Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausüben oder verwerten einer Tätigkeit im Inland
Leitsatz (NV)
1. Zum Ort der Ausübung einer nichtselbständigen Arbeit bei Schiffspersonal.
2. Unter ,,verwerten" i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist der Vorgang zu verstehen, durch den der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt.
3. Ist abgeführte Lohnsteuer vom FA an den Arbeitnehmer zu erstatten, sind auf den erfolreich eingeklagten Erstattungsbetrag Prozeßzinsen zu gewähren.
Normenkette
EStG § 49 Abs. 1 Nr. 4; AO 1977 § 236
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist von Beruf Kapitän. Er besitzt eine Wohnung in den Niederlanden, die er mit seiner Frau und seinem Kind bewohnt. Der Kläger hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Mit den Arbeitsverträgen vom Juni 1981 und vom Oktober 1981 verpflichtete er sich, als Kapitän für eine Firma G in Tripoli zu arbeiten. Gemäß Vertrag wurde er Arbeitnehmer dieser Firma. Vermittelt wurde dieser Vertrag durch die (inländische) Firma E. Vom 4. Juni 1981 bis zum 19. September 1981 arbeitete er auf dem Schiff MT ,,M . . ." und ab 19. Oktober 1981 bis zum 31. Mai 1982 auf dem Schiff MT ,,S . . ." des libyschen Eigners. Sein Lohn wurde ihm von der E ausgezahlt. Diese erhielt aufgrund eines Managingvertrages mit der libyschen Gesellschaft eine monatliche Pauschale pro Schiff. Von diesem Geld wurden die Löhne an die Besatzung des Schiffes bezahlt. Weitere Kosten wurden in nachgewiesener Höhe vom Eigner erstattet. Die Aufgaben der E bestanden neben der Vermittlung von Arbeitsverträgen auch in der Verpflichtung, die Schiffe auszurüsten, Reparaturen in Auftrag zu geben, für einen ausreichenden Versicherungsschutz zu sorgen und alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um das Schiff in einem guten seefähigen Zustand zu halten. Die Schiffe fuhren unter libyscher Flagge und waren an eine andere libysche Reederei verchartert.
In den Jahren 1981 und 1982 wurde von der E Lohnsteuer von dem Gehalt des Klägers einbehalten und an den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) abgeführt. Der Kläger forderte das FA auf, ihm die Lohnsteuer für 1981 und 1982 zu erstatten, was das FA ablehnte. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Mit der dagegen am 1. Dezember 1982 erhobenen Klage beantragte der Kläger, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides in der Gestalt der Einspruchsentscheidung das FA zu verurteilen, die für 1981 und 1982 einbehaltene Lohnsteuer zu erstatten.
Das Finanzgericht (FG) sah die Klage in dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1984, 295 veröffentlichten Urteil als begründet an und verurteilte das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides in der Gestalt der Einspruchsentscheidung zur Zahlung der Lohnsteuerbeträge nebst 6 v. H. Zinsen seit dem 1. Dezember 1982 an den Kläger.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 49 Abs. 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Nach den Feststellungen des FG habe die E die Arbeitsverträge zu vermitteln, das Schiff auszurüsten, Reparaturen in Auftrag zu geben und alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um das Schiff in einem guten seefähigen Zustand zu halten. Das FG hätte aufgrund dieses festgestellten Sachverhalts die Rechtsfolge erkennen müssen, daß die E inländischer Vertreter der G und damit inländischer Arbeitgeber gewesen sei (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 28. Juni 1972 I R 35/70, BFHE 106, 206, BStBl II 1972, 785).
Der Bundesminister der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist mit der Maßgabe unbegründet, daß das FA verpflichtet wird, einen Freistellungsbescheid hinsichtlich der 1981 und 1982 einbehaltenen Lohnsteuer zu erteilen und an den Kläger für diesen Betrag ab 1. Dezember 1982 Zinsen in Höhe von 6 v. H. zu zahlen. Die Aufhebung des Ablehnungsbescheides durch das FG war gerechtfertigt, weil dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung der einbehaltenen Lohnsteuer zustand. Die Einbehaltung der Lohnsteuer geschah zu Unrecht, da der Kläger keine inländischen Einkünfte bezog. Die nichtselbständige Arbeit wurde im Inland weder ausgeübt noch verwertet (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG).
