Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines ausländischen, nicht freizügigkeitsberechtigten Kindes auf sozialrechtliches Kindergeld für sich selbst. Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. keine Berechtigung zur Erwerbstätigkeit. langjähriger Voraufenthalt in Deutschland. Verfassungsmäßigkeit. Gleichheitssatz. sozialgerichtliches Verfahren. gesetzliche Prozessstandschaft des ersatzberechtigten Trägers der Kinder- und Jugendhilfe
Leitsatz (amtlich)
Ein minderjähriger, nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer hat auch ohne Berechtigung zur Erwerbstätigkeit Anspruch auf sozialrechtliches Kindergeld für sich selbst, wenn er von Kindesbeinen an in Deutschland aufgewachsen ist, die Schule besucht hat und daher mit einem faktischen Inländer zu vergleichen ist.
Orientierungssatz
1. Der Status eines faktischen Inländers liegt bereits nach einem 10-jährigen Aufenthalt eines Kindes bzw Jugendlichen in Deutschland nahe.
2. Das sozialrechtliche Kindergeld dient alleinstehenden Vollwaisen als Ausgleich für die eigenen Belastungen, die damit gleichzeitig anerkannt und gewürdigt werden (aA für das steuerrechtliche Kindergeld BFH vom 7.4.2011 - III R 72/09 = BFH/NV 2011, 1134).
3. Der zuständige örtliche Träger der Jugendhilfe ist befugt, den Kindergeldanspruch für ein Kind in gesetzlicher Prozessstandschaft in eigenem Namen einzuklagen, wenn er dem Kind (hier unbegleiteter Flüchtling) ua vollstationäre Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe gewährt hat und beabsichtigt, es nach §§ 92 ff SGB 8 teilweise zu den Kosten heranzuziehen.
Normenkette
BKGG § 1 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b Fassung: 2006-12-13; BKGG 1996 § 1 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b Fassung: 2006-12-13; BKGG § 1 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a Fassung: 2006-12-13; BKGG 1996 § 1 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. a Fassung: 2006-12-13; BKGG § 1 Abs. 3 Nr. 2 Hs. 1 Fassung: 2006-12-13; BKGG 1996 § 1 Abs. 3 Nr. 2 Hs. 1 Fassung: 2006-12-13; BKGG § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; BKGG 1996 § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; BKGG § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; BKGG 1996 § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 2; BKGG § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3; BKGG 1996 § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 3; BKGG § 2 Abs. 2 S. 1 Hs. 1; BKGG 1996 § 2 Abs. 2 S. 1 Hs. 1; BKGG § 9 Abs. 1 S. 3; BKGG 1996 § 9 Abs. 1 S. 3; BKGG § 20 Abs. 1 S. 1; BKGG 1996 § 20 Abs. 1 S. 1; BEEG § 1 Abs. 7 Nr. 3 Buchst. b; AufenthG § 25 Abs. 5; AufenthG 2004 § 25 Abs. 5; AufenthG § 25a Abs. 1; AufenthG 2004 § 25a Abs. 1; AufenthG § 26 Abs. 4; AufenthG 2004 § 26 Abs. 4; AufenthG § 32; AufenthG 2004 § 32; AufenthG §§ 32ff; AufenthG 2004 §§ 32ff; AuslG § 30; AuslG 1990 § 30; JArbSchG § 5; SGB VIII §§ 92-93, 94 Abs. 3 S. 1; SGG § 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 3; EStG § 31 S. 1; GG Art 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. April 2011 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 4. November 2009 zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.
Tatbestand
Die klagende Stadt Bonn verlangt von der beklagten Bundesagentur für Arbeit (Familienkasse) die Zahlung von Kindergeld (Kg) für den Beigeladenen. Der 1992 in K./Kongo (früher Zaire) geborene M.B., der zum Rechtsstreit beigeladen ist, reiste 1994 als zweijähriges Kind mit seiner Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie verstarb 1998. Der Aufenthalt des Vaters ist unbekannt. Der Asylantrag des Beigeladenen wurde 1998 rechtskräftig abgelehnt, sein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland aber geduldet. 1999 wurde ihm eine Aufenthaltsbefugnis nach dem Ausländergesetz erteilt. Ab 2005 erhielt der zu diesem Zeitpunkt 13-jährige Beigeladene eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ohne die Gestattung der Erwerbstätigkeit. Die klagende Stadt Bonn gewährte ihm laufend Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII in einer stationären Heimeinrichtung.
Im April 2005 beantragte sie die Bewilligung von Kg an den Beigeladenen. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Beigeladene nicht über den vom Bundeskindergeldgesetz (BKGG) vorausgesetzten qualifizierten Aufenthaltstitel mit einer Berechtigung zur Erwerbstätigkeit verfüge (Bescheid vom 1.6.2005, Widerspruchsbescheid vom 2.8.2005).
