Rz. 200
Während der Tatbestand des § 6 Abs. 1 S. 1 AStG allgemein auf "unbeschränkt Stpfl." abstellt, wird der persönliche Anwendungsbereich der Norm in § 6 Abs. 2 S. 1 AStG definiert und konkretisiert. Unbeschränkt Stpfl. i. S. d. § 6 Abs. 1 AStG sind danach "natürliche Personen, die innerhalb der letzten zwölf Jahre vor den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 genannten Tatbeständen insgesamt mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig im Sinne des § 1 Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes gewesen sind". Die Staatsangehörigkeit der natürlichen Person ist nicht von Bedeutung.
Rz. 201
Die Ermittlung der persönlichen Voraussetzungen geht aus von einem zwölfjährigen Beobachtungszeitraum.
Dies stellt gegenüber der alten Gesetzesfassung, wonach die gesamte Lebensdauer der Stpfl. relevant war, eine deutliche Verkürzung dar.
Die Berechnung der Frist von zwölf Jahren richtet sich nach § 108 AO i. V. m. §§ 187 ff. BGB.
Ausgangspunkt der Ermittlung des Beobachtungszeitraums ist der Tag, auf den die Veräußerung nach § 6 Abs. 1 S. 2 AStG fingiert wird (s. oben Rz. 178 ff.). Der Beobachtungszeitraum beginnt an dem identischen Tag zwölf Jahre zuvor.
Die natürliche Person X ist unbeschränkt Stpfl. X hält Anteile i. S. v. § 17 EStG und verlegt seinen Wohnsitz am 1.12.2022 ins Ausland.
Da der Wegzug am 1.12.2022 verwirklicht wird, beginnt der Beobachtungszeitraum am 1.12.2010.
Rz. 202
Innerhalb des Zwölfjahreszeitraums muss die natürliche Person für mindestens 7 Jahre unbeschränkt steuerpflichtig i. S. v. § 1 Abs. 1 EStG gewesen sein. Gegenüber der alten Gesetzesfassung, die auf eine zehnjährige unbeschränkte Steuerpflicht abstellte, stellt das Siebenjahreserfordernis eine Verschärfung dar. Die unbeschränkte Steuerpflicht muss nur "insgesamt" und somit nicht am Stück bestanden haben.
Bei Unterbrechnungen der unbeschränkten Steuerpflicht im Zwölfjahres-Beobachtungszeitraum sind die Zeiträume der unbeschränkten Steuerpflicht zusammenzurechnen.
In die Zählung einbezogen werden nur Zeiträume der unbeschränkten Steuerpflicht aufgrund eines Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland. Eine unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 2, § 1 Abs. 3 oder § 1a EStG ist unbeachtlich.
Rz. 203
Für Zwecke der Bestimmung des persönlichen Anwendungsbereichs der Norm ist allein auf die unbeschränkte Steuerpflicht nach nationalem Recht abzustellen. Auf eine Ansässigkeit nach DBA kommt es nicht an.
Pohl fordert für den Fall eines Zweitwohnsitzes im Inland eine teleologische Reduktion des § 6 AStG, weil die Norm anderenfalls zu offenkundig sachwidrigen Ergebnissen führe. Dem ist im Ergebnis nicht beizupflichten. Sollte die nur ein Zweitwohnsitz in Deutschland liegen, wären die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 AStG dennoch erfüllt. Davon losgelöst ist die Frage zu beantworten, ob Deutschland in diesem Fall ein abkommensrechtliches Besteuerungsrecht hat (s. Rz. 37 ff.).
Rz. 204
Ausweislich der Gesetzesbegründung und der Verwaltungsauffassung soll § 6 AStG nur in solchen Fällen zur Anwendung kommen, in denen der Stpfl. im Zeitpunkt der Tatbestandsverwirklichung unbeschränkt steuerpflichtig ist. Für die Wegzugstatbestände des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AStG liegt dies auf der Hand. Den Wegzugstatbestand in § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AStG könnte man auch anders lesen. Denn § 6 Abs. 2 S. 1 AStG definiert "unbeschränkt Stpfl." i. S. d. § 6 AStG als Personen, die innerhalb des Beobachtungszeitraums mindestens 7 Jahre unbeschränkt steuerpflichtig waren. Die Norm trifft keine Aussage dazu, ob die unbeschränkte Steuerpflicht im Wegzugszeitpunkt noch besteht. Dadurch entstehen im Einzelfall Gestaltungsmöglichkeiten.
Die natürliche Person X ist unbeschränkt Stpfl. i. S. v. § 6 Abs. 2 AStG. X hält Anteile i. S. v. § 17 EStG an einer Kapitalgesellschaft, deren Vermögen sich überwiegend aus inländischem Grundbesitz zusammensetzt. X möchte nach Italien verziehen. Angesichts der drohenden Wegzugsbesteuerung legt er dafür die Anteile zunächst in eine gewerblich geprägte GmbH & Co. KG ein und verzieht nach Spanien. In Spanien bringt X den Mitunternehmeranteil samt Kapitalgesellschaftsanteilen in eine dort ansässige S. L. ein. Im Anschluss wird das Vermögen der Kapitalgesellschaft umstrukturiert, indem sämtlicher inländischer Grundbesitz veräußert wird.
Der Wegzug nach Spanien fällt nicht unter § 6 AStG, weil infolge der Einlage in ein Betriebsvermögen keine Anteile i. S. v. § 17 EStG mehr gegeben sind. Eine Entstrickungsbesteuerung nach § 4 Abs. 1 S. 3 EStG bleibt aus, weil Deutschland nach Art. 13 Abs. 2 DBA-Spanien das Besteuerungsrecht an einem Gewinn aus der Veräußerung der Anteile an der Immobilienkapitalgesellschaft behält. Die Einbringung des Mitunternehmeranteils kann gemäß § 20 UmwStG steuerneutral erfolgen. Die anschließende Vermögensumschichtung führt zwar zu einem Ausschluss des deutschen Besteuerungsrechts, weil nunmehr die Anteilsveräußerung nach Art. 13 Abs. 5 DBA-Spanie...