1. Die Tätigkeit wurde nicht im Inland ausgeübt. Soweit sich die Schiffe auf hoher See befanden, sind sie als schwimmender Gebietsteil Libyens anzusehen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Oktober 1977 I R 250/75, BFHE 123, 341, BStBl II 1978, 50). Soweit sich die Schiffe nicht auf hoher See und auch nicht im libyschen Hoheitsgebiet befanden, sondern im Hoheitsgebiet anderer Staaten, hat der Kläger seine nichtselbständige Arbeit im jeweiligen Staatsgebiet ausgeübt (Urteil in BFHE 123, 341, BStBl II 1978, 50). Aus den Feststellungen des FG ergibt sich nicht, daß sich die Schiffe auch im deutschen Hoheitsgebiet aufgehalten haben.
2. Unter ,,verwerten" i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist der Vorgang zu verstehen, durch den der Arbeitnehmer das Ergebnis seiner nichtselbständigen Arbeit seinem Arbeitgeber zuführt. Dies ergibt sich aus der grammatischen Auslegung und dem Gesamtzusammenhang, in dem das Wort ,,verwerten" steht.
2.1 Das Wort ,,verwerten" kann sich auf einen Gegenstand in dem Sinne beziehen, daß der Wert, der in ihm steckt, herausgeholt wird und zunutze gemacht wird (vgl. Deutsches Wörterbuch von Jakob und Wilhelm Grimm, 12. Bd., I. Abteilung 1956, S. 2233). Als Beispiel für die Verwendung des Wortes ,,verwerten" in der Gesetzessprache sei auf § 15 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) hingewiesen, wonach der Urheber das ausschließliche Recht hat, sein Werk in körperlicher Form zu verwerten (d. h., zu vervielfältigen, zu verbreiten und auszustellen). Der Nutzen der geleisteten Arbeit kann dort gezogen werden, wo die Arbeit ausgeübt wird. Es ist jedoch auch denkbar, den Nutzen an einem anderen Ort zu ziehen, vor allem bei Tätigkeiten, durch die ein geistiges Produkt hervorgebracht wird.
2.2 Unter Verwerten i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG kann nur ein Nutzbarmachen gemeint sein, das an einem Ort geschieht, der von dem der Ausübung verschieden sein kann. Wenn der Gesetzgeber in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG für das Vorliegen inländischer Einkünfte sowohl an die Ausübung als auch an die Verwertung der nichtselbständigen Arbeit anknüpft, kann sich der Begriff der Verwertung nur auf diejenigen Fälle beziehen, in denen die nichtselbständige Arbeit an einem Ort verwertet wird, der nicht mit dem der Ausübung übereinstimmt. Für die Fälle, in denen die nichtselbständige Arbeit nur am Ort der Ausübung verwertet werden kann, hätte es des Anknüpfungsmerkmals der Verwertung neben dem der Ausübung nicht bedurft.
2.3 Zwar läßt der Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG durch den Gebrauch des Passivs (,,verwertet wird oder worden ist") offen, wen die Vorschrift als Verwerter voraussetzt. Der Gesamtzusammenhang, in dem die Vorschrift steht, ergibt jedoch, daß nur der Arbeitnehmer als Verwerter in Betracht kommt.
Nach § 2 Abs. 1 EStG unterliegen der Einkommensteuer die dort bezeichneten Einkünfte, die der Steuerpflichtige während seiner unbeschränkten Einkommensteuerpflicht oder als inländische Einkünfte während seiner beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielt. Dies spricht dafür, daß im Zweifel die Tatbestandsmerkmale, an die das Gesetz die Steuerpflicht knüpft (§ 3 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes - StAnpG - = § 38 der Abgabenordnung - AO 1977), von demjenigen zu verwirklichen sind, der als Steuerpflichtiger in Betracht kommt.
