Leitsatz (amtlich)
Zur Bildung einer Rückstellung für Rekultivierungsaufwendungen nach dem Abgrabungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. November 1972.
Normenkette
EStG § 5; AktG § 152 Abs. 7; FGO § 118 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine KG, betreibt auf eigenen Grundstücken einen Steinbruch zur Gewinnung von Edelsplitt.
Die einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellungen für die Jahre 1970 bis 1972 führte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) entsprechend den Erklärungen der Klägerin durch. Im Verlauf einer Betriebsprüfung begehrte die Klägerin die Bildung von Rückstellungen für Rekultivierungen auf der Grundlage des am 1. Januar 1973 in Kraft getretenen Abgrabungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. November 1972 (Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen -- GV NW -- 1972, 372). Die Kosten für die Rekultivierung des in den Jahren 1970 bis 1975 ausgebeuteten Geländes wurden in einem Gutachten mit jährlich 214 000 DM -- insgesamt also mit 1 284 000 DM -- errechnet. Das FA erkannte für die Jahre 1973 bis 1975 jährliche Rückstellungen in Höhe von 214 000 DM an, lehnte aber in den nach der Betriebsprüfung ergangenen Bescheiden für die Jahre 1970 bis 1972 die Bildung von Rückstellungen ab.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit der Maßgabe statt, daß es die Bildung einer Rückstellung zum 31. Dezember 1972 in Höhe von 642 000 DM für Rekultivierungen, die Abgrabungen der Jahre 1970 bis 1972 betrafen, zuließ und die Berechnung des Gewinns und der Gewinnverteilung des Jahres 1972 nach Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (BGBl I, 446) dem FA übertrug. Zur Begründung führte das FG aus:
Die Voraussetzungen für die Bildung einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten zum 31. Dezember 1972 lägen vor. § 2 Abs. 1 des Abgrabungsgesetzes enthalte für den Unternehmer, der Bodenschätze abbaue, die unmittelbare Verpflichtung zur unverzüglichen Herrichtung. Diese Vorschrift gelte auch, wenn Abgrabungen vor Inkrafttreten des Abgrabungsgesetzes begonnen, aber noch nicht beendet worden seien (Altabgrabungen). Auch die Höhe des Rekultivierungsaufwands sei im Streitfall hinreichend konkretisiert. Die Rückstellung hätte schon zum 31. Dezember 1972 -- also vor dem Inkrafttreten des Abgrabungsgesetzes -- gebildet werden können, weil das Gesetz zum 21. November 1972 verkündet und am 5. Dezember 1972 im GV NW veröffentlicht worden sei.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung könne eine Rekultivierungsrückstellung zum 31. Dezember 1972 nicht gebildet werden. Für Altabgrabungen könnte die Verpflichtung nicht unmittelbar aus dem Abgrabungsgesetz entnommen werden; für diesen Fall schreibe das Gesetz ein inhaltlich genau bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums nicht vor. Aus § 14 Abs. 2 des Abgrabungsgesetzes ergebe sich, daß die Anordnung der Rekultivierung für Altabgrabungen im Ermessen der zuständigen Behörde gestanden habe. Ferner habe die Klägerin mit einer solchen Verpflichtung ernsthaft erst rechnen können, nachdem ihr eine Ankündigung des zuständigen Regierungspräsidenten vom 12. März 1979, einen Auflagebescheid gemäß § 14 Abs. 2 des Abgrabungsgesetzes zu erlassen, zugegangen sei. Die Klägerin selbst habe offensichtlich zum Bilanzstichtag nicht mit dem Erlaß eines solchen Bescheides gerechnet, weil sie mit der Erklärung 1972 keine Rückstellung geltend gemacht habe. Schließlich habe das FG außer Betracht gelassen, daß das Abgrabungsgesetz erst zum 1. Januar 1973 in Kraft getreten sei und deshalb für die Bilanzierung zum 31. Dezember 1972 nicht maßgeblich sein könne.
Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das FG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31. Dezember 1972 eine Rückstellung wegen. Rekultivierungskosten in Höhe von 642 000 DM zu bilden hat.
1. Nach § 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes ermitteln Gewerbetreibende, die Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, den Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich, indem sie zum Schluß des Wirtschaftsjahres das Betriebsvermögen ansetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Danach ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (Urteil vom 20. März 1980 IV R 89/79, BFHE 130, 165, BStBl II 1980, 297, m. w. N.) in der Steuerbilanz nur zu passivieren, was auch in der Handelsbilanz passiviert werden muß.
Die Vorschrift des § 152 Abs. 7 des Aktiengesetzes enthält insoweit einen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung, als er die Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten regelt, und zwar in dem Sinne, daß entgegen seinem Wortlaut handelsrechtlich nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht zu Passivierung besteht (BFH-Urteil vom 20. Januar 1983 IV R 168/81, BFHE 137, 489, BStBl II 1983, 375, m. w. N.). Die Pflicht zur Bildung von Rückstellungen für ungewisse künftige Verbindlichkeiten setzt voraus, daß das künftige Entstehen der Verbindlichkeit dem Grunde und/oder der Höhe nach sowie die Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen wahrscheinlich ist und daß ferner die künftigen zur Tilgung der ungewissen Verbindlichkeit zu leistenden Ausgaben wesentlich bereits im abgelaufenen oder in vorausgegangenen Wirtschaftsjahren wirtschaftlich verursacht sind (BFHE 137, 489, BStBl II 1983, 375).
