Entscheidungsstichwort (Thema)
Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG: Kein notwendiger Zusammenhang zwischen Anteilsveräußerung und Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Veräußert der Alleingesellschafter-Geschäftsführer freiwillig alle Anteile an seiner GmbH, kann die Entschädigung für die Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit gleichwohl von dritter Seite veranlasst sein, da die Aufgabe dieser Tätigkeit nicht die zwangsläufige Folge der Anteilsveräußerung ist.
Normenkette
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 Abs. 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind miteinander verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger war Alleingesellschafter und Geschäftsführer der im Jahr 1984 mit einem Stammkapital von 100 000 DM gegründeten P-GmbH (GmbH). Neben dem Gehalt (in den Jahren 1989 bis 1992 jährlich insgesamt zwischen 143 000 DM und 127 000 DM) war dem Kläger eine Pension (ein lebenslängliches Ruhegeld vom 65. Lebensjahr an) zugesagt worden. Der Kläger veräußerte mit Vertrag vom 12. August 1992 100 v.H. der Anteile an der GmbH an Herrn G. Nach den Vorbemerkungen zu diesem Vertrag besteht aus Sicht des Käufers keine wirtschaftliche Grundlage für eine Weiterbeschäftigung des Verkäufers als Geschäftsführer.
Wörtlich heißt es: "Der Käufer hat erklärt, dass er nach dem Erwerb der Geschäftsanteile an der …GmbH die Geschäftsführung der Gesellschaft in eigene Hände nehmen und im Hinblick auf sein eigenes Unternehmen die Geschäftspolitik der Gesellschaft ändern wird. Aus diesem Grunde besteht aus Sicht des Käufers für eine Weiterbeschäftigung des Verkäufers als Geschäftsführer der …GmbH keine wirtschaftliche Grundlage mehr.
Dem Verkäufer ist dieser Sachverhalt bekannt. Er ist seinerseits zu einer Übertragung der Geschäftsanteile nur bereit gegen Zahlung einer angemessenen Entschädigung für die Beendigung des Anstellungsverhältnisses zu vorgenannter Gesellschaft. …"
Für die fristlose Beendigung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages verpflichtete sich die GmbH, dem Kläger eine Abfindung in Höhe von 300 000 DM zu zahlen und für die Ablösung der ihm zustehenden ―noch nicht unverfallbaren― Pensionsansprüche einen Betrag in Höhe von 389 869 DM.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) versagte die Anwendung der § 3 Nr. 9 und § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), da der Kläger das schadenstiftende Ereignis (die Veräußerung der Anteile) selbst herbeigeführt habe. Hinsichtlich der Entschädigung für die Aufgabe der Pensionsansprüche vertrat das FA die Auffassung, dass es sich um eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) gehandelt habe, auf die § 34 Abs. 3 EStG nicht anwendbar sei.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt; die Entscheidung des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1450 veröffentlicht. Bei der Besteuerung der Abfindung für die Beendigung des Dienstverhältnisses habe das FA zu Unrecht die § 3 Nr. 9 und § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG nicht angewandt. Hingegen habe es zu Recht entschieden, dass die Ablösung des noch verfallbaren Pensionsanspruchs eine vGA darstelle.
