Entscheidungsstichwort (Thema)
Verschulden des Prozeßbevollmächtigten bei Irrtum über Frist für Nichtzulassungsbeschwerde; Anforderungen an Verfahrensrügen
Leitsatz (NV)
1. Die nicht rechtzeitige Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist verschuldet, wenn der Prozeßbevollmächtigte geltend macht, er habe in seiner Praxis mit dem BFH bisher nichts zu tun gehabt und sei daher mit den Anforderungen an eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht vertraut gewesen.
2. Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist stets von dem materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz auszugehen.
3. Der Mangel einer fehlenden Urteilsbegründung kann nur mit der zulassungsfreien Revision, nicht aber mit der auf Verfahrensmängel gestützten Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1, § 115 Abs. 2, 3 S. 3, § 116 Abs. 1 Nr. 5
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Nach § 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Nichtzulassung der Revision nur innerhalb eines Monats durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO innerhalb dieser Frist auch zu begründen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Rdnr. 55, m.w.N.). Dies ist im Streitfall nicht geschehen. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) haben die Beschwerdebegründung vielmehr erst nach Ablauf der Beschwerdefrist vorgelegt.
2. Die von den Klägern beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Beschwerdebegründung kann nicht gewährt werden. Denn die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt nach § 56 Abs. 1 FGO voraus, daß die Frist unverschuldet versäumt worden ist. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht gegeben.
Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hat die nicht rechtzeitige Begründung der Beschwerde verschuldet. Das Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten müssen sich die Kläger zurechnen lassen (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 56 Rdnr. 6, mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). Von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe, der als Prozeßbevollmächtigter oder in eigener Sache beim Bundesfinanzhof (BFH) ein Rechtsmittel einlegt, muß erwartet werden, daß er die Voraussetzungen und die Anforderungen für dieses Rechtsmittel kennt oder daß er sich zumindest davon Kenntnis verschafft. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hätte daher wissen müssen, daß die Revision gegen ein Urteil des Finanzgerichts (FG) einer ausdrücklichen Zulassung bedarf und daß die Nichtzulassung der Revision nur innerhalb der Beschwerdefrist durch eine begründete Beschwerde angefochten werden kann. Wenn er - wie er vorträgt - in seiner Praxis bisher mit dem BFH nichts zu tun hatte und daher mit den Anforderungen an eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht vertraut war, bestand für ihn besonderer Anlaß, sich vorher eingehend mit den Voraussetzungen für den Zugang zum BFH zu beschäftigen. War er dazu nicht bereit oder in der Lage, durfte er das Mandat nicht übernehmen.
3. Im übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde auch deshalb unzulässig, weil die vorgelegte Begründung den gesetzlichen Anforderungen nicht entspricht.
Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des BFH abweicht oder wenn im Falle der Geltendmachung eines Verfahrensmangels die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, die Abweichung von einer Entscheidung des BFH oder der Verfahrensmangel müssen nach § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdebegründung dargelegt bzw. bezeichnet werden.
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Kläger nicht gerecht. Für eine Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung fehlt jeder Hinweis darauf, warum die von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfragen durch den BFH klärungsbedürftig sind (z.B. wegen unterschiedlicher FG-Urteile oder verschiedener Meinungen im Schrifttum) und inwieweit eine evtl. BFH-Entscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse liegt (s. hierzu z.B. Herrmann, Die Zulassung der Revision und die Nichtzulassungsbeschwerde im Steuerprozeß, Rdnr. 151, m.w.N.). Die Kläger haben vielmehr statt einer Beschwerdebegründung eine Revisionsbegründung vorgelegt, indem sie die Verletzung materiellen Bundesrechts rügen. Das vermag die Zulassung einer Revision nicht zu begründen.
Die von den Klägern gerügten Verfahrensfehler der mangelnden Sachaufklärung und des Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten sind zu pauschal und unsubstantiiert vorgebracht worden, um als ordnungsgemäße Verfahrensrüge gelten zu können (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rdnr. 65 i.V.m. § 120 Rz. 37 ff., m.w.N.). Außerdem gehen diese Rügen ins Leere. Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist stets von dem materiell-rechtlichen Standpunkt der Vorinstanz auszugehen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., Rdnr. 24, m.w.N.). Vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG her kam es aber nicht auf den Umfang und die Gründe für die Verschuldung des Sohnes an.
Ebensowenig vermag die pauschale und unsubstantiierte Behauptung der Kläger, das FG habe sich nicht im einzelnen nachvollziehbar mit den von ihnen vorgetragenen Begründungen auseinandergesetzt, den Mangel einer fehlenden Urteilsbegründung i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 und § 119 Nr. 6 FGO ordnungsgemäß darzulegen. Diese Rüge hätten die Kläger im übrigen nur in dem von ihnen angestrengten Revisionsverfahren erheben können. Mängel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO können nämlich nur mit der zulassungsfreien Revision, nicht aber mit der auf Verfahrensmängel gestützten Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rdnr. 5, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 423178 |
BFH/NV 1994, 105 |