Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung
Leitsatz (NV)
Eine Revision ist dann nicht ordnungsgemäß begründet, wenn der prozeßbevollmächtigte Rechtsanwalt die vom Revisionskläger persönlich verfaßte Revisionsbegründungsschrift zwar unterzeichnet, ihren Inhalt aber nicht prüft und rechtlich durcharbeitet.
Normenkette
FGO § 120; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte beim Finanzamt (FA) die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs für das Jahr 1975 beantragt. Da das FA im Bescheid über Lohnsteuer-Jahresausgleich die geltend gemachten Werbungskosten zum Teil nicht anerkannte, legte der Kläger Einspruch ein, der zum Erlaß eines geänderten Bescheids führte.
Nach Eintritt der Bestandskraft dieses Bescheids erklärte der Kläger erstmals Kapitalerträge in Höhe von . . . DM. Das FA führte daraufhin eine Veranlagung zur Einkommensteuer 1975 durch, bei der es die im Bescheid über Lohnsteuer-Jahresausgleich festgesetzten Sonderausgaben und Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit unverändert übernahm.
Der Einspruch, mit dem der Kläger die Berücksichtigung weiterer bisher nicht geltend gemachter Werbungskosten begehrte, blieb im wesentlichen erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage nur hinsichtlich eines Teilbetrages der geltend gemachten Werbungskosten statt, im übrigen wies es die Klage ab.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf Verfahrensmängeln i. S. des § 116 FGO:
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig; die Revisionsbegründung genügt nicht den Anforderungen des § 120 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG).
Die fristgerecht eingelegte Revision wurde mit Schriftsatz vom 22. Februar 1984 begründet. Für die erste Seite dieses Schriftsatzes wurde ein Kopfbogen der Anwaltssozietät verwendet, der der damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers, Rechtsanwalt H, angehört. Der Schriftsatz ist von Rechtsanwalt H unterschrieben. In einem der Revisionsbegründung angefügten Postskriptum, das von Rechtsanwalt H unterzeichnet ist, heißt es: ,,Die Revision wurde auf ausdrücklichen Wunsch des Klägers eingelegt. Der Kläger wünscht ausdrücklich, daß die Revision auf jeden Fall durchgeführt wird. Er wünscht ebenfalls, daß der vorstehende Vortrag, der von ihm verfaßt wurde, die Revision begründen soll."
Das FA hat dazu in seiner Revisionserwiderung ausgeführt, die im Postskriptum niedergelegten Erklärungen des Prozeßbevollmächtigten H ließen erkennen, daß der Kläger der Verfasser der Revisionsbegründung sei und daß der Prozeßbevollmächtigte den Prozeßstoff nicht selbst überprüft habe und für den Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht die Verantwortung übernehme.
Der Kläger hat daraufhin - nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist - am 25. Juni 1984 einen weiteren Schriftsatz eingereicht, der von Rechtsanwalt B unterzeichnet ist. Darin heißt es, die Revision sei durch den Prozeßbevollmächtigten eingelegt und begründet worden. Dieser habe das Vorbringen in der Revisionsbegründung mit dem Kläger durchgesprochen und die Erfolgsaussichten überprüft. Der Bevollmächtigte sei der Ansicht, daß die Revision wegen Befangenheit der Richterin X begründet sei. Mit dem Postskriptum habe er lediglich zum Ausdruck bringen wollen, daß der Kläger ausdrücklich das Rechtsmittel der Revision gewünscht habe, obwohl noch andere prozessuale Möglichkeiten bestanden hätten. Im letzten Satz des Schriftsatzes heißt es: ,,Vorstehender Schriftsatz wurde durch den Kläger selbst verfaßt und auf ausdrücklichen Wunsch vorgetragen."
Auch unter Berücksichtigung des zuletzt erwähnten Schriftsatzes genügt der Schriftsatz vom 22. Februar 1984 nicht den Anforderungen, die nach § 120 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG an eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung zu stellen sind. Nach Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG muß sich vor dem BFH jeder Beteiligte, sofern es sich nicht um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder um eine Behörde handelt, durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertreten lassen. Sinn und Zweck des durch diese Vorschrift angeordneten Vertretungszwangs ist es, den BFH dadurch zu entlasten, daß Rechtsbehelfe nur noch von solchen Personen eingelegt werden dürfen, die durch ihre fachliche Vorbildung in der Lage sind, die Erfolgsaussichten der Rechtsbehelfe zu beurteilen und das Verfahren vor dem BFH sachgerecht zu führen. Die von einem postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten unterzeichnete Revisionsbegründung muß deshalb erkennen lassen, daß er den Prozeßstoff überprüft hat und die volle Verantwortung für den Inhalt der Revisionsbegründung übernimmt. Zur Begründung der Revision genügt deshalb die Vorlage eines zwar von einem Rechtsanwalt unterzeichneten, aber von der Partei selbst verfaßten Schriftsatzes jedenfalls dann nicht, wenn der Rechtsanwalt nicht selbst den Streitstoff geprüft, gesichtet und rechtlich durchgearbeitet hat (BFH-Beschluß vom 14. Mai 1982 VI R 197/81, BFHE 136, 52, BStBl II 1982, 607 m.w.N.; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 6. September 1965 VI C 57.63, BVerwGE 22, 38).