Mit der Revision macht das FA geltend: Der Kläger habe die Auflösung seiner Anstellung als Geschäftsführer selbst verursacht. Aus den Vorbemerkungen zum Kaufvertrag gehe klar hervor, dass der Kläger sich freiwillig entschlossen habe, neben der Veräußerung seiner Geschäftsanteile auch auf seine Stellung als Geschäftsführer zu verzichten. Die Übertragung der Gesellschaftsanteile sei mit der freiwilligen Beendigung der Geschäftsführertätigkeit gekoppelt gewesen. Der Kläger habe das "schadenstiftende Ereignis" selbst herbeigeführt; er habe nicht unter erheblichem wirtschaftlichen, rechtlichen oder tatsächlichen Druck gestanden.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Die Beendigung des Dienstverhältnisses sei durch die GmbH betrieben worden; der Erwerber der Anteile habe seine neue Geschäftspolitik durchsetzen wollen. Die Auffassung des FA widerspreche dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Dezember 2001 XI R 38/00 (BFH/NV 2002, 638). Der Kläger sei gerade nicht an einer Beendigung der Tätigkeit interessiert gewesen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als unbegründet zurückzuweisen.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH setzt eine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand; der Steuerpflichtige darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben (vgl. BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 638; vom 4. September 2002 XI R 53/01, BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177; vom 10. April 2003 XI R 4/02, BFH/NV 2003, 1366). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann. An einer Zwangslage fehlt es auch dann, wenn der Steuerpflichtige in seiner Sphäre freiwillig eine Ursachenkette in Gang gesetzt hat, die ihm später keinen Entscheidungsraum mehr belässt. Die Entwicklung der Ursachenkette muss sich allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten. Ereignisse, mit denen der Steuerpflichtige nicht rechnen konnte, die also nicht zwangsläufig sind, unterbrechen den Ursachenzusammenhang und können eine für die Anwendung des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG relevante Zwangslage herbeiführen. So kann bei einem zunächst freiwilligen Entschluss zum Anteilsverkauf eine Zwangslage zum Verzicht auf Versorgungsansprüche dadurch entstehen, dass der Erwerber nicht bereit ist, die Versorgungsverpflichtungen zu übernehmen (BFH in BFH/NV 2002, 638; in BFHE 200, 275, BStBl II 2003, 177; in BFH/NV 2003, 1366); der Anteilsverkauf und der Verzicht auf die Versorgungsansprüche sind also getrennt zu beurteilen.
2. Dieser Rechtslage entsprechend hat nach den nicht angegriffenen und daher nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG der Kläger zwar die GmbH-Anteile aus freien Stücken verkauft; er hat aber ―so das FG― seine Geschäftsführertätigkeit zwangsweise aufgegeben, da der Erwerber der Anteile die Geschäftsführung der GmbH "in die eigenen Hände" nehmen wollte. Diese Beurteilung deckt sich mit den Vorbemerkungen zu der notariellen Vereinbarung vom 12. August 1992. Auf Grund dieses Umstandes besteht kein relevanter Ursachenzusammenhang zwischen dem ―freiwilligen― Verkauf der Geschäftsanteile an der GmbH und der Auflösung des Dienstverhältnisses; insoweit sind der Verzicht auf Versorgungsansprüche ―wie er der Entscheidung vom 10. April 2003 XI R 4/02 zugrunde lag― und die Auflösung eines Dienstverhältnisses gleich zu behandeln. Umstände, aus denen sich hätte ergeben können, dass der Kläger möglicherweise auch an einer Beendigung seiner Geschäftsführungstätigkeit interessiert gewesen sei und deshalb die Beendigung des Dienstverhältnisses selbst veranlasst habe, hat das FG nicht feststellen können.
3. Ebenso sind auch die Voraussetzungen des § 3 Nr. 9 EStG erfüllt, wonach Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Dienstverhältnisses unter Berücksichtigung dort genannter Höchstbeträge steuerfrei sind. Die Auflösung des Dienstverhältnisses ist vom Arbeitgeber veranlasst, wenn dieser die entscheidenden Ursachen für die Auflösung gesetzt hat (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 2002 XI R 51/00, BFHE 198, 468, BStBl II 2002, 516). Die entscheidende Ursache für die Auflösung eines Dienstverhältnisses wird von demjenigen gesetzt, der die Auflösung "betrieben" hat. Im Streitfall wurde nach den Feststellungen des FG die vorzeitige Beendigung des Dienstverhältnisses des Klägers mit der GmbH durch Letztere betrieben, weil diese ―nach Übertragung der Geschäftsanteile auf den neuen Gesellschafter― die Durchsetzung einer neuen Geschäftspolitik mit einem anderen Geschäftsführer vornehmen wollte und deshalb an einer möglichst zeitnahen Auflösung des Dienstverhältnisses mit dem Kläger als bisherigem Geschäftsführer ―unter Vermeidung einer Kündigung― interessiert war.
Fundstellen
Haufe-Index 1084027 |
BFH/NV 2004, 253 |
BStBl II 2004, 106 |
BFHE 2004, 420 |
BFHE 203, 420 |
BB 2004, 91 |
DB 2004, 167 |
DStR 2004, 80 |
DStRE 2004, 120 |