Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 1 JAV, nach der ein Lohnsteuer-Jahresausgleich nur bei unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern durchgeführt werden darf, ist geltendes Recht.
Normenkette
EStG § 42 Abs. 1, § 50 Abs. 4; LStDV § 40; JAV i.d.F. vom 16. März 1971 (BStBl I 1971, 170) § 1; DBA AUT Art. 9
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war vom 1. Oktober bis zum 30. November 1970 Arbeitnehmerin der Firma X in Hamburg. Ohne Aufgabe ihres Wohnsitzes in Österreich hielt sie sich in dieser Zeit und anschließend noch bis zum 17. Dezember 1970 in Hamburg auf. Ihr Arbeitslohn betrug 2 163,50 DM. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) lehnte ihren Antrag auf Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs, mit dem sie Erstattung der einbehaltenen Lohnsteuer von 330,30 DM und Lohnkirchensteuer von 26,42 DM erstrebte, ab.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte keinen Erfolg. Das FG sah § 1 der Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich in der Fassung vom 16. März 1971 - JAV - (BStBl I 1971, 170), nach der ein Lohnsteuer-Jahresausgleich nur bei unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern durchgeführt wird, ebenso wie das FA als geltendes Recht an (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte 1973 S. 146).
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie trägt u. a. vor: Die Beschränkung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs auf unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer in § 1 JAV verstoße gegen § 42 Abs. 1 EStG und Art. 80 Abs. 1 GG, weil die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs kraft Gesetzes ohne eine solche Beschränkung vorgeschrieben werde und § 42 Abs. 2 Satz 1 EStG auch keine dahingehende Ermächtigung enthalte. Eine solche Beschränkung dürfe auch aus § 50 Abs. 4 EStG, der die Abgeltung durch den Steuerabzug vorschreibe, nicht herausgelesen werden. Denn auch § 46 Abs. 4 EStG schreibe vor, daß die Einkommensteuer durch den Steuerabzug abgegolten sei, ohne daß hierdurch die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs ausgeschlossen werde. Auch der Hinweis des FG auf den Mindeststeuersatz in § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG bei der Veranlagung von beschränkt Steuerpflichtigen gehe fehl, weil diese Vorschrift nicht anwendbar sei. Nach § 50 Abs. 4 Satz 2 EStG sei die Höhe der Lohnsteuer beschränkt Steuerpflichtiger durch Rechtsverordnung zu bestimmen, was durch § 40 LStDV geschehen sei. Danach gälten bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern grundsätzlich dieselben Tarife wie bei unbeschränkt Steuerpflichtigen. Nach § 42 Abs. 1 Satz 2 EStG sei der Lohnsteuer-Jahresausgleich nur für den Fall der Veranlagung ausgeschlossen, nicht aber bei beschränkter Steuerpflicht.
Durch Berücksichtigung des im Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern von Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern (DBA-Österreich) vorgesehenen Progressionsvorbehalts bei der Steuerermittlung in Österreich entfalle auf die streitigen Arbeitseinkünfte der Klägerin ein Mehr an österreichischer Einkommensteuer von ca. 485 DM. Das FG habe dies in seinem Urteil nicht erwähnt und damit seine Pflicht nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen verletzt. Diese Mehrbelastung bedeute eine Doppelbesteuerung. Der sich hieraus ergebende Konflikt der österreichischen und der inländischen Besteuerung sei zu Lasten der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) zu lösen, da nach der Anlage des DBA-Österreich rechtssystematisch das Besteuerungsrecht dem Wohnsitzstaat zustehe und das Besteuerungsrecht des anderen Staates die Ausnahme sei. Deshalb müsse die inländische Besteuerung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zurücktreten und der Lohnsteuer-Jahresausgleich gewährt werden.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG, die Einspruchsentscheidung des FA sowie dessen den Lohnsteuer-Jahresausgleich ablehnenden Bescheid aufzuheben und die einbehaltene Lohnsteuer und Kirchenlohnsteuer zu erstatten.
