Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Vorwegwürdigung eines nicht erhobenen Zeugenbeweises
Leitsatz (NV)
1. Ein Zeuge ist als Beweismittel im finanzgerichtlichen Verfahren nicht schon dann schlechthin untauglich und seine Vernehmung daher in der mündlichen Verhandlung entbehrlich, wenn er vor deren Durchführung gegenüber dem Berichterstatter fernmündlich erklärt hat, sich an einen mittlerweile über zehn Jahre zurückliegenden -- nach Auffassung des Gerichts entscheidungserheblichen -- Vorgang nicht mehr zu erinnern.
2. Eine die Zeugenvernehmung ersetzende Beiziehung von Akten und Verwertung der darin dokumentierten Feststellungen im Wege des Urkundenbeweises verstößt gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, wenn ein Beteiligter diesen (aktenkundigen) Feststellungen mit der Schilderung eines davon abweichenden Sachverhalts (hier Bestreiten einer Hausbesichtigung und Behauptung einer am Stichtag andersartigen Wohnraumnutzung) entgegengetreten ist.
3. Ein anwaltlich vertretener Prozeßbeteiligter verletzt seine ihm obliegende Pflicht zur prozessualen Mitwirkung nicht dadurch, daß er bzw. sein Prozeßvertreter es in der mündlichen Verhandlung unterlassen haben, von sich aus auf die Vernehmung eines Zeugen hinzuwirken, dessen Wahrnehmungen bei objektiv zutreffender Beurteilung ihres Beweiswerts allenfalls indizielle Bedeutung haben.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 81 Abs. 1 S. 1, § 120 Abs. 2 S. 2; BewG § 75 Abs. 1 Nrn. 4-5, Abs. 5-6
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) hatte ein vom Kläger und Revisionskläger (Kläger) im Jahre 1982 errichtetes Gebäude auf den 1. Januar 1983 zunächst antragsgemäß als Zweifamilienhaus bewertet.
Aufgrund einer im Januar 1990 durchgeführten Ortsbesichtigung erließ das FA am 22. Oktober 1990 einen gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einheitswertbescheid, mit dem es das Grundstück des Klägers im Wege der Art- und Wertfortschreibung auf den streitigen Stichtag (1. Januar 1983) nunmehr als Einfamilienhaus bewertete.
Einspruch und Klage, mit denen der Kläger geltend machte, die Wohnung im Kellergeschoß sei durch Mietvertrag vom 15. November 1982 ab dem 1. Dezember 1982 für 600 DM monatliche Miete vermietet gewesen, blieben ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hat das Vorliegen einer zweiten Wohnung im Untergeschoß des in Hanglage errichteten Gebäudes verneint. Die Wohnräume im Untergeschoß seien durch Türzugänge mit den übrigen Wohnräumen verbunden gewesen und deshalb nicht als räumlich abgeschlossene Raumeinheit anzusehen. Sie seien am Stichtag auch nicht als zweite Wohnung genutzt, sondern -- wie die übrigen Räume des Hauses im Erd- und Dachgeschoß -- vom Kläger und seiner Familie (als Kinderzimmer) bewohnt worden.
Diese Überzeugung habe das Gericht durch den Inhalt der beigezogenen Akte des Amtes für Wohnungswesen der Stadt A gewonnen, worin sich ein handschriftlicher Vermerk über eine am 11. November 1982 durch geführte Ortsbesichtigung im Hause des Klägers befinde. Danach hätten die Bauausführung und Nutzung " ... bis auf das Keller- und Dachgeschoß ... " den Antragsunterlagen entsprochen. Im Kellergeschoß seien zusätzlich eine Saunaanlage sowie im Dachgeschoß ein Studio ausgebaut worden. Die (im Untergeschoß gelegene) Einliegerwohnung sei -- wie es in dem Vermerk weiter heißt -- vom Antragsteller mitgenutzt worden. In dieser Akte befänden sich auch Planskizzen der einzelnen Stockwerke. Hierin seien mit einem Rotstift verschiedene Einrichtungsgegenstände eingezeichnet und Räumlichkeiten ihrer Zweckbestimmung nach beschriftet worden. Die im Kellergeschoß gelegenen Räume seien als "Kinderzimmer" (zwei Räume) sowie Spielzimmer (ein Raum) bezeichnet.
