Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Unterbrechung der Verjährung bei Zahlungsaufforderung an fehlerhafte Anschrift
Leitsatz (NV)
Die Zahlungsverjährung wird nicht unterbrochen, wenn das FA kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist eine Zahlungsaufforderung an eine Adresse des Steuerpflichtigen richtet, an der dieser nicht mehr wohnt.
Normenkette
AO 1977 § 169 Abs. 1 S. 3 Nr. 1, § 231 Abs. 1
Tatbestand
Durch Abrechnungsbescheide des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt -- FA --) vom 22. September 1992 wurden die Abgabenrückstände beider Kläger und Revisionsbeklagten -- Eheleute -- (Kläger) unter der Steuernummer 1/ ... auf insgesamt ... DM und die Abgabenrückstände der Klägerin allein unter der Steuernummer 2/ ... auf insgesamt ... DM festgestellt. Wegen der Art der rückständigen Steuern, Verspätungszuschläge und Säumniszuschläge und ihrer Fälligkeitsdaten wird auf die Aufgliederung im Tatbestand des Urteils der Vorinstanz Bezug genommen. Die nach erfolglosen Einsprüchen gegen die Abrechnungsbescheide erhobene Klage, mit der die Kläger sich auf Verjährung beriefen, hatte teilweise Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) änderte unter Abweisung der Klage im übrigen die Abrechnungsbescheide dahin ab, daß die noch nicht verjährten Abgabenrückstände zur Steuernummer 1/ ... auf ... DM und diejenigen zur Steuernummer 2/ ... auf ... DM festgesetzt wurden. Nach den Feststellungen des FG ist die Verjährung (Zahlungsverjährung seit dem 1. Januar 1977) für sämtliche in den Abrechnungsbescheiden aufgeführten Abgabenrückstände durch verschiedene Maßnahmen des FA (Pfändungen, Vollstreckungsversuche, Zahlungsaufforderungen, Zahlungsaufschub) zunächst bis zum 31. Dezember 1987 unterbrochen worden (§ 144 Abs. 1, § 147 der Reichsabgabenordnung -- AO --, Art. 97 § 14 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung -- EGAO 1977 --, §§ 228, 229, 231 Abs. 1 der Abgabenordnung -- AO 1977 --). Eine weitere Unterbrechungshandlung liege in der Wohnsitzanfrage beim Bundeszentralregister vom 1. März 1984, die durch ständig wechselnde Wohnsitzangaben der Kläger veranlaßt gewesen sei.
Die somit bis zum 31. Dezember 1989 laufende Verjährungsfrist habe allerdings nicht durch die an die spanische Adresse der Kläger gerichtete Zahlungsaufforderung des FA vom 4. Oktober 1989 gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 unterbrochen werden können. Ebenso wie ein Verwaltungsakt nur bei Bekannt gabe gegenüber dem Empfänger (§ 124 AO 1977) und eine zivilrechtliche Willenserklärung nur bei Zugang (§ 130 des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) wirksam sei, setze auch eine schriftliche Geltendmachung des Anspruchs voraus, daß dieser den Zahlungspflichtigen erreiche. Die Kläger hätten aber den Zugang der Zahlungsaufforderung bestritten. Da die Zahlungsaufforderung mit einfachem Brief erfolgt sei, könne das FA den Zugang nicht nachweisen. Ein Anscheinsbeweis, daß ordnungsgemäß zur Post gegebene Briefsendungen den Empfänger -- zumal im Ausland -- auch erreichten, sei nicht gegeben.
Der Zugang sei auch nicht gemäß § 231 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 entbehrlich. Infolge der Bezugnahme in § 231 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 auf die Regelung über die Wahrung der Festsetzungsfrist reiche auch für die Unterbrechung der Zahlungsverjährung die rechtzeitige Absendung der schriftlichen Geltendmachung innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist aus. Hierin beschränke sich jedoch der Regelungsinhalt der Vorschrift. § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 ersetze nicht die Bekanntgabe des Verwaltungsakts bzw. die schriftliche Geltend machung des Zahlungsanspruchs. Er setze vielmehr voraus, daß diese Maßnahme tatsächlich wirksam werde, und wolle lediglich zeitliche Verzögerungen beim Zugang des Verwaltungsakts bzw. der Zahlungsaufforderung nach Eintritt der Festsetzungs- oder Zahlungsverjährung nicht eintreten lassen. Die Behörde müsse also den tatsächlichen Zugang auch im Falle des § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 nachweisen.
