Leitsatz (amtlich)
- Auslegung einer letztwilligen Verfügung nach schweizerischem Zivilrecht.
Normenkette
BewG §§ 14, 12
Streitjahr(e)
1948
Tatbestand
Die Klägerin ist durch einen Berichtigungsbescheid nach § 222 Abs. 1 Ziff. 1 AO vom 22. Juli 1958 zur Vermögensabgabe veranlagt worden. Die verbleibende Abgabeschuld wurde auf 8.000 DM, der ursprüngliche Vierteljahresbetrag auf 120 DM festgesetzt. Bei dem gesamten, der Vermögensabgabe unterliegenden Vermögen erfaßte das Finanzamt (FA) eine Vermächtnisforderung von 25.000 sfrs, die es nach Abzug der darauf entfallenden Erbschaftsteuer von 3.900 sfrs mit dem Kurswert von 77,43 DM für 100 sfrs = 16.337,73 DM ansetzte. Diese Vermächtnisforderung stand der Klägerin auf Grund einer letztwilligen Verfügung vom 23. September 1946 eines am 25. Januar 1948 verstorbenen schweizerischen Staatsangehörigen zu, der zuletzt in der Schweiz gewohnt hatte. In dieser letztwilligen Verfügung hatte der Erblasser folgendes bestimmt:
"Hierdurch vermache ich meiner Freundin ... (der Klägerin) 25.000 Schweizer Franken ..., die von der Schweizerischen Kreditanstalt in ... solange verwaltet werden sollen, bis Deutschland wieder eine Währung hat, die eine vollwertige Auszahlung in Deutschland möglich macht. Allfällig gewünschte Auszahlungen für Ferienaufenthalt oder ähnlichem in der Schweiz sollen gestattet sein."
Mit dem Einspruch wandte sich die Klägerin gegen die Heranziehung dieser Vermächtnisforderung zur Vermögensabgabe. Sie ist der Auffassung, daß die Forderung bis zur Stabilisierung der deutschen Währung aufschiebend bedingt und daß diese Bedingung am 21. Juni 1948 noch nicht erfüllt gewesen sei. Zumindest könne die Forderung wegen Vorliegens besonderer Umstände im Sinne des § 14 Abs. 1 BewG nicht mit dem Nennwert bewertet werden.
Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Auch die Berufung, mit der die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen wiederholte und ergänzte, blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ist der Auffassung, die letztwillige Verfügung des Erblassers könne unter Beachtung der einschlägigen Grundsätze des Schweizerischen Zivilgesetzbuches - ZGB - (Art. 7 in Verbindung mit Art. 18 des Schweizerischen Obligationenrechts - OR -) nicht dahin ausgelegt werden, daß die Klägerin eine Forderung erst dann und nur unter der Bedingung erlangen sollte, daß Deutschland eine vollwertige Währung bekommen würde. Nach der Überzeugung der Kammer habe der Erblasser nur die Auszahlung der Forderung regeln wollen. Er habe aber nicht zuungunsten der Klägerin etwas ändern wollen, daß, wie das auch im ZGB vorgesehen sei (Art. 543, 562), das Vermächtnis ihr unmittelbar mit dem Tode zufallen sollte. Selbst wenn man aber die Auszahlungsanordnung des Erblassers als echte Bedingung ansehen wollte, sei diese Bedingung am 21. Juni 1948 mit der deutschen Währungsreform eingetreten. Die Zurechnung der Vermächtnisforderung werde auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Klägerin das Vermächtnis möglicherweise erst nach dem 21. Juni 1948 angenommen habe. Nach Art. 562 Abs. 1 ZGB entstehe der Vermächtnisanspruch schon mit dem Erbfall ohne Rücksicht auf die Möglichkeit der Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft. Letztere habe nur zur Folge, daß der Vermächtnisanspruch zur Auszahlung fällig werde (Art. 562 Abs. 2 ZGB). Auch die Verfügungsbeschränkungen, die sich für die Klägerin durch die Auszahlungsklausel des Erblassers und die damaligen Kontrollbestimmungen der deutschen Gesetze, insbesondere des Besatzungsrechts und des Devisenrechts, ergeben hätten, könnten die Annahme einer zu bewertenden Forderung nicht hindern. Diese Verfügungsbeschränkungen könnten auch nicht zu einer Bewertung der Forderungen unter dem Nennwert führen. Das gleiche gelte hinsichtlich eines nach Art. 486 Abs. 1 ZGB gesetzlich möglichen Herabsetzungsanspruchs des Erben bei Überbelastung der Erbschaft durch ein Vermächtnis und der nach Art. 522 ZGB gesetzlich möglichen Herabsetzungsklage des pflichtteilsberechtigten Erben. Die Klägerin habe, obwohl ihr dazu ausreichend Gelegenheit gegeben worden sei, nicht nachgewiesen, daß sie tatsächlich solchen Einwendungen der Erben gegen ihren Vermächtnisanspruch ausgesetzt gewesen sei. Schließlich könne auch kein Abschlag vom Nennwert wegen der Unverzinslichkeit der Forderung gemacht werden.