Das von der Klägerin angerufene SG verurteilte die Beklagte antragsgemäß, dem Beigeladenen ab März 2005 bis November 2009 Kg zu bewilligen. Der Beigeladene habe darauf Anspruch, obwohl er keinen anspruchsbegründenden ausländerrechtlichen Aufenthaltstitel iS von § 1 Abs 3 BKGG besitze. Die Vorschrift sei verfassungskonform dahingehend einzuschränken, dass sie für den eigenen Anspruch eines Kindes bzw Jugendlichen nicht anzuwenden sei (Urteil vom 4.11.2009). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.4.2011). Weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte der Bestimmung des § 1 Abs 3 BKGG 2006 ließen auf einen Willen des Gesetzgebers schließen, die Norm nicht auch auf Kinder anzuwenden, die Kg für sich selbst beantragten. Trotz verfassungsrechtlicher Bedenken komme eine Vorlage an das BVerfG nicht in Betracht, weil sich die rechtliche und tatsächliche Position des Beigeladenen durch eine Kg-Gewährung nicht verbessern würde.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen, für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer seien im Wege verfassungskonformer Reduktion auf minderjährige Vollwaisen iS von § 1 Abs 2 BKGG nicht anzuwenden. Wie die Gesetzesbegründung zeige, habe der Gesetzgeber ausschließlich erwachsene Ausländer im Blick gehabt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. April 2011 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 4. November 2009 zurückzuweisen,
hilfsweise, den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht nach Art 100 GG vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Nach § 1 Abs 2 BKGG selbst anspruchsberechtigte Kinder dürften gegenüber nicht freizügigkeitsberechtigten Eltern nicht privilegiert werden, die nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 62 Abs 2 EStG einen Kg-Anspruch hätten. Ebenso wie die Parallelvorschrift des § 62 Abs 2 EStG begegne die Vorschrift des § 1 Abs 3 BKGG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Hinweis auf BFH Beschluss vom 19.1.2011 - III S 44/09 mit mwN).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet. Die Klage auf Zahlung von Kindergeld für den Beigeladenen ist zulässig und begründet.
1. Die von der Klägerin im eigenen Namen erhobene Klage auf Zahlung von Kg für den Beigeladenen ist zulässig.
a) Die Klägerin ist befugt, den Kg-Anspruch des Beigeladenen in eigenem Namen einzuklagen. Denn nach § 9 Abs 1 S 3 BKGG kann außer dem Berechtigten selbst den erforderlichen Antrag auf Kg auch stellen, wer ein berechtigtes Interesse an der Leistung des Kg hat. Der Begriff des berechtigten Interesses geht weiter als der des rechtlichen und umfasst daher auch persönliche oder wirtschaftliche Interessen (Niedersächsisches Finanzgericht Urteil vom 6.7.2000 - 14 K 349/98 Ki - EFG 2000, 1342). Berechtigt zur Antragstellung sind daher insbesondere natürliche oder juristische Personen, die unterhaltsverpflichtet sind oder zu deren Gunsten eine Auszahlung, Übertragung oder Verpfändung des Kg möglich ist (Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 34. Aufl 2015, § 67 RdNr 3 mwN; Seewald/Felix, Kindergeldrecht, Stand September 2014, § 9 BKGG RdNr 25 ff mwN). Das trifft auf die Klägerin zu, welche die Amtsvormundschaft für den Beigeladenen übernommen hatte, ohne für ihn selbst einen Kg-Anspruch erwerben zu können. Sie hat als zuständiger örtlicher Träger der Jugendhilfe dem Beigeladenen im streitbefangenen Zeitraum ua vollstationäre Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe gewährt und beabsichtigt, ihn nach § 92 ff SGB VIII teilweise zu den Kosten heranzuziehen. § 94 Abs 3 S 1 SGB VIII sieht dabei ausdrücklich den Einsatz des Kg vor. Durch an den Beigeladenen gezahltes Kg könnte die Klägerin zumindest zu einem geringen Teil die hohen finanziellen Aufwendungen ausgleichen, die sie seit Jahren für ihn und eine Reihe vergleichbarer unbegleiteter Flüchtlinge trägt. Denn das Kg dient gerade dazu, die finanzielle Belastung durch die Personensorge für Kinder auszugleichen (vgl BVerfGE 111, 160-176).
Wegen ihres berechtigten Interesses, den Kg-Anspruch des Beigeladenen durchzusetzen, ermächtigt § 9 Abs 1 S 3 BKGG die Klägerin nicht nur zur Antragstellung im Verwaltungsverfahren, sondern auch zur nachfolgenden Klage; die Vorschrift ermöglicht eine gesetzliche Prozessstandschaft (vgl BFH Urteil vom 26.11.2003 - VIII R 32/02 - BFHE 204, 454 = BStBl II 2004, 588 für das Antragsrecht aus § 67 S 2 EStG).
b) Die Klägerin hat zutreffend eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (Versagungsgegenklage) nach § 54 Abs 1 S 1 Alt 3 SGG erhoben; sie begehrt damit zulässigerweise die Aufhebung des Versagungsbescheids der Beklagten und deren Verpflichtung, dem Beigeladenen Kg zu bewilligen (vgl BSG Urteil vom 26.1.2000 - B 13 RJ 37/98 R - SozR 3-5910 § 91a Nr 7). Versagungsgegenklage kann die Klägerin erheben, weil sie nicht aus eigenem Recht klagt, sondern in Ausübung ihrer Prozessstandschaft für den Beigeladenen (vgl BSG Urteil vom 22.4.1998 - B 9 VG 6/96 R - SozR 3-5910 § 91a Nr 4 S 18 = BSGE 82, 112, S 114 = Juris RdNr 15 mwN).