Dagegen sei das Rechtshilfeersuchen des FA an die spanischen Finanzbehörden vom August 1989 als Vollstreckungsmaßnahme und damit als Unterbrechungshandlung anzusehen. Die spanischen Finanzbehörden hätten versucht, den Anspruch, auf den sich das Rechtshilfeersuchen erstrecke, zwangsweise durchzusetzen. Wie sich aus dem Schreiben des Bundesamts für Finanzen (BdF) vom 17. April 1990 ergebe, sei die Beitreibung aber erfolglos gewesen, weil die Kläger unter der angegebenen spanischen Adresse nicht wohnhaft seien. Die Verjährung könne jedoch nur in dem Umfang unterbrochen werden, in dem die spanischen Finanzbehörden um Rechtshilfe ersucht worden seien, also betreffend der Steuernummer 1/ ... für Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis von ... DM und betreffend der Steuernummer 2/ ... für Ansprüche von ... DM. Insoweit laufe also die Verjährung bis zum 31. Dezember 1994, während die übrigen in den Abrechnungsbescheiden aufgeführten Ansprüche gemäß § 232 AO 1977 wegen Zahlungsverjährung erloschen seien.
Mit der Revision macht das FA geltend, die Vorentscheidung weiche bei ihrer Auslegung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 ab von dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Oktober 1989 VIII R 60/88 (BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518). Nach dieser BFH-Entscheidung sei die Frist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 gewahrt, wenn der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen und die Finanzbehörde alle Voraussetzungen eingehalten habe, die für den Erlaß eines wirksamen Steuerbescheids vorgeschrieben seien. Es sei nicht erforderlich, daß der Steuerbescheid, der vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der Finanzbehörde verlassen habe, wirksam werde. Es genüge, wenn er nach dem Inhalt der Steuerakten habe wirksam werden können. Bei Berücksichtigung der Grundsätze dieses BFH-Urteils hätte die Zahlungsaufforderung des FA vom 4. Oktober 1989 zahlungsverjährungsunterbrechende Wirkung gehabt und die Klage im vollem Umfang abgewiesen werden müssen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie halten die Vorentscheidung für zutreffend und meinen, das zitierte BFH-Urteil könne nicht dahingehend verstanden werden, daß es den Finanzbehörden ermögliche, die Zahlungsverjährung durch schriftliche Geltendmachung des Anspruchs an ungeklärte Anschriften zu unterbrechen. Sowohl der Abgang als auch der Zugang des Schreibens sei nach den allgemeinen Beweisregeln darzulegen. Im Streitfall gehe aus den Akten noch nicht einmal hervor, ob das Schreiben des FA vom 4. Oktober 1989 die Finanzbehörde überhaupt verlassen habe, deshalb sei von ihnen in der Vorinstanz der Abgang des Schreibens auch bestritten worden. Darüber hinaus habe das Schreiben auch nicht an die spanische Anschrift gerichtet werden dürfen. Zehn Jahre nach der Wohnsitzabmeldung habe das FA bei sorgfältiger Behandlung des Falles zunächst eine weitere Zentralregister anfrage vornehmen müssen. Eine solche Anfrage hätte ergeben, daß sie, die Kläger -- wie in der ersten Instanz vorgetragen --, bereits seit 1985 wieder in der Bundesrepublik Deutschland polizeilich gemeldet gewesen seien. Bei der schriftlichen Geltendmachung von rückständigen Steueransprüchen sei -- auch nach dem zitierten BFH-Urteil -- davon auszugehen, daß diese nur verjährungsunterbrechend wirken könne, wenn die Finanzbehörde an eine Anschrift zustelle, an der sich der Steuerpflichtige mit einiger Wahrscheinlichkeit auch noch befinde. Das sei hier nicht der Fall gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet.
Die Änderung der angefochtenen Abrechnungsbescheide durch die Vorinstanz, mit der die noch nicht verjährten Abgabenrückstände der Kläger festgestellt worden sind, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der erkennende Senat geht mit dem FG davon aus, daß die Zahlungaufforderung des FA vom 4. Oktober 1989, die an eine frühere spanische Adresse des Klägers (Ehemann) gerichtet war, die Verjährung der darin geltend gemachten Ansprüche nicht wirksam unterbrochen hat, so daß insoweit die Zahlungsverjährung eingetreten ist (§§ 228, 232 AO 1977), deren Ablauf das FG aufgrund vorangegangener Unterbrechungshandlungen zum 31. Dezember 1989 festgestellt hat. Soweit die Vorentscheidung das Rechtshilfeersuchen des FA vom 9. August 1989 an die spanischen Finanzbehörden als Vollstreckungsmaßnahme und Unterbrechungshandlung i. S. des § 231 Abs. 1 AO 1977 angesehen und deshalb die darin aufgeführten Abgabenrückstände als nicht verjährt beurteilt hat, ist der Senat zur Überprüfung der Vorentscheidung nicht befugt, weil nur das FA Revision eingelegt hat.
1. Nach § 231 Abs. 1 AO 1977 wird die (Zahlungs-)Verjährung u. a. unterbrochen durch schriftliche Geltendmachung des Anspruchs; § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 gilt hierbei sinngemäß (§ 231 Abs. 1 Satz 2 AO 1977). Die letztgenannte Vorschrift bestimmt zugunsten der Finanzbehörde, daß die Frist für eine Steuerfestsetzung gewahrt ist, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist u. a. der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat (so § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977). Daraus folgt hinsichtlich ihrer Bezugnahme in § 231 Abs. 1 Satz 2 AO 1977, daß es auch für die Unterbrechung der Zahlungsverjährung durch schriftliche Geltendmachung des Anspruchs zur Fristwahrung ausreicht, wenn die schriftliche Zahlungsaufforderung noch vor Ablauf der Verjährungsfrist den Bereich der Finanzbehörde verlassen hat (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 231 AO 1977 Rz. 17).
a) Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum vorherrschenden Auffassung regelt § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 lediglich einen Sonderfall der Fristwahrung. Die Vorschrift entbindet die Behörde nur davon, den Zeitpunkt des Zugangs eines Steuerbescheides bzw. sonstigen Verwaltungsakts (vgl. § 231 Abs. 1 AO 1977) nachzuweisen. Sie ersetzt aber nicht die Bekanntgabe des Bescheides/Verwaltungsakts, sondern setzt diese voraus. Die Festsetzungsfrist bzw. die Unterbrechung der Zahlungsverjährung im Falle des § 231 Abs. 1 AO 1977 sind nach herrschender Meinung nur gewahrt, wenn nach dem durch § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 bestimmten Zeitpunkt der Steuerbescheid bzw. die Zahlungsaufforderung tatsächlich wirksam wird. Dazu gehören insbesondere die richtige Adressierung, die Bekanntgabe an den richtigen Adressaten und die Einhaltung sonstiger Wirksamkeitsvoraussetzungen (vgl. § 122 Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 1, Abs. 3 und § 125 AO 1977). Allein die Absendung des Steuerbescheids bzw. des mit der Unter brechungshandlung verbundenen Verwaltungsakts genügen nicht, um die Fest setzungsfrist zu wahren oder die Zahlungsverjährung zu unterbrechen (so: Tipke/ Kruse, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 15. Aufl., § 169 AO 1977 Tz. 12, § 231 AO 1977 Tz. 14; Kühn/Kutter/Hofmann, Abgabenordnung -- Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 169 AO 1977 Anm. 4, § 231 AO 1977 Anm. 4; Höllig in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 169 Rz. 18; BFH-Urteil vom 16. Mai 1990 X R 147/87, BFHE 161, 398, BStBl II 1990, 942, 943; FG Düsseldorf, Urteil vom 9. August 1985 XV 431/85 E, Entscheidungen der Finanzgerichte 1986, 57).
Nach der vorstehenden, auch vom FG vertretenen Rechtsauffassung ist im Streitfall durch die an die frühere Anschrift der Kläger in Spanien gerichtete schriftliche Geltendmachung der Ansprüche durch das FA die Zahlungsverjährung nicht gemäß § 231 Abs. 1 i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 unterbrochen worden. Denn es ist nicht festgestellt worden, daß die Zahlungsaufforderung des FA vom 4. Oktober 1989 durch Bekanntgabe (Zugang) an die Adressaten (Kläger) wirksam geworden ist (§ 124 Abs. 1 AO 1977, § 130 Abs. 1 BGB). Die Kläger haben den Zugang der Zahlungsaufforderung mit der Begründung bestritten, daß sie zu dem maßgeblichen Zeitpunkt ihren Wohnsitz nicht mehr in Spanien gehabt hätten. Das FA hat den Zugang des Schriftstücks nicht nachweisen können (§ 122 Abs. 2 2. Halbsatz AO 1977; vgl. auch Senatsurteil vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534). Allein die rechtzeitige Absendung der Zahlungsaufforderung durch das FA vor Ablauf der Verjährungsfrist reicht -- wie oben ausgeführt -- für die Wirksamkeit der Unterbrechungshandlung nicht aus.
