Allgemeines
Rz. 145
§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG enthält einen Auffangtatbestand (siehe Rz. 124 f.), der in jedem nicht bereits von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 AStG erfassten Fall, in dem das deutsche Besteuerungsrecht hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile ausgeschlossen oder beschränkt wird, greift. Der Tatbestand der Norm ist denkbar weit gefasst.
Insbesondere wird keine Aussage dazu getroffen, woraus sich der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ergeben muss.
Rz. 146
Ausgangspunkt des Tatbestands ist das deutsche Besteuerungsrecht an dem Gewinn aus der Anteilsveräußerung, also aus dem Gewinn i. S. v. § 17 EStG. Das Besteuerungsrecht an Dividenden ist im Rahmen der Wegzugsbesteuerung unbeachtlich. Der Begriff "Besteuerungsrecht" ist völkerrechtlich aufgeladen, umfasst aber neben den DBA auch eine etwaige Kappung des sog. "genuine link". Nach hier vertretener Auffassung kann ein Besteuerungsrecht nicht nur nach DBA, sondern auch nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts "ausgeschlossen" oder "beschränkt" werden (z. B. bei Einführung neuer Anrechnungstatbestände, s. Rz. 153).
Rz. 147
Das Besteuerungsrecht muss "ausgeschlossen" oder "beschränkt" werden. Der Tatbestand der Norm setzt somit eine Statusverschlechterung in Form einer Beeinträchtigung des deutschen Besteuerungsrechts vor. Ausgangspunkt der Tatbestandsprüfung muss somit ein bestehendes deutsches Besteuerungsrecht sein.
Dies gilt sowohl unter Berücksichtigung des nationalen Rechts und des Abkommensrechts. Ein Besteuerungsrecht wird ausgeschlossen, wenn Deutschland nach Statusveränderung kein Besteuerungsrecht mehr hat. Eine Beschränkung liegt dagegen vor, wenn Deutschland noch ein Besteuerungsrecht hat, dieses allerdings infolge einer Verpflichtung zur Anrechnung ausländischer Steuern beschränkt ist. Nach vorzugswürdiger Auffassung ist allein die abstrakte Regelungslage entscheidend für die Beurteilung, ob der Tatbestand der Norm erfüllt ist.
Der unbeschränkt Stpfl. X ist zu 100 % an der X-GmbH mit Ort der Geschäftsleitung und Sitz in Deutschland beteiligt. X erfüllt die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 AStG. Die X-GmbH verfügt zunächst ausschließlich über Bankguthaben, welche sodann vollständig in spanisches Immobilienvermögen investiert werden.
Gem. Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien steht ab dem Zeitpunkt der Vermögensumschichtung Spanien als Belegenheitsstaat ein Besteuerungsrecht an einem Gewinn aus der Anteilsveräußerung zu. Deutschland rechnet eine spanische Steuer an (Art. 22 Abs. 2 Buchst. b Doppelbuchst. ii DBA-Spanien). Die Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG kommt zur Anwendung. Dafür ist es unerheblich, ob Spanien einen Veräußerungsgewinn tatsächlich besteuern würde (abstrakte Prüfung).
Rz. 148
Folgende Konstellationen sind bei Anteilen i. S. v. § 17 EStG insbesondere denkbar, die zu einer relevanten Statusverschlechterung führen und die nicht bereits von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AStG erfasst sind:
- Ansässigkeitswechsel des Anteilseigners ins Ausland bei fortbestehender unbeschränkter Steuerpflicht (s. Rz. 155),
- Unentgeltliche Übertragung der Anteile auf eine unbeschränkte steuerpflichtige, aber im Ausland ansässige Person (s. Rz. 125, 142),
- Einlage der Anteile in ein ausländisches Betriebsvermögen (s. Rz. 157),
- Revision eines DBA mit daraus folgender Statusverschlechterung (s. Rz. 151),
- Vermögensumschichtung auf Ebene einer Kapitalgesellschaft (s. Rz. 152),
- Verlegung des Sitzes und/oder des Ortes der Geschäftsleitung einer Kapitalgesellschaft ins Ausland (s. aber zum Vorrang von § 17 Abs. 5 EStG Rz. 50).
Rz. 149
einstweilen frei
Sonderfall: Passive Entstrickung
Rz. 150
Aufgrund des weit gefassten Wortlauts des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG (s. Rz. 145), kann ein relevanter Ausschluss bzw. eine Beschränkung des Besteuerungsrechts auch infolge des Neuabschlusses oder der Revision eines DBA eintreten.
Solche Vorgänge – ohne Einwirken des Stpfl. – werden als sog. "passive Entstrickung" beschrieben. Während das BMF von der Möglichkeit einer passiven Entstrickung in § 6 AStG ausgeht, hat sich die Rechtsprechung der FG jüngst kritisch geäußert.
Auch im Schrifttum wird vielfach eine passive Entstrickung abgelehnt, weil eine Besteuerung ohne Zutun des Stpfl. nicht sachgemäß sei.
Nach hier vertretener Auffassung ist die Möglichkeit einer passiven Entstrickung in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG zu bejahen. § 6 AStG verfolgt den Zweck, die Besteuerung von im Inland entstandenen stillen Reserven sicherzustellen (s. Rz. 25). Für die Erreichung dieses Zwecks ist es unerheblich, aus welchem Grund die Besteuerung der stillen Reserven gefährdet ist. Daher ist auch eine passive Entstrickung elementar, um die Besteuerungshoheit zwischen den Staaten abzugrenzen. Der BFH hat in einem Inbound-Sachverhalt zur beschränkten Steuerpflicht eine entsprechende Anwendung der Verstrickungsnormen bejaht, wenn Einkünfte infolge einer Erweiterung des § 49 EStG erstmals steuerb...