In § 49 Abs. 1 EStG werden, wie die Bezugnahme auf § 1 Abs. 3 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung zeigt, diejenigen Einkünfte einer natürlichen Person aufgezählt, die bei ihr zur beschränkten Einkommensteuerpflicht führen, wenn sie im Inland weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Katalog des § 49 Abs. 1 EStG enthält zum überwiegenden Teil keine Fälle, in denen die Steuerpflicht von einem Dritten in dem Sinne abhängig gemacht wird, daß dessen Verhalten zu einem Merkmal des Tatbestandes im engeren Sinne rechnet. Wenn § 49 Abs. 1 Nr. 5 EStG auf Verhältnisse eines Dritten (Wohnsitz, Geschäftsleitung oder Sitz im Inland) abstellt, handelt es sich um allgemeine Anknüpfungsmerkmale, die nicht zu dem Tatbestand im engeren Sinne zählen, von dem die Steuerpflicht abhängt.
Soweit § 49 Abs. 1 EStG, nämlich in § 49 Abs. 1 Nr. 3 EStG, auf das Tatbestandsmerkmal ,,verwerten" neben dem der ,,Ausübung" abstellt, wird es in dem Sinne verstanden, daß es auf die Verwertung durch denjenigen ankommt, der als Steuerpflichtiger in Betracht kommt (vgl. Urteile des BFH vom 16. Dezember 1970 I R 137/68, BFHE 101, 73, BStBl II 1971, 200; vom 13. Oktober 1976 I R 261/70, BFHE 120, 225, BStBl II 1977, 76). Das BFH-Urteil vom 23. Mai 1973 I R 163/71 (BFHE 111, 29, BStBl II 1974, 287) betrifft den Begriff der Verwertung in § 49 Abs. 1 Nr. 6 EStG, einer Vorschrift, nach der nicht auch die Ausübung maßgebend ist.
In § 40 Abs. 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) 1971 war ausgeführt, daß die nichtselbständige Arbeit im Inland verwertet wird, wenn ihr wirtschaftlicher Erfolg der inländischen Volkswirtschaft unmittelbar zu dienen bestimmt ist. Der Senat muß darauf nicht eingehen; denn die Vorschrift wurde mit Wirkung vom 1. Januar 1975 aufgehoben (vgl. § 1 Nr. 10 der Änderungsverordnung vom 12. Dezember 1974, BGBl I 1974, 3462). Zwar wurde in der Begründung zum EStG 1935 der Begriff der Verwertung in derselben Weise interpretiert wie in § 40 Abs. 2 LStDV 1971 (vgl. Begründung zum EStG 1934, RStBl 1935, 33, 59). Dies steht jedoch einer davon abweichenden Auslegung einer Gesetzesvorschrift nicht entgegen. Maßgebend ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den dieser hineingestellt ist.
Der Senat vertritt damit eine andere Auffassung als die, die in den Lohnsteuer-Richtlinien (Abschn. 92 Abs. 2 Satz 2) zum Ausdruck kommt. Insbesondere kann das Tatbestandsmerkmal ,,verwerten im Inland" nicht davon abhängen, ob der Arbeitslohn zu Lasten eines inländischen Arbeitgebers gezahlt wird. Das Gesetz stellt in § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG für bestimmte Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit darauf ab, ob sie aus inländischen öffentlichen Kassen gewährt werden. Daraus ist zu entnehmen, daß es bei anderen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit nicht auf den Zahlungsvorgang ankommen kann.