b) Nach der Gegenmeinung, wie sie insbesondere in dem vom FA zitierten Urteil des VIII. Senats des BFH in BFHE 160, 7, BStBl II 1990, 518 vertreten wird, ist die Frist nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 gewahrt, wenn der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat und die Finanzbehörde alle Voraussetzungen eingehalten hat, die für den Erlaß eines wirksamen Steuerbescheids vorgeschrieben sind. Nach dieser Auffassung ist es für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht erforderlich, daß der Steuerbescheid, der vor Ablauf der Festsetzungsfrist den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat, wirksam wird. Es genügt, wenn er nach dem Inhalt der Steuerakten hätte wirksam werden können.
Der VIII. Senat des BFH beruft sich für seine Gesetzesauslegung u. a. auf den Zweck der Regelung, die Wahrung der Festsetzungsfrist nicht von den Zufälligkeiten des Bekanntgabevorgangs abhängig zu machen, auf die die Finanzbehörde im allgemeinen keinen Einfluß hat. Dieser Zweck würde nur unvollkommen erreicht, wenn die Regelung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 in der Weise zu verstehen sein sollte, daß nur der Zeitpunkt der Bekanntgabe für die Wahrung der Festsetzungsfrist unerheblich sein solle. Ein Steuerpflichtiger, dem kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist Steuerbescheide übersandt würden, könne sich dann mit der bloßen Behauptung, die Bescheide seien ihm nicht zugegangen, der Besteuerung entziehen (ebenso: Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 169 AO 1977 Rz. 59; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 169 Anm. 8).
Der erkennende Senat braucht nicht abschließend zu entscheiden, ob er sich der vorstehend dargestellten Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH anschließen könnte. Denn auch auf der Grundlage der Rechtsauffassung des VIII. Senats kann im Streitfall eine Unterbrechung der Zahlungsverjährung durch die Zahlungsaufforderung des FA vom 4. Oktober 1989 nicht angenommen werden (2.).
2. Der VIII. Senat des BFH setzt für die Wahrung der Frist des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 (hier: zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung i. V. m. § 231 Abs. 1 AO 1977) voraus, daß der Steuerbescheid vor Ablauf der Festsetzungs-/ hier: Verjährungsfrist den Bereich der Finanzbehörde verlassen hat und die Behörde alle Voraussetzungen eingehalten hat, die für den Erlaß eines wirksamen Steuerbescheids vorgeschrieben sind. Er hält es zwar nicht für erforderlich, daß der Steuerbescheid tatsächlich wirksam wird, verlangt aber, daß dieser nach dem Inhalt der Steuerakten hätte wirksam werden können.
Im Streitfall scheitert aber die Anwendung des § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 (i. V. m. § 231 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) und damit die Unterbrechung der Zahlungsverjährung daran, daß das FA bei der Erstellung und Absendung der Zahlungsaufforderung -- innerhalb der Verjährungsfrist -- nicht alle Voraussetzungen eingehalten hat, die für den Erlaß eines wirksamen Verwaltungsakts vorgeschrieben sind; nach dem vom FG festgestellten Inhalt der Steuerakten konnte die Zahlungsaufforderung vom 4. Oktober 1989 nicht wirksam werden. Das gilt auch dann, wenn es sich bei der Zahlungsaufforderung nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine sonstige behördliche Willens erklärung handeln sollte.
Das Wirksamwerden einer solchen Maßnahme setzt voraus, daß sie dem Inhalts adressaten oder Destinatär bekanntgegeben wird bzw. zugeht (§ 124 Abs. 1 AO 1977, § 130 Abs. 1 BGB).
Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, gilt nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 bei einer Übermittlung an einen Beteiligten im Ausland -- wie im Streitfall die Zahlungsaufforderung vom 4. Oktober 1989 -- einen Monat nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Die Bekanntgabevermutung nach § 122 Abs. 2 AO 1977 sowie die tatsächliche Bekanntgabe des Verwaltungsakts oder der Zugang der Willenserklärung können aber nur dann eintreten, wenn der Verwaltungsakt oder die Willenserklärung an den vorgesehenen Empfänger richtig adressiert ist. Demgemäß wird auch von der Mindermeinung, die die Anwendbarkeit des § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 nicht von der Wirksamkeit des Bescheides abhängig macht, die Auffassung vertreten, daß die Festsetzungsfrist nicht gewahrt ist, wenn der Bescheid an einen falschen Adressaten gerichtet ist, da das FA in einem solchen Fall nicht alle Voraussetzungen eingehalten hat, die für den Erlaß eines wirksamen Verwaltungsakts zu beachten sind (vgl. Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 169 AO 1977 Rz. 61).
