OFD Münster, Verfügung v. 22.12.2005, o. Az.
Nach dem Beschluss des BVerfG vom 11.1.2005 (2 BvR 167/02) sind bei der Prüfung, ob die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG übersteigen, die gesetzlichen Pflichtbeiträge des Kindes zur Sozialversicherung in Abzug zu bringen.
Regelungen zur Umsetzung des Beschlusses bei noch nicht bestandskräftigen Einkommensteuerfestsetzungen enthält das BMF-Schreiben vom 18.11.2005 (IV C 4 – S 2282 – 27/05). Im BMF-Schreiben wird auch darauf hingewiesen, dass die Entscheidung des BVerfG weder eine neue Tatsache i.S. von § 173 Abs. 1 AO noch ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt und auch die nachträgliche Gewährung von Kindergeld aufgrund der Entscheidung des BVerfG keine Änderungsmöglichkeit zur nachträglichen Gewährung der Freibeträge für Kinder für bereits bestandskräftige Einkommensteuerfestsetzungen eröffnet. Die Regelung in R 175 Abs. 5 EStR, wonach der Steuerbescheid bei nachträglicher Zahlung oder Zurückforderung von Kindergeld – sofern sich eine Änderung der Steuerfestsetzung ergibt – nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern ist, betrifft nur die Fälle, in denen zuvor eine Günstigerprüfung vorgenommen worden ist und die nachträgliche Kindergeldzahlung eine erneute Günstigerprüfung mit einer geänderten Steuerfestsetzung zur Folge hat. Die nachträgliche Kindergeldzahlung hat aber keinen Einfluss auf die Entscheidung, ob das Kind dem Grunde nach bei der Einkommensteuerveranlagung zu berücksichtigen ist. Der Kindergeldbescheid ist zudem kein Grundlagenbescheid für die Steuerfestsetzung.
Die nachträgliche Kindergeldgewährung stellt jedoch ein rückwirkendes Ereignis für daran anknüpfende Tatbestände dar (z.B. Höhe der zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG, Übertragung des Behinderten-Pauschbetrags nach § 33b Abs. 5 EStG, Entlastungsbetrag für Alleinerziehende nach § 24b EStG) und eröffnet insoweit eine Änderungsmöglichkeit für bestandskräftige Einkommensteuerbescheide. Eine maschinelle Änderung setzt jedoch die Erfassung des Kindergeldes voraus, ohne dass es zu einer Günstigerprüfung kommt. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, neben dem Geburtsdatum (Kz 36.×16) und dem Kindergeld (Kz 36.×15) die Freibeträge für Kinder unter Kz. 36.×17 mit Wert = 0 zu erfassen.
Beispiel:
A ist allein erziehend mit einem vierjährigen Sohn (S) sowie der volljährigen Tochter (T) in Berufsausbildung. Wegen der Höhe der eigenen Einkünfte und Bezüge der T erhielt A im Rahmen der ESt-Veranlagung 2004 lediglich die Freibeträge für Kinder für S. Der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende wurde wegen der Haushaltsgemeinschaft mit T nicht gewährt. Der Einkommensteuerbescheid 2004 ist bestandskräftig. Kindergeld wurde zunächst nicht beantragt. Nach Bekanntwerden der Entscheidung des BVerfG vom 11.1.2005 stellt A im Dezember 2005 erstmals einen Antrag auf Gewährung von Kindergeld für T. Daraufhin werden ihr 1.848 EUR für das Kalenderjahr 2004 nachträglich ausgezahlt.
Da der Einkommensteuerbescheid 2004 bestandskräftig ist, können für T die Freibeträge für Kinder nicht mehr gewährt werden. Dies gilt auch bei der Festsetzung der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags. Eine Günstigerprüfung nach § 31 EStG wird nicht durchgeführt. Da A nunmehr jedoch tatsächlich Kindergeld für T erhalten hat, kann ihr nachträglich der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gewährt werden. Der Einkommensteuerbescheid 2004 kann diesbezüglich nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4