2. Die zulässige Klage der Stadt Bonn ist begründet. Der von ihr unterhaltene beigeladene M.B. hat nach § 1 Abs 2 iVm Abs 3 BKGG Anspruch auf Zahlung von Kg gegen die Beklagte für den geltend gemachten Zeitraum von März 2005 bis November 2009. Der Beigeladene erfüllt die allgemeinen (a) sowie die besonderen (b) Voraussetzungen für die Gewährung von Kg an ihn selbst als nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer.
a) Nach § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 bis 3 BKGG erhält Kg für sich selbst, wer in Deutschland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, Vollwaise ist oder den Aufenthalt seiner Eltern nicht kennt und nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen ist (aa bis cc).
aa) Der Beigeladene hatte im gesamten Anspruchszeitraum seinen Wohnsitz in Deutschland, § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG. Nach der Rechtsprechung des Senats zum Erziehungsgeld, die im Kg-Recht wegen der gleichgelagerten Interessenlage in gleicher Weise heranzuziehen ist, gelten insoweit besondere Maßstäbe, wenn der Gesetzgeber anhand einer speziellen Vorschrift konkrete Maßstäbe zur Beurteilung der Bleibeprognose eines Ausländers vorgegeben hat. Die Klärung der Frage, ob ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer voraussichtlich auf Dauer in Deutschland bleibt, ist dann nicht mehr Bestandteil der nach der allgemeinen Vorschrift des § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG vorzunehmenden Prüfung von Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet. Sie ist vielmehr allein anhand der Maßstäbe zu beurteilen, die sich aus der hierzu erlassenen spezielleren Regelung ergeben, hier des § 1 Abs 3 BKGG (vgl BSG Vorlagebeschluss vom 3.12.2009 - B 10 EG 5/08 R - Juris RdNr 57 für die wortgleiche Regelung im Bundeserziehungsgeldgesetz). Nach diesen Vorgaben erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG, wer ein reales Verhalten in Bezug auf einen Lebensmittelpunkt gezeigt hat, also erkennbar gewillt ist, an einem bestimmten Ort in Deutschland zu wohnen. Dies war beim Beigeladenen der Fall. Nach den Feststellungen der Instanzgerichte wohnte dieser seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland. Er hat seinen Willen, auf Dauer in Deutschland zu wohnen, auch nicht durch seinen rund zweijährigen Aufenthalt in Portugal im Rahmen einer Jugendhilfemaßnahme der Klägerin aufgegeben. Wie das LSG für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat, resultierte dieser Auslandsaufenthalt nicht ausschließlich aus einer freien Willensbetätigung des Beigeladenen. Er durfte seinen Wohnsitz in Portugal nicht frei wählen, sondern befand sich während seines dortigen Schulbesuchs kontinuierlich in der Obhut der Klägerin und behielt damit seine enge Verbindung zum deutschen Sozialsystem. Seine Rückkehr nach Deutschland war von vornherein vorgesehen und von ihm sowie der Klägerin als seinem Vormund beabsichtigt; sein Aufenthalt in Portugal sollte ihn auf eine soziale und berufliche Eingliederung in Deutschland vorbereiten. Insgesamt war der Beigeladene während der gesamten Zeit seines Auslandsaufenthalts erkennbar gewillt, seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland zu behalten und erfüllte daher die Voraussetzungen des § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG.
bb) Der Beigeladene erfüllte die Voraussetzungen von § 1 Abs 2 S 1 Nr 2 BKGG, weil er Halbwaise nach seiner Mutter ist und nach den Feststellungen der Instanzgerichte den Aufenthalt seines Vaters nicht kennt (zum anzuwendenden subjektiven Maßstab vgl BSG Urteil vom 8.4.1992 - 10 RKg 12/91).
cc) Der Beigeladene war auch nicht bei einer anderen Person als Kind zu berücksichtigen, § 1 Abs 2 S 1 Nr 3 BKGG. Insbesondere lebte er im streitbefangenen Anspruchszeitraum nicht mehr bei seiner Großmutter. Schließt es die besondere familiäre Situation des Klägers somit aus, dass eine andere Person für ihn Kg erhält, greift grundsätzlich auch bei ihm der Gesetzeszweck, elternlosen Kindern zur Vermeidung sozialer Härten Kg für sich selbst zu gewähren.
b) Der Beigeladene erfüllt neben den allgemeinen auch die besonderen Voraussetzungen für die Gewährung von Kg an nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer. § 1 Abs 3 BKGG schließt seinen Kg-Anspruch nicht aus.
