Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Beschwerde und Gehörsrüge
Leitsatz (NV)
1. Eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Beschwerde kommt in den Fällen des §128 Abs. 3 FGO nicht in Betracht.
2. Es kann dahinstehen, ob bei der Prüfung der Statthaftigkeit einer außerordentlichen Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit die Rüge, bei der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter sei kein rechtliches Gehör gewährt worden, berücksichtigungsfähig ist. Denn selbst wenn dies der Fall wäre und die Beteiligten tatsächlich dazu vorher zu hören wären, käme die Rüge zur Begründung einer außerordentlichen Beschwerde zu spät, weil sie bereits nach der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter vor dem FG, spätestens aber in dem Beschwerdeschriftsatz hätte erhoben werden müssen.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 6 Abs. 1, §§ 69, 115 Abs. 2, § 128 Abs. 3
Tatbestand
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Finanzgericht (FG) den Antrag der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) auf Aussetzung der Vollziehung der Vollstreckungsankündigung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) vom 15. April 1997 abgewiesen. Das FG befand, der Antrag sei nicht statthaft, da eine Vollstreckungsankündigung kein Verwaltungsakt der Behörde und damit einer Aussetzung der Vollziehung nicht fähig sei. Das FG hat die Beschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen.
Mit Schriftsatz vom ... hat die Antragstellerin hiergegen Beschwerde eingelegt. Gestützt auf §128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. §115 Abs. 2 FGO begehrt sie die Zulassung der Beschwerde. Außerdem sei die Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung statthaft. Diese verlasse den Boden der geltenden Rechtsordnung, weil das FG das Antragsbegehren "erfunden" bzw. "selbst zusammengebastelt" habe. Sie habe von Anfang an nicht Aussetzung der Vollziehung der Vollstreckungsankündigung, sondern der angefochtenen Körperschaftsteuerbescheide nebst Nebenleistungen begehrt. So habe auch das FA ihren Antrag verstanden. Ferner habe das FG ihr das rechtliche Gehör versagt, weil es ihr unter Hinweis auf diesen gar nicht gestellten Antrag die beantragte Akteneinsicht verweigert habe. Mit nachgereichtem Schriftsatz vom ... rügt die Antragstellerin nach Ablauf der regulären Beschwerdefrist des §129 Abs. 1 FGO, das FG habe ihr Recht auf Gehör auch deshalb verletzt, weil es den Rechtsstreit gemäß §6 Abs. 1 FGO auf den Einzelrichter übertragen habe, ohne sie vorher dazu anzuhören und ohne die Übertragung zu begründen.
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel ist nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen.
1. Nach §128 Abs. 3 Satz 1 FGO steht den Beteiligten die Beschwerde gegen die Entscheidung des FG über die Aussetzung der Vollziehung nach §69 Abs. 3 FGO nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Das FG hat die Beschwerde in der angefochtenen Entscheidung nicht zugelassen und in der beigefügten Rechtsmittelbelehrung deutlich zum Ausdruck gebracht, daß eine Beschwerde nur im Falle der Zulassung durch das FG zulässig ist. Mithin ist die Beschwerde bereits nicht statthaft.
2. Wie der Formulierung "wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist" (§128 Abs. 3 Satz 1 FGO) zu entnehmen ist, findet eine Zulassung der Beschwerde in den Fällen des §128 Abs. 3 FGO durch den Bundesfinanzhof (BFH) nicht statt (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluß vom 14. März 1996 VII B 4/96, BFH/NV 1996, 629; BFH-Beschluß vom 17. Mai 1994 I B 234/93, BFH/NV 1995, 47, unter Verweis auf die fortgeltende Rechtsprechung des BFH zur Vorgängervorschrift des Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs). Auch darauf hat das FG in seiner Rechtsmittelbelehrung zutreffend hingewiesen ("Die Nichtzulassung der Beschwerde kann nicht selbständig angefochten werden"). Die in §128 Abs. 3 Satz 2 FGO vorgesehene entsprechende Anwendung des §115 Abs. 2 FGO regelt mithin nur, nach welchen Kriterien das FG seine Entscheidung, ob die Beschwerde zugelassen werden soll, zu treffen hat. Eine Beschwerdezulassung durch den BFH findet auch dann nicht statt, wenn die Verletzung rechtlichen Gehörs gerügt wird (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, §69 Rz. 173, m. w. N.).