Diese sich aus der Akte der Stadt A ergebenden Tatsachen seien weder durch die Angaben des Klägers noch durch die Zeugenaussagen seiner Ehefrau und Tochter erschüttert worden. Der Kläger und seine als Zeugin vernommene Ehefrau hatten u. a. ausgesagt, im November/Dezember 1982 sei kein Mitarbeiter der Stadt A zu einer Ortsbesichtigung in ihrem Hause gewesen. Die Angaben des Klägers seien durch sein Interesse an einem günstigen Prozeßausgang bestimmt worden. Die Ehefrau des Klägers habe nicht die Wahrheit gesagt. Ihre Behauptung, ein städtischer Außendienstbeamter sei niemals in ihrem Haus gewesen, treffe -- wie sich aus der Akte der Stadt A ergebe -- nicht zu. Der Tochter des Klägers glaube das Gericht ebensowenig, da ihre Angaben zur Belegung und Nutzung der Räume den Feststellungen des städtischen Außendienstbeamten widersprächen.
Auch die Angaben des als Zeugen vernommenen Geschäftsführers der Vermieterin hätten zugunsten des Klägers nichts erbringen können. Der Zeuge habe zwar den nicht zu leugnenden Abschluß des Mietvertrags bestätigt, aber hinsichtlich der tatsächlichen Nutzung der gemieteten Wohnung nichts Konkretes aussagen "wollen".
Der Mitarbeiter der Stadt A (X), der die Ortsbesichtigung am 11. November 1982 durchgeführt hat, wurde vom FG nicht als Zeuge gehört. Der Berichterstatter hat lediglich in der Gerichtsakte vermerkt, X habe ihm telefonisch erklärt, keine Erinnerung mehr an den Vorgang zu haben, und scheide deshalb als Zeuge aus.
Mit seiner Revision macht der Kläger neben der Verletzung materiellen Rechts (§ 75 Abs. 1 Nrn. 4 und 5, Abs. 5 und 6 des Bewertungsgesetzes -- BewG --, § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sowie Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze) auch Verfahrensfehler geltend.
Hierzu rügt er u. a. unzureichende Sachaufklärung durch das FG und trägt insoweit vor, das FG habe es pflichtwidrig unter lassen, X als Zeugen zu vernehmen und insbesondere dazu zu hören, ob -- was er bei Einsichtnahme in die Akten wohl hätte beantworten können -- die Einzeichnungen und Berechnungen in der Dachgeschoßskizze von ihm stammten und ob er sie aufgrund eigenen Aufmaßes vorgenommen habe. Ferner hätte er gefragt werden müssen, ob die Ehefrau des Klägers, durch deren Gegenüberstellung das Erinnerungsvermögen des Beamten möglicherweise aufgehellt worden wäre, bei Durchführung der örtlichen Überprüfung anwesend gewesen sei. Hätte das FG den Sachverhalt in dieser Weise weiter ermittelt, wäre es im Rahmen der Beweiswürdigung möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt, zumal es in der Urteilsbegründung ausdrücklich auf die Entscheidungserheblichkeit der beigezogenen Urkunden, Unterlagen und Zeichnungen hingewiesen habe.
Der Kläger beantragt, den Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1983 vom 22. Oktober 1990, die ihn bestätigende Einspruchsentscheidung vom 16. Dezember 1991 und das Urteil des FG vom 28. Januar 1993 Az.: ... aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
1. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben.
a) Die Rüge, das FG habe pflichtwidrig von einer Zeugenvernehmung des X abgesehen, ist in zulässiger Weise erhoben worden. Da das FG in der Vorentscheidung ausdrücklich begründet hat, weswegen die Anhörung des X unterblieben ist, genügt bereits die schlichte Rüge der Nichtvernehmung den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 26. Februar 1985 VII R 137/81, BFH/NV 1986, 136, 137; vom 21. Juni 1988 VII R 135/85, BFHE 153, 393, BStBl II 1988, 841, 842; vom 21. Januar 1993 XI R 35/92, BFH/NV 1993, 671, 672; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. 1993, § 120 Rz. 40, m. w. N.). Der Kläger hat außerdem schlüssig dargelegt, daß und inwiefern das angefochtene Urteil auf der unterlassenen Zeugeneinvernahme beruhen kann und warum er keine Veranlassung gehabt habe, von sich aus eine entsprechende Beweiserhebung zu beantragen.
