Nachträgliche Verrechnung von Altverlusten prüfen
Der BFH hat sich mit der Frage beschäftigt, ob eine nachträgliche Änderung eines bestandskräftigen Steuerbescheids noch möglich ist, wenn eine solche Verlustverrechnung nicht explizit in der Einkommensteuererklärung beantragt wurde.
Voraussetzungen für die Verlustverrechnung
Um eine Verrechnung von Altverlusten mit Kapitaleinkünften i. S. des § 20 Abs. 2 EStG im Rahmen der Abgeltungsteuer zu ermöglichen, musste auf der Anlage KAP ein Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG gestellt werden. Zusätzlich war die Verrechnung von Altverlusten auf der Anlage KAP noch gesondert zu beantragen (zuletzt Zeile 60 in der Anlage KAP 2013 = Ich beantrage die Verrechnung von Verlusten nach § 23 EStG nach der bis zum 31.12.2008 geltenden Rechtslage).
Wurde die Eintragung in Zeile 60 vergessen, hat das Finanzamt keine Verrechnung vorgenommen, sodass (nach Bestandskraft des Steuerbescheids) der Verlust nur noch für eine Verrechnung in Folgejahren zur Verfügung stand (ab 2014 nur noch Verrechnung im Rahmen des § 23 EStG möglich).
BFH bejaht eine nachträgliche Verrechnung
Entgegen der Auffassung des FG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 14.05.2014, 7 K 7337/11) hat der BFH aber nun entschieden (Urteil v. 9.8.2016, VIII R 27/14), dass einer nachträglichen Änderung des Steuerbescheids nicht entgegensteht, wenn in der Zeile 60 der Anlage KAP keine Eintragungen enthalten waren. Voraussetzung für die Verrechnung von Altverlusten mit Kapitaleinkünften i. S. d. § 20 Abs. 2 EStG ist allerdings zunächst, dass die Kapitaleinkünfte aufgrund einer Antragsveranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG in die Einkommensteuerfestsetzung miteinbezogen werden.
Antragstellung vor Eintritt der Bestandskraft
Bei dem Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG handelt es sich um ein unbefristetes Veranlagungswahlrecht. Allerdings ergibt sich eine zeitliche Begrenzung der Wahlrechtsausübung aus dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Institut der Bestandskraft. Wurde also vor Bestandskraft ein Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG gestellt (wenn auch zunächst aus anderen Gründen), steht einer nachträglichen Berücksichtigung der Altverluste (auch nach Bestandskraft) nichts im Wege. Hierfür sorgt § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, wonach ein Steuerbescheid geändert werden darf, wenn ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben und geändert wird. Bei einem Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags handelt es sich um einen Grundlagenbescheid. Auch wird durch das Nichtbeachten eines Grundlagenbescheids bei der erstmaligen Festsetzung der Steuer oder einer Folgeänderung der Grundlagenbescheid nicht verbraucht.
Fehlende Angaben im Feld 60 der Anlage KAP
Gegen eine Änderung spricht auch nicht, dass keine Angaben im Feld 60 der Anlage KAP gemacht wurden. Denn gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG in der bis 31.12.2013 geltenden Fassung sind verbleibende positive Einkünfte aus Kapitalvermögen nach der Verrechnung i. S. d. § 43a Abs. 3 EStG (Verrechnung innerhalb der auszuzahlenden Stelle) zunächst mit Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften nach Maßgabe des damaligen § 23 Abs. 3 Satz 9 und 10 EStG zu verrechnen. § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG bestimmte dabei, dass Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. d. § 23 a. F. auch mit Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. des § 20 Abs. 2 EStG ausgeglichen werden können.
Dementsprechend ist die Verrechnung von Altverlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften mit nach der Verrechnung i. S. des § 43a Abs. 3 EStG verbleibenden positiven Kapitaleinkünften i. S. d. § 20 Abs. 2 EStG jedenfalls dann zwingend, wenn keine Ausgleichsmöglichkeit der Altverluste mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften i. S. des § 23 EStG besteht. Auch geht eine Verrechnung der Altverluste im Veranlagungsverfahren einer Verrechnung mit "neuen" Verlusten aus § 20 Abs. 2 EStG vor. Eine Antragstellung, wie in Zeile 60 der Anlage KAP (2013) vorgesehen, bedarf es folglich nicht.
Daher sollte unter den hier dargestellten Voraussetzungen und unter Beachtung der Festsetzungsfrist die Änderungsmöglichkeit für die Jahre 2009 bis 2013 geprüft werden.
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