Leitsatz (amtlich)
1. Die Regelung des § 17 Abs. 2 KStDV 1955, daß bei Krankenversicherungsunternehmen anstelle des Regeleinkommens unter bestimmten Voraussetzungen ein Mindesteinkommen Grundlage für die Besteuerung ist, gilt auch für die Ermittlung eines nach § 10 d EStG abzugsfähigen Verlustes.
2. Nach § 43 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 EStG 1955 kapitalertragsteuerpflichtige Erträge, deren Körperschaftsteuer durch den Kapitalertragsteuerabzug abgegolten ist, sind von einem nach § 17 Abs. 2 KStDV 1955 ermittelten Mindesteinkommen abzuziehen. Entsteht dadurch ein Verlust, ist dieser nach § 10 d EStG abzugsfähig.
Normenkette
KStG 1955 § 6 Abs. 1, § 19 Abs. 5 Buchst. a; KStDV 1955 § 17; EStG § 10d; EStG 1955 § 43 Abs. 1 Nrn. 3-5
Tatbestand
Streitig ist, welcher negative Einkommensbetrag bei einem Krankenversicherungsverein auf Gegenseitigkeit als vortragsfähiger Verlust anzusetzen ist:
a) Der Verlust, der sich nach Aussonderung kapitalertragsteuerpflichtiger Erträge von dem nach § 17 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes (KStDV) ermittelten Mindesteinkommen ergibt, oder
b) der Verlust, der sich ohne Anwendung des § 17 Abs. 2 KStDV ergibt.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betrieb in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit das Krankenversicherungsgeschäft. Im Jahr 1972 übertrug sie im Wege der Verschmelzung ihr Vermögen auf die Klägerin, ebenfalls einen Krankenversicherungsverein auf Gegenseitigkeit.
Aufgrund einer Betriebsprüfung bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin, die sich auf die Veranlagungszeiträume II/1948 bis 1961 erstreckte, setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die Körperschaftsteuer 1958 bis 1960, für 1958 unter Berücksichtigung eines verhältnismäßig geringen noch abzugsfähigen Verlustes aus 1955, neu fest.
Die Rechtsvorgängerin der Klägerin legte gegen die Veranlagungen 1958 bis 1960 Einspruch ein. Hauptstreitpunkt war, ob der Prüfer für das Wirtschaftsjahr 1955 zu Recht die Zuführungen zu den Rücklagen für Beitragsrückerstattungen um 210 300 DM gekürzt habe.
Der Einspruch wurde für die Veranlagungszeiträume 1958 und 1959 als unbegründet zurückgewiesen, für 1960 wurde die Körperschaftsteuer geringfügig herabgesetzt. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin griff diese Entscheidung mit der Berufung (Klage) an. Im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens kamen nach längeren Verhandlungen die Beteiligten überein, daß die Erhöhung der Rücklage für Beitragsrückerstattungen um die genannten 210 300 DM zugelassen werde. Dadurch ergab sich für 1955 - ohne Anwendung der Vorschriften über die Mindestbesteuerung (§ 17 Abs. 2 KStDV) - ein Verlust von 203 500 DM. Das Ergebnis dieser Einigung wurde in einem Ergänzungsbericht zum Betriebsprüfungsbericht festgehalten. Wenige Tage nach Absendung des Ergänzungsberichts teilte das FA der Rechtsvorgängerin der Klägerin mit, daß es in Anbetracht von Verwaltungsvorschriften den Verlust 1955 nach den Grundsätzen der Mindestbesteuerung (§ 17 Abs. 2 KStDV) ermitteln werde, so daß für die folgenden Jahre nur ein Verlustabzug von 29 600 DM zur Verfügung stehe. Das FA erließ für 1958 und 1959 entsprechende auf § 94 Abs. 3 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützte Berichtigungsbescheide. Der Bescheid für 1960 wurde nicht geändert. Die Rechtsvorgängerin machte die geänderten Bescheide gemäß § 68 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Entscheidung ist in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1976 S. 152 (EFG 1976, 152) veröffentlicht.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 17 Abs. 2 KStDV.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Das FG hat den nach § 10 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) in den folgenden Jahren abzugsfähigen Verlust des Veranlagungszeitraums 1955 rechtsfehlerfrei mit 29 600 DM ermittelt. Im Streitfall sind für 1955 die Vorschriften über die Mindestbesteuerung (§ 17 Abs. 2 KStDV) anzuwenden.