Mit der Rb. beantragt die Klägerin Aufhebung der Vorentscheidungen und des angefochtenen Vermögensabgabebescheids. Hilfsweise beantragt sie, die Forderung nur mit 25 - 50 v. H. des Nennwerts anzusetzen. Zur Begründung ihrer Anträge wiederholt und ergänzt sie ihr bisheriges Vorbringen.
Entscheidungsgründe
Die Rb., die nach dem Inkrafttreten der FGO am 1. Januar 1966 als Revision zu behandeln ist (ß 184 FGO), ist unbegründet.
- I. -
- Nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 LAG unterliegt die Vermögensabgabe bei unbeschränkt Abgabepflichtigen das Vermögen zu Beginn des 21. Juni 1948. Der Vermächtnisanspruch kann danach nur dann der Vermögensabgabe unterliegen, wenn er der Klägerin in diesem Zeitpunkt zustand. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß diese Frage im Streitfall nach schweizerischem Recht zu beurteilen ist. Das entspricht den Grundsätzen des internationalen Privatrechts. Es wird auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen.
- Nach Art. 484 Abs. 1 ZGB kann der Erblasser einem Bedachten, ohne ihn als Erben einzusetzen, einen Vermögensvorteil als Vermächtnis zuwenden. Unstreitig ist in der letztwilligen Verfügung des Erblassers vom 23. September 1946, soweit sie die Klägerin betrifft, ein Vermächtnis im Sinne dieser Vorschrift zu erblicken. Nach Art. 543 Abs. 1 ZGB erwirbt der Vermächtnisnehmer den Anspruch auf das Vermächtnis, wenn er den Erbgang in erbfähigem Zustand erlebt hat, d. h. mit dem Eintritt des Erbfalls. In diesem Zeitpunkt entsteht nach Art. 562 Abs. 1 ZGB für den Vermächtnisnehmer ein persönlicher Anspruch gegen die Beschwerten oder, wenn solche nicht besonders genannt sind, gegen den gesetzlichen oder eingesetzten Erben. Die Entstehung dieses Anspruchs ist nicht davon abhängig, wann der Vermächtnisnehmer von dem Anfall des Vermächtnisses Kenntnis erlangt hat. Deshalb ist es unerheblich, daß das FG möglicherweise davon ausgegangen ist, die Klägerin sei noch vor dem 21. Juni 1948 von dem Anfall des Vermächtnisses benachrichtigt worden, während die Klägerin behauptet, dies sei erst am 24. Juni 1948 geschehen. Auch eine Annahmeerklärung des Vermächtnisnehmers, die allenfalls die Bedeutung haben kann, er wolle das Vermächtnis nicht ausschlagen, hat auf die Entstehung des Anspruchs keine Auswirkung. Das ergibt sich daraus, daß nach Art. 577 ZGB das Vermächtnis wegfällt, wenn es der Vermächtnisnehmer ausschlägt. Das gleiche gilt für die Annahme der Erbschaft durch den Beschwerten. Diese hat nach Art. 562 Abs. 2 ZGB nur Einfluß auf die Fälligkeit des Anspruchs. Dem FG ist darin zuzustimmen, daß nach den genannten Vorschriften des ZGB der Vermächtnisanspruch der Klägerin mit dem Tod des Erblassers, d. h. am 25. Januar 1948, entstanden ist.
