Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verletzung rechtlichen Gehörs bei Entscheidung, ohne den Eingang der Steuererklärungen abzuwarten
Leitsatz (NV)
Das FG verletzt nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es trotz des schriftsätzlichen Hinweises des Klägers, die Steuererklärungen seien dem FG zugeleitet worden, entscheidet, nachdem es festgestellt hat, daß die Steuererklärungen weder bei Gericht noch bei dem Finanzamt eingegangen sind.
Normenkette
FGO § 119 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt einen Möbeleinzelhandel in A. Er gab seit 1973 keine Steuererklärungen ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) schätzte die Besteuerungsgrundlagen für 1974 und 1975 (Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide für 1974 vom 13. Oktober 1978 und für 1975 vom 6. November 1978). Dabei wurde er zusammen mit seiner Ehefrau (Revisionsklägerin) zur Einkommensteuer veranlagt.
Die Einsprüche, die nicht begründet wurden, blieben erfolglos. Die Klage wurde ebenfalls nicht begründet. Die Berichterstatterin des Finanzgerichts (FG) setzte daraufhin mit Verfügung vom 9. August 1979 eine Frist gemäß Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG). Diese Frist wurde nicht eingehalten. Der Vorsitzende bestimmte am 3. Oktober 1979 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 14. November 1979. Der Kläger war in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten. Es wurde ein Schreiben des Klägers vom 31. Oktober 1979 verlesen, in dem er beantragte, die ,,abgegebenen Steuererklärungen" zugrunde zu legen und den Termin aufzuheben. Der Vertreter des FA erklärte, dem FA seien keine Steuererklärungen zugegangen.
Das FG wies die Klage gegenüber dem Kläger ab und führte aus: Das FA sei zur Schätzung befugt gewesen, weil der Kläger keine Steuererklärungen abgegeben habe (§ 162 der Abgabenordnung - AC 1977 -). Es sei nicht zu beanstanden, daß sich das FA mangels anderer Hinweise an die Ergebnisse der vorangegangenen Veranlagungen und an die Angaben in den Umsatzsteuervoranmeldungen gehalten habe.
Der Kläger und seine Ehefrau haben Revision eingelegt. Sie rügen die Verletzung des rechtlichen Gehörs und unzureichende Sachaufklärung und machen geltend: Die Steuerbevollmächtigte G habe, wie sie glaubhaft versichert habe, nach Ergehen der Verfügung der Berichterstatterin mit der Geschäftsstelle des FG am 9. September oder 10. September 1979 ein Telefongespräch geführt und um Verlängerung der Frist nachgesucht. Es sei allerdings nicht mehr zu belegen, ob die Fristverlängerung gewährt worden sei. Jedenfalls habe Frau G dem FG die fehlenden Steuererklärungen mit Anschreiben vom 9. Oktober 1979 übersandt. Er, der Kläger, sei vor dem FG nicht von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten gewesen. Er habe nach Sachlage davon ausgehen müssen, daß seinem Terminaufhebungsantrag ohne weiteres entsprochen würde.Die Revisionskläger beantragen, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revisionskläger haben dem Bundesfinanzhof (BFH) nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist die Durchschriften der Steuererklärungen 1974/75 nebst Anlagen und eine eidesstattliche Versicherung der Steuerbevollmächtigten G vorgelegt. In der eidesstattlichen Versicherung heißt es:
,,Hiermit erkläre ich an Eides statt, daß ich die Bilanzen nebst Gewinn- und Verlustrechnungen, sowie die Steuererklärungen der Jahre 1974-1975 mit dem anliegenden Anschreiben (Fotokopie) . . . in einem DIN A 4 großen Umschlag am 9. 10. 1979, adressiert an das Finanzgericht durch Einwerfen in den Postkasten der Hauptpost B abgesandt habe.
Die Steuererklärungen und Bilanzen wurden von den Eheleuten am 5. 10. 1979 unterschrieben. Da noch ein Nachtrag erforderlich war, habe ich die unterschriebenen Unterlagen mit nach B genommen und ergänzt.
Der gesamte Vorgang wurde mit anliegendem Schreiben, Erklärungen und Bilanzen zusammengeheftet.
In diesem Umschlag befand sich ebenfalls ein Schreiben in verschlossenem Umschlag DIN A 6 in meiner eigenen Gerichtssache."