Das trifft im Streitfall zu. Die Zahlungsaufforderung vom 4. Oktober 1989 war an eine Adresse der Kläger in Spanien gerichtet, bei der nach dem vom FG festgestellten Inhalt der Steuerakten nicht davon ausgegangen werden kann, daß diese im Zeitpunkt der Bekanntgabe nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977 (noch) zutreffend war. Daß eine fehlerhafte Bezeichnung der postalischen Anschrift -- wie das FA ausführt -- nicht zur Nichtigkeit eines Bescheides führt und durch tatsächliche Bekanntgabe an den Adressaten geheilt werden kann, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Im übrigen fehlt es im Streitfall an der tatsächlichen Bekanntgabe (Aushändigung) der Zahlungsaufforderung an die Kläger.
Die Anschrift in Spanien war dem FA im Jahre 1980 auf eine Wohnsitzanfrage vom Einwohnermeldeamt A als Abmeldebestätigung nur für den Kläger (Ehemann) mitgeteilt und im Jahre 1987 von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für diesen bestätigt worden. Für die Klägerin (Ehefrau) waren dem FA auf seine Wohnsitzanfragen hin seit dem Jahre 1980 verschiedene Wohnsitze in A genannt worden. Vergebliche Vollstreckungsversuche in A ergaben dann für beide Kläger die Mitteilung eines Wohnsitzes in B, zu dem der dort zuständige Vollziehungsbeamte im Oktober 1982 mitteilte, daß die Kläger dort nicht mehr wohnhaft seien. Daraus folgt, daß das FA bei seiner Zahlungsaufforderung vom 4. Oktober 1989, die an die ihm bekannte Adresse in Spanien gerichtet war, jedenfalls soweit diese an die Klägerin (Ehefrau) adressiert war, nicht davon aus gehen konnte, daß sie wirksam werden würde. Denn das FA hatte keinen Anlaß anzunehmen, daß die Klägerin unter der genannten Anschrift in Spanien wohnhaft sei oder sich dort aufhalte und ihr die Zahlungsaufforderung dort durch die Post bekanntgegeben werden könnte. Die bloße Vermutung des FA, daß die Klägerin als gebürtige Spanierin in Spanien mit ihrem Ehemann zusammenlebe, erfüllt nicht die vom VIII. Senat des BFH geforderte Voraussetzung, wonach die an die Klägerin gerichtete Zahlungsaufforderung "nach dem Inhalt der Steuerakten" hätte wirksam werden können.
Nach dem vom FA nicht bestrittenen klägerischen Vorbringen bereits im Klageverfahren hielt sich auch der Kläger im Zeitpunkt der Absendung und der versuchten Bekanntgabe der Zahlungsaufforderung vom 4. Oktober 1989 nicht mehr in Spanien auf; vielmehr waren beide Eheleute zu dieser Zeit mit Wohnsitz in C gemeldet. Die Richtigkeit dieses Vorbringens wird durch zahlreiche tatsächliche Feststellungen in dem Urteil des FG belegt. Auf das an die spanischen Finanzbehörden gerichtete Rechtshilfeersuchen des FA vom 9. August 1989 teilte das spanische Finanzministerium dem BfF am 6. März 1990 mit, der Beitreibungsversuch sei erfolglos verlaufen, weil die Kläger unter der angegebenen Adresse in Spanien nicht wohnhaft seien. Dem FA wurde in diesem Zusammenhang mitgeteilt, die Kläger wohnten in D. Eine Auskunft aus dem Melderegister in D vom 6. Juni 1990 ergab, daß die Kläger inzwischen nach C verzogen waren. Die Zahlungsaufforderung vom 4. Oktober 1989 konnte somit nach dem Inhalt der Steuer akten auch dem Kläger (Ehemann) gegenüber nicht wirksam werden, weil er zu dieser Zeit an der angegebenen Adresse in Spanien nicht mehr wohnte und somit eine Bekanntgabe auch ihm gegenüber nicht möglich war.
