Während energieintensiv produzierende Mandantenunternehmen längst versuchen, nachhaltiger zu wirtschaften, fragen sich Wissensdienstleister gerade eher noch, wie groß ihr Beitrag eigentlich sein könnte. Doch auch in Steuerberatungskanzleien geht die Frage nach der Nachhaltigkeit weit über den Aspekt des papierarmen Büros hinaus. Wie sie Prozesse und Strukturen ganz unmittelbar nachhaltiger organisieren können, weiß Claudia Ricci, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart.
Frau Ricci, welche Aspekte tragen zu einer nachhaltigeren Arbeitsorganisation bei?
Claudia Ricci: Wesentlich ist, durch die derzeitige Omnipräsenz der ökologischen Dimension nicht die ökonomische und soziale Perspektive auf das Thema 'Nachhaltigkeit' aus dem Blick zu verlieren. Denn es geht ja nicht nur darum, wie wir klimaneutral oder ressourcenschonender arbeiten können, sondern etwa auch um Fragen der Gesundheit, der Motivation oder der Menschenrechte, letztere insbesondere bei Mandanten mit internationalen Standorten.
Sie betonen, Kanzleien müssten sich all diese Aspekte anschauen, wenn sie sich tatsächlich nachhaltiger aufstellen wollen. Wo wirkt sich das im einzelnen aus?
Wenn wir mal bei der Ökologie bleiben wollen, dann gibt es hier bereits auch für Dienstleister eine ganze Reihe von Themen: So sollte der Fuhrpark auf den Prüfstand, ebenso wie die gesamte Mitarbeitermobilität. Ein wichtiger Punkt sind Dienstreisen, hier sollte man sich insbesondere vor den jüngsten Erfahrungen fragen, ob es wirklich notwendig ist, für einen zweistündigen Termin von Stuttgart nach Hamburg zu fliegen. Das wird manchmal der Fall sein, aber eben nicht immer. Eine Dienstreise-Policy setzt hier den notwendigen Rahmen und liefert Orientierung.
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In letzter Konsequenz geht es aber auch darum, bei Innovationen auf nachhaltige Modelle zu setzen, oder?
Genau. Der Königsweg besteht nicht darin, mit Ökostrom dieselben Produkte wie bislang zu produzieren, sondern nachhaltigere Produkte zu entwickeln. Dabei gilt es, wesentlich stärker als bisher die Frage mitzudenken, ob ein Produkt oder eine Dienstleistung auch in einem Jahrzehnt noch Sinn ergibt. Plastisch wird dies etwa in der Textilindustrie bei einem Unternehmen wie Patagonia, das bewusst die Reparatur seiner hochwertigen Kleidungsstücke anbietet.
Dienstleister können niedrigschwellig einen erheblichen Beitrag leisten
Etwas Ähnliches ist in der Dienstleistung eher schwer realisierbar, wo sehen Sie hier den wichtigsten Hebel?
Bei der Unternehmenskultur. Es geht bei Wissensunternehmen, wie Steuerberatungen es ja sind, im Wesentlichen darum, die Mitarbeiter*innen zu sensibilisieren - und zwar rundum, von Mülltrennung bis Dienstreisen und Pendelverkehr. Eine Studie von Greenpeace hat herausgefunden, dass eine Policy mit zwei Tagen Homeoffice bei denjenigen, wo das problemlos funktioniert, etwa fünf Millionen Tonnen CO2 in Deutschland pro Jahr einspart.
Hier können die Dienstleister niedrigschwellig einen erheblichen Beitrag leisten. Außerdem wird an dem Beispiel deutlich, wie verzahnt die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit sind: Homeoffice kann zu höherer Motivation und damit zu weniger Fluktuation beitragen. Wichtig ist, immer ein Gleichgewicht zu finden. Denn umgekehrt birgt die zunehmende Flexiblisierung auch gesundheitliche Risiken.
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Einmal jenseits aller Ethik - warum ist nachhaltiges Wirtschaften aktuell bedeutsam für Unternehmen?
Der Druck steigt von allen Seiten, die Gesellschaft fordert es ein; im B2C-Bereich erwarten Kunden*innen heute bestimmte nachhaltige Features. Dienstleister wie Steuerberatungskanzleien oder auch wir als Fraunhofer Institut werden als Lieferanten im Rahmen der verpflichtenden Reportings der Mandantinnen und Auftraggeber gefragt, wie wir es denn mit dem Umweltschutz halten. Das alles spielt momentan eine große Rolle.
Außerdem achten Banken und Kreditgeber verstärkt auch Nachhaltigkeit, Bewerberinnen wollen purpose sehen. Jeder weiß, dass Gesetze kommen werden, die bestimmte Handlungsweisen verteuern werden. Da überrascht es dann vielleicht gar nicht mehr so sehr, dass sogar Larry Fink, Gründer und CEO von Blackrock, einem weltweit führenden Investment-Management-Unternehmen, in einem Brief an die Stakeholder anmahnt, bei Investments künftig auf Nachhaltigkeitsaspekte Wert zu legen.
Reportings sind das Eine, aber wie sind die Aspekte der Nachhaltigkeit Ihrer Einschätzung nach denn in der Praxis bereits umgesetzt?
Die meisten großen Firmen haben sich auf den Weg gemacht, dort ist nicht nur die Nachhaltigkeitsberichterstattung Standard, sondern auch die Umsetzung von Quick-Win-Maßnahmen wie etwa eine Verwendung von Ökostrom. Dagegen liegt bei der flächendeckenden Geschäftsmodellinnovation nach Nachhaltigkeitsaspekten noch eine gewaltige Menge an Potenzial brach.
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Bei den kleineren Unternehmen ist die Situation differenzierter; hier gibt es einige Pioniere, aber auch diejenigen, die nur knappe Ressourcen haben. Denn klar ist: Die meisten Initiativen bringen zunächst einmal initiale Kosten mit sich, die sich jedoch meist schnell amortisieren. Das Engagement für deren Deckung aufzubringen, insbesondere dann, wenn Sachen eigentlich herkömmlich ganz gut laufen, ist nicht immer einfach. Allerdings merken wir bei unseren Veranstaltungen, dass immer mehr Dienstleister fragen, wie sie bei dem Thema mehr Fahrt aufnehmen können.
Es gilt der Grundsatz: Tue Gutes und rede darüber.
Was raten Sie diesen denn?
Zunächst sollten sie sich ein klares Bild davon machen, wo sie aktuell stehen. Was setzen sie vielleicht schon um? Wo liegen die größten Potenziale. In aller Regel sind bei Dienstleistern die drei Aspekte Heizung, Strom und Mitarbeitermobilität im Fokus. Als Leitfaden für die Standortbestimmung können etwa Berichterstattungsstandards dienen. Hilfreich ist auch die Befragung des Teams.
Daneben ist der Austausch mit Peers von zentraler Bedeutung. So organisieren wir als Fraunhofer IAO gerade ein Netzwerk für klimaneutrale Unternehmen aus Baden-Württemberg.
Welche konkreten Schritte sollten insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen danach gehen?
Unter Einbeziehung der Stakeholder erfolgt im zweiten Schritt eine Wesentlichkeitsanalyse, die einzelnen Maßnahmen und Ideen werden nach Interessenlage der Beteiligten priorisiert. Unterbleibt dies, besteht die Gefahr, dass man in der Umsetzung stecken bleibt, da das Projekt zu ausschweifend wird.
Am besten ist es, mit sechs oder sieben Aspekten anzufangen, dafür Verantwortliche zu benennen und die Zielerreichung zu messen. Das können Steuerberater*innen sicherlich sehr gut, denn dabei geht es ja darum, die Logik aus dem Finanzbereich auf andere Aspekte zu übertragen. Last but not least gilt natürlich auch hier am Ende der Grundsatz: Tue Gutes und rede darüber.