1. Maßgebend für die Ermittlung des Verlustes sind jeweils die Vorschriften, die für den Zeitraum gegolten haben, in dem der Verlust entstanden ist (Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., § 10 d EStG, Anm. 12), hier somit die Vorschriften des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1955 und des Einkommensteuergesetzes 1955. Die Entscheidung über den tatsächlichen Verlustabzug ist erst bei der Veranlagung desjenigen Jahres zu treffen, in dem der Verlustabzug sich auswirkt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19. Februar 1974 VIII R 118/69, BFHE 111, 494, BStBl II 1974, 336, mit weiterer Rechtsprechung).
Die Besteuerung der Versicherungsunternehmen ist durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 - StNG - (BGBl I, 373, BStBl I, 575) neu geregelt worden. Die bis dahin in der Verordnung zur Durchführung des Körperschaftsteuergesetzes enthaltenen Bestimmungen über die Abzugsfähigkeit von Beitragsrückerstattungen und die Mindestbesteuerung bei Lebensversicherungsunternehmen wurden in die Abs. 2, 3 und 4 des § 6 KStG aufgenommen. Aufgrund gesetzlicher Ermächtigung (§ 23 a Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c KStG 1955) durfte die Bundesregierung durch Rechtsverordnung Vorschriften über die entsprechende Anwendung dieser Bestimmungen auf Krankenversicherungsunternehmen erlassen. In § 17 KStDV ist dementsprechend für Krankenversicherungsunternehmen hinsichtlich der Beitragsrückerstattungen, der Zuführungen zu Rücklagen für Beitragsrückerstattungen und der Mindestbesteuerung im wesentlichen die gleiche Regelung wie für Lebensversicherungsunternehmen getroffen worden.
Die Abziehbarkeit von erfolgsabhängigen Beitragsrückerstattungen ist in § 6 Abs. 2 KStG und § 17 KStDV für Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen einerseits und Sachversicherungsunternehmen andererseits unterschiedlich geregelt. Bei allen Versicherungszweigen muß die Beitragsrückgewähr aufgrund des Geschäftsergebnisses gewährt werden. Bei den Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen sind die Beitragsrückerstattungen, die aus dem Lebens- bzw. Krankenversicherungsgeschäft stammen, gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 KStG, § 17 Abs. 1 KStDV voll abzugsfähig, allerdings im Rahmen der Begrenzung des § 6 Abs. 4 KStG, § 17 Abs. 2 KStDV (Mindestbesteuerung). Auf das BFH-Urteil vom 12. Januar 1977 I R 157/74 (BFHE 121, 417, BStBl II 1977, 439) wird verwiesen.
Hieraus folgt, daß bei Krankenversicherungsunternehmen - ebenso wie bei Lebensversicherungsunternehmen - das steuerpflichtige Einkommen in zweifacher Weise zu berechnen ist: Nach den allgemeinen Vorschriften des § 6 Abs. 1 KStG i. V. m. § 17 Abs. 1 KStDV und nach den Vorschriften über die Mindestbesteuerung gemäß § 17 Abs. 2 KStDV, der dem § 6 Abs. 4 KStG entspricht. Maßgeblich für die Veranlagung des betreffenden Jahres ist jeweils das höchste Ergebnis (vgl. das zu den früheren Vorschriften ergangene Urteil des Reichsfinanzhofs - RFH - vom 14. Juli 1942 I 228/41, RStBl 1942, 1022). Durch die Besteuerung des Mindesteinkommens - 5 v. H. des Einkommens, von dem der für die Versicherten bestimmte Anteil noch nicht abgezogen worden ist - wird eine Begrenzung des Abzugs der Beitragsrückerstattungen und der Zuführungen zu den hierfür bestimmten Rücklagen erreicht. Hinsichtlich der Gründe, die zu dieser gesetzgeberischen Maßnahme geführt haben, wird auf die BFH-Urteile vom 19. Februar 1969 I R 90/66 (BFHE 95, 542, BStBl II 1969, 493) und vom 23. April 1969 I R 65/67 (BFHE 96, 159, BStBl II 1969, 596) verwiesen.
2. Im Streitfall stimmt die Klägerin mit FA und FG darin überein, daß das nach den allgemeinen Vorschriften zu ermittelnde Einkommen für 1955 (§ 6 Abs. 1 KStG i. V. m. § 17 Abs. 1 KStDV) negativ ist. Es ergibt sich ein Verlust von 203 500 DM.