Das FA hat damit hinsichtlich seiner vor Ablauf der Zahlungsverjährung zur Post gegebenen Zahlungsaufforderung beiden Klägern gegenüber die Voraussetzungen nicht eingehalten, die für das Wirksamwerden der Zahlungsaufforderung zu erfüllen sind. Angesichts der etwa zehn Jahre zurückliegenden Abmeldung (nur) des Klägers nach Spanien und der ihm zwischenzeitlich bekanntgewordenen verschiedenen Wohnsitze der Kläger im Inland hätte das FA nicht ohne erneute zeitnahe Ermittlungen nach dem Wohnsitz die Zahlungsaufforderung -- gewissermaßen ins Blaue hinein -- an die zumindest ungewisse Anschrift in Spanien richten dürfen.
Die Mitteilung über die spanische Anschrift des Klägers durch die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte aus dem Jahre 1987, auf die das FA sich bezogen hat, kann nicht als zeitnahe "Bestätigung" der Kenntnisse des FA angesehen werden, da sie sich allein auf die Mitteilung des zuständigen Einwohnermeldeamts über die Abmeldung nach Spanien bezieht, die dem FA selbst bereits im Jahre 1980 übermittelt worden war. Danach (1982) war dem FA auch hinsichtlich des Klägers mitgeteilt worden, daß er in B wohne, wenn auch dort ein Vollstreckungsversuch erfolglos blieb.
Entgegen der Auffassung des FG ist es unerheblich, daß dieses positive Kenntnis von der Tatsache, daß der Kläger nicht mehr in Spanien wohnte, erst nach dem Zeitpunkt der Absendung der Zahlungsaufforderung erlangt hat (Mitteilung des spanischen Finanzministeriums vom 6. März 1990, Auszug aus dem Melderegister in D vom 6. Juni 1990). Wenn der VIII. Senat des BFH für die Einhaltung der Festsetzungsfrist bzw. die Unterbrechung der Zahlungsverjährung gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 AO 1977 (i. V. m. § 231 Abs. 1 Satz 2 AO 1977) darauf abstellt, ob der Bescheid bzw. die Zahlungsaufforderung "nach dem Inhalt der Steuerakten" wirksam werden konnte, so bedeutet dies nicht, daß dafür allein der subjektive Kenntnisstand des FA auch dort maßgeblich ist, wo das FA -- wie oben ausgeführt -- aufgrund der ungewissen Akten lage Anlaß zu weiteren Ermittlungen nach dem Wohnsitz hatte. Dies folgt auch aus dem vom VIII. Senat seiner Auslegung zugrunde gelegten Zweck der Regelung. Danach soll verhindert werden, daß sich der Steuerpflichtige mit der bloßen Behauptung, der Bescheid sei ihm nicht zugegangen, der Besteuerung entzieht. Steht aber -- wie im Streitfall -- objektiv fest, daß der Adressat des Bescheids/der Zahlungsaufforderung unter der genannten Anschrift nicht mehr wohnhaft ist und sich an dem benannten Ort nicht mehr aufhält, so folgt daraus, daß eine wirksame Bekanntgabe nicht erfolgen konnte. Der Gefahr, daß sich der Adressat mit der "bloßen (d. h. nicht nachprüfbaren) Behauptung", er habe die Postsendung nicht erhalten, den Folgen der Bekanntgabe entziehen könnte, braucht in diesem Falle nicht entsprechend der Auslegung des VIII. Senats vorgebeugt zu werden, selbst wenn sich die positive Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit der Anschrift erst nach der Absendung des Bescheids bzw. der Zahlungsaufforderung ergibt.
Da bereits die fehlende Möglichkeit einer wirksamen Bekanntgabe der Zahlungsaufforderung auch nach der vorstehend zitierten Entscheidung des VIII. Senats des BFH die Unterbrechung der Zahlungsverjährung gemäß § 231 Abs. 1 i. V. m. § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO 1977 ausschließt, kommt es nicht darauf an, ob -- wie die Kläger vortragen -- auch der Abgang des Schreibens vom 4. Oktober 1989 aus dem Bereich der Finanzbehörde (vor Ablauf der Verjährungsfrist) nicht nachgewiesen werden kann. Das FG hat jedenfalls zu Recht eine Unterbrechung der Zahlungsverjährung durch die schriftliche Geltendmachung von Ansprüchen durch das Schreiben vom 4. Oktober 1989 abgelehnt.
Fundstellen
Haufe-Index 420724 |
BFH/NV 1995, 943 |