Der Anspruch des Beigeladenen richtet sich insgesamt nach der Vorschrift des § 1 Abs 3 BKGG in ihrer Fassung vom 13.12.2006. Für die Zeit bis zum 19.12.2006 ergibt sich dies aus § 20 Abs 1 S 1 BKGG. Denn die bis dahin geltende Fassung war für ihn nicht günstiger, sondern verwehrte sogar Ausländern mit Aufenthaltsbefugnis, die dem Titel des Beigeladenen entspricht, den Kg-Bezug.
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Nach dem Wortlaut von § 1 Abs 3 Nr 2 iVm Nr 3 BKGG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer wie der Beigeladene, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG besitzt, an sich nur dann Kg, wenn er drei Voraussetzungen erfüllt, indem |
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er sich seit mindestens drei Jahren rechtmäßig, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält, § 1 Abs 3 Nr 3 Buchst a BKGG (erste Voraussetzung), |
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ihn seine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, vgl § 1 Abs 3 Nr 2 Halbs 1 BKGG (zweite Voraussetzung), |
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er im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist, laufende Geldleistungen nach dem SGB III bezieht oder Elternzeit in Anspruch nimmt (aktuelle oder kurz zurückliegende Arbeitsmarktintegration - dritte Voraussetzung). |
Von diesen drei Voraussetzungen erfüllte der Beigeladene im Anspruchszeitraum nur die erste, diejenige eines mindestens dreijährigen geduldeten, gestatteten oder rechtmäßigen Voraufenthalts in Deutschland nach § 1 Abs 3 Nr 3 Buchst a BKGG. Denn bevor ihm die Klägerin 2005 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt hat, besaß er seit 1999 eine Aufenthaltsbefugnis und zuvor zunächst eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens sowie anschließend eine Duldung (erste Voraussetzung).
Allerdings berechtigte ihn seine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG, über die er im Zeitraum des geltend gemachten Anspruchs verfügte, anders als von § 1 Abs 3 Nr 2 Halbs 1 BKGG verlangt nicht zur Erwerbstätigkeit (zweite Voraussetzung).
Schließlich war er im Anspruchszeitraum auch nicht erwerbstätig, in Elternzeit oder bezog Geldleistungen nach dem SGB III, vgl § 1 Abs 3 Nr 3 Buchst b BKGG (dritte Voraussetzung), sondern ging zur Schule.
Obwohl der Beigeladene damit zwei der drei vom Gesetz genannten Voraussetzungen verfehlte, kann er Kg beanspruchen. Für minderjährige elternlose Ausländer wie ihn führt die wortgetreue Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen, soweit sie die Berechtigung zu einer Erwerbstätigkeit und deren tatsächliche aktuelle oder - entsprechend den Modalitäten des § 1 Abs 3 Nr 3 Buchst b BKGG - kurz zurückliegende Ausübung voraussetzen (zweite und dritte Voraussetzung), zu einer verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung (aa). Die Vorschrift des § 1 Abs 2 iVm Abs 3 BKGG ist deshalb für minderjährige elternlose Ausländer wie den Beigeladenen verfassungskonform einschränkend auszulegen: Von dem Erfordernis der Berechtigung zur Erwerbstätigkeit sowie ihre (aktuellen bzw kurz zurückliegenden) Ausübung (zweite und dritte Voraussetzung) ist abzusehen (bb). Einem elternlosen bzw unbegleiteten ausländischen Kind darf Kg für sich selbst nicht allein mit der Begründung versagt werden, es sei im Anspruchszeitraum nicht erwerbstätig gewesen. Ein solches Kind kann vielmehr Kg für sich selbst verlangen, wenn es die geforderten drei Jahre Voraufenthalt in Deutschland sowie eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG aufweisen kann, solange es aufgrund seines geringen Alters ohnehin nicht erwerbstätig sein dürfte oder ihn danach sein Schulbesuch an einer Erwerbstätigkeit hindert.
aa) Das BKGG behandelt den Beigeladenen anders als freizügigkeitsberechtigte bzw solche Ausländer, welche die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 BKGG vollständig erfüllen, weil es ihm einen Anspruch auf Kg vorenthält. Diese Ungleichbehandlung bewirkt einen zumindest geringen Nachteil des Beigeladenen, der den Schutzbereich von Art 3 Abs 1 GG eröffnet (vgl BVerfGE 71, 39 ≪50≫; Öndül, Der Anspruch von Drittstaatsangehörigen auf Kindergeld, Elterngeld und Unterhaltsvorschuss, 2014, S 103 f).