b) Die Verfahrensrüge des Klägers begründet einen Verstoß sowohl gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) als auch gegen den aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO sich ergebenden Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Das FG hat ferner die Würdigung des -- prozeßordnungswidrig nicht erhobenen -- Beweises unzulässigerweise vorweggenommen.
aa) Gemäß § 76 Abs. 1 FGO erforscht das Gericht den Sachverhalt unter Heranziehung der Beteiligten von Amts wegen. Dies bedeutet, daß die Tatsacheninstanz grundsätzlich gehalten ist, den nach ihrer materiell-rechtlichen Auffassung entscheidungserheblichen Sachverhalt unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel so vollständig wie möglich zu ermitteln.
Das FG hat, indem es X nicht als Zeugen vernommen hat, nicht alle ihm zur Verfügung stehenden und nach Lage der Akten sich aufdrängenden Beweismittel bei der Urteilsfindung herangezogen. Nach der -- für die Frage des Vorliegens eines Verfahrensfehlers maßgeblichen -- Rechtsauffassung des FG war die tatsächliche Nutzung (Eigen- oder Fremdnutzung) der Wohnräume im Untergeschoß am Bewertungsstichtag entscheidungserheblich dafür, ob es sich bei dem vom Kläger errichteten Haus zu diesem Zeitpunkt um ein Zweifamilienhaus oder Einfamilienhaus handelte. Das FG hat sich seine Überzeugung, diese Räume seien zum maßgeblichen Zeitpunkt von den Kindern des Klägers genutzt worden, (fast) ausschließlich nach dem Inhalt der beigezo genen Akte der Stadt A gebildet. Hierauf durfte sich das FG bei seiner Überzeugungsbildung aber nicht allein stützen, weil der Kläger und dessen Ehefrau bei ihrer Einvernahme in der mündlichen Verhandlung erklärt hatten, eine Ortsbesichtigung habe bei ihnen im Haus im November/Dezember 1982 nicht stattgefunden. Zur Aufklärung dieses Widerspruchs hätte das FG X als Zeugen dazu vernehmen müssen, von wem, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise die in der Akte der Stadt A enthaltenen Feststellungen, die das FG zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, getroffen wurden. Damit ist das FG seiner Sachaufklärungspflicht nicht in dem gebotenen Umfang nachgekommen.
Ein Grund, ausnahmsweise von einer Vernehmung des X als Zeugen abzusehen, lag nicht vor. Eine Beweisaufnahme darf in der Regel nur abgelehnt bzw. eine bestimmte Erkenntnismöglichkeit nur dann ungenutzt bleiben, wenn die in Frage stehenden Tatsachen zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden, die Beweiser hebung unzulässig oder das Beweismittel unerreichbar bzw. für die zu treffende Entscheidung unerheblich oder schlechthin untauglich ist (BFH-Urteil vom 29. Mai 1974 I R 167/71, BFHE 112, 455, BStBl II 1974, 612; BFH-Beschluß vom 21. Mai 1992 VIII B 76/91, BFH/NV 1993, 32, 33; Grube, Deutsches Steuerrecht 1972, 522, 527, m. w. N.; Kopp, Neue Juristische Wochenschrift -- NJW -- 1988, 1708; derselbe, Verwaltungsgerichtsordnung, 10. Aufl. 1994, § 86 Rdnr. 6 b, m. w. N.; Gräber/v. Groll, a. a. O., § 76 Rz. 24, m. w. N.; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl. 1996, § 81 FGO Tz. 1 und 8).