- Nach Art. 482 Abs. 1 ZGB kann der Erblasser seinen Verfügungen Auflagen oder Bedingungen im Sinne der Art. 151 ff. OR anfügen. Die Klägerin ist der Auffassung, daß der Erblasser ihr das Vermächtnis unter einer aufschiebenden Bedingung im Sinne des Art. 151 OR zugewendet habe. Das FG hat diese Auffassung mit Recht abgelehnt. Nach dieser Vorschrift ist ein Vertrag, dessen Verbindlichkeit vom Eintritt einer ungewissen Tatsache abhängig gemacht wird, als bedingt anzusehen. Für den Beginn der Wirkung ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Bedingung in Erfüllung geht, sofern nicht auf eine andere Absicht der Parteien geschlossen werden kann. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift wäre also, daß der Erblasser die "Verbindlichkeit" des Vermächtnisses von der ungewissen Tatsache der Währungsstabilität in Deutschland hätte abhängig machen wollen. Es ist dem FG darin zuzustimmen, daß sich dafür aus dem Wortlaut der letztwilligen Verfügung des Erblassers vom 23. September 1946 kein Anhaltspunkt ergibt. Auch wenn man nach den Grundsätzen des Art. 18 OR, der nach Art. 7 ZGB auch bei der Auslegung der letztwilligen Verfügung anzuwenden ist, den wirklichen Willen des Erblassers beachtet, kann dies zu keiner anderen Beurteilung führen. Der Senat tritt der Auffassung des FG bei, daß der wirkliche Wille des Erblassers nicht dahin ging, die Entstehung des Vermächtnisanspruchs der Klägerin bis zur Stabilisierung der deutschen Währung hinauszuschieben, sondern nur die Fälligkeit dieses Anspruchs. Dafür spricht eindeutig der Zusatz in der letztwilligen Verfügung, daß "allfällig gewünschte Auszahlungen für Ferienaufenthalt oder ähnlichem in der Schweiz" gestattet sein sollten. Derartige Auszahlungen setzen voraus, daß der Vermächtnisanspruch als solcher bereits entstanden war. Daß auch nach schweizerischem Recht das Hinausschieben der Fälligkeit eines Vermächtnisanspruchs möglich ist, ergibt sich aus Art. 562 Abs. 2 ZGB. Nach dieser Vorschrift tritt die Fälligkeit des Anspruchs nur dann mit der Annahme der Erbschaft bzw. dem Ablauf der Ausschlagungsfrist ein, wenn aus der letztwilligen Verfügung nichts anderes hervorgeht.
Nach alledem ist dem FG darin zuzustimmen, daß der Vermächtnisanspruch der Klägerin am 21. Juni 1948 entstanden war, so daß sich die Revision, soweit sie sich gegen den Ansatz dieses Anspruchs dem Grunde nach wendet, als unbegründet erweist.
- II. - Das FG hat auch mit Recht eine Bewertung des Vermächtnisanspruchs der Klägerin unter dem Nennwert abgelehnt. Der Vermächtnisanspruch ist eine Kapitalforderung im Sinne des § 14 BewG. Sie ist, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen, nach § 14 Abs. 1 BewG mit dem Nennwert zu bewerten. Besondere Umstände, die einen geringeren Wert als den Nennwert begründen könnten, liegen im Streitfall nicht vor.