Auch eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung kann Gegenstand einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten sein, wenn die Verpflichtung nach ihrem Inhalt und insbesondere ihrem Entstehungszeitpunkt hinreichend konkretisiert ist (BFHE 130, 165, BStBl II 1980, 297). Dies ist anzunehmen, wenn die Verpflichtung unmittelbar auf dem Gesetz oder einem besonderen Verwaltungsakt beruht (BFH-Urteil vom 26. Oktober 1977 I R 124/76, BFHE 123, 551, BStBl II 1978, 99).
2. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall ergibt, daß die Klägerin die strittige Rückstellung zum 31. Dezember 1972 bilden mußte.
a) Die Verpflichtung zur Rekultivierung des von der Klägerin in den Jahren 1970 bis 1972 ausgebeuteten Geländes entsprechend den Vorschriften des Abgrabungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 21. November 1972 ist eine ungewisse Verbindlichkeit im Sinne der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung. Es handelt sich um eine Verbindlichkeit, die wegen des Inkrafttretens des Gesetzes am 1. Januar 1973 zum Bilanzstichtag 31. Dezember 1972 zwar rechtlich noch nicht entstanden war, deren entstehen zu diesem Zeitpunkt aber infolge der Verkündung des Gesetzes zum 21. November 1972 und der Veröffentlichung im GV NW am 5. Dezember 1972 schon sicher war. Ungewiß war jedoch zum 31. Dezember 1972 die Höhe der Verbindlichkeit, für die nach den den Senat bindenden Feststellungen des FG ein Betrag von 642 000 DM anzusetzen war.
Die Auffassung des FA, daß eine Rückstellung zum 31. Dezember 1972 nicht gebildet werden dürfe, weil das Abgrabungsgesetz zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Kraft getreten sei, trifft nicht zu. Denn für die Passivierung einer ungewissen Verbindlichkeit kommt es nicht darauf an, ob die Verbindlichkeit zum Bilanzstichtag rechtlich wirksam entstanden war; entscheidend ist vielmehr nur, ob ihr Entstehen wahrscheinlich ist. Da im Streitfall das Abgrabungsgesetz vor dem Bilanzstichtag bereits verkündet und veröffentlicht war, kann das spätere Inkrafttreten der Annahme, daß das Entstehen der Verbindlichkeit zum Bilanzstichtag wahrscheinlich ist, nicht entgegenstehen.
Der Einwand des FA, daß die Klägerin mit einer Verpflichtung zur Rekultivierung zum 31. Dezember 1972 nicht gerechnet und sie deshalb bei Abgabe der Erklärung zur einheitlichen und gesonderten Gewinnfeststellung 1972 die Rückstellung nicht beansprucht habe, ist unbeachtlich. Für die Bildung der Rückstellung kommt es auf die objektive Rechtslage zum Bilanzstichtag an und nicht darauf, wie der Steuerpflichtige sie zu diesem Zeitpunkt subjektiv beurteilte.
b) Die dem Land Nordrhein-Westfalen gegenüber bestehende Verpflichtung zur Rekultivierung des vor dem 1. Januar 1973 ausgebeuteten Geländes ist öffentlich-rechtlicher Art. Sie ist im Abgrabungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen geregelt. Das FG hat entschieden, daß sich die Verpflichtung zur Rekultivierung von Altabgrabungen unmittelbar aus dem Abgrabungsgesetz ergebe und hinreichend konkretisiert sei. Dabei handelt es sich um Rechtsauslegungen des FG, die den Bestand und Inhalt landesrechtlicher Vorschriften betreffen. Hieran ist der Senat gebunden, weil ihm nach § 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Prüfung des angefochtenen Urteils nur im Hinblick auf die Verletzung von Bundesrecht erlaubt ist (BFH-Urteile vom 15. November 1978 I R 65/76, BFHE 126, 424, BStBl II 1979, 193; vom 17. November 1981 VIII R 121/80, BFHE 135, 421, BStBl II 1982, 492). Die Einwände des FA gegen die Annahme des FG, die Rekultivierungsverpflichtung sei hinreichend konkretisiert, können deshalb keine Beachtung finden.
c) Im Streitfall sind die Rückstellungen in den Jahren 1970 bis 1972 wirtschaftlich verursacht worden. Eine wirtschaftliche Verursachung im abgelaufenen Wirtschaftsjahr setzt voraus, daß der Tatbestand, an den das Gesetz das Entstehen der Verpflichtung knüpft, im wesentlichen bereits verwirklicht ist und die Ereignisse, die zum Entstehen der verpflichtung führen, wirtschaftlich dem abgelaufenen Wirtschaftsjahr zuzurechnen sind (ständige Rechtsprechung des BFH z. B. in BFHE 130, 165, BStBl II 1980, 297). Nach § 2 Abs. 1 des Abgrabungsgesetzes entsteht die Rekultivierungsverpflichtung, wenn Bodenschätze abgebaut werden. Dies ist im Streitfall in den Jahren 1970 bis 1972 geschehen.
Rückstellungen für die in den Jahren 1970 und 1971 erfolgten Abgrabungen konnten in den Jahren 1970 und 1971 nicht gebildet werden, weil an den Bilanzstichtagen zum 31. Dezember 1970 und 31. Dezember 1971 das Abgrabungsgesetz noch nicht verkündet und veröffentlicht und eine Inanspruchnahme der Klägerin zu diesen Zeitpunkten deshalb nicht wahrscheinlich war. Die zum 31. Dezember 1970 und 31. Dezember 1971 unterbliebenen Rückstellungen können zum 31. Dezember 1972 nachgeholt werden.
d) Die Nichtpassivierung der Rekultivierungsverpflichtung zum 31. Dezember 1972 stellt einen Bilanzierungsfehler dar, der in der auf diesen Stichtag aufzustellenden Bilanz -- ohne Zustimmung des FA -- zu berichtigen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 74719 |
BStBl II 1983, 670 |
BFHE 1984, 41 |