Keine der genannten Voraussetzungen war im vorliegenden Fall erfüllt. X war insbesondere nicht unerreichbar oder für die weitere Sachaufklärung schlechterdings untauglich. Daß er -- wie sich dem Vermerk des Berichterstatters entnehmen läßt -- diesem gegenüber erklärt haben soll, sich an den fraglichen Vorgang nicht mehr zu erinnern, rechtfertigt nicht die Annahme seiner absoluten Untauglichkeit als Zeuge. Da das FG gleichwohl von dem völligen Unwert des -- nicht erhobenen -- Zeugenbeweises ausgegangen ist, hat es die Würdigung des Beweises unzulässigerweise vorweggenommen. Was von einem Beweismittel zu halten ist und ob seine Erhebung letztendlich zu zweckdienlichen Erkenntnissen führt, soll die Beweisaufnahme gerade erst ergeben (Bundesverwaltungsgericht -- BVerwG -- Urteil vom 1. November 1963 VI C 37/61, Die Öffentliche Verwaltung 1964, 561; Bundesgerichtshof -- BGH --, Urteil vom 11. November 1980 X ZR 49/80, Monatszeitschrift für Deutsches Recht 1981, 401; Grube, a. a. O., S. 527, m. w. N.). Es ist daher in aller Regel nicht zulässig, einer Aussage schon a priori jedweden Beweiswert abzusprechen (BVerwG-Urteil vom 16. März 1984 4 C 52/80, NJW 1984, 2962). Ein Fall, in dem der völlige Beweis unwert einer Zeugeneinvernahme von vornherein feststeht (BGH-Urteile vom 4. Juni 1956 III ZR 238/54, NJW 1956, 1480; vom 20. April 1959 III ZR 41/58, Deutsche Richterzeitung 1959, 252; Beschluß des Bundesverfassungsgerichts -- BVerfG -- vom 28. Februar 1992 2 BvR 1179/91, NJW 1993, 254, 255), liegt hier nicht vor. Denn ungeachtet des schon über zehn Jahre zurückliegenden Ereignisses und trotz der telefonischen Erklärung des X, sich nicht mehr an den Vorgang zu erinnern, besteht durchaus die Möglichkeit, daß X bei Einsichtnahme in die Bauakte hätte bestätigen können, ob die dortigen Vermerke und Einzeichnungen seinerzeit von ihm gefertigt worden sind, diesen Feststellungen eine Ortsbesichtigung zugrundeliegt und wann diese etwa erfolgte.
bb) Die Nichtvernehmung des X verstößt darüber hinaus gegen den in § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO normierten Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Danach hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Dies bedeutet neben dem (formellen) Erfordernis eigener Anschauung durch die Richter des erkennenden Spruchkörpers, daß diese die für ihre Entscheidung notwendigen Tatsachen in weitestmöglichem Umfang aus der Quelle selbst schöpfen müssen, d. h. bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln die Beweisaufnahme mit demjenigen durchzuführen haben, das ihnen den "unmittelbarsten" Eindruck von dem streitigen Sachverhalt vermittelt (sog. materielle Unmittelbarkeit, vgl.: List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl. 1995, § 81 FGO Anm. 6, m. w. N.; Tipke/Kruse, a. a. O., § 81 FGO Tz. 6; von Wedel in Schwarz, Finanzgerichtsordnung, § 81 Rdnr. 21). Zwar dürfen in Behördenakten protokollierte Auskünfte und Wahrnehmungen grundsätzlich im Wege des Urkundenbeweises in den Finanzgerichtsprozeß eingeführt werden. Eine Beiziehung von Akten und Verwertung der darin dokumentierten Feststellungen ist jedoch gegen den Widerspruch eines Beteiligten bzw. seine "substantiierten Einwendungen" (BFH-Urteile vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311; und vom 21. Juni 1988 VII R 135/85, BFHE 153, 393, BStBl II 1988, 841; Rüsken, Betriebsberater 1994, 761, 766) unzulässig, solange die (erneute) Beweisaufnahme durch das zur Entscheidung berufene Gericht selbst möglich ist (BFH in BFHE 164, 396, BStBl II 1991, 806, 807, m. w. N.). Die Akte der Stadt A hätte als bloß mittelbares -- die Zeugenvernehmung ersetzendes -- Beweismittel daher nur verwendet werden dürfen, wenn eine Anhörung des X unmöglich, nicht zulässig oder unzumutbar gewesen wäre (BFH-Urteile vom 23. Januar 1985 I R 30/81, BFHE 143, 117, BStBl II 1985, 305, und vom 12. Juni 1991 III R 106/87, BFHE 164, 396, BStBl II 1991, 806, 807). Diese Voraussetzungen lagen aber -- wie oben bereits dargelegt -- im Streitfall nicht vor. Angesichts des Umstandes, daß der Kläger den (aktenkundigen) Feststellungen mit der Behauptung einer -- zumindest am Stichtag -- andersartigen Nutzung der Wohnräume im Untergeschoß entgegengetreten ist, und seiner Erklärung, nach seiner Erinnerung habe im November oder Dezember 1982 kein Beamter das Haus aufgesucht, durfte das FG den Akteninhalt nicht ohne Einvernahme des X zum Nachteil des (zumindest konkludent widersprechenden) Klägers verwerten.