Nach den Feststellungen des FG betrug das nach § 17 Abs. 2 KStDV ermittelte Mindesteinkommen 1955 - ohne Berücksichtigung der Zuführungen zu den Rücklagen für Beitragsrückerstattungen - 30 800 DM. Durch den Abzug kuponsteuerpflichtiger Kapitalerträge von 60 400 DM - Kapitalerträge, für die die Körperschaftsteuer durch den Abzug der Kapitalertragsteuer abgegolten ist (§ 19 Abs. 5 Buchst. a KStG 1955 i. V. m. § 43 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 EStG 1955) - ermäßigte sich das Mindesteinkommen 1955 auf ./. 29 600 DM.
Für den Veranlagungszeitraum 1955 stehen sich somit gegenüber: Das nach den allgemeinen Vorschriften des § 6 Abs. 1 KStG i. V. m. § 17 Abs. 1 KStDV ermittelte Einkommen von ./. 203 500 DM und das sich aufgrund des § 17 Abs. 2 KStDV ergebende Mindesteinkommen von + 30 800 DM, das wegen des Abzugs der kuponsteuerpflichtigen Zinsen auf ./. 29 600 DM gesunken ist. Da das nach den Grundsätzen des § 17 Abs. 2 KStDV ermittelte Mindesteinkommen höher als das nach § 6 Abs. 1 KStG ermittelte Regeleinkommen ist, ist für 1955 das Mindesteinkommen maßgeblich. Es tritt mit allen seinen Konsequenzen an die Stelle des Regeleinkommens, auch hinsichtlich des Verlustabzugs nach § 10 d EStG (Herrmann-Heuer, a. a. O., § 6 KStG, Anm. 266 i. V. m. 265, mit weiteren Nachweisen).
3. Im Streitfall ist das Einkommen 1955 erst durch den Abzug der kuponsteuerpflichtigen Kapitalerträge negativ geworden. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß der auf diese Weise entstandene negative Einkommensbetrag nach § 10 d EStG in späteren Veranlagungszeiträumen abzugsfähig ist. Kapitalerträge i. S. des § 43 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 EStG scheiden gemäß § 19 Abs. 5 Buchst. a KStG 1955 aus der Veranlagung zur Körperschaftsteuer aus. Die Körperschaftsteuer ist durch den Kapitalertragsteuerabzug abgegolten. Die Kapitalerträge sind nicht in die Veranlagung einzubeziehen.
Die Abgeltung der Einkommensteuer oder der Körperschaftsteuer durch den Kapitalertragsteuerabzug (§ 46 a EStG, § 19 Abs. 5 KStG 1955) diente ebenso wie die in § 3 a EStG angeordnete Steuerbefreiung bestimmter Zinsen der Förderung des Kapitalmarkts, indem die Erträge aus näher bezeichneten festverzinslichen Wertpapieren keiner höheren Steuer als 30 v. H. (§ 44 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1955) unterlagen. Hiermit sollte denjenigen Steuerpflichtigen, deren Einkommen mit einem höheren Satz als mit dem Kapitalertragsteuersatz von 30 v. H. besteuert wird, ein Anreiz zum Wertpapiersparen gegeben werden. Der Zweck der genannten Vorschriften wäre nicht erreicht worden, wenn die genannten Zinsen mit dem nach § 10 d EStG vortragsfähigen Verlust verrechnet würden. Der erkennende Senat stimmt somit mit dem in "Der Betriebs-Berater" 1961 S. 279 (BB 1961, 279) veröffentlichten gemeinsamen Ländererlaß vom 24. Februar 1961 überein, der unter Berufung auf das zu § 3 a EStG ergangene BFH-Urteil vom 28. Juli 1959 I 41/58 S (BFHE 69, 275, BStBl III 1959, 366) die Auffassung vertritt, daß die Kapitalerträge i. S. des § 43 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 EStG bei der Berechnung des abziehbaren Verlustes außer Betracht bleiben und z. B. ein buchmäßig entstandener Verlust um diese Kapitalerträge zu erhöhen ist (vgl. auch Herrmann-Heuer, a. a. O., § 10 d EStG, Rdnr. 12; Labus, BB 1960, 32). Für den Streitfall bedeutet dies, daß die nach § 43 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 EStG 1955 kapitalertragsteuerpflichtigen Erträge, deren Körperschaftsteuer durch den Kapitalertragsteuerabzug abgegolten ist, von dem nach den maßgeblichen Vorschriften - hier nach § 17 Abs. 2 KStDV - ermittelten verhältnismäßig niedrigen positiven Einkommen 1955 abgezogen werden müssen, so daß sich ein nach § 10 d EStG vortragsfähiger Verlust von 29 600 DM ergibt.
Fundstellen
Haufe-Index 73190 |
BStBl II 1979, 584 |
BFHE 1979, 40 |