Ein rechtlicher Nachteil des Beigeladenen kann nicht mit der Begründung verneint werden, die Klägerin wolle auf das für den Beigeladenen erstrittene Kindergeld zugreifen, um damit teilweise die Kosten für seine Heimunterbringung zu decken. Wie die Klägerin zu Recht anführt, vermengt eine solche Betrachtungsweise in unzulässiger Weise die Ebene des Primär- mit Fragen des Erstattungsrechts. Die Rechtsordnung macht das Bestehen und die Durchsetzung eines Leistungsanspruchs auch sonst nicht davon abhängig, ob dem Berechtigten die Leistung im Ergebnis zur freien Verfügung steht oder ob er sie vollständig für bereits bestehende oder - wie hier - absehbare zukünftige Verbindlichkeiten einsetzen muss.
Auch wenn der Beigeladene ohne den Kg-Anspruch im Ergebnis keinen unmittelbaren finanziellen Nachteil erlitten hat, weil die Klägerin ihn unterhalten hat, macht es einen relevanten Unterschied, ob er vollständig auf die von der Klägerin gewährte Kinder- und Jugendhilfe angewiesen ist oder daneben teilweise sozialrechtliches Kg beanspruchen kann. Kg bezweckt einen typisierten Ausgleich für die finanzielle Mehrbelastung durch die Kindererziehung bzw die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Heranwachsenden ("Kinder kosten"). Im Fall von alleinstehenden Vollwaisen dient es diesen selbst als Ausgleich für die eigenen Belastungen, die es damit gleichzeitig anerkennt und würdigt (aA für das steuerrechtliche Kindergeld BFH/NV 2011, 1134-1135 = Juris, RdNr 9).
Die beschriebene Ungleichbehandlung des Beigeladenen ist nach den Maßstäben des Art 3 Abs 1 GG, wie sie die Rechtsprechung des BVerfG entwickelt hat, sachlich nicht gerechtfertigt. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung zur Ungleichbehandlung von Ausländern anhand der Art ihres Aufenthaltstitels beim Kg im Jahr 2004 betont, die unterschiedliche Bleibedauer in Deutschland könne zwar eine ungleiche Behandlung rechtfertigen (vgl BVerfGE 111, 160 ≪174≫; 111, 176 ≪185≫). Allerdings könne das Fehlen eines dauerhaften Aufenthalts nicht automatisch jede Differenzierung hinsichtlich der Gewährung von Sozialleistungen legitimieren (BVerfG Beschluss vom 10.7.2012 - 1 BvL 2/10, 1 BvL 3/10, 1 BvL 4/10, 1 BvL 3/11 - BVerfGE 132, 72-99). Das BVerfG stellt an die Benachteiligung ausländischer Staatsangehöriger strenge Rechtfertigungsanforderungen, soweit die Ungleichbehandlung an Merkmale wie die Staatsangehörigkeit anknüpft, die für die Betroffenen unverfügbar sind (vgl BVerfGE 111, 160 ≪174≫; 111, 176 ≪185≫; BVerfGE 132, 72-99; zu verfassungsrechtlichen Bedenken ausführlich Niedersächsisches Finanzgericht Vorlagebeschluss vom 21.8.2013 - 7 K 114/13 - Juris; vgl EGMR Urteil vom 25.10.2005 - 59140/00 Okpisz/Deutschland - NVwZ 2006, 917).
Es kann dahinstehen, ob der Gesetzgeber nach diesen Vorgaben den Kg-Anspruch minderjähriger Ausländer für sich selbst in verfassungsmäßig unbedenklicher Weise überhaupt auf Menschen mit einem voraussichtlichen Daueraufenthalt beschränken darf. Jedenfalls sind die vom Gesetzgeber aktuell in § 1 Abs 3 Nr 3 Buchst b BKGG zur Erreichung dieses Ziels gewählten Prognosekriterien evident ungeeignet. Für die insoweit inhaltsgleichen Voraussetzungen einer aktuellen oder kurz zurückliegenden Erwerbstätigkeit für Ansprüche auf Eltern- und Erziehungsgeld hat das BVerfG auf Vorlage des Senats im Fall erwachsener Ausländer bereits entschieden, das Erwerbstätigkeitserfordernis liefere keine geeignete Basis für eine Prognose über die Aufenthaltsdauer (BVerfG Beschluss vom 10.7.2012 - 1 BvL 2/10, 1 BvL 3/10, 1 BvL 4/10, 1 BvL 3/11 - BVerfGE 132, 72-99). Bei minderjährigen elternlosen Ausländern wie dem Beigeladenen eignet sich das vom Gesetzgeber gewählte Kriterium der Arbeitsmarktintegration angesichts des anzulegenden strengen verfassungsrechtlichen Maßstabs noch weniger als Grundlage der stichhaltigen und nachvollziehbaren (vgl Britz, ZAR 2014, 56, 57 f) Aufenthaltsprognose für den Bezug von Kg als bei erwachsenen Ausländern. In einem Teil des geltend gemachten Anspruchszeitraums, die Zeit von März 2005 bis zum 10.3.2007, durfte der Beigeladene überhaupt nicht erwerbstätig sein. Die Instanzgerichte haben insoweit zutreffend auf § 5 Jugendarbeitsschutzgesetz und das darin enthaltene Verbot einer Erwerbstätigkeit vor Beendigung des 15. Lebensjahres hingewiesen. Dass ein ausländisches Kind oder Jugendlicher im nicht erwerbsfähigen Alter keine bezahlte Erwerbstätigkeit ausüben darf und es schon deshalb nicht tut, erlaubt keine Prognose darüber, wie lange dieses Kind in Deutschland bleiben wird. Insoweit eignet sich das Kriterium der Erwerbstätigkeit schon der Natur der Sache nach nicht, um die Dauer seines voraussichtlichen Aufenthalts vorherzusagen.