Entscheidungsgründe
Die Revision der Ehefrau ist unzulässig. Sie ist durch die Vorentscheidung, die lediglich gegen den Kläger ergangen ist, nicht beschwert.
Die Revision des Klägers (Ehemann) ist unbegründet.
Die Revision ist lediglich auf die Verfahrensmängel der Versagung rechtlichen Gehörs und der Verletzung der Sachaufklärungspflicht gestützt worden. Da nicht zugleich die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliegen, ist nur über diese Mängel zu entscheiden (§ 118 Abs. 3 Satz 1 FGO).
Es ist schon zweifelhaft, ob der Kläger die Rüge, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden, zulässig erhoben hat (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Er hat nicht dargelegt, was er bei Gewährung des rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte (BFH-Urteil vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355). Es läßt sich nur vermuten, daß er auf die nach seiner Ansicht vorgelegten Steuererklärungen hingewiesen und eine Entscheidung aufgrund der erklärten Besteuerungsgrundlagen verlangt hätte. Wird ein solcher Vortrag unterstellt und sonach die Verfahrensrüge als formgerecht erhoben angesehen, ist die Rüge unbegründet.
Dem FG lagen die Steuererklärungen nicht vor. Es konnte dem Schreiben vom 31. Oktober 1979 lediglich entnehmen, daß der Kläger meinte, die Erklärungen seien abgegeben. Das Schreiben äußerte sich jedoch nicht dazu, in welcher Weise, wann und wo die Erklärungen abgegeben worden sein könnten und welchen Inhalt sie hatten. Das in der mündlichen Verhandlung befragte FA verneinte - zutreffend -, daß die Erklärungen bei ihm eingegangen waren. Unter diesen Umständen konnte das FG davon ausgehen, daß der Kläger - wie schon anläßlich früherer Gelegenheiten - in Prozeßverzögerungsabsicht handelte.
Der Kläger muß es sich selbst zuschreiben, daß er der Ladung nicht Folge leistete und sich der Möglichkeit beraubte, wenigstens die ihm bekannten näheren Umstände - z. B. die Unterschriftsleistung unter die fertiggestellten Steuererklärungen am 5. Oktober 1979 - vorzutragen. Auch wenn der Kläger vor dem FG nicht durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertreten war, war er doch in geschäftlichen Dingen bewandert und mußte wissen, daß er die Steuererklärungen beizubringen hatte. Gerade weil er sich selbst vertrat, durfte er sich nicht darauf verlassen, daß Dritte die ihm obliegenden Pflichten vor Gericht erfüllen würden. Das gilt um so mehr, als die Steuerbevollmächtigte G offenbar seit längerem nicht mehr imstande war, die Buchführungs- und Erklärungsarbeiten des Klägers fristgemäß zu erledigen. Nach ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 18. Februar 1982 will sie die den Kläger betreffende Gerichtssendung zusammen mit einem Schreiben in eigener Gerichtssache dem FG übermittelt haben. Ein solches Verhalten gibt zu Fehlleitungen Anlaß.
Dem Antrag, den anberaumten Termin aufzuheben, brauchte das FG nicht nachzukommen. Aus der Sicht des FG waren keine erheblichen Gründe für eine Terminaufhebung erkennbar (§ 227 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung, § 155 FGO). Die Steuererklärungen lagen entgegen der Behauptung des Klägers nicht vor. Seine Annahme, daß seinem Terminaufhebungsantrag ohne weiteres entsprochen würde, war rechtsirrig. Er hätte vielmehr davon ausgehen müssen, daß die ihm zugestellte Ladung wirksam blieb, bis sie aufgehoben wurde. Notfalls hätte er sich bei Gericht nach dem Ausgang seines Antrags erkundigen müssen. Das FG hat nicht von sich aus den Eindruck erweckt, daß es den Termin aufheben oder ohne den Kläger nicht verhandeln werde (dazu BFH-Urteil vom 22. Mai 1979 VIII R 93/76, BFHE 128, 310, BStBl II 1979, 702).
Die Rüge unzureichender Sachaufklärung ist nicht formgerecht erhoben worden (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO). Es fehlt jeder Hinweis auf die Beweismittel, die das FG nach Auffassung des Klägers hätte erheben sollen (BFH-Beschluß vom 24. Mai 1977 IV R 45/76, BFHE 122, 396, BStBl II 1977, 694).
Fundstellen
Haufe-Index 413725 |
BFH/NV 1985, 85 |