3. Die Beschwerde ist im Streitfall auch nicht als außerordentliche Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit statthaft.
a) Eine solche Beschwerde ist in der FGO nicht vorgesehen. Sie wird allerdings -- ausnahmsweise -- in Fällen für zulässig erachtet, in denen ein Beschluß kraft Gesetzes unanfechtbar wird, und dieser unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustandegekommen ist oder auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (vgl. Senatsbeschluß vom 22. November 1994 VII B 144/94, BFH/NV 1995, 791, m. w. N.).
b) Der Senat kann im Streitfall dahingestellt sein lassen, ob eine solche "außerordentliche" Beschwerde auch für Fälle in Betracht kommt, in denen die Beschwerde nach §128 Abs. 3 FGO nicht statthaft ist. Denn die aufgezeigten Voraussetzungen, unter denen eine solche Beschwerde ausnahmsweise zulässig sein könnte, sind im Streitfall nicht schlüssig dargelegt.
Eine schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften kann nicht damit begründet werden, das FG habe das Begehren der Antragstellerin in der Antragsschrift falsch ausgelegt oder gedeutet und damit unzulässigerweise zu etwas entschieden, was gar nicht beantragt gewesen sei (Mißachtung des Grundsatzes der Bindung an das Klagebegehren als Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens, vgl. Senatsurteil vom 13. Dezember 1994 VII R 18/93, BFH/NV 1995, 697). Das in diesem Schriftsatz zum Ausdruck gekommene Begehren der Antragstellerin kann nach seinem objektiven Erklärungswert durchaus so verstanden werden, wie es das FG aufgefaßt hat, nämlich als Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Vollstreckungsankündigung des FA.
Etwa verbliebenen Zweifeln ist das FG dadurch nachgegangen, daß es die Antragstellerin über die Geschäftsstelle des Gerichts ("auf richterliche Anordnung") dringend um Mitteilung gebeten hat, ob Aussetzung der Vollziehung der Vollstreckungsankündigung oder der Körperschaftsteuerbescheide begehrt werde. Es hat dabei zusätzlich darauf hingewiesen, daß es dem Antragsschriftsatz lediglich einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Vollstreckungsankündigung entnehmen könne. Auf diese Aufforderung hat die Antragstellerin nach Aktenlage nicht reagiert. Auch in ihrem Beschwerdeschriftsatz ist sie darauf nicht eingegangen. Schon aus diesem Grund ist die Rüge, das FG habe einen schwerwiegenden Verfahrensfehler begangen, indem es seiner Entscheidung einen falschen Antrag zugrunde gelegt habe, nicht schlüssig.
Zugleich wird damit auch die weitere Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch das FG (Versagung der Akteneinsicht) entkräftet. Denn wenn das FG nach alledem das Begehren der Antragstellerin als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der Vollstreckungsankündigung auffassen konnte und durfte, so brauchte es der Antragstellerin keine Akteneinsicht zu gewähren, weil dieses Begehren -- wie auch geschehen -- als unzulässig abzuweisen war, denn die Einsichtnahme in die Akten war unter keinem Gesichtspunkt geeignet, der Verwirklichung des Rechtsschutzes zu dienen (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluß vom 6. März 1997 VII R 121/96, BFH/NV 1997, 430, m. w. N.). Der Senat läßt es dahinstehen, ob die nach Ablauf der regulären Beschwerdefrist des §129 Abs. 1 FGO nachgereichte weitere Gehörsrüge (fehlendes rechtliches Gehör bei der Übertragung des Rechtsstreits an den Einzelrichter) bei der Prüfung der Statthaftigkeit einer außerordentlichen Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit überhaupt noch berücksichtigungsfähig ist. Wäre dies der Fall und wären tatsächlich die Beteiligten vor der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter zu hören (streitig, vgl. Gräber/Koch, a. a. O., §6 Rz. 6; "Frage von grundsätzlicher Bedeutung": BFH-Beschluß vom 19. Juli 1995 X B 153/94, BFH/NV 1996, 154), so hätte diese Rüge schon vor dem FG unter Darlegung der Gründe, die gegen eine Übertragung sprechen, erhoben werden müssen, und zwar nach Ergehen des Übertragungsbeschlusses und spätestens in dem "Beschwerdeschriftsatz". Da sich die Antragstellerin in diesem Schriftsatz in Kenntnis des Übertragungsbeschlusses und der daraufhin erfolgten Entscheidung des Einzelrichters auf die Sache eingelassen hat, ohne die unterlassene Anhörung zu rügen, gilt das verzichtbare Rügerecht als verwirkt (BFH/NV 1996, 154).
Fundstellen
Haufe-Index 67283 |
BFH/NV 1998, 866 |