Doch auch für den geltend gemachten Anspruchszeitraum nach Vollendung des 15. Lebensjahres bis zur Volljährigkeit eignet sich eine Arbeitsmarktintegration nicht als hinreichend zuverlässiges und systematisch stimmiges Prognosekriterium für die Dauer des Aufenthalts des Beigeladenen und vergleichbarer minderjähriger Ausländer.
Das Kg-Recht geht typisierend von kindbedingten Belastungen bis zum 18. Lebensjahr aus, vgl § 2 Abs 2 S 1 Halbs 1 BKGG. Nach der Vorstellung des Gesetzes kann sich der erwachsene Volljährige frühestens danach selbst unterhalten. Wird er dagegen nach Erreichen der Volljährigkeit weiter für einen Beruf ausgebildet, wartet er auf einen Ausbildungsplatz oder sucht er erfolglos einen Arbeitsplatz, kann der Kg-Anspruch unter bestimmten Voraussetzungen sogar noch länger bestehen, vgl § 2 Abs 2 BKGG. Angesichts dessen ist es systemwidrig, gleichwohl vom Beigeladenen schon vor der im Kg-Recht allgemein festgelegten zeitlichen Anspruchsgrenze der Volljährigkeit zwingend eine Erwerbstätigkeit bzw die Berechtigung dazu als Voraussetzung für seinen Kg-Anspruch zu verlangen.
Anders als beim Elterngeld, das die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern soll (vgl BSG Urteil vom 30.9.2010 - B 10 EG 9/09 R - SozR 4-7837 § 1 Nr 2 RdNr 31 f mwN), besteht zudem beim Anspruch auf sozialrechtliches Kg in der hier vorliegenden Konstellation auch kein nachvollziehbarer sachlicher Zusammenhang zwischen der Berechtigung zur Erwerbstätigkeit und dem Anspruch auf die Familienleistung. Das Kg soll als Steuervergütung einen Einkommensbetrag in Höhe des Existenzminimums des Kindes von der Besteuerung freistellen, vgl § 31 S 1 und 3 EStG, andererseits die Familie fördern und dafür die kindbedingten Belastungen abmildern, die durch die Sorge für Kinder entstehen (vgl § 6 SGB I und BVerfGE 111, 160-176). Bei gering oder gar nicht mit Einkommenssteuer Belasteten dient das Kg in vollem Umfang der Familienförderung (Kanzler, Familienleistungsausgleich, § 31 RdNr 30). In diesem Fall ist das Kg nach dem BKGG eine reine Sozialleistung (vgl Palsherm in jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2011, § 25 SGB I RdNr 40 mwN), die keinen sachlichen Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit des Anspruchsinhabers aufweist.
Vor allem aber sind nach der Rechtsprechung des BVerfG neben dem rechtlichen Aufenthaltsstatus für die Frage der voraussichtlichen Aufenthaltsdauer maßgeblich die tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen (vgl BVerfGE 132, 134, 164 f RdNr 75; 132, 360, 368 f RdNr 25 und 27). Mit Blick auf diese Umstände erschließt sich bereits nicht, warum beispielsweise die Ausübung einer ungelernten Beschäftigung im geringfügigen Umfang die Integrationsaussichten des Beigeladenen im Vergleich zur Fortsetzung seiner Schulausbildung hätten wesentlich erhöhen sollen. Zudem können alleinstehende Kinder und Minderjährige, die aus dem Ausland stammen, anders als erwachsene Ausländer nicht auf eigene Faust wieder in ihr Heimatland zurückkehren bzw ohne dauernde Begleitung dorthin abgeschoben werden, falls sich dort nicht aufnahmebereite Verwandte bzw Dritte oder eine funktionierende Verwaltung um sie kümmern. Speziell für das Heimatland des Beigeladenen, die Demokratische Republik Kongo, hat die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung im streitbefangenen Zeitraum auf die besonders gefährliche Situation unbegleiteter Minderjähriger hingewiesen, die regelmäßig aus rechtlichen Gründen einer Abschiebung entgegenstand (vgl Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteil vom 13.10.2010 - 4 A 1008/07.A - Juris).