Im vorliegenden Fall hat der damalige Prozeßbevollmächtigte Rechtsanwalt H, die von ihm selbst eingereichte Revisionsbegründungsschrift ersichtlich nicht geprüft und rechtlich durchdrungen. Die Schriftsätze zur Begründung der Revision sind - wie Rechtsanwalt H für die Revisionsbegründung vom 22. Februar 1984 und Rechtsanwalt B für den am 25. Juni 1984 eingegangenen Schriftsatz vom 22. Juni 1984 vortragen - vom Kläger verfaßt worden. Rechtsanwalt H hat zwar durch die Verwendung von Kopfbogen seiner Anwaltskanzlei und durch seine Unterschrift äußerlich den Eindruck erweckt, die Revisionsbegründung stamme von ihm. Das genügt jedoch nicht für eine formgerechte Revisionsbegründung, weil Rechtsanwalt H den Inhalt der Revisionsbegründungsschrift ersichtlich nicht überprüft und rechtlich durchgearbeitet hat. Das ergibt sich schon daraus, daß die Ausführungen in der Revisionsbegründung vom juristischen und insbesondere vom verfahrensrechtlichen Standpunkt aus zum Teil schlechterdings unhaltbar sind (vgl. BVerwGE 22, 38, 40). Das gilt insbesondere für den auf S. 2 der Revisionsbegründung ,,hilfsweise" gestellten Antrag, wegen der Versäumung der Beschwerdefrist im Richterablehnungsverfahren ,,Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO zu gewähren und gegen die drei Beschlüsse des Finanzgerichts des Saarlandes wegen Richterablehnung vom 20. 7. 1983 die Beschwerden zuzulassen" (vgl. auch die ähnlich formulierten Anträge auf S. 5 und 6 der Revisionsbegründung). Dieser Antrag und die Ausführungen zu seiner Begründung auf S. 5 und 6 des Schriftsatzes vom 22. Februar 1984 machen deutlich, daß dem Verfasser die Besonderheiten des Revisionsverfahrens einerseits und des Beschwerdeverfahrens andererseits nicht geläufig sind. Abgesehen davon, daß es nach dem klaren Wortlaut des § 128 FGO für die Beschwerde im Richterablehnungsverfahren keiner besonderen Zulassung durch das FG oder den BFH bedarf, ist die dem Antrag auf Wiedereinsetzung zugrunde liegende Rechtsauffassung auch insofern unhaltbar, als der Verfasser davon ausgeht, der BFH sei befugt, im Revisionsverfahren über Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen Beschlüsse des FG im Richterablehnungsverfahren zu entscheiden. Der Verfasser verkennt das Wesen des Richterablehnungsverfahrens nach §§ 51, 128 FGO i.V.m. §§ 46 ff. der Zivilprozeßordnung (ZPO), bei dem es sich um ein selbständiges Zwischenverfahren mit selbständiger Anfechtbarkeit der in diesem Verfahren ergehenden Entscheidung des FG handelt. Wird die Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die das Ablehnungsgesuch zurückweisende Entscheidung des FG versäumt, so kann der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur im Beschwerdeverfahren gestellt und beschieden werden. Erhebt der Revisionskläger keine Beschwerde gegen den Beschluß des FG, so ist die Frage der Befangenheit des Richters der Nachprüfung durch den BFH entzogen (BFH-Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, 530, BStBl II 1982, 217).
Abwegig sind auch die Ausführungen auf S. 5 des Schriftsatzes vom 22. Februar 1984, in denen der Verfasser die Ansicht äußert, die Beschwerdefrist sei gewahrt, weil der Kläger, der die Beschwerde gegen die das Ablehnungsgesuch zurückweisende Entscheidung des FG persönlich eingelegt habe, jedenfalls im Zeitpunkt der Vorlage der Beschwerde an den BFH durch einen postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten vertreten gewesen sei; denn die durch diesen eingelegte Revision habe sich auch auf die Beschwerde erstreckt.
Die Unhaltbarkeit dieses Vorbringens schließt es aus, daß Rechtanwalt H den Inhalt der Revisionsbegründung überprüft und ihn sich durch Weitergabe des Schriftsatzes unter seinem Namen zu eigen gemacht haben könnte. Im übrigen hat Rechtsanwalt B auf die Rüge des FA, der Schriftsatz vom 22. Februar 1984 sei vom Kläger selbst verfaßt worden, lediglich erklärt, die Revisionsbegründung sei mehrmals mit dem Kläger durchgesprochen und die Erfolgsaussichten überprüft worden. Rechtsanwalt B hat im letzten Satz des Schriftsatzes vom 22. Juni 1984 wiederum darauf hingewiesen, daß auch dieser Schriftsatz vom Kläger selbst verfaßt worden sei und auf dessen ausdrücklichen Wunsch vorgetragen werde.
Damit ist auch das Vorbringen in diesem Schriftsatz nicht geeignet darzutun, daß der damalige Prozeßbevollmächtigte des Klägers den Prozeßstoff überprüft hat und die volle Verantwortung für den Inhalt der Revisionsbegründung übernimmt . . .
Fundstellen
Haufe-Index 414128 |
BFH/NV 1986, 175 |