rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Sinn und Zweck des § 6 Abs. 4 GrEStG. einschränkende Auslegung. Erwerb eines Grundstücks von einer Gesamthand durch einen Gesamthänder, der zuvor mindestens 95% der Anteile an der Gesamthand erworben hatte, wofür jedoch keine Steuer erhoben worden war. an einen nicht mehr existierenden Rechtsträger gerichteter Steuerbescheid ist unwirksam. Verfahrensaussetzung im Hinblick auf anhängigen Rechtsbehelf gegen einen Grundlagenbescheid

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 6 Abs. 4 GrEStG soll Steuerumgehungen verhindern, die dadurch eintreten können, dass innerhalb verhältnismäßig kurzer Zeit nach dem Erwerb oder dem Hinzuerwerb von Beteiligungen, nach dem Eintritt oder dem Austritt von Gesamthändern, nach Änderungen im Personenstand der Gesellschaft oder im Beteiligungsverhältnis der Gesamthänder, nach Festsetzung oder anderweitiger Festsetzung von Auseinandersetzungsquoten (usw.) von den in Betracht kommenden Gesamthändern Grundstücke aus dem Vermögen der Gesamthand wegen Begünstigungen nach § 6 Abs. 1, 2 oder 3 GrEStG steuerfrei übernommen werden.

2. Für die „Objektivität” einer Steuerumgehung kann es im Rahmen der den Gesetzeswortlaut des § 6 Abs. 4 S. 1 GrEStG einschränkenden Auslegung nicht entscheidend sein, aus welchem Grund eine Steuer nicht erhoben wurde, weil etwa der Vorgang überhaupt nicht steuerbar war, die Steuer nicht festgesetzt oder nur nicht erhoben wurde.

3. Die Voraussetzungen einer einschränkenden Auslegung sind am Sinn und Zweck der auszulegenden Vorschrift zu messen. In diesem Zusammenhang kommt auch der sog. wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Steuerrecht Bedeutung zu.

4. Geht ein Grundstück von der grundbesitzenden Gesamthand (KG) im Wege der Anwachsung auf einen Gesamthänder über (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 GrEStG) und beträgt der vom Gesamthänder zuvor erworbene Anteil an der KG mindestens 95% der Anteile (Fall des § 1 Abs. 2a GrEStG), gibt es keinen wirtschaftlich einleuchtenden Grund, bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 4 Satz 1 GrEStG von dessen Anwendung zugunsten der Begünstigung des Anwachsungsvorgangs nach § 6 Abs. 2 GrEStG abzusehen, wenn die Grunderwerbsteuer für den Anteilserwerb (§ 1 Abs. 2a GrEStG) aus Gründen, die sich aus dem Festsetzungs- oder Erhebungsverfahren ergeben, tatsächlich nicht erhoben bzw. gezahlt wird. Im Streitfall war die Grunderwerbsteuer für den Erwerbsvorgang (§ 1 Abs. 2a GrEStG) spätestens mit dem Abschluss des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der KG als nicht angemeldete Insolvenzforderung nicht mehr durchsetzbar.

5. Ein an einen erloschenen und damit nicht mehr existierenden Rechtsträger gerichteter Bescheid ist unwirksam.

6. Ein Klageverfahren ist nicht gem. § 74 FGO bis zur Entscheidung über einen anhängigen Rechtsbehelf gegen einen Grundlagenbescheid auszusetzen, wenn in beiden Verfahren verschiedene Rechtsfragen streitig sind und der Rechtsstreit über den Grundlagenbescheid im Erfolgsfall nur zu einer niedrigeren Bemessungsgrundlage im Folgebescheid, aber nicht zu dessen Aushebung führen würde.

 

Normenkette

GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2a, § 6 Abs. 2, 4; AO §§ 122, 124, 5, 182 Abs. 1 S. 1; FGO § 74

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 25.08.2020; Aktenzeichen II R 23/18)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist ein Grunderwerbsteuerbescheid.

Bei der Klägerin handelte es sich ursprünglich um eine im Februar 2010 errichtete Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) mit Sitz in …, deren Geschäftsgegenstand ......, ist. Einzeln vertretungsberechtigter Geschäftsführer war und ist der auf Unternehmenssanierungen spezialisierte Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter Herr … Nach einer Kapitalerhöhung firmierte die Klägerin seit dem 19.11.2013 als GmbH.

Die Firma … GmbH & Co. KG (im Folgenden: KG) war seit 2006 Eigentümerin des im Grundbuch von …, Gemarkung …, Flur-Nr. …, Flurstück … eingetragenen bebauten Grundvermögens. Persönlich haftende Gesellschafterin der KG war die Firma … GmbH, die am Vermögen der KG nicht beteiligt war.

§ 13 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages der KG sah vor, dass ein Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet, wenn ein Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet oder dessen Eröffnung mangels Masse abgelehnt würde. Das Ausscheiden sollte im Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses erfolgen, das Anlass für das Ausscheiden sein würde. Mit den verbleibenden Gesellschaftern sollte die Gesellschaft unter der bisherigen Firma fortgesetzt werden.

Durch notariellen Vertrag vom 22.02.2010 (Urk.-Rolle Nr. … des Notars …) erwarb die Klägerin sämtliche Kommanditanteile an der KG sowie mit weiterem Vertrag sämtliche Geschäftsanteile an der Komplementärin. Zum einzeln vertretungsberechtigten Geschäftsführer der GmbH wurde Herr … bestellt.

Unter dem 30.04.2010 zeigten die Bevollmächtigten der Klägerin die Geschäftsanteilsübertragung von der KG auf die Klägerin als Veräußerungsanzeige nach dem Grunderwerbsteuergesetz bei...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Steuer Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge