Dipl.-Kfm. Jens Schönfeld
„... [3] § 42 der Abgabenordnung bleibt unberührt.”
Rz. 594
Systematik (Konkurrenzregel). § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG enthält keine Tatbestandsvoraussetzung, sondern eine Konkurrenzregel für das Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zur allgemeinen Missbrauchsvermeidungsnorm des § 42 AO. Für die Vorgängerfassung des § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. BeitrRLUmsG vertrat die ganz überwiegende Ansicht im Schrifttum, dass § 50d Abs. 3 EStG als spezialgesetzliche Missbrauchsvermeidungsklausel auch dann die allgemeine Missbrauchsvermeidungsklausel des § 42 AO verdrängt, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG nicht vorlagen. Der BFH hat jüngst das allgemeine Verhältnis zwischen § 42 AO i.d.F. JStG 2008 und spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsnormen auf einen neue Begründung gestützt, was auch Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen § 42 AO und § 50d Abs. 3 EStG hat (vgl. Rz. 595 ff.). Darüber hinaus wurde im Zuge des AbzStEntModG zur Klarstellung § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG eingeführt, der aber im Ergebnis nur das schon durch § 42 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 AO begründete Verhältnis nochmals bestätigt (vgl. Rz. 598 ff.). § 42 AO ist daher grundsätzlich auch anwendbar, wenn § 50d Abs. 3 EStG tatbestandlich nicht greift, es ist aber der sog. Wertungsvorrang zu berücksichtigen (vgl. Rz. 597, 602 f.). Besonderheiten ergeben sich, wenn ein DBA selbst eine Missbrauchsvermeidungsnorm mit abschließenden Merkmalen enthält (vgl. Rz. 606).
Rz. 595
Allgemeines Verhältnis zu § 42 AO. Für das Verständnis des § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG ist es hilfreich, sich zunächst das allgemeine Verhältnis von § 42 AO zu § 50d Abs. 3 EStG ohne dessen Satz 3 zu vergegenwärtigen. Die geltende Regelung des § 42 AO i.d.F. JStG 2008 enthält in einem Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 nunmehr selbst zwei Kollisionsregeln für das Verhältnis zu spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsklauseln in den Einzelsteuergesetzen. Dabei sind zwei Fallgestaltungen einer Konkurrenz zwischen der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsnorm des § 42 AO und der speziellen Missbrauchsvermeidungsnormen wie § 50d Abs. 3 EStG zu unterscheiden:
Rz. 596
(i) Tatbestand des § 50d Abs. 3 EStG ist erfüllt. In diesem Fall bestimmen sich gemäß § 42 Abs. 1 Satz 2 AO die Rechtsfolgen für den unter § 50d Abs. 3 EStG subsumierten Sachverhalt ausschließlich nach § 50d Abs. 3 EStG. Auch wenn § 42 AO tatbestandlich einschlägig wäre, würden seine Rechtsfolgen insoweit auf den betreffenden Sachverhalt nicht angewendet. Konkret für das Verhältnis zu § 50d Abs. 3 EStG bedeutet das, dass es zu einer Versagung der Entlastung und nicht (i.S.d. Basisgesellschafts-Rechtsprechung des BFH) zu einer abweichenden Einkünftezurechnung nach § 42 AO käme.
Rz. 597
(ii) Tatbestand des § 50d Abs. 3 EStG ist nicht erfüllt. In diesem Fall ist § 42 AO nach dessen Abs. 1 Satz 3 anwendbar. Sind seine Tatbestandsmerkmale erfüllt, sind seine Rechtsfolgen auf den entsprechenden Tatbestand anzuwenden, auch wenn § 50d Abs. 3 EStG tatbestandlich nicht anwendbar ist. Auf Basis der geltenden Regelung des § 42 AO i.d.F. JStG 2008 hat nun auch der BFH – in Einschränkung seiner bisherigen Rechtsprechung – keinen Raum mehr für eine gesetzestechnisch begründete "automatische" Abschirmwirkung der einzelsteuergesetzlichen Missbrauchsvermeidungsvorschrift auf Konkurrenzebene gesehen. Von der Frage der Anwendbarkeit des § 42 AO (d.h. der abstrakten Konkurrenzfrage) unberührt bleibt allerdings die noch erforderliche Prüfung der Tatbestandsmerkmale des § 42 AO, d.h. dessen konkreter Auslegung und Anwendung (Anwendungsebene): In diesem Rahmen sind – wie auch nach bisheriger Rechtsprechung – im Wege systematischer und teleologischer Auslegung die gesetzgeberischen Wertungen der speziellen Missbrauchsvermeidungsvorschrift zu berücksichtigen (sog. Wertungsvorrang). Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, muss etwa das Nichterfüllen strikter und Rechtssicherheit gewährleistender Abgrenzungsmerkmale der speziellen Missbrauchsvermeidungsklausel auch bei der Bewertung einer Gestaltung als unangemessen i.S.d. § 42 Abs. 2 Satz 1 AO und der Beurteilung, ob ein Steuervorteil gesetzlich nicht vorgesehen ist, berücksichtigt werden.
Rz. 598
Auswirkung des § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG: § 42 AO "bleibt unberührt". Neben den Kollisionsregeln des § 42 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 AO enthält nunmehr auch § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG eine Kollisionsregel. Das Verhältnis zwischen § 42 AO und § 50d Abs. 3 EStG wird daher nicht nur in § 42 Abs. 1 Satz 2 und Satz 3 AO geregelt, sondern auch in § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG: Hiernach bleibt § 42 AO "unberührt". Bei der Auslegung des Satzes 3 stellen sich verschiedene Fragen:
Rz. 599
Regelungsinhalt: Von was bleibt § 42 AO unberührt? Zunächst fragt sich, durch was die Rechtsfolge des Satzes 3 ausgelöst wird, d.h. welchen Fall er regelt. Insoweit ist Satz 3 lückenhaft formuliert: Er kann nämlich einerseits § 42 AO von dem abstr...