der Sache unter keinem denkbaren Gesichtspunkt von Bedeutung.
Im übrigen ergeht die Entscheidung gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 26. November 1996 (BGBl I 1996, 1810) ohne Begründung.
Fundstellen
Haufe-Index 66760 |
BFH/NV 1998, 35 |