Das FA trägt u. a. vor: Eine Verletzung des Art. 3 GG könne allenfalls in einer Ungleichbehandlung der zu veranlagenden und der lohnsteuerpflichtigen beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer gesehen werden. Dies würde indessen wegen des Mindeststeuersatzes von 25 v. H. zu einer Erhöhung der von der Klägerin zu entrichtenden Steuer auf 540 DM führen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Das FG hat zutreffend § 1 JAV, nach dem ein Lohnsteuer-Jahresausgleich nur bei unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern durchgeführt wird, als geltendes Recht angesehen. Die Vorschrift hat in § 50 Abs. 4 Satz 2 EStG in Verbindung mit Satz 1 eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage. Nach § 50 Abs. 4 Satz 1 EStG gilt bei beschränkt Steuerpflichtigen die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen, durch den Steuerabzug als abgegolten, wenn die Einkünfte nicht Betriebseinnahmen eines inländischen Betriebs sind. Es ist der Klägerin zuzugeben, daß hieraus noch nicht das ausnahmslose Verbot des Lohnsteuer-Jahresausgleichs bei beschränkt Steuerpflichtigen hergeleitet werden kann. Denn wie der Senat in dem Urteil vom 24. Januar 1975 VI R 121/72 (BFHE 115, 49, BStBl II 1975, 420) ausgeführt hat, gehört auch noch die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs durch den Arbeitgeber zu dem von diesem vorzunehmenden Lohnsteuerabzug. Die Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs schlechthin auszuschließen, ergibt sich jedoch eindeutig aus § 50 Abs. 4 Satz 2 EStG. Denn dort ist vorgeschrieben, daß die Höhe der Lohnsteuer durch Rechtsverordnung bestimmt wird. Hiergegen kann die Klägerin nicht einwenden, daß diese Ermächtigung allein durch § 40 LStDV ausgefüllt werde. Diese Vorschrift regelt ersichtlich nur die Vornahme des Lohnsteuerabzugs bei beschränkt Steuerpflichtigen bei der Auszahlung des Arbeitslohns. Sie sagt indessen über die Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs nichts aus und wird insoweit ergänzt durch § 1 JAV, der die Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleichs für beschränkt Steuerpflichtige schlechthin ausschließt, und zwar sowohl hinsichtlich des Lohnsteuer-Jahresausgleichs durch den Arbeitgeber als auch durch das FA. Es kann hiernach dahingestellt bleiben, ob § 1 JAV auch in § 51 Abs. 1 Nr. 1 d EStG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage finden würde.
Die Regelung in § 1 JAV entspricht, wie der Senat in dem Urteil vom 11. August 1961 VI 30/60 U (BFHE 73, 603, BStBl III 1961, 486) entschieden hat, der Zielsetzung und damit dem System des Einkommensteuergesetzes. Der Auffassung der Klägerin, daß sich aus § 42 Abs. 1 EStG etwas Gegenteiliges ergebe, kann nicht beigetreten werden. Diese Vorschrift sagt zu der Frage, ob ein Lohnsteuer-Jahresausgleich auch bei beschränkt Steuerpflichtigen durchzuführen ist, nichts aus. Nach der Systematik des Einkommensteuergesetzes wird vielmehr der Abschn. V "Entrichtung der Steuer", zu dem auch die Vorschrift des § 42 EStG gehört, ergänzt durch Abschn. VII "Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger", zu dem § 50 EStG gehört. Dabei stehen die Vorschriften des Abschn. VII zu denjenigen des Abschn. V im Verhältnis von Sonderregelungen zu allgemeinen Regelungen. Systematisch gehen die Sonderregelungen aber den allgemeinen Regelungen vor.