Es geht darüber hinaus ersichtlich an der Lebenswirklichkeit vorbei, minderjährigen unbegleiteten Ausländern wie dem Beigeladenen allein wegen seiner fehlenden Erwerbstätigkeit oder der Berechtigung dazu eine hinreichende Aussicht auf einen Daueraufenthalt abzusprechen. Sind solche Menschen bereits als Kleinkind nach Deutschland gekommen und haben ihre prägenden Jahre hier verbracht, integrieren sie sich aufgrund ihrer natürlichen kindlichen Anpassungs- und (insbesondere sprachlichen) Lernfähigkeit in der Regel viel schneller als ausländische Erwachsene oder Heranwachsende. Gleichzeitig schwindet ihre Vertrautheit mit den Verhältnissen in ihrem Herkunftsstaat, wenn sie diese überhaupt jemals kennengelernt haben. Eine Integration in Deutschland kann in diesen Fällen bereits im Kindergarten und in der Schule stattfinden. In dem Maße, in dem ihre fortschreitende Verwurzelung in Deutschland solche Ausländer im Laufe der Zeit zu faktischen Inländern macht (vgl BVerwG Urteil vom 29.9.1998 - 1 C 8.96 - InfAuslR 1999, 54), deren (Re)integration in ihrem Herkunftsstaat immer weniger möglich und zumutbar erscheinen lässt, wachsen neben den tatsächlichen Bindungen an das neue Heimatland mit Blick auf Art 8 EMRK die rechtlichen Hürden für eine zwangsweise Zurückführung in ihren Herkunftsstaat. Das hat der Gesetzgeber mit der neu geschaffenen Vorschrift des § 25a Abs 1 AufenthG inzwischen ausdrücklich anerkannt. Nach den zwischen den Beteiligten unstreitigen Angaben der Klägerin liegt ein solcher Status eines faktischen Inländers bereits nach einem 10-jährigen Aufenthalt eines Kindes bzw Jugendlichen in Deutschland nahe, den der Beigeladene bereits vor dem hier streitigen Anspruchszeitraum hinter sich gebracht hatte.
Insgesamt ist daher bei minderjährigen Ausländern wie dem Beigeladenen, die ihre prägenden Jahre in Deutschland zugebracht haben, eine Erwerbstätigkeit kein geeignetes Kriterium, um ihre Aufenthaltsdauer hinreichend zuverlässig vorherzusagen. Der Senat hat nicht zu entscheiden, ob für alleinstehende Ausländer möglicherweise nach Erreichen der Volljährigkeit etwas anderes gilt, weil im Fall des Beigeladenen nur Kg-Ansprüche bis zum Erreichen der Volljährigkeit in Streit stehen.
bb) Trotz seiner erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken brauchte der Senat den Rechtsstreit nicht nach Art 100 Abs 1 S 1 GG auszusetzen und dem BVerfG vorzulegen, weil sich der geltend gemachte Kg-Anspruch aus einer verfassungskonformen einschränkenden Auslegung der Vorschrift des § 1 Abs 3 Nr 2 BKGG ergibt. Der Wortlaut der Vorschrift bildet nicht in jedem Fall eine unüberwindliche Grenze der Auslegung; sie kann vielmehr den Wortlaut erweitern oder einschränken, um das Ziel des Gesetzgebers und gleichzeitig die Verfassungsmäßigkeit zu wahren. Die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung endet erst dort, wo sie dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers widerspräche (vgl zuletzt BVerfG Beschluss vom 16.12.2014 - 1 BvR 2142/11 - Juris mwN). Einen solchen klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, minderjährige elternlose Ausländer pauschal vom Kg auszuschließen, vermag der Senat anders als das LSG nicht zu erkennen. Er geht vielmehr mit dem SG davon aus, dass der Gesetzgeber diese kleine, besonders gelagerte Gruppe der elternlosen bzw verwaisten minderjährigen Ausländer schlicht übersehen und deshalb nicht in seinen Regelungsplan aufgenommen hat. Dies lässt Raum für eine einschränkende Auslegung.
Mit der Neuregelung des § 1 Abs 3 BKGG wollte der Gesetzgeber den Vorgaben des BVerfG zur Anspruchsberechtigung von nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländern auf Familienleistungen Rechnung tragen (vgl zum Kg BVerfG Beschluss vom 6.7.2004 - 1 BvL 4/97 - BVerfGE 111, 160-176). Zu diesem Zweck sollten Familienleistungen für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer auf Menschen mit voraussichtlichem Daueraufenthalt in Deutschland beschränkt werden. Ebenso wie die zitierte Verfassungsgerichtsentscheidung betrafen die Erwägungen des Gesetzgebers nur erwachsene Ausländer und deren Ansprüche für ihre Kinder. Dementsprechend sind die Voraussetzungen des § 1 Abs 3 Nr 2 und 3 BKGG auf erwachsene Ausländer zugeschnitten, die Kg für ihre Kinder beantragen, jedoch nicht auf minderjährige Kinder, die einen Kg-Anspruch für sich selbst geltend machen und die gesetzlichen Voraussetzungen, wie gezeigt, zum Teil überhaupt nicht und jedenfalls nicht sinnvoll erfüllen können. Soweit im Gesetzgebungsverfahren minderjährige Ausländer zur Sprache gekommen sind, ging es jeweils um Minderjährige im Familienverband. Insbesondere die vom BFH (Urteil vom 26.8.2010 - III R 47/09 - BFHE 230, 563 = BStBl II 2011, 589) als Argument gegen eine Regelungslücke angeführte Diskussion zwischen Bundesregierung und Bundesrat betraf minderjährige Ausländer mit Aufenthaltstiteln nach dem 6. Abschnitt des AufenthG, der den Familiennachzug regelt. Bei solchen minderjährigen Ausländern im Familienverband ist die Aufenthaltsperspektive aber ersichtlich anders zu beurteilen, als bei elternlosen minderjährigen Ausländern. Insbesondere lässt sich die mutmaßliche Dauer ihres Aufenthalts regelmäßig nicht abschätzen, ohne ihre familiären Bindungen zu ihren Eltern zu berücksichtigen, vgl § 32 ff AufenthG, die Deutschland auch wieder verlassen können. Damit ist die Situation elternloser minderjähriger Ausländer nicht zu vergleichen. Die im Gesetzgebungsverfahren geführte Diskussion um Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz drehte sich allein um erwerbstätige Ausländer, war also wiederum ersichtlich allein auf Erwachsene zugeschnitten (vgl BR - Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, Niederschrift der 751. Ausschusssitzung vom 22.2.2006, S 14).
