Überkompensation bei November-/Dezemberhilfe in der Gastronomie

Die November- und Dezemberhilfen sollten Unternehmen, die durch Lockdown-Maßnahmen erhebliche Umsatzeinbußen erlitten hatten, unter die Arme greifen. Für die Gastronomie waren diese Hilfen besonders wichtig. Doch im Rahmen der Schlussabrechnungen taucht ein Problem auf: die Überkompensation, insbesondere im Zusammenhang mit Umsätzen aus dem Außer-Haus-Verkauf. Die Thematik führt zu Nachfragen und überraschenden Rückforderungen. Was Steuerberater als prüfende Dritte jetzt wissen müssen, erfahren Sie hier.
Hintergrund der Überkompensation
Eine Überkompensation entsteht, wenn die Gesamtsumme der November- oder Dezemberhilfen zusammen mit den erzielten Umsätzen während des Förderzeitraums den Umsatz des Vergleichsmonats im Jahr 2019 übersteigt. Die Hilfen wurden auf der Grundlage des Umsatzes von 2019 berechnet, um den Schaden zu kompensieren, den Unternehmen durch Betriebsschließungen erlitten haben.
Für die Gastronomie wurden dabei folgende Besonderheiten berücksichtigt: Umsätze aus dem Außer-Haus-Verkauf sollten im Förderzeitraum eigentlich nicht angerechnet werden, da die Gastronomie damit motiviert werden sollte, der Bevölkerung weiterhin Speisen anzubieten. Denn im Lockdown durften Restaurants Gäste nicht vor Ort bewirten.
Jedoch wurde in der Praxis festgestellt, dass Außer-Haus-Umsätze, die in Kombination mit den gewährten Hilfen zu einer Überkompensation führen, von den Bewilligungsstellen nachträglich angerechnet werden. Den Autoren liegen Auszüge aus Akten der Bewilligungsstellen vor, die belegen, dass sich die Bewilligungsstellen dieser Problematik bewusst waren, diese jedoch zur Vermeidung von Ärger zunächst ignorierten und auf die Phase der Schlussabrechnungen verschoben.
Berechnungsgrundlagen und Beispiele
Ein Beispiel aus der Praxis veranschaulicht die Problematik. Ein Restaurant erzielte folgende Umsätze
November 2019 | November 2020 | |
Speisen und Getränken vor Ort (voller Umsatzsteuersatz) | 80.000 EUR | 0 EUR |
Außer-Haus-Verkauf (reduzierter Umsatzsteuersatz) | 20.000 EUR | 70.000 EUR |
Gesamter Umsatz | 100.000 EUR | 70.000 EUR |
Die ursprüngliche Hilfe belief sich auf bis zu 75 Prozent der Restaurantumsätze von 2019, also 60.000 EUR.
Das Restaurant würde also 60.000 EUR Novemberhilfe 2020 bekommen sowie 70.000 EUR durch Außer-Haus-Verkäufe erzielen. Damit würde das Restaurant insgesamt 130.000 EUR im November 2020 umsetzen.
Der Umsatz im November 2019 betrug 100.000 EUR. Nun hat das Restaurant jedoch im November 2020 (untechnisch) 130.000 EUR erwirtschaftet. Darin sehen die Bewilligungsstellen nunmehr bundesweit einen Wertungswiderspruch. Denn damit würde das Restaurant im November 2020 besserstehen als in der Nicht-Corona-Zeit.
Durch die Anrechnung der Außer-Haus-Umsätze wurde die Hilfe jedoch von der Bewilligungsstelle im Rahmen der Schlussabrechnung auf 30.000 EUR reduziert, um eine Überkompensation zu vermeiden. Es spielt dann keine Rolle mehr, dass zunächst versprochen war, die Außer-Haus-Verkäufe nicht anzurechnen.
Argumente der Bewilligungsstellen
Die Bewilligungsstellen rechtfertigen diese Praxis mit dem Sinn und Zweck der November- und Dezemberhilfen:
- Die Hilfen sollen eine Existenzsicherung ermöglichen, jedoch keine Gewinne gegenüber der Vorkrisenzeit generieren.
- Durch die Nichtberücksichtigung der Außer-Haus-Umsätze wäre das Unternehmen bessergestellt als im Jahr 2019, was dem Prinzip der Billigkeitsleistungen widerspräche.