Der Senat gibt seine dem Urteil vom 6. April 1977 I R 252/74 (BFHE 122, 94, BStBl II 1977, 575) zugrunde liegende Auffassung auf. Das Urteil hatte einen Streitfall zum Gegenstand, auf den die inzwischen aufgehobene Vorschrift des § 40 Abs. 2 LStDV 1971 zur Anwendung kam. Das Urteil vom 15. September 1971 I R 202/67 (BFHE 103, 557, BStBl II 1972, 281) betraf die Mitwirkung eines Filmschauspielers an einem Film, der teils im Inland, teils im Ausland gedreht wurde. Das Urteil läßt für den Ort der Verwertung nicht entscheidend sein, wo der Film aufgeführt wurde, sondern stellt darauf ab, wo der Film unter Mitwirkung des Schauspielers entstand. Dies entspricht den oben dargestellten Grundsätzen. Der Schauspieler überträgt dem Hersteller vertraglich das ausschließliche Recht, das Filmwerk auf alle bekannten Nutzungsarten zu nutzen (§ 89 UrhG). Diese Leistung wird in der Regel dort erbracht, wo der Film hergestellt wird. Auf den Ort der Aufführung des Filmes kam es nicht an, weil es sich dabei um die Verwertung eines dem Filmhersteller zustehenden Rechts (§ 94 UrhG) handelt, das dieser durch die Verwertung der Werke der Mitwirkenden (§ 89 UrhG) geschaffen hat.
2.4 Nach dieser Auslegung des Wortes ,,verwerten" wurde die von dem Kläger auf den Schiffen ausgeübte Tätigkeit nicht im Inland verwertet. Der Kläger hat seinem Arbeitgeber das Ergebnis der nichtselbständigen Arbeit auf den Schiffen zugeführt.
3. Nach § 155 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ist durch Steuerbescheid über die volle oder teilweise Freistellung von einer Steuer - insbesondere auch von der Lohnsteuer - zu entscheiden (vgl. BTDrucks VI 1982 zu § 136, S. 145; Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 155 AO 1977 Anm. 3; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., 1983, § 155 AO 1977 Anm. 4). Ein solcher Freistellungsbescheid - als Grundlage für eine Erstattung (§§ 218, 37 AO 1977) - ist zu erteilen, wenn der Steuerpflichtige - wie im Streitfall der Kläger - mit Erfolg geltend machen kann, auf seine Rechnung sei ohne rechtlichen Grund Lohnsteuer einbehalten und abgeführt worden. Der Senat legt das Klagebegehren des Klägers im Sinne eines Antrags auf Freistellung aus.
Die Entscheidung des FG ist dahin zu ändern, daß in ihr die Verpflichtung zur Erteilung eines entsprechenden Freistellungsbescheides ausgesprochen wird, nicht aber die Verpflichtung zur Zahlung.
4. Das FG hat das FA zu Recht verurteilt, Zinsen in Höhe von 6 v. H. des zu erstattenden Betrages seit 1. Dezember 1982 zu zahlen. Rechtsgrundlage hierfür ist § 236 AO 1977. Danach ist, wenn durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird, der zu erstattende Betrag vom Tage der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen. Nach der Auslegung der Vorschrift des § 236 AO 1977 durch den Senat in dem Urteil vom 29. Oktober 1981 I R 89/80 (BFHE 134, 245, BStBl II 1982, 150) ist davon auszugehen, daß eine festgesetzte Steuer herabgesetzt wird. Die Lohnsteueranmeldung (§ 41 a EStG) ist gemäß § 150 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 als Steueranmeldung anzusehen, die gemäß § 168 Abs. 1 AO 1977 einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.
In der Ablehnung der Erstattung liegt damit zugleich eine Steuerfestsetzung insoweit, als die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Festsetzung für Rechnung des Arbeitnehmers durch Verwaltungsentscheidung bestätigt wurde. Nimmt der Arbeitnehmer diese Verwaltungsentscheidung nicht hin und erreicht er durch die Klage vor dem FG, daß die Behörde zur Erstattung der Lohnsteuer verpflichtet wird und kommt die Verwaltungsbehörde damit erst ihrer Verpflichtung nach, liegt darin folgerichtig eine Herabsetzung der ursprünglich festgesetzten Steuer aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung im Sinne der Verzinsungsvorschriften.
Fundstellen
Haufe-Index 414859 |
BFH/NV 1988, 298 |