Auch die Rüge der Klägerin, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG verletzt sei, greift nicht durch. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 16. August 1963 VI 96/62 U (BStBl III 1963, 486) auf die Unterschiede hingewiesen, die zwischen unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtigen bestehen. Diese Unterschiede beruhen insbesondere darauf, daß bei beschränkt Steuerpflichtigen nicht alle Einkünfte im Bundesgebiet erfaßt werden, daß wegen des Fehlens der persönlichen Bindungen an das Bundesgebiet aus dem Familienstand nicht so weitgehende Folgerungen zu ziehen sind wie bei unbeschränkt Steuerpflichtigen und daß die Durchführung der Besteuerung verfahrensmäßig Besonderheiten erfordert. Diese Unterschiede rechtfertigen unterschiedliche Regelungen für die Besteuerung. Insbesondere erscheint es angemessen, wenn bei beschränkt Steuerpflichtigen die uneingeschränkte Anwendung der Jahressteuertabelle ausgeschlossen wird. Denn erfahrungsgemäß beschränkt sich die Tätigkeit von Arbeitnehmern, die im Bundesgebiet weder Wohnsitz noch gewöhnlichen Aufenthalt haben, die hier also nur beschränkt steuerpflichtig sind, in zahlreichen Fällen auf einen kürzeren Zeitraum als ein Jahr. Die Anwendung der Jahressteuertabelle würde deshalb in vielen Fällen einen unverhältnismäßig hohen Steuervorteil erbringen oder zur völligen Erstattung der Steuer führen und dadurch den grundsätzlichen Steueranspruch aufgrund der beschränkten Steuerpflicht wieder hinfällig machen. Diesen Überlegungen, die bei beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern zum Ausschluß des Lohnsteuer-Jahresausgleichs geführt haben, entspricht bei zu veranlagenden beschränkt Steuerpflichtigen die Einführung einer Mindeststeuer von 25 v. H. in § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG. Die Regelungen bedeuten im übrigen auch keine willkürliche Ungleichbehandlung im Verhältnis zwischen zu veranlagenden beschränkt Steuerpflichtigen und beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern, bei denen die Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs ausgeschlossen ist. Der Hinweis des FA, daß sich bei einer Veranlagung der Klägerin durch Anwendung eines Mindeststeuersatzes von 25 v. H. die Steuer erhöhen würde, zeigt, daß die Regelung für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer keineswegs allgemein ungünstiger ist als diejenige für zu veranlagende beschränkt Steuerpflichtige. Es handelt sich vielmehr um den jeweiligen Verfahren angepaßte sachgerechte Regelungen.
Die Klägerin kann auch aus dem DBA-Österreich vom 4. Oktober 1954 (BStBl I 1955, 370) nichts herleiten. Sie bestreitet selbst nicht, daß das Besteuerungsrecht für die streitigen Arbeitslohneinkünfte nach Art. 9 des DBA-Österreich der Bundesrepublik zusteht und daß insoweit nach Art. 15 des DBA-Österreich die Republik Österreich kein Besteuerungsrecht hat. Es ist allein Sache der Gesetzgebung der Bundesrepublik Deutschland, wie das ihr zustehende Besteuerungsrecht geregelt werden soll. Eine Doppelbesteuerung wird allein nach Maßgabe des Abkommens ausgeschlossen. Einen Rechtsgrundsatz, daß eine Doppelbesteuerung schlechthin unzulässig sei, gibt es nicht. Es ist deshalb für die Entscheidung im Streitfall ohne Bedeutung, wenn sich für die Klägerin in Österreich durch Anwendung des Progressionsvorbehalts eine erhöhte Steuer ergeben sollte. Ein Verfahrensverstoß des FG dadurch, daß es diese Steuererhöhung nicht festgestellt habe, ist nicht erkennbar, weil diese Frage nicht streitentscheidend ist.
Fundstellen
Haufe-Index 71381 |
BStBl II 1975, 497 |
BFHE 115, 319 |
BFHE 1975, 319 |