Kritik an der Anrechnung und Argumente dagegen
Die Argumentation der Bewilligungsstellen ist jedoch nicht unumstritten. Unternehmen und Steuerberater kritisieren diese Praxis aus mehreren Gründen:
- Die Rechtsgrundlage für die nachträgliche Anrechnung der Außer-Haus-Umsätze ist häufig unklar. Viele Unternehmen hatten darauf vertraut, dass diese Umsätze gemäß den ursprünglichen Richtlinien nicht berücksichtigt würden.
- Die Gastronomiebranche argumentiert, dass der Außer-Haus-Verkauf unter erheblich erschwerten Bedingungen erfolgte und somit nicht vergleichbar mit normalen Umsätzen aus dem Jahr 2019 sei.
- Jeder Gastronom hätte, wenn die Thematik der Überkompensation bekannt gewesen wäre, im November und Dezember 2020 ab einem bestimmten Zeitpunkt schlicht aufhören können, Außer-Haus-Verkäufe anzubieten, weil diese Umsätze sonst seine Hilfen mindern. Hätten wir das gewollt? Es entsteht der Eindruck, die Bewilligungsstellen hätten die Gastronomen im Glauben daran, alles behalten zu dürfen, arbeiten lassen.
Handlungsempfehlungen für Steuerberater
Wenn Mandanten Rückforderungsbescheide aufgrund von Überkompensation erhalten, sollten Steuerberater folgende Schritte in Betracht ziehen:
- Widerspruch und Klage prüfen: Innerhalb von einem Monat nach Erhalt des Bescheids kann ein Widerspruch eingelegt werden. Falls der Widerspruch abgelehnt wird oder im jeweiligen Bundesland keine Widerspruchsmöglichkeit besteht, kann innerhalb von einem weiteren Monat Klage erhoben werden.
- Fristen wahren: Steuerberater müssen Mandanten rechtzeitig über die Fristen informieren, um Haftungsrisiken zu vermeiden.
- Einzelfallprüfung vornehmen: Die Berechnung der Überkompensation sollte genau geprüft werden, insbesondere ob die Anrechnung der Außer-Haus-Umsätze rechtlich zulässig ist.
- Bereits im Schlussabrechnungsverfahren sollte drohenden Rückforderungen mit ausführlichen Argumenten entgegengetreten werden. Mehr als sich rechtlich verwehren gegen eine Rückforderung können Sie ab einen bestimmten Punkt nicht leisten. Ihr Mandant muss dann am Ende entscheiden, ob er den Weg des Widerspruchs bzw. der Klage gehen will.
Haftungsrisiken für Steuerberater
Steuerberater sind grundsätzlich nicht in Haftung, wenn sie im Antragsverfahren die Außer-Haus-Verkäufe nicht berücksichtigt haben und nunmehr die Bewilligungsstellen in der Schlussabrechnung eine Anrechnung vornehmen und ihre Praxis ändern. Zudem haben die betroffenen Unternehmen die Möglichkeit, Widerspruch und/oder Klage zu erheben.
Eine Haftungsgefahr kann sich aber dann ergeben, wenn der Steuerberater betroffenen Unternehmen im Fall der Rückforderung wegen Überkompensation leichtfertig rät, auf Rechtsbehelfe zu verzichten. Denn noch ist die Rechtslage nicht abschließend geklärt – und es gibt rechtliche Argumente, warum die Rückforderung wegen vermeintlicher Überkompensation rechtswidrig ist.
Wir empfehlen Steuerberatern daher, nicht selbst Widerspruch bzw. Klage gegen Rückforderungsbescheide zu erheben, sondern die Mandanten an erfahrene Anwälte zu verweisen und diese dann mit Zahlen und anderen inhaltlichen Hinweisen zu unterstützen.
Fazit
Das Thema Überkompensation bei den November- und Dezemberhilfen wird die Gerichte in den nächsten Jahren weiterhin beschäftigen. Steuerberater sollten ihre Mandanten frühzeitig und umfassend beraten, um Rückforderungen rechtzeitig entgegenzutreten und Haftungsrisiken zu minimieren.
Hinweis: Viele dieser Themen werden auch im Netzwerk Überbrückungshilfe unter www.überbrückungshilfe-netzwerk.de behandelt.
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