Waren somit minderjährige elternlose Ausländer von der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und von seinen darauf gestützten Prognosekriterien für einen Daueraufenthalt, die Berechtigung zu einer Erwerbstätigkeit sowie ihre aktuelle oder kurz zurückliegende Ausübung, ausweislich der gesetzlichen Systematik und der Gesetzesmaterialien nicht nachweisbar umfasst, ist es geboten, diese Kriterien auf solche Ausländer wie den Beigeladenen im Wege der verfassungskonformen teleologischen Reduktion nicht anzuwenden. Eine negative Aufenthaltsprognose kann allein wegen des Fehlens einer Erwerbstätigkeit und der Berechtigung dazu nicht gestellt werden. Andere Gründe, die ihren Ausschluss von der Sozialleistung des sozialrechtlichen Kg rechtfertigen könnten, liegen ebenfalls nicht vor. Vielmehr sind gerade solche elternlosen minderjährigen Ausländer, denen ihre Eltern oder Verwandte nicht mehr helfen können, in besonderem Maß auf das Kg für sich selbst angewiesen.
Damit erfüllte der im streitbefangenen Zeitraum minderjährige Beigeladene die besonderen Anspruchsvoraussetzungen für das Kg schon dadurch, dass er sich im Zeitpunkt der Antragstellung elf Jahre geduldet, gestattet und danach rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte, § 1 Abs 3 Nr 3 Buchst a BKGG, und seit 1999 im Besitz einer - nach § 26 Abs 4 AufenthG grundsätzlich der Verfestigung zugänglichen - Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Ausländergesetz bzw danach der äquivalenten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG war. Weil sich ausländische Kinder und Jugendliche, die in Deutschland aufwachsen, anders und schneller integrieren als erwachsene Ausländer, reichte dies aus, um das vom Gesetzgeber verlangte Mindestmaß an Dauerhaftigkeit seines Aufenthalts sicherzustellen. Es wäre aus den aufgezeigten Gründen sachwidrig, als weitere Voraussetzung für den Kg-Anspruch des Beigeladenen eine Berechtigung zur Erwerbstätigkeit zu verlangen. Im Übrigen nimmt es der Gesetzgeber inzwischen sogar im Recht des Elterngelds hin, dass allein ein 3-jähriger geduldeter Voraufenthalt und der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt, für erwachsene Ausländer einen Elterngeldanspruch begründen. Denn auf die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs 7 Nr 3 Buchst b Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) im Jahr 2012 hat der Gesetzgeber bei mehreren nachfolgenden Änderungen des BEEG nicht reagiert; stattdessen hat die Bunderegierung zuletzt wieder eine umfassende Neuregelung der Anspruchsberechtigung von Ausländern lediglich angekündigt (vgl BT-Drucks 18/2625 S 1).
Das klagabweisende Berufungsurteil war daher aufzuheben und das zusprechende erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen.
Da der Senat dem Hauptantrag der Klägerin in vollem Umfang entsprochen hat, hat sich ihr auf Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gerichteter Hilfsantrag erledigt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, weil die Klägerin einen Anspruch des kostenprivilegierten Beigeladenen in Prozessstandschaft geltend macht (vgl BSG Urteil vom 22.4.1998 - B 9 VG 6/96 R - Juris RdNr 28).
Fundstellen
BSGE 2016, 33 |
DB 2015, 7 |
NJW 2016, 1472 |
FamRZ 2015, 1962 |
NVwZ 2015, 9 |
NVwZ 2016, 555 |
NJ 2015, 11 |
SGb 2015, 390 |
SGb 2016, 167 |
GV/RP 2015, 427 |
Jugendhilfe 2016, 151 |
FSt 2016, 261 |
FuBW 2015, 867 |
FuHe 2015, 696 |
FuNds 2015, 732 |