- Zuzustimmen ist der Auffassung des FG, daß die damaligen Verfügungsbeschränkungen auf Grund der Devisengesetzgebung und der Militärregierungsgesetze Nr. 52 und 53 nicht zu einer Bewertung des Vermächtnisanspruchs unter dem Nennwert führen können. Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Bundesfinanzhofs (vgl. insbesondere das vom FG zitierte Urteil III 147/50 U vom 24. April 1951, BFH 55, 325; BStBl III 1951, 124). Auch die Verfügungsbeschränkungen, die sich aus dem Hinausschieben der Fälligkeit des Vermächtnisanspruchs für die Klägerin ergaben, können, abgesehen von den vom FG dargelegten Gründen, schon deswegen keine niedrigere Bewertung begründen, weil sie auf einer letztwilligen Verfügung beruhen (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 2 BewG).
- Ein Abschlag vom Nennwert kann auch nicht damit begründet werden, daß nach schweizerischem Recht die Möglichkeit einer Herabsetzung des Vermächtnisanspruchs bestehen kann. Es ist richtig, daß nach Art. 486 ZGB die verhältnismäßige Herabsetzung der Vermächtnisse verlangt werden kann, wenn die Vermächtnisse den Betrag der Erbschaft oder der Zuwendung an den Beschwerten oder den verfügbaren Teil übersteigen. Ferner können nach Art. 522 Abs. 1 ZGB Erben, die nicht den Wert nach ihrem Pflichtteil erhalten haben, die Herabsetzung der Verfügung beantragen, wenn der Erblasser seine Verfügungsbefugnis nach Art. 470 ff. ZGB überschritten hat. Nach Art. 470 Abs. 1 ZGB ist, wer Nachkomme, Eltern oder Geschwister oder deren Ehegatten als seine nächsten Erben hinterläßt, nur befugt, bis zu deren Pflichtteil über sein Vermögen zu verfügen. Da jedoch die Klägerin, obwohl ihr dazu Gelegenheit geboten wurde, innerhalb von drei Monaten keine Umstände vorgetragen hat, aus denen zu schließen war, daß sie mit der Geltendmachung solcher Herabsetzungsbegehren am 21. Juni 1948 rechnen mußte, konnte das FG davon ausgehen, daß dies tatsächlich nicht der Fall war. Im übrigen hat die Klägerin auch in der Revision dazu nichts mehr vorgebracht.
- Schließlich kann eine niedrigere Bewertung des Vermächtnisanspruchs nicht wegen Unverzinslichkeit gewährt werden. Dem FG ist im Ergebnis darin zuzustimmen, daß der Anspruch der Klägerin nicht unverzinslich war, auch wenn in der letztwilligen Verfügung eine Verzinsung nicht ausdrücklich angeordnet war. Abgesehen von den Erwägungen des FG, daß sich der Anspruch auf Verzinsung schon aus der vom Erblasser bestimmten Anlegung des Vermächtnisbetrages bei einer Bank ergab, rechtfertigt sich ein Zinsanspruch auch aus Art. 485 Abs. 1 ZGB. Nach dieser Vorschrift ist die durch Vermächtnis zugewendete Sache dem Bedachten "mit Zuwachs" auszuliefern. Das bedeutet bei einem Geldbetrag, daß auch die durch seine Anlegung angewachsenen Zinsen auszuliefern sind. Unerheblich ist es, ob die Klägerin bei Auszahlung des Vermächtnisses im Jahre 1950 diese Zinsen erhalten hat.
Nach alledem erweist sich die Revision als unbegründet. Dem Antrag der Klägerin, ihr die Rechtsmittelkosten für die Revision zu erlassen, vermag der Senat nicht zu entsprechen. Nach § 135 Abs. 2 FGO fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Es besteht keine Möglichkeit, von dieser gesetzlichen Vorschrift im Streitfall abzugehen. Für eine Gewährung von Gebührenfreiheit nach § 7 Abs. 1 letzter Satz des Gerichtskostengesetzes in Verbindung mit § 140 Abs. 1 FGO fehlt es im Streitfall an der gesetzlichen Voraussetzung.
Fundstellen
Haufe-Index 425749 |
BFHE 1966, 215 |
BFHE 86, 215 |