c) Der Kläger hat sein Recht, die Nichtvernehmung des X als Zeugen als Verfahrensmangel zu rügen, weder durch Verletzung seiner Mitwirkungspflichten noch gemäß § 155 FGO i. V. m. § 295 der Zivilprozeßordnung dadurch verloren, daß er sich in der mündlichen Verhandlung vor dem FG zur Sache eingelassen hat, ohne von sich aus auf eine zeugenschaftliche Vernehmung des X hinzuwirken oder jedenfalls deren Unterbleiben noch in der Vorinstanz als Verfahrensmangel geltend zu machen.
Zwar verletzt der Tatrichter -- trotz unterlassener Beweiserhebung -- seine Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsermittlung regelmäßig dann nicht, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter die später vermißte Beweiserhebung nicht aus eigener Initiative angeregt oder förmlich beantragt hat (ständige Rechtsprechung: BFH-Urteile vom 3. November 1976 II R 43/67, BFHE 120, 549, BStBl II 1977, 159, 161; vom 25. Oktober 1977 VII R 5/74, BFHE 124, 105, 108, BStBl II 1978, 274; BFH-Beschlüsse vom 16. April 1984 III B 48/83, nicht veröffentlicht, und vom 8. März 1988 VII R 34/85, BFH/NV 1988, 792, 793). Eine die Amtspflichtverletzung des FG ausschließende Mißachtung der dem Kläger seinerseits obliegenden Mitwirkungspflicht ist aber nach Lage der Dinge im Streitfall gleichwohl nicht anzunehmen. Denn selbst von einem fürsorglichen und verantwortungsbewußt agierenden Prozeßvertreter kann ohne Überspannung seiner Sorgfaltspflichten nicht verlangt werden, daß er in Voraussicht einer (erst den schriftlichen Urteilsgründen zu entnehmenden) möglicherweise fehlerhaften Beweiswürdigung des Gerichts auf der Anhörung eines Zeugen besteht, dessen Wahrnehmungen bei objektiv zutreffender Beurteilung ihres Beweiswerts (unter Berücksichtigung des Stichtagsprinzips) allenfalls indizielle Bedeutung haben.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Die bisher vom FG -- verfahrensfehlerfrei -- getroffenen Feststellungen ermöglichen dem erkennenden Senat nicht, selbst über das Klagebegehren zu entscheiden. Die Sache ist deshalb an das FG zurückzuverweisen.
Im zweiten Rechtsgang wird das FG zunächst darauf zu achten haben, daß für die Bewertung des Gebäudes dessen Zustand und Nutzung am Stichtag (1. Januar 1983) maßgebend sind, so daß deshalb eventuelle Feststellungen hierzu auf einen früheren Zeitpunkt (etwa Anfang November 1982) lediglich indizielle Wirkungen zukommen kann. Letztere dürfen jedenfalls nicht ohne weiteres mit dem Zustand am Stichtag gleichgesetzt werden.
Soweit das FG auch im zweiten Rechtsgang unter Ausschöpfung aller Beweismittel wiederum zu der Überzeugung gelangt, die Räume im Untergeschoß seien zu einem Zeitpunkt vor dem Stichtag (z. B. Anfang November 1982) als Kinderzimmer benutzt worden, hat es dem Kläger Gelegenheit zu geben darzutun, ob sich gegebenenfalls hinsichtlich des Zustandes oder der Nutzung des Gebäudes noch Änderungen bis zum Stichtag ergeben haben.
Fundstellen
Haufe-Index 422059 |